Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 18. April 2012
Aktenzeichen: 2 Not 2/12

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 18.04.2012, Az.: 2 Not 2/12)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am € in Frankfurt am Main geborene Kläger wurde am 21.10.198€ zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und ist seit dem 20.11.199€ Notar mit Amtssitz in O1.

Disziplinarrechtlich ist er bisher nur einmal in Erscheinung getreten: Mit Disziplinarverfügung vom 10.2.20€ erteilte der Präsident des Landgerichts O2 ihm einen Verweis wegen eines Verstoßes gegen das Mitwirkungsverbot aufgrund der anwaltlichen Vertretung einer urkundsbeteiligten Partei nach einer notariellen Beurkundung.

Gegen den Kläger sind im vorliegenden Fall von einem Herrn 1X zwei Dienstaufsichtsbeschwerden erhoben worden wegen des folgenden Sachverhalts:

Die Geschwister 2X und 1X sowie 1Y waren als ungeteilte Erbengemeinschaft Eigentümer des ehemaligen A-Grundstücks B-Str. € in O1. Am ...10.1999 beurkundete der Kläger als Notar unter der UR-Nr. €/99 eine Teilerbauseinandersetzung dieser Erbengemeinschaft, wonach 1Y einen noch zu vermessenden Teil des Grundstücks von ca. 2.041 m² als Eigentum unter Anrechnung auf ihren Erbteil erhielt. 1Y verpflichtete sich zur Durchführung von diversen Arbeiten auf dem Gesamtgrundstück, insbesondere an dem Wohnhaus. Der Aufwand für diese Arbeiten sollte wiederum von dem anzurechnenden Betrag hinsichtlich des restlichen Erbteils abgezogen werden.

Die Arbeiten wurden von dem Ehemann von 1Y, dem €-Installateur- und €-Meister 2Y durchgeführt. Für diesen erhob der Kläger in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt mit Klageschrift vom 18.10.2006 beim Landgericht O2 - Aktenzeichen € - Klage gegen 2X und 1X auf Zahlung von Werklohn in Höhe von 16.808,76 €. Die Klage wurde damit begründet, dass nach Durchführung der von 1Y im Rahmen der Teilerbauseinandersetzung geschuldeten Arbeiten weitere Arbeiten von der Erbengemeinschaft an 2Y in Auftrag gegeben worden seien. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich.

Auf die Dienstaufsichtsbeschwerde hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er für einen Dritten (2Y) Werklohn mit der Klage geltend gemacht habe, der nicht aus den in der Urkunde aufgeführten Arbeiten resultiere. Auf die gegenteilige Behauptung von 2X und 1X habe das Landgericht Beweis erhoben, wobei in keinem einzigen Punkt festgestellt worden sei, dass es sich um eine Forderung gehandelt habe, die Gegenstand der Urkunde gewesen sei.

Die gleichfalls mit der Angelegenheit befasste Rechtsanwaltskammer wies mit Bescheid vom 11.7.2007 die gegen den Kläger von 1X erhobene Beschwerde zurück.

Mit Disziplinarverfügung vom 16.8.2011 (Bl. 198 ff. Personalakte) erteilte der Präsident des Landgerichts O2 als zuständige Dienstaufsichtsbehörde dem Kläger einen Verweis wegen Verstoßes gegen das Beteiligungsverbot in § 14 Abs. 1 BNotO in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO.

Die Disziplinarverfügung wurde dem Kläger zugestellt am 22.8.2011 (Bl. 207 der Personalakte). Er legte hiergegen Widerspruch ein, der am 7.9.2011 beim Landgericht einging (Bl. 208 der Personalakte). Der Präsident des Landgerichts O2 erklärte, nicht abzuhelfen (Bl. 222 der Personalakte) und legte die Akte dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt als zuständiger Widerspruchsbehörde vor. Mit Bescheid vom 10.1.2012 (Bl. 226ff.) wies der Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt den Widerspruch zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 13. Februar 2012 Klage erhoben (Bl. 1ff. d. A.).

Er meint, daß das bereits abgeschlossene anwaltsrechtliche Verfahren vorrangig sei, weil es sich um eine Tätigkeit als Anwalt gehandelt habe.

Ein dienstrechtlicher Verstoß liege nicht vor. Materiell-rechtlich handle es sich nicht um dieselbe Rechtssache, da 2Y an der Urkunde nicht beteiligt gewesen sei und auch keine Ansprüche aus der Urkunde geltend gemacht würden. Solche Überschneidungen seien in ländlichen Gebieten und kleinen Gemeinden unvermeidbar.

Der Kläger beantragt,

die Disziplinarverfügung des Präsidenten des Landgerichts O2 vom 18.7.2011 (€) sowie den Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10.1.2012 (€) aufzuheben.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hält an der Disziplinarverfügung fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Personalakte des Landgerichts O2 € Bezug genommen.

Gründe

Nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben, kann das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die Anfechtungsklage ist zulässig nach §§ 96 Abs. 1, Satz 1, 99 BNotO, 52 Abs. BDG, 74, 75, 81 VwGO. Sie ist aber nicht begründet.

