Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. April 2010
Aktenzeichen: 20 W (pat) 333/06

(BPatG: Beschluss v. 19.04.2010, Az.: 20 W (pat) 333/06)

Tenor

Das Patent 101 39 865 wird beschränkt aufrechterhalten auf der Grundlage der folgenden Unterlagen:

Bezeichnung:

Headset für ein elektronisches Endgerät Patentansprüche:

Ansprüche 1 bis 7 aus der mündlichen Verhandlung Beschreibung:

Beschreibung aus der mündlichen Verhandlung Zeichnungen:

Figuren 1 bis 4 aus der mündlichen Verhandlung

Gründe

I.

Auf die am 14. August 2001 eingereichte Patentanmeldung wurde durch Beschluss des Deutschen Patentund Markenamtes -Prüfungsstelle für Klasse H04R -das Patent 101 39 865 mit der Bezeichnung "Headset für ein elektronisches Endgerät" erteilt. Die Patenterteilung wurde am 23. Februar 2006 im Patentblatt veröffentlicht. Das erteilte Patent umfasst insgesamt 13 Patentansprüche.

Bezüglich des Wortlauts der erteilten Patentansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.

Gegen dieses Patent haben die Einsprechenden mit einem gemeinsamen, am 23. Mai 2006 beim Deutschen Patentund Markenamt eingegangenen Schriftsatz vom 22. Mai 2006 Einspruch erhoben und gleichzeitig zwei Einspruchsgebühren von je 200,-€ entrichtet. Sie machen den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) geltend.

Die Einsprechenden stützen ihren Einspruch auf die Druckschriften D1 DE3208497A1, D2 US5960094A, D3 US5881161A, D4 US6580800B1, D5 EP1003349A2, D6 US6377697B1, D7 WO 97/27721 A1 und D8 US5095382A.

Die Druckschriften D1 und D2 waren bereits im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt in Betracht gezogen worden.

Zum Zeitpunkt der Erhebung des Einspruchs war die S... AG, in M..., als Patentinhaberin im Register des Deutschen Patentund Markenamtes eingetragen. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung war die P..., Inc. in S..., als aktuelle Patentinhaberin im Register des Deutschen Patentund Markenamtes eingetragen.

Beide Einsprechenden stimmten in der mündlichen Verhandlung dem Eintritt der aktuellen Patentinhaberin in die Verfahrensstellung der ursprünglichen Patentinhaberin (S... AG in M...) zu.

Die Patentinhaberin ist dem Einspruch entgegengetreten und hat in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 7, eine neue Beschreibung und neue Zeichnungen 1 bis 4 überreicht.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet unter Hinzufügung einer Merkmalsgliederung:

"M1 Headset (110) für ein elektronisches Endgerät, insbesondere für ein Mobilfunk-Endgerät, mit:

M2 -einer Hörkapsel, M3 -einem Befestigungsmittel zum Befestigen der Hörkapsel in einer dem Gehörgang eines Ohres (34) eines Benutzers nahen Stellung und M4 -einer Schnittstelle zum Einspeisen von Audiosignalenvon dem elektronischen Endgerät, M5 wobei die Befestigungsmittel M5.1 aus einem das Ohr (34) freigebenden Freigabezustand M5.2 in wenigstens einen die Ohrmuschel (36) hintergreifenden Befestigungszustand überführbar und M5.3 in dem wenigstens einen Befestigungszustand arretierbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass M6 die Befestigungsmittel einen Hörkapsel-Träger (116)

aufweisen M6.1 an dem ein Ende eines flexiblen Bandes (126) befestigt ist M6.2 und der einen Kanal (120) aufweist, wobei Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 7 wird auf die Akte verwiesen.

M7 das andere Ende des flexiblen Bands (126) durch den Kanal (120) hindurchgeführt ist und zusammen mit dem Hörkapselträger (116) eine Schlinge bildet, M7.1 deren Schlingenweite durch Zuziehen verkleinerbar ist."

Die Einsprechenden vertreten die Auffassung, auch der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er dem Fachmann durch den Inhalt der Druckschrift D3 nahegelegt sei. Insbesondere sei es für den Fachmann naheliegend, ausgehend von einem Gegenstand gemäß der D3, eine Öffnung für die Durchführung eines Endes des flexiblen Bandes vorzusehen. Diese Öffnung könne der Fachmann auch im Hörkapsel-Träger anordnen, wodurch der beanspruchte Kanal entstehe.

Im Weiteren führen die Einsprechenden aus, die im geltenden Patentanspruch 1 unter den Gruppierungszeichen M6.2 und M7 zu findenden Merkmale seien den Unterlagen des Streitpatents nur in Verbindung mit der Angabe eines gekrümmten Kanals entnehmbar. Ihre Aufnahme in den geltenden Patentanspruch 1 ohne Herstellung dieses Zusammenhangs führe daher zu einem Verlassen der durch die Patentschrift vermittelten Offenbarung.

Die zwei Einsprechenden beantragen übereinstimmend, das Patent 101 39 865 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt wie entschieden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Einsprechenden und der Patentinhaberin wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

1.

Die fristund formgerecht erhobenen Einsprüche sind zulässig und führen zur beschränkten Aufrechterhaltung des Patents.

2.

Die geltenden Patentansprüche sind zulässig.

2.1 Die Merkmale des unabhängigen Patentanspruchs 1 sind den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmbar, vgl. in der Offenlegungsschrift den ursprünglich eingereichten Patentanspruch 1 und die Absätze [0002], [0034] und [0036] i. V. m. der Figur 4. Die Offenlegungsschrift stimmt insoweit mit den ursprünglichen Unterlagen überein.

Das zusätzliche Merkmal des Unteranspruchs 2 ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als konkrete Ausgestaltung des Kanals 120 im Hörkapselträger 116 offenbart (vgl. Absatz [0034] der Offenlegungsschrift).

Die Merkmale der abhängigen Patentansprüche 3 bis 7 sind der Offenlegungsschrift, dort den Patentansprüchen 5, 10, 11 und 13 bzw. dem Absatz [0034]

i. V. m. Figur 4 (im Absatz [0034] mit bezüglich des Mikrofons offensichtlich falschem Bezugszeichen 114) als zur Erfindung gehörend entnehmbar.

2.2 Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 wird durch den geltenden Patentanspruch 1 in zulässiger Weise beschränkt.

Die Aufnahme der im geltenden Patentanspruch 1 unter den Gruppierungszeichen M6 bis M7.1 zu findenden Merkmale beschränkt den erteilten Patentgegenstand auf Lösungen, die einen Hörkapsel-Träger einbeziehen. Hierbei bildet der Hörkapsel-Träger selbst einen Teil der aus einem flexiblen Band und dem Hörkapsel-Träger gebildeten Schlinge und dient als Bauteil, an dem das flexible Band einseitig befestigt ist und mit dem das flexible Band -durch den im Hörkapsel-Träger ausgebildeten Kanal -derart gehaltert wird, dass die Schlingenweite durch Zuziehen verkleinerbar ist.

2.3 Die Ausführungen der Einsprechenden, die im geltenden Patentanspruch 1 unter den Gruppierungszeichen M6.2 und M7 zu findenden Merkmale seien den Unterlagen des Streitpatents nur in Verbindung mit der Angabe eines gekrümmten Kanals entnehmbar, können nicht durchgreifen.

Zur Überzeugung des Senats entnimmt der Fachmann -ein Ingenieur der Elektrotechnik (mit Fachhochschulbzw. Bachelor-Abschluss) mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Entwicklung von Headsets -dem Streitpatent, dort insbesondere den Absätzen [0035] und [0037], die Möglichkeit, den Hörkapsel-Träger als Widerlager für eine Schlingenbildung zu nutzen, indem in ihm ein Kanal zur Durchführung eines flexiblen Bandes ausgebildet wird. In diesem Zusammenhang lehrt das Streitpatent zwar auch die Möglichkeit der Verwendung eines elastisch deformierbaren Bandes, das im Zusammenwirken mit einer gekrümmten Kanalführung eine Haltekraft in dem Kanal entwickelt (vgl. Abschnitt [0035] der Patentschrift). Diese spezielle Ausgestaltung erkennt der Fachmann aber als fakultative Möglichkeit, die beanspruchte Arretierung (vgl. Gruppierungszeichen M5.3) zu realisieren, die gleichwertig neben andere Arretierungsmöglichkeiten (beispielsweise eine Verrastung, wie sie u. a. der Figur 3 des Streitpatents entnehmbar ist) tritt. Hierbei ist unerheblich, dass die Patentschrift nur eine Möglichkeit beschreibt, wie eine solche Arretierung im Zusammenhang mit einem im Hörkapselträger vorgesehenen Kanal erreicht werden kann. Denn ein Ausführungsbeispiel, mit dem der Anmelder der Anforderung genügt, die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann (§ 34 Abs. 4 PatG), nötigt nicht dazu, den Gegenstand des Patentanspruchs hierauf zu beschränken. Werden vielmehr von mehreren, ein Ausführungsbeispiel der Erfindung beschreibenden Merkmalen nur solche in den Patentanspruch aufgenommen, die die mit dem Ausführungsbeispiel erzielte technische Wirkung angeben, liegt darin auch dann keine unzulässige Erweiterung, wenn ein anderer Weg zur Erzielung derselben Wirkung nicht offenbart ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 -X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 -Sammelhefter II).

3. Stand der Technik In Übereinstimmung mit den Einsprechenden sieht der Senat in der Druckschrift D3 (US 5 881 161 A) den nächstkommenden Stand der Technik.

Der Lehre dieser Druckschrift liegt die Aufgabe zugrunde, ein Headphone bereitzustellen, das sicher an Ohren verschiedener Größe gehaltert werden kann (vgl. Sp. 1, Z.16 -18).

Der D3 ist ein Headset zu entnehmen, das an ein Kommunikationssystem (und damit auch an ein elektronisches Endgerät wie ein Mobiltelefon) angeschlossen sein kann (vgl. Sp. 1, Z. 5 -7; M1).

Das Headset verfügt über eine Hörkapsel (vgl. Sp. 1, Z. 45 -47; M2) und Befestigungsmittel zum Befestigen der Hörkapsel in einer dem Gehörgang eines Ohres eines Benutzers nahen Stellung (vgl. Sp. 1, Z. 54 -63 i. V. m. Fig. 3; M3).

Eine Schnittstelle zum Einspeisen von Audiosignalen (auch von einem elektronischen Endgerät) setzt der Fachmann infolge der Beschreibung "...that is connected to a communication system..." voraus (vgl. Sp. 1, Z. 6; M4).

Die Befestigungsmittel sind aus einem das Ohr freigebenden Freigabezustand (wie er in Figur 1 gezeigt ist; M5, M5.1) in einen die Ohrmuschel hintergreifenden Befestigungszustand überführbar (wie er in Figur 3 gezeigt ist; M5.2) und in dem Befestigungszustand arretierbar, was gemäß der D3 durch die Haltewirkung der ineinandergreifenden, komplementär ausgebildeten Enden der beiden Abschnitte des flexiblen Stabs 38 ("flexible rod 38") erreicht wird (vgl. Sp. 2, Z. 17 -21; M5.3).

Gemäß der D3 weisen die Befestigungsmittel einen Hörkapsel-Träger auf (vgl. Sp. 1, Z. 45 -47 i. V. m. Figuren 2 und 3; M6).

Die weiteren Druckschriften haben -im Zusammenhang mit der vorliegenden Anspruchsfassung -in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt und bringen hinsichtlich der Beurteilung der Patentfähigkeit keine neuen Gesichtspunkte.

4.

Neuheit Der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruches 1 gilt -von den Einsprechenden unbestritten -als neu, da keine der Druckschriften, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Stand der Technik ergibt, alle seine Merkmale (insbesondere Merkmale M6.2 und M7) zeigt.

5.

Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Patentanspruches 1 ergab sich am Anmeldetag für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Ausgehend von einem Kopfhörer ("headphone"), wie es in der Druckschrift D3 angesprochen ist, stellt sich dem Fachmann die patentgemäße Aufgabe, ein Headset für ein elektronisches Endgerät bereitzustellen, welches einfach in einer Betriebsstellung positionierbar und in seiner Betriebsstellung angenehm zu tragen ist (vgl. Patentschrift, Absatz [0007]) in der Praxis von selbst. Denn der Fachmann wird stets bestrebt sein, Nutzerwünsche nach bestmöglicher Handhabbarkeit und Tragekomfort zu befriedigen, um den kommerziellen Verkaufserfolg sicherzustellen.

Die Erfinder haben nun erkannt, dass sie dieses Ziel erreichen können, indem sie bei einem Headset den Hörkapsel-Träger als Widerlager für eine Schlingenbildung nutzen und in ihm einen Kanal zur Durchführung eines flexiblen Bands ausbilden, in welchem das Band derart gehaltert wird, dass die Weite der Halteschlinge durch Zuziehen verkleinerbar ist (vgl. geltenden Patentanspruch 1, insbesondere Merkmale M6.2, M7 und M7.1).

Der Stand der Technik gibt dem Fachmann keine Hinweise auf diese Merkmale.

Der Fachmann mag zwar aus der D3 die Anregung entnehmen, an einem Ende des "flexible rod 38" eine Öffnung dergestalt anzubringen, dass eine Hindurchführung des anderen Endes des "flexible rod" und somit eine für den Nutzer einfache Schlingenbildung ermöglicht wird.

Soweit die Einsprechenden jedoch ausführen, diese Öffnung könne der Fachmann zwanglos auch im Hörgeräteträger anordnen, wodurch der beanspruchte Kanal entstehe, muss sie sich entgegnen lassen, dass die D3 keinerlei Anregung vermittelt, den dort augenfällig weitgehend symmetrischen Aufbau der Befestigungsmittel zu verwerfen und den Hörkapsel-Träger als Widerlager für eine Schlingenbildung nutzen, was eine erhebliche Umkonstruktion der gesamten Anordnung der Befestigungsmittel bedingen würde.

Es bedurfte somit erfinderischer Überlegungen, um zum Gegenstand des Patentanspruches 1 zu gelangen.

Auch die anderen von der Einsprechenden genannten und vom Senat berücksichtigten Druckschriften haben keine Anregung für ein solches Vorgehen geliefert, da sie völlig andere Konzepte der Befestigung der Hörkapsel in der ohrnahen Position offenbaren. Insbesondere kommt in diesen Konzepten ein flexibles Band zur Befestigung nicht vor.

6.

Die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 sind ebenfalls patentfähig. Sie betreffen über das Selbstverständliche hinausgehende Ausgestaltungen des Gegenstandes des Patentanspruches 1.

7.

Die geltende -geänderte -Beschreibung genügt den an sie nach § 34 PatG zu stellenden Anforderungen.

Dr. Mayer Werner Kleinschmidt Musiol Pr






BPatG:
Beschluss v. 19.04.2010
Az: 20 W (pat) 333/06


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