Landgericht Köln:
Urteil vom 20. April 2006
Aktenzeichen: 84 O 16/06

(LG Köln: Urteil v. 20.04.2006, Az.: 84 O 16/06)

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch die Antragsgegnerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe erbringt.

Tatbestand

Die Antragstellerin ist einer der führenden Internet-Service-Provider Deutschlands. Sie bietet ihren Kunden den Internetzugang u.a. über DSL an.

In Ballungsräumen haben einzelne Wettbewerber der Antragsgegnerin mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur für den Anschluss von Endkunden begonnen; die Antragsgegnerin verfügt jedoch als einziges Telekommunikationsunternehmen in Deutschland über ein flächendeckendes Teilnehmeranschlussnetz. Internet-Service-Provider nutzen daher für den Internetzugang über DSL ganz überwiegend die DSL-Anschlüsse der Antragsgegnerin. Entweder schließen die Endkunden neben dem Vertrag mit dem Internet-Service-Provider einen Vertrag mit der Antragsgegnerin über den DSL-Anschluss ab, oder Internet Service-Provider stellen ihren Endkunden den DSL-Anschluss der Antragsgegnerin im Wege des Weiterverkaufs im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zur Verfügung.

Die Antragstellerin bietet ihren Kunden die Anschlussleistung ausschließlich im Wege des Resale an. Sie hat mit der Antragsgegnerin einen Vertrag vom 5. 8. 2004, zuletzt in der Fassung vom 10. 8. 2005, auf der Grundlage des Tarifsystems DSL Resale der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin hat den Vertrag mit Schreiben vom 28. 11. 2005 zum 30. 5. 2006 gekündigt und der Antragstellerin eine Weiterführung des Vertrags zu ihren aktuellen Vertragsbedingungen angeboten.

Neben dem Tarifsystem DSL Resale bietet die Antragsgegnerin seit Ende 2005 ein Tarifsystem DSL Net Rental an. Während beim DSL Resale dem Kunden ein einzelner Anschluss zum Weiterverkauf angeboten wird, wobei der Anschluss jederzeit mit einer Frist von sechs Werktagen zum Schluss eines jeden Werktages kündbar ist, werden einem DSL-Net-Rental-Kunden virtuelle Netzkapazitäten pro Anschlussbereich in Form einer Mindestnetzkapazität von 192 Ports überlassen. Der Vertragspartner kann wie ein Netzbetreiber eigene Kapazitätsplanungen anstellen, die ihm eine Maximierung der Auslastung und Kundenzahl im jeweiligen Anschlussbereich ermöglichen. Die Mindestüberlassungsdauer im jeweiligen Anschlussbereich beträgt grundsätzlich 24 Monate. Bezüglich freiwerdender Netzkapazität trägt der Vertragspartner wie ein Netzbetreiber das Investitionsrisiko. Gemäß dem Vortrag der Antragsgegnerin erfolgt die Bepreisung der Überlassung der virtuellen Netzkapazität auf der Grundlage einer Formel (monatlicher Sockelbetrag von € 537,27 pro Anschlussbereich + € 184,87 pro Rack + € 150,96 pro LineCard + € 5,35 pro geschaltetem Port), die an den tatsächlichen Kosten ausgerichtet ist. Von der maßgeblichen Fassung der Berechnungsformel hat die Antragstellerin von der Antragsgegnerin am 23. 12. 2005 Kenntnis erhalten. Je nach eigener Kapazitätsauslastung im Anschlussbereich kann sich ein Preisvorteil gegenüber dem Produkt DSL Resale ergeben.

1&1, aber auch kleinere Wettbewerber der Antragstellerin wie AOL und Hansenet haben mit der Antragsgegnerin bereits Verträge auf der Grundlage des Tarifs DSL Net Rental abgeschlossen. Mit T-Online ist nach dem Vortrag der Antragsgegnerin bislang kein entsprechender Vertrag abgeschlossen worden.

Mit Schreiben vom 6. 1. 2001 erklärte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin, dass sie das Preismodell DSL Net Rental für in höchstem Maße wettbewerbs- und marktschädlich halte, weil es den größten Wettbewerbern, nämlich T-Online und United Internet einen uneinholbaren Wettbewerbsvorsprung einräume. Die Antragstellerin trug ihre Einwände der Bundesnetzagentur mit Schreiben vom 9. 1. 2006 vor; diese hat bisher nicht entschieden. Gleichfalls schaltete die Antragstellerin das Bundeskartellamt ein.