Entgegen der Ansicht des Klägers war der Präsident des Landgerichts im Rahmen seiner Dienstaufsicht über die Notare des Bezirks zuständig für die Prüfung eines Dienstvergehens und die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme. Ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ist im Rahmen der Abgrenzung nach § 110 BNotO als vorwiegend notarielle Verfehlung anzusehen. Der Anwaltsnotar, der gegen das anwaltliche Tätigkeitsverbot verstößt, verletzt damit zugleich die nachwirkende notarielle Neutralitätspflicht nach § 14 Abs. 1 S. 1 BNotO (Eylmann/Vaasen § 110 BNotO, Rdnr. 15).

Damit ist zugleich der Rechtsweg zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main als für den Kläger zuständigem Dienstgericht eröffnet.

Die Entscheidung der im vorliegenden Fall unzuständigen Rechtsanwaltskammer steht einer erneuten Entscheidung nicht entgegen, da das Gericht an die vorangegangenen Entscheidungen der Berufskammern, die Aufsichtsbehörden oder der Staatsanwaltschaft nicht gebunden ist (Eylmann/Vaasen § 110 BNotO, Rdnr. 19). Da die Rechtsanwaltskammer die Dienstaufsichtsbeschwerde zurückgewiesen hat, liegt auch kein Fall der Doppelbestrafung (ne bis in idem) vor.

Die Disziplinarverfügung in der Form des Widerspruchsbescheides ist auch inhaltlich rechtmäßig.

Der Kläger hat gegen die Pflichten des Notars aus § 14 Abs. 1 BNotO verstoßen. § 14 Abs. 1 BNotO verlangt von einem Notar eine strikte Neutralitätspflicht, welche auch nachwirkend einen Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO in Form der anwaltlichen Vertretung einer Urkundspartei untersagt.

Nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO darf ein Rechtsanwalt nicht tätig werden, wenn er in derselben Rechtssache bereits als Notar gehandelt hat, was im vorliegenden Fall aufgrund der Beurkundung vom ...10.1999 zutraf. Mit dieser Regelung soll das Vertrauen in die Rechtspflege geschützt werden, damit nicht der zur Neutralität verpflichtete Notar nachträglich gegen eine Urkundspartei tätig wird. Die Norm dient dazu, die Gefahr von Interessenkollisionen einzudämmen, weil dem Anwaltsnotar bereits bei der notariellen Tätigkeit bewusst sein muss, dass er später in dieser Sache nicht für oder gegen einen Urkundsbeteiligten als Rechtsanwalt Partei ergreifen kann (Bundesgerichtshof, 9. Zivilsenat, Urteil vom 21.10.2010, Az.: IX ZR 48/10,NSW BRAO § 45; Entwurfs-Begründung der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/4993 S. 29).

Der Begriff "dieselbe Rechtssache" im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ist wie in § 356 StGB zu verstehen und umfasst alle nach der Beurkundung auftretenden Rechtsangelegenheiten aus demselben Lebenssachverhalt, sofern daran mehrere möglicherweise ein entgegengesetztes rechtliches Interesse verfolgende Personen beteiligt sind, die entweder Urkundsparteien waren oder deren Nachfolger sind oder mit diesen verbunden sind (BGH, aaO. mit weiteren Nachweisen). Maßgebend ist der sachlich-rechtliche Inhalt der anvertrauten Interessen, also ob das materielle Rechtsverhältnis bei natürlicher Betrachtungsweise auf ein innerlich in Zusammenhang mit der Urkunde stehendes einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen ist (BGH, aaO. mit weiteren Nachweisen). In der Rechtsprechung zu § 356 StGB ist anerkannt, dass auch ein Wechsel der beteiligten Personen die Einheitlichkeit des Lebensverhältnisses nicht berührt ( BGHSt 7, 261, 263; Feuerich/Weyland, aaO; Kilian in Henssler/Prütting, aaO).

Der Begriff der selben Rechtssache ist somit weit auszulegen, wenn die Gefahr einer Interessenkollision besteht. Dass ein innerer Zusammenhang bestand, ergibt sich bereits aus der vom Kläger verfaßten Klageschrift in dem Rechtsstreit € vor dem Landgericht O2. Der Kläger schrieb dort: €Die Erbengemeinschaft hat sich dahingehend auseinandergesetzt, dass die Ehefrau des Klägers aus der Erbengemeinschaft eine Teilfläche erhalten sollte. Dieses Grundstück sollte die Ehefrau dafür ebenso wie die angrenzenden Grundstücksteile von den C-Häusern befreien. Diese Arbeiten führte der Kläger für seine Frau mit seinen Leuten durch. In diesem Zusammenhang beauftragte ihn dann die Erbengemeinschaft, weitere Arbeiten am restlichen Grundstück durchzuführen. "

2Y war im vorliegenden Fall zwar kein Beteiligter der Beurkundung. Er war jedoch Ehemann und bereits bei Beurkundung eingeplanter Erfüllungsgehilfe von 1Y im Hinblick auf ihre Pflichten aus der Teilerbauseinandersetzung. Im vorliegenden Fall lag das Problem der Abgrenzung zwischen den Aufträgen, die 1Y ihrem Mann als Erfüllungsgehilfen ihrer Verpflichtung aus der Urkunde erteilt hat und den nachfolgenden Aufträgen der Erbengemeinschaft auf der Hand. Der Kläger führte im damaligen Schriftsatz vom 2.2.2007 aus, dass 2Y zunächst eine Rechnung über die gesamten Arbeiten gestellt hatte, ohne zwischen Arbeiten zu unterscheiden, die seine Frau betrafen und solche, die die Erbengemeinschaft alleine betrafen. Ob ein über die in der Urkunde festgelegten Arbeiten hinausgehender Auftrag erteilt worden war, blieb streitig, 2X und 1X vertrat den Standpunkt, es habe keinerlei Gespräche über eine Beauftragung von 2Y nach der Beurkundung gegeben. Der Lebenssachverhalt ist zweifelsfrei derselbe, da der eingeklagte Werklohn aus einer Weiterentwicklung der mit der Teilauseinandersetzung bereits angebahnten Sanierung des Erbgrundstücks resultierte.

Auch handelte es sich hinsichtlich der Interessenpositionen nicht um eine echte Klage eines Dritten gegen die Erbengemeinschaft, sondern um die Klage eines auch an der Urkunde beteiligten Familienzweiges gegen die anderen ebenfalls bei der Beurkundung beteiligten Erben, mithin faktisch um einen Streit innerhalb der Erbengemeinschaft. Das wird bereits dadurch deutlich, dass 1Y zwar nicht mitverklagt war, ihr jedoch von der Gegenseite der Streit verkündet worden war. Vertritt der Notar in einem solchen Fall eine Seite als Prozessbevollmächtigter, so nimmt er nachträglich Partei für einen Urkundsbeteiligten. Gerade dies soll § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO aber zum Schutz des Vertrauens in den Notarberuf verhindern.

Die Parallelität der Interessen zwischen 1Y und 2Y ergibt sich auch aus Ziffer 2 des am 24.3.2010 geschlossenen Vergleichs, wonach die Klageforderung abgegolten wurde durch Entnahme eines Betrages von 10.000 € vom Konto der Erbengemeinschaft, welcher im Ergebnis zur Hälfte an den damaligen Kläger 2Y als Entgelt für die Klageforderung und zur anderen Hälfte an dessen Ehefrau 1Y ausgezahlt werden sollte.

Dem Kläger mußte auch spätestens nach der Klageerwiderung in dem Rechtsstreit € bewußt gewesen sein, daß eine Interessenkollision bestand, die mit der vorangegangenen Beurkundung nicht vereinbar war. Der damalige Beklagtenvertreter forderte den Kläger auf, sein Mandat niederzulegen, weil er die Teilerbauseinandersetzung protokolliert hatte und nunmehr in einer Angelegenheit der Erbengemeinschaft gegen zwei der Urkundsbeteiligten vorging. Er verkündete 1Y den Streit. Der Kläger vertrat die Auffassung, die Streitverkündung sei unzulässig und wies darauf hin, dass 1Y die geltend gemachte Forderung zulasten der Erbengemeinschaft ausdrücklich anerkannt habe.

Dass § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO gerade dem Notar in einem kleinen ländlichen Bezirk die Berufsausübung eingrenzt, ist sicherlich zutreffend, muss aber zur Sicherung der Rechtspflege hingenommen werden, da die genannte Vorschrift eine zulässige Schranke der Berufsausübungsfreiheit darstellt.

Die gewählten Disziplinarmaßnahmen des Verweises ohne Geldbuße ist angesichts der Vorbelastung des Notars nicht ermessensfehlerhaft, sondern auch unter Berücksichtigung der langjährigen Tätigkeit des Notars und der geringen tatsächlichen Auswirkungen von gebührender Milde. Bei der Zumessung der Disziplinarmaßnahme nach § 97 BNotO hat der Präsident des Landgerichts O2 den geringen faktischen Unrechtsgehalt bereits berücksichtigt. Angesichts der einschlägigen disziplinarrechtlichen Vorbelastung blieb nur der Verweis übrig, da der Kläger nach dem ausdrücklichen Hinweis des damaligen Prozessgegners das Mandat nicht niederlegte und einen Verstoß gegen §§ 14 Abs. 1 BNotO, 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO billigend in Kauf nahm, somit nicht mehr fahrlässig, sondern vorsätzlich handelte.

Nach alldem war die Anfechtungsklage zurückzuweisen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 96 BNotO, § § 3, 77 BDG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Senat hat von der Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO abgesehen, weil die Voraussetzungen der § 96 BNotO, § 64 Abs. 2 BDO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO i. V. m. § 124 a Abs. 1 VwGO nicht vorliegen.

Der Streitwert wird auf 5.000,- € festgesetzt.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 18.04.2012
Az: 2 Not 2/12


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