Landgericht München I:
Urteil vom 14. März 2008
Aktenzeichen: 14HK O 8038/06, 14HK O 8038/06

(LG München I: Urteil v. 14.03.2008, Az.: 14HK O 8038/06, 14HK O 8038/06)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH € 1.000.000,- zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 11.11.2005 zu bezahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz gem. § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB, weil die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft den Jahresabschluss der Schuldnerin zum 29.2.2004 nicht gewissenhaft und sorgfältig durchgeführt und daher erheblichen Schaden bei der Schuldnerin verursacht habe.

Die Beklagte erhielt den Auftrag zur Prüfung des Jahresabschlusses unter Einbeziehung der Buchführung und des Lageberichts der Schuldnerin ... GmbH zum Stichtag des Jahresabschlusses 29.2.2004 am 8.3.2004 erteilt. Es handelte sich hierbei um eine Pflichtprüfung gem. § 316 HGB.

Im Jahr zuvor war der Jahresabschluss per 28.2.2003 von der ... mbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft durchgeführt worden, zuvor per 28.2.2002 ebenfalls durch die Beklagte.

Die Kennzahl der Liquidität 2. Grades, ermittelt aus der Datev-Buchhaltung der Schuldnerin, betrug im Jahr 2004 für Januar 0,71, für Februar 1,13, für März 0,68, für April 0,5 und für Mai 0,42.

Den Bestätigungsvermerk zu Jahresabschluss und Lagebericht erteilte die Beklagte zum 26.5.2004 und endete mit folgender Feststellung der Beklagten:

€Unsere Prüfung hat zu keinen Einwendungen geführt. Nach unserer Überzeugung vermittelt der Jahresabschluss unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft. Der Lagebericht gibt insgesamt eine zutreffende Vorstellung von der Lage der Gesellschaft und stellt die Risiken der künftigen Entwicklung zutreffend dar.€

Zur voraussichtlichen Entwicklung der Gesellschaft hatte die Beklagte als Kernaussage ausgewiesen:

€Die Gesellschaft wird sich im kommenden Jahr weiter positiv entwickeln.€

Am 29.10.2004 beantragte die Schuldnerin Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in dessen Folge der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt wurde.

Der von der Beklagten geprüfte Jahresabschluss und Lagebericht zum 29.2.2004 enthielt u.a. folgende Feststellungen:

Unter €B. grundsätzliche Feststellungen€ hielt die Beklagte fest, dass sich der Mitarbeiterstamm von 130 Mitarbeitern im Vorjahr auf nunmehr 200 Mitarbeiter entwickelt habe.

Sodann fährt die Beklagte fort:

€Zwischen der ... GmbH (Käufer) und der ... (Verkäufer) ist am 13.5.2003 mit Wirkung vom 1. März 2003 ein Kaufvertrag geschlossen worden, wonach der Käufer ( also hier die Schuldnerin ) das gesamte Aktivvermögen der AG abzüglich des Grundbesitzes erwirbt. Der Kaufpreis für Patente betrug TEUR 2.520 €€

Bei der die €Patente€ verkaufenden ... AG handelte es sich um ein Schwesterunternehmen der Schuldnerin.

Die Schuldnerin hat jedoch überhaupt keine Patente im Sinne von § 1 Abs. 1 PatG erworben, da die Verkäuferin solche nicht innehatte; bei den 16 erworbenen angeblichen Patenten handelte es sich lediglich um 13 Patentanmeldungen und 1 Gebrauchsmuster.

Im gesamten Prüfungsbericht wie auch im gesamten Jahresabschluss und Lagebericht wird durchgängig die Bezeichnung €Patente€ verwendet, in der Bilanz erfolgte die Aktivierung im Anlagevermögen unter €I. immaterielle Vermögensgegenstände, Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen an solchen Rechten und Werten€ zu rund € 2,2 Mio bei einer Bilanzsumme von knapp € 18 Mio. Einen Hinweis, daß die €Patente€ allenfalls Anmeldungen waren € noch dazu teilweise andere Rechteinhaber als die Verkäuferin genannt waren € enthielt der gesamte Jahresabschluß nicht.

Die zum Jahresabschlussstichtag am 29.2.2004 vorhandenen kurzfristigen Forderungen bezifferte die Beklagte auf € 10,643 Mio., die flüssigen Mittel auf € 36.000,-, denen bei festgestelltem Eigenkapital von € 1,826 Mio. kurzfristige Verbindlichkeiten in Höhe von rd. € 14,5 Mio. gegenüberstanden. Hinsichtlich des Vorjahres übernahm die Beklagte den Ansatz der kurzfristigen Forderung mit rd. € 4,4 Mio. bei € 374.000,- flüssigen Mitteln und kurzfristigen Verbindlichkeiten von € 6,596 Mio. und wies auf ein starkes Umsatzwachstum bei der Schuldnerin hin.

Auf S. 15 wies die Beklagte hinsichtlich der erworbenen €Patente€ in Höhe von € 2,5 Mio. darauf hin, dass es einen Bewertungsspielraum gebe und die Gesellschaft den Posten über 8 Jahre linear abschreibe.

Unter Risiken führte der Lagebericht ausschließlich nur aus:

€Die Gesellschaft ist zum Teil im Sondermaschinenbau tätig. Kalkulationsrisiken lassen sich in diesem Bereich nicht völlig ausschließen. Risikountersuchungen vor Projektbeginn helfen diese Risiken zu minimieren. Das Bearbeiten eines Nischenmarktes erfordert die ständige Anpassung der Produkte an technologische Änderungen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Intensives Key-Account-Management ermöglicht es, technologische Entwicklungen bei den Kunden frühzeitig zu erkennen um die eigenen Produkte entsprechend weiter zu entwickeln.€

Der Kaufvertrag zwischen der Schuldnerin und der ... AG hinsichtlich insbesondere der €Patente€ vom 13.5.2003 enthielt die Vereinbarung, dass der Kaufpreis teilweise durch Verrechnung durchgeführt wurde, Kaufpreis selbst insoweit also nicht floss.

Irgendwelche Prüfungen hinsichtlich der €Patente€ wurden im Prüfbericht nicht dokumentiert, im Jahresabschluß nicht erwähnt.

In der Zeit vom Abschlussstichtag 29.2.2004 stieg die Verschuldung der Schuldnerin um mindestens € 4,4 Mio. zum 29.10.2004, dem Tag der Insolvenzantragstellung an.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte ihre Prüfpflichten verletzt habe; hätte sie diese ordnungsgemäß durchgeführt, insbesondere die aktivierten €Patente€ adäquat überprüft, wäre Insolvenzreife der Schuldnerin bereits Ende Mai 2004 erkannt worden und Insolvenzantrag gestellt worden, so dass eine entsprechende Mehrung der Verbindlichkeiten der Schuldnerin ausgeblieben sei.

Neben weiteren Punkten moniert der Kläger insbesondere den Wertansatz der €Patente€ und ist der Ansicht, dass diese lediglich unter kaufmännischen Vorsichtigkeitsgesichtspunkten mit € 0,- hätten in der Bilanz ausgewiesen werden dürfen.

Im Hinblick auf die Haftungsobergrenze nach § 323 Abs. 2 Satz 1 HGB beantragte die Klägerin:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH € 1.000.000,- zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Sie ist zum einen der Ansicht, dass sie zu Recht den Begriff €Patente€ gebraucht habe nicht im rechtlichen Sinne, sondern wie es bei Klein- und mittleren Unternehmen am Markt üblich sei und auch Patentanmeldungen erfasse.

Die Beklagte ist ferner der Ansicht, dass der Ansatz der erworbenen €Patente€ mit (nach Abschreibung) € 2,2 Mio. sachgerecht gewesen sei, da dies dem Wert der Schutzrechte entspräche.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie die weitere Vermögensentwicklung nicht zu vertreten habe bei der Schuldnerin, da sicherlich nicht nach Erhalt eines Jahresabschlusses, wie ihn der Kläger zum Stichtag postuliert, sofort Insolvenzantrag gestellt worden wäre.

Außerdem mache hier der Kläger zu Unrecht den Schadensersatzanspruch geltend, es handele sich hierbei nicht um einen Schaden der Schuldnerin, sondern lediglich um einen Quotenschaden der Gläubiger, sofern überhaupt der Vortrag der Klägerseite zuträfe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Bewertung der gewerblichen Schutzrechte, erstellt von Herrn Patentanwalt ..., München.

Diesbezüglich wird auf das Gutachten und auf die Anhörung des Sachverständigen, hinsichtlich des weiteren Parteivortrags auch auf die weitere mündliche Verhandlung und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat vollen Erfolg.

37Die Beklagte haftet nach § 323 Abs. 1 HGB dem Kläger auf Schadensersatz. Sie hat vorwerfbar nicht erteilte €Patente€ ohne (sich hier aufdrängender) Prüfung in rechtlicher und wirtschaftlicher unbeanstandet gelassen wie auch die Liquiditätslage der Schuldnerin falsch beurteilt.

I.

Gegenstand und Umfang der Prüfung bestimmt sich nach § 317 HGB. Danach hat sich die Prüfung darauf zu erstrecken, ob die gesetzlichen Vorschriften und die ergänzenden Bestimmungen von Gesellschaftsvertrag oder Satzung beachtet worden sind; die Prüfung ist so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen die in Satz 2 aufgeführten Bestimmungen, die sich auf die Darstellung des sich nach § 264 Abs. 2 HGB ergebenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens wesentlich auswirken, bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden.

Hiergegen hat die Beklagte in erheblichem Maße verstoßen, insbesondere dadurch, dass sie mangels Prüfung nicht erkannt hat, dass die von der Schuldnerin erworbenen €Patente€ keine erteilten Patente waren und lediglich einen wesentlich geringeren Wert als in der Bilanz angesetzt hatten, so dass in Zusammenschau mit den weiteren von der Beklagten geprüften Zahlen des Jahresabschlusses Insolvenzreife der Schuldnerin bereits bei Erteilung des Bestätigungsvermerkes vorlag.

1. Der Begriff €Patent€ ist, wie sich auch aus § 1 PatG ergibt, besetzt für hoheitlich erteilte gewerbliche Schutzrechte. Solche lagen hier unstreitig nicht vor.

Im übrigen glaubt das Gericht nicht der heutigen Darstellung der Beklagten unter Berufung auf Prof. Dr. ... (vgl. Anlage B 5), wonach der Begriff €Patent€ quasi umgangssprachlich verwendet worden sei €entsprechend dem in klein- und mittelständischen Unternehmen häufig anzutreffenden Sprachgebrauch in unspezifischer Weise€, also auch für Patentanmeldungen. Eine solche heutige Darstellung paßt nicht zum Standing der Beklagten als einer der €Big Four€ der internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Im übrigen verstößt sie gegen die Vorgaben der §§ 1 PatG und 317 HGB.

2. Der Beklagten ist grundsätzlich dahingehend zuzustimmen, dass eine umfassende Prüfung ggf. jedes einzelnen Geschäftsvorfalls nicht möglich und daher nicht Aufgabe der Beklagten war.

Wie sich jedoch aus § 317 Abs. 1 Satz 3 HGB ergibt, ist die Prüfung so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße erkannt werden, soweit sie sich wesentlich auf das Zahlenwerk auswirken.

Hiergegen hat die Beklagte verