Landgericht Dortmund:
Beschluss vom 25. Oktober 2007
Aktenzeichen: 18 O 55/07

(LG Dortmund: Beschluss v. 25.10.2007, Az.: 18 O 55/07)

Tenor

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten trägt die Antragsgegnerin nach einem Geschäftswert von 50.000,- €. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Eine Ermäßigung der Gerichtsgebühren gem. § 99 Absatz 6 Satz 4 AktG hat nicht stattgefunden.

Gründe

I.

Das vorliegende Statusverfahren betrifft die Frage der Zusammensetzung des Aufsichtsrates der Antragsgegnerin nach Minderung der Belegschaftszahl.

Die Antragsgegnerin ist ein in I ansässiges Bauunternehmen. Ihre geschäftlichen Betätigungsgebiete bestanden ursprünglich einerseits in dem (normalen) Baubereich, dem verschiedene in- und ausländische, teilweise mit Spezialaufgaben (Ingenieur- und Kraftwerksbau, Beton- und Monierbau, Injektionstechnik etc.) befasste Konzerntöchter angehörten. In einer weiteren Sparte, dem Bergbau, nahm die Antragsgegnerin durch ihre Konzerntochter E GmbH am Wettbewerb teil, die als Lohnunternehmen weit überwiegend im Auftrag der T AG unter Tage Streckenvortrieb und Schachtbau betrieb.

Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine für die Besetzung der Aufsichtsratsämter der Antragsgegnerin vorschlagsberechtigte Gewerkschaft.

Im April 2007 waren in der Konzernobergesellschaft der Antragsgegnerin ca. 90

Arbeitnehmer, in der Sparte "Bau" ca. 980 und in der Sparte "Bergbau" ca. 1030, insgesamt mithin gut 2100 Mitarbeiter beschäftigt. Ihr nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 und damit paritätisch besetzter Aufsichtsrat bestand aus 12 Personen, für deren Namen auf die Auflistung Bl. 6 der Akten verwiesen wird.

Infolge veränderten Vergabeverhaltens der T AG und immer schärferem Wettbewerb kam es ab Beginn des Jahres 2007 zu starken Auftragseinbrüchen bei der Sparte "Bergbau". Es zeichnete sich ab, dass die Belegschaftszahl nicht weiter gehalten werden konnte. Erste betriebsbedingte Kündigungen wurden ausgesprochen. Durch Beschluss des AG Dortmund vom 16.04.2007 (259 IN 53/07) wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der E GmbH bestellt. Unter dem Datum vom 25.04.2007 kündigte die Geschäftsleitung der Antragsgegnerin daraufhin gleichlautend durch Aushang im Betrieb und durch am 02.05.2007 erfolgter Veröffentlichung im Elektronischen Bundesanzeiger an, dass der Aufsichtsrat künftig nach dem Drittelbeteiligungsgesetz zusammen zu setzen sei, weil die Belegschaftsstärke demnächst unter die Zahl von 2000 ständig beschäftigter Mitarbeiter sinken werde.

Daraufhin hat die Antragstellerin mit am 18.05.2007 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz die Einleitung eines Statusverfahrens gem. §§ 99 AktG, 27 EGAktG beantragt mit dem Ziel,

festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 zu bilden ist.

Zur Begründung hat die Antragsgegnerin ausgeführt, ein nachhaltiges Absinken der Belegschaftszahl stehe noch gar nicht fest und sei von den Gesellschaftsorganen auch nicht verbindlich beschlossen. Die Bemühungen des Insolvenzverwalters um eine Aufrechterhaltung und Fortführung der Sparte "Bergbau" seien vielversprechend und ihr Erfolg abzuwarten. Außerdem habe es in der Sparte "Bau" bereits wieder einige Neueinstellungen gegeben.

Die Antragsgegnerin hat angekündigt zu beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Auffassung ihrer Geschäftsleitung.

Am 01.06.2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der E2 AG eröffnet. Auf Befragung durch die Kammer hat der Insolvenzverwalter unter dem 18.09.2007 zunächst berichtet, dass 376 Beschäftigte der E - GmbH in eine Beschäftigungsgesellschaft mit befristeten Arbeitsverträgen gewechselt seien. Er hat weiter seine Absicht bekundet, den Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin mit ca. 340 weiteren Beschäftigten aufrecht zu erhalten und entsprechende Aufträge zu akquirieren. Unter dem 23.10.2007 hat er der Kammer mitgeteilt, dass dies misslungen ist. Die verbliebenen ca. 340 Beschäftigten sollen nun in einer aus dem E -Konzern "herausgehängten" Tochter-GmbH möglichst so lange als "Bergleute" beschäftigt werden, bis sie durch Erreichen der Altersgrenze in den Genuss einer bergbautypischen Versorgungsleistung kommen.

Die Kammer hat sämtlichen Aufsichtsratsmitgliedern und den Vorsitzenden der Betriebsräte der Antragsgegnerin rechtliches Gehör gewährt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Verfahrensbevollmächtigte nach Erörterung der Sach- und Rechtslage die Rücknahme des Antrags gem. § 98 AktG erklärt. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat seine Einwilligung, die nach seiner Rechtsauffassung erforderlich ist, hierzu verweigert. Sie hat im Termin unter Berufung auf Stimmen in der Literatur die Auffassung vertreten, eine Entscheidung sei zwingend vonnöten, um ansonsten entstehende Rechtsunsicherheiten zu beseitigen,

und den Antrag gestellt,

eine Sachentscheidung zu treffen.

II.

Die begehrte Feststellung, wonach der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin nach den Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes 1976 zu bilden ist, war nicht zu treffen. Auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates findet vielmehr das Drittelbeteiligungsgesetz Anwendung.

1.

Trotz Antragsrücknahme war eine Sachentscheidung zu treffen. Denn mangels Einwilligung der Antragsgegnerin in die Rücknahme war diese prozessual unwirksam und hat das Verfahren nicht beendet.

Dass Anträge auf Einleitung und Durchführung eines Statusverfahrens zurückgenommen werden können, entspricht einhelliger Meinung in Rspr. und Lit.(Heidel/Ammon, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl, § 99 Rn. 3; Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 99 Rn. 4; Lindacher, RpflG 1965, 314). Denn bei dem Verfahren gem. § 99 AktG handelt es sich um ein sog. echtes Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mit der Folge, dass die Parteien u.a. über den Streitgegenstand durch Rücknahme, Anerkenntnis, Verzicht und Vergleich disponieren können (Heidel/Ammon, a.a.O., § 99 Rn. 3).

In Rspr. und Lit. uneinheitlich beantwortet wird die Frage, ob es für die Wirksamkeit der Rücknahme gem. § 12 FGG in Verbindung mit § 269 Absatz 1 ZPO nach Beginn der mündlichen Verhandlung des Antragsgegners seiner Einwilligung bedarf (so OLG Düsseldorf NJW 1980, 349 (Vaterschaftsfeststellung); MüKo-Semler, § 99 Rn. 19; Lindacher, a.a.O.; Keidel/Kuntze/Schmidt, FGG, § 12, Rn. 40) oder nicht (so wohl die h.M., vgl BayOfLGZ 1973, 108 ff (Spruchstellenverfahren); OLG Hamm RdL 1961, 205 f (Landwirtschaftssache); Heidel/Ammon, a.a.O., Rn. 3; KölnKomm/AktG-Mertens §§ 97 - 99, Rn. 42; Hüffer, a.a.O., Rn. 4; von Falkenhausen AG 1967, 309, 314; ).

Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass es einer solchen Einwilligung im echten Streitverfahren nach dem FGG bedarf.

Ob die Einwilligung erforderlich ist oder nicht, regelt weder § 99 AktG, noch trifft das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit hierzu Aussagen. Die Lücke ist durch die entsprechende Anwendung von § 269 Absatz 1 ZPO zu schließen. Der Gesetzeszweck der dortigen Regelung trifft auch auf das Statusverfahren zu. So ist zunächst festzuhalten, dass es ein Ausfluss des Grundsatzes der Waffengleichheit und damit des rechtsstaatlichen Grundsatzes eines fairen Verfahrens ist, wenn der Gesetzgeber die bis dahin rein passive Rolle eines Beklagten im Zivilprozess von einem bestimmten Stadium des Verfahrens an ändert, indem er ihm die Notwendigkeit seiner Einwilligung in die Rücknahme zubilligt und ihn damit ermächtigt, sich an der Disposition über den Streitgegenstand zu beteiligen. Ob es für den Zeitpunkt der Erstarkung der prozessualen Befugnisse der Antragsgegnerin auf die Regelung in § 269 I ZPO (Beginn der Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache) ankommt, oder ob dies im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei fakultativer mündlicher Verhandlung durch den Zeitpunkt der ersten schriftlichen Äußerung zur Sache ersetzt wird (so: Keidel/Kuntze/ Schmidt, § 12 Rn. 40), bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn vorliegend hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der zur Sache argumentiert worden ist. Da auch dem sog. echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Stellung kontradiktorischer Anträge (§ 297 ZPO) fremd ist, kann es darauf nicht ankommen.

Dem Antraggegner diese Rechtsmacht eine Sachentscheidung zu erzwingen, zukommen zu lassen besteht auch ein praktisches und nachvollziehbares Bedürfnis.

Dieses sieht die Kammer allerdings nicht in einer etwa entstehenden Rechtsunsicherheit (MüKo-Semler, a.a.O., Rn. 21; a.A.: Hüffer, a.a.O., Rn. 4). Denn ein "rechtsunsicherer Zustand" entstünde infolge einer wirksamen Antragsrücknahme nicht. Insbesondere bedürfte es nicht etwa der erneuten Bekanntmachung des Vorstandes gem. § 97 AktG, denn die Wirksamkeit der bereits erfolgten Bekanntmachung wird durch die Antragsrücknahme nicht berührt. Rechtsfolge einer wirksamen Antrags- oder Klagerücknahme ist das rückwirkende Erlöschen des Prozessrechtsverhältnisses. Die Bekanntmachung gem. § 97 AktG ist aber keine zum Statusverfahren gehörende Prozesshandlung. Die Bekanntmachung geht der Einleitung des Verfahrens voraus und ist allein geeignet, die Antragsfrist in Gang zu setzen.

Auslöser und materiellrechtliche Voraussetzung des Statusverfahrens ist hingegen die Erkenntnis und Willensbildung des Vorstandes, eine Zusammensetzung des Aufsichtsrates nach anderen Vorschriften herbeizuführen. Der Wiederholung dieses Aktes nach einer Antragsrücknahme im Statusverfahren bedarf es ebenso wenig, wie es einer Wiederholung eines Beschlusses der Hauptversammlung bedürfte, wenn eine gegen ihn gerichtete Anfechtungsklage zurück genommen wird.

Gleichwohl hat die Antragsgegnerin ein veritables und schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung. Denn im Falle der Wirksamkeit der Antragsrücknahme mit der Folge des Erlöschens des Prozessrechtsverhältnisses wäre derselbe Zustand gegeben, als wäre innerhalb der Antragsfrist kein Antrag eingegangen (MüKo-Semler, § 97 Rn. 79). Den weiteren Ablauf regelt dann § 97 Absatz 2 AktG. Danach treten die Bestimmungen der Satzung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates, über die Zahl seiner Mitglieder sowie über deren Wahl, Abberufung und Entsendung spätestens 6 Monate nach Ablauf der Antragsfrist außer Kraft, soweit sie den nunmehr anwendbaren Vorschriften widersprechen. Ferner erlöschen die Ämter der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder nach Ablauf dieser Frist. Schließlich ist gem. § 97 Absatz 2 Satz 4 AktG innerhalb dieser 6-Monats-Frist abweichend von § 179 Absatz 2 AktG eine Satzungsänderung mit einfacher, statt mit qualifizierter Mehrheit möglich.

Findet die (wirksame) Antragsrücknahme nun erst nach Ablauf der 6-Monatsfrist statt, so entgeht der Gesellschaft diese Möglichkeit; bei einer früheren Rücknahme würde die eingeräumte Frist entsprechend verkürzt. Außerdem würde die Antragsgegnerin nach Ablauf der 6-Monats-Frist über keinen Aufsichtsrat mehr verfügen. Erzwingt die Antragsgegnerin hingegen durch Verweigerung ihrer Einwilligung eine Sachentscheidung, so beginnt die 6-Monatsfrist des § 97 Absatz 2 AktG erst mit der Rechtskraft der Entscheidung zu laufen, § 98 Absatz 4 Satz 2 AktG. Damit bleibt ihr in jedem Fall die volle Frist für die Umsetzung des Inhalts der Bekanntmachung gem. § 97 AktG erhalten, ebenso wie die Möglichkeit der Satzungsänderung unter vereinfachten Voraussetzungen. Den Beginn des Laufs der Monatsfrist im Falle der Antragsrücknahe in analoger Anwendung von § 98 Absatz 4 Satz 2 AktG an den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rücknahme zu knüpfen, scheidet aus, auch wenn das Ergebnis ansonsten misslich sein mag. Denn eine ungewollte und planwidrige Regelungslücke ist nicht ersichtlich; der Eintritt der für die Antragsgegnerin ungünstigen Rechtslage kann vielmehr - wie hier gezeigt - durch entsprechende prozessuale Maßnahmen vermieden werden.

2.

In der Sache steht nach der von der Kammer gem. § 12 FGG im Freibeweisverfahren durchgeführten Beweisaufnahme durch Anhörung des Insolvenzverwalters nunmehr fest, dass die Beschäftigtenzahl der Antragsgegnerin in Zukunft dauerhaft und deutlich unter der Zahl 2000 liegen wird. Damit ist der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin zukünftig nach den Bestimmungen des Drittelbeteiligungsgesetzes zusammen zu setzen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten und den Geschäftswert beruht auf § 99 Absatz 6 AktG.






LG Dortmund:
Beschluss v. 25.10.2007
Az: 18 O 55/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7a9918fa4d5a/LG-Dortmund_Beschluss_vom_25-Oktober-2007_Az_18-O-55-07




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share