Auf die Aufforderung der Antragstellerin vom 6. 1. 2001 zur Vorlage eines neuen Angebots bis zum 13. 1. 2006 lehnte dies die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 13. 1. 2006 ab. Am 20. 2. 2006 reichte die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein, mit dem sie begehrt, dass der Antragsgegnerin untersagt wird, Verträge nach dem Preismodell DSL Net Rental abzuschließen und bereits abgeschlossenen Verträge weiter durchzuführen.

Die Antragstellerin vertritt die Ansicht, dass das Abrechnungsmodell gegen §§ 28, 42 TKG, Art. 82 EG, §§ 19, 20 GWB und §§ 3, 4 Nr. 10 und 11 UWG verstoße.

Die Antragstellerin behauptet, dass angesichts der heutigen Kundenzahlen innerhalb des DSL-Resale von ca. 1,4 Mio. für T-Online, ca. 1 Mio. für United Internet, ca. 400.000 für die Antragstellerin, ca. 90.000 für AOL und ca. 90.000 für Arcor der Tarif DSL Net Rental einen dauerhaften Kostenvorteil für die größten Anbieter von DSL Resale begründe. Die Antragstellerin habe keine Aussicht, den Preisvorteil, der sich für T-Online und United Internet auf mindestens 2,10 bis 2,60 € pro DSL-Resale-Anschluss belaufe, aufzuholen; dadurch werde T-Online und United Internet ein ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteil verschafft.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin zu verurteilen, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen,

1. Verträge über Resale von DSL-Anschlüssen mit dem Preismodell DSL Net Rental abzuschließen,

2. bereits abgeschlossene Verträge über Resale von DSL-Anschlüssen mit dem Preismodell DSL Net Rental weiter durchzuführen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin sieht das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin für den vorliegenden Antrag als fraglich an, weil die Antragstellerin paralleles Forum Shopping betrieben habe.

Jedenfalls fehle es im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin seit dem 23. 12. 2005 Kenntnis von der maßgeblichen Berechnungsformel habe, an der für einen Verfügungsantrag erforderlichen Dringlichkeit.

Der Antrag sei aber auch unbegründet. Eine Ungleichbehandlung liege nicht vor, weil sämtlichen Nachfragern nach dieser Leistung das netzkapazitätsbasierte Angebot DSL Net Rental angeboten werde. Die Antragstellerin vertrete zu Unrecht die Auffassung, dass es sich bei DSL Resale und DSL Net Rental um gleichartige Leistungen handele. Dass es technische Überschneidungen bei beiden Leistungen gebe, weil beide den Anschluss des jeweiligen Endkunden ermöglichen würden, bedeute nicht, dass die Leistungen gleichartig seien. Sie würden sich vielmehr in ganz entscheidenden Punkten unterscheiden, die auch Unterschiede in der Bepreisung rechtfertigen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Der Antrag ist nicht zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin kann allerdings nicht deshalb verneint werden, weil sie vor Anrufung des Zivilgerichts sowohl die Bundesnetzagentur als auch das Bundeskartellamt angerufen hatte. Abgesehen davon, dass gemäß § 2 Abs. 2 TKG die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar bleiben, soweit nicht durch das TKG ausdrücklich abschließende Regelungen getroffen werden, und demnach ein Verfahren nach TKG die Anrufung der Zivilgerichte nicht ausschließt, setzten auch die von der Antragsgegnerin angesprochenen Entscheidungen des OLG Düsseldorf einen Beschluss der Regulierungsbehörde sowie eine Anfechtung dieses Beschlusses vor dem Verwaltungsgericht voraus; im vorliegenden Fall ist eine Entscheidung der Bundesnetzagentur bisher nicht ergangen.

Auch die für einen Verfügungsantrag erforderliche Dringlichkeit fehlt nicht. Nach dem 20. 12. 2005 hatte die Antragstellerin zwar zwei Monate abgewartet mit der Einreichung des Antrags. Innerhalb dieses Zeitraums hatte sie jedoch die Antragsgegnerin aufgefordert, ein neues Angebot zu unterbreiten. Nach Einschaltung der Bundesnetzagentur durfte die Antragstellerin auch zunächst die Reaktion der angerufenen Beschlusskammer - etwa im Hinblick darauf, ob diese eine einstweilige Anordnung treffen würde - abwarten. Auch die Komplexität der Angelegenheit erforderte für die Ausarbeitung des Antrags einige Zeit, so dass das Gericht aufgrund des Zeitablaufs die Dringlichkeit noch nicht als entfallen ansieht.

Der Verfolgung der seitens der Antragstellerin geltend gemachten Ansprüche im Verfahren der einstweiligen Verfügung steht jedoch entgegen, dass unter Abwägung aller betroffenen Interessen das vorliegende summarische Verfahren nicht zur Entscheidung über die Ansprüche geeignet ist, weil die Anträge die Hauptsache vorwegnehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es vorliegend nicht nur um die Rechtsbeziehung der Antragstellerin zur Antragsgegnerin geht, sondern dass auch in Rechtsbeziehungen der Antragsgegnerin zu Dritten eingegriffen werden soll, wobei es nicht nur um die am Markt stark vertretene United Internet geht, sondern auch um Parteien, die am Markt viel schwächer sind als die Antragstellerin und die sich - im Gegensatz zur Antragstellerin - vom Preismodell DSL Net Rental offenbar Wettbewerbsvorteile versprochen haben, wie sie durch den Abschluss entsprechender Verträge dokumentiert haben. An der weiteren Durchführung der Verträge auch mit diesen Anbietern soll die Antragsgegnerin gehindert werden, diesen Anbietern gegenüber also vertragsbrüchig werden. Gerade diese Interessen Dritter stehen nach Auffassung der Kammer einer Regelung im Wege der einstweiligen Verfügung entgegen.

Dabei geht die Kammer davon aus, dass es keinesfalls auf der Hand liegt, dass es sich bei dem Tarifsystem DSL Net Rental lediglich um ein Rabattsystem des Tarifs DSL Resale handelt, wie die Antragstellerin meint und wie man möglicherweise aufgrund der seitens der Antragstellerin angeführten Vorgeschichte annehmen könnte. Denn die den Tarifsystemen zugrunde liegenden Telekommunikationsdienste erscheinen durchaus nicht als gleichartig, auch wenn es letztlich um den DSL-Anschluss eines Endkunden geht, der natürlich aufgrund identischer bzw. ähnlicher technischer Einrichtungen bewerkstelligt wird. Nach Ansicht der Kammer macht es aber durchaus einen erheblichen Unterschied, ob ein einzelner DSL-Anschluss eines ganz bestimmten Endkunden für die Dauer der Nutzung durch denselben von einem Internet-Service-Provider übernommen wird oder ob dieser Internet-Service-Provider sich dazu verpflichtet, in einem bestimmten Anschlussbereich ohne Rücksicht auf die Anzahl seiner in diesem Anschlussbereich ansässigen DSL-Endkunden auf eine bestimmte Zeitdauer eine bestimmte Anzahl von DSL-Anschlüssen zu übernehmen, und hierdurch die Gelegenheit, aber auch das Risiko erhält, diese quasi als eigener Netzbetreiber zu bewirtschaften. Daher sieht die Kammer es als durchaus gerechtfertigt an, für diese beiden Systeme unterschiedliche Preismodelle anzuwenden, wobei es nicht Gegenstand des vorliegenden summarischen Verfahrens sein kann, die von der Antragsgegnerin geforderten Entgelte auf ihre sachliche Rechtfertigung hin zu überprüfen.

Soweit die Antragstellerin vorbringt, dass eine einstweilige Verfügung zur Abwendung ihr entstehender wesentlicher Nachteile erforderlich wäre, ist darauf zu verweisen, dass der Markt für DSL-Resale-Anbieter zwischen den Anbietern noch keineswegs aufgeteilt, sondern, wie auch die Zuwachszahlen der Antragstellerin selbst belegen, nach wie vor auf ein starkes Wachstum ausgerichtet ist. Es kann deshalb keineswegs festgestellt werden, dass ein augenblicklicher Vorsprung von Wettbewerbern wie United Internet vor der Antragstellerin (den diese sich bei gleichen Ausgangschancen aufgrund höherer Investitionen oder erfolgreicherer Geschäftspolitik erobert haben) uneinholbar ist. Da der Tarif von DSL Net Rental pro Anschlussbereich gilt, muss es die Geschäftspolitik der Betroffenen sein, Schwerpunkte zu setzen, um in bestimmten Anschlussbereichen DSL-Anschlüsse zu verkaufen und um dort auf die für die Wahl des DSL Net Rental-Tarifs maßgeblichen Zahlen zu kommen. Je nach Sitz der DSL-Endkunden eines Service-Providers kann deshalb der Tarif DSL Net Rental auch für einen Provider, der insgesamt auf dem deutschen Markt schwächer vertreten ist, Vorteile gegenüber dem Tarifsystem DSL Resale bringen, so dass es auf die Marktstärke insgesamt gar nicht notwendig ankommt. Auch daher ist ein Verfügungsgrund seitens der Antragstellerin nicht schlüssig dargelegt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Streitwert: € 500.000,00






LG Köln:
Urteil v. 20.04.2006
Az: 84 O 16/06


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