Bundespatentgericht:
Urteil vom 17. November 2009
Aktenzeichen: 4 Ni 61/07

(BPatG: Urteil v. 17.11.2009, Az.: 4 Ni 61/07)

Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 125 550 (Streitpatent), das am 7. Februar 2001 unter Inanspruchnahme der Priorität der japanischen Patentanmeldung JP 2000037570 vom 16. Februar 2000 angemeldet worden ist. Das Streitpatent ist in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nr. 601 10 282 geführt. Es betrifft ein Messgerät für lebende Körper mit eingebauter Waage und umfasst 7 Ansprüche, die insgesamt angegriffen sind. Anspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt:

In der deutschen Übersetzung hat Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:

Wegen der weiter angegriffenen und unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 125 550 B1 Bezug genommen.

Die Klägerin behauptet, der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und einzelne Merkmale seien als ästhetische Formschöpfungen von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Zur Begründung trägt sie vor, im Stand der Technik seien zum Prioritätszeitpunkt entsprechende Wägeeinrichtungen mit den Merkmalen des Streitpatentgegenstandes bekannt gewesen und bietet zum Nachweis einer öffentlichen Vorbenutzung einer - ihrer Ansicht nach - identischen Wägeeinrichtung Zeugenbeweis an. Im Übrigen beruft sie sich auf folgende Druckschriften:

D1 US 5 579782A D2 US D444 403 S (nachveröffentlicht) D3 US D415 051 S D4 US D415 438 S D5 US 5 886302A D6 EP 0967 468 A1 D7 US 5 279851A D8 US 5 968416A D9 JP 08-244186 A D10 JP-Abstract 62-114686 A D11 US 5 415176A D12 DE 196 39 095 A1 D13 US 4 699804 D14 JP-Abstract 09-033327 A Die Klägerin beantragt, das europäische Patent EP 1 125 550 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise verteidigt sie ihr Patent in der Fassung eines in der mündlichen Verhandlung übergebenen Hilfsantrags.

Sie vertritt die Auffassung, der Gegenstand des Streitpatents sei neu, beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit und sämtliche beanspruchten Merkmale seien technischer Natur.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Patentierbarkeit des Streitpatentgegenstands steht außer Frage und die mündliche Verhandlung hat keine Kenntnisse oder Fertigkeiten des Fachmanns, eines Dipl.-Ing. der Fachrichtung Elektrotechnik, der mit der Entwicklung elektrischer Kleingeräte vertraut ist, ergeben, aufgrund derer es für ihn nahelag, die streitpatentgemäße Lösung aufzufinden, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a), Art. 52 Abs. 2 Buchst. b), Art. 56 EPÜ.

II.

1.

Das Streitpatent betrifft ein Messgerät zur Messung der Impedanz eines lebenden Körpers, verbunden mit einer mittels einer transparenten Messplattform aufgebauten Waage, um neben dem Gewicht auch den Körperfettanteil oder andere, für die Gesundheitsvorsorge wichtige Daten, zu ermitteln (siehe T2-Schrift Absatz [0001]). Derartige Körperfettmessgeräte mit eingebauter Waage seien im Stand der Technik bekannt, hätten aber den Nachteil, dass wichtige Gebrauchsinformationen auf Papier entweder an der Oberseite angebracht würden oder aber auf der Bodenseite des Geräts. Im ersten Fall kann sich das Papier lösen, im zweiten Fall sei das Gerät umzudrehen [0002-0006]. Zudem sei es bei Geräten nach dem Stand der Technik notwendig, Indexmarkierungen anzubringen, damit die zu messende Person auf den Elektroden genau zum Stehen komme und die Anzeige sei weder auf gute Ablesbarkeit, noch auf eindringliche Wirkung hin optimiert [0007-0009]. Auch müsse ein Gerät nach dem Stand der Technik im Fehlerfall zerlegt werden [0010].

2.

Das Ziel der streitpatentgemäßen Erfindung soll daher darin bestehen, ein solches Gerät mit verbesserter Anwendbarkeit beziehungsweise Betätigbarkeit zur Verfügung zu stellen [0015].

3.

Patentanspruch 1 beansprucht dazu ein (Merkmalsgliederung hinzugefügt, ohne Bezugszeichen)

M1 Messgerät für einen lebenden Körper mit einer eingebauten Waage, M2 umfassend eine Messplattform, M2.1 die Lastsensoreinheiten zum Messen eines Gewichts eines lebenden Körpers aufweist, und M3 Elektroden zum Messen einer Impedanz eines lebenden Körpers, dadurch gekennzeichnet, dass M4 die Messplattform in einer Zweischichtkonfiguration konstruiert ist, M4.1 die eine kreisringartige Innenplatte, M4.1.1 auf welcher die Lastsensoreinheiten montiert bzw. festgelegt sind, M4.2 und eine kreisartige Außenplatte aufweist, M4.2.1 die aus einer transparenten Platte gebildet ist, M4.2.2 auf welcher die Elektroden angeordnet sind, M4.2.3 wobei ein Papier darauf derart festgelegt sein kann, dass es durch die Außenplatte sichtbar ist.

4. Der Senat konnte nicht überzeugt werden, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Aus der Druckschrift D12 (siehe die Fig 1. und 2 mit zugehöriger Beschreibung) ist M1= ein Messgerät für einen lebenden Körper mit eingebauter Waage 1 bekannt M2= umfassend eine Messplattform (Platte 3), M2.1= die Lastsensoreinheiten zum Messen eines Gewichts eines lebenden Körpers aufweist (siehe Wiegezelle 13), M3= und Elektroden 4, 5 zum Messen einer Impedanz eines lebenden Körpers.

Die Platte 3 sitzt in einem als Waage bezeichneten Gehäuse 1 (siehe Fig. 2) und ist daher nicht als Zweischichtkonfiguration mit Innenplatte und Außenplatte gemäß den Merkmalsgruppen M4 bis M4.2.3 ausgebildet.

Aus der Druckschrift D3 (siehe Beschreibung auf Seite 1 und die Figuren) ist eine Personenwaage mit einer durchsichtigen oberen Platte (clear upper plate) bekannt. In den Figuren ist eine kreisartige Außenplatte (upper plate) und eine darunter angeordnete Basis dargestellt, die -zwischen den Parteien unstreitig -eine kreisringartige Innenplatte darstellen soll. Für den Fachmann ist es selbstverständlich, dass auf der Innenplatte Lastsensoreinheiten festgelegt sind, damit die Waage die Funktion des Wiegens erfüllen kann. Für den Fachmann ist daher aus der D3 ein Messgerät gemäß dem Patentanspruch 1 bekannt, welches lediglich keine Elektroden gemäß den Merkmalsgruppen M3 und M4.2.2 aufweist.

Die Merkmalsgruppe M4.2.3, wonach "ein Papier darauf (auf der Außenplatte) derart festgelegt sein kann, dass es durch die Außenplatte sichtbar ist", bildet die mit Merkmalsgruppe M4.2.1 als "transparent" beanspruchte Außenplatte nicht weiter räumlichkörperlich aus und ist daher unbeachtlich.

Der Fachmann kann zur Lösung des in der Patentschrift genannten Problems der Verbesserung von Waagen mit Fettmessung die Druckschrift D12 als nächstkommenden Stand der Technik heranziehen. Ausgehend von der Waage mit Fettmessung nach der D12 gelangt er jedoch nicht in naheliegender Weise unter Berücksichtigung der durchsichtigen Personenwaage nach der D3 zum beanspruchten Gegenstand des Patentanspruchs 1. Dem Fachmann kann dabei zugestanden werden, dass ihm rechteckige und runde Personenwaagen allgemein bekannt sind und er daher eine Waage gemäß der D12 auch rund ausbilden kann. Er erhält dann nach der Fig. 2 der D12 eine Waage mit einem runden Gehäuse 1 und einer runden Platte 3, die sowohl die Elektroden 4, 5 als auch die Lastsensoreinheiten 13, die sich unter der Platte 3 befinden, aufweist. Somit sind die Lastsensoreinheiten und die Elektroden nicht wie mit dem Streitpatentgegenstand beansprucht an zwei verschiedenen kreisartigen und kreisringartigen Platten angebracht. Auch wenn der Fachmann aus der D3 die Anregung aufgreift, die Waage mit durchsichtigen Bauteilen auszustatten, gelangt er somit nicht in naheliegender Weise zu dem beanspruchten Gegenstand nach Patentanspruchs 1. Neben der Übernahme der runden Form und des durchsichtigen Materials aus der D3 müsste der Fachmann bei einer Waage gemäß der Druckschrift D12 nämlich auch noch die Lastsensoren in dem runden äußeren Gehäuse anordnen gemäß der Anordnung der Lastsensoren in der äußeren kreisringartigen (unteren) Basis bei der Waage gemäß der D3, was aber unsinnig ist, da der zur Messung vorgesehene Körper die Platte 3 und nicht das Gehäuse 1 belastet.

In der mündlichen Verhandlung wurden die Parteien vom Senat auch darauf hingewiesen, dass der Fachmann eventuell ausgehend von der Druckschrift D3, d. h. von einer Glaswaage als nächstkommendem Stand der Technik unter Berücksichtigung der Druckschrift D12, d. h. von bekannten Waagen mit Körperfettmessung durch Elektroden, zum Streitgegenstand kommen könnte. Dieser Hinweis wurde von der Klägerin jedoch nicht aufgegriffen und weder ausgeführt, warum der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung die Druckschrift D3 als Ausgangspunkt auswählt, noch warum der Fachmann eine Veranlassung haben könnte, Glaswaagen mit Elektroden zur Impedanzmessung nachzurüsten.

Gemäß der aktuellen BGH-Rechtsprechung (BGH GRUR 2009, 382-388, Abs. III.2 -Olanzapin und GRUR 2009, 1039, LS2 - Fischbissanzeiger) ist erst aus rückschauender Sicht erkennbar, welche Vorveröffentlichung der Erfindung am nächsten kommt und wie der Entwickler hätte ansetzen können, um zu der erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen. Die Wahl des Ausgangspunktes bedarf daher der Rechtfertigung, die in der Regel in dem Bemühen des Fachmanns liegt, für einen bestimmten Zweck eine bessere Lösung zu finden, als sie der bekannte Stand der Technik zur Verfügung stellt. Zur Verbesserung von bereits am Prioritätstag der Erfindung bekannten Waagen mit Körperfettmessung geht der Fachmann als Ausgangspunkt auch von entsprechenden Waagen nach der Druckschrift D12 oder den Druckschriften D1 oder D11 aus, und nicht von Glaswaagen gemäß den Druckschriften D3 bis D5. Unter Glaswaagen gerade die Druckschrift D3 als Ausgangspunkt auszuwählen rechtfertigt sich auch nur in Kenntnis der Erfindung, da nur in der Druckschrift D3 als Basis für die Waage eine kreisringartige Innenplatte gemäß Merkmalsgruppe M4.1 bekannt ist, während die Druckschrift D4 lediglich einen quadratischen Rahmen und die Druckschrift D5 einzelne Stützen aufweist, die gemäß der Fig. 1 zylinderförmig ausgebildet sind. Als Ausgangspunkt eine Glaswaage gemäß der Druckschrift D3 zur Verbesserung der bekannten Waagen aus dem Stand der Technik heranzuziehen ist daher für den Fachmann abwegig.

Eine offensichtlich undurchsichtige Elektrode gemäß der Druckschrift D12 bei aus Design-Gründen durchsichtig gestalteten Glas-Waagen anzubringen ist für den Fachmann ebenfalls abwegig, zumal aus dem von der Klägerin genannten Stand der Technik keine Glas-Waagen mit Elektroden zur Körperfettmessung bekannt sind.

Die weiteren Druckschriften lagen weiter ab und haben dementsprechend in der mündlichen Verhandlung auch keine Rolle gespielt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

Voit Schwarz-Angele Dr. Morawek Bernhart Dr. Müller Bb






BPatG:
Urteil v. 17.11.2009
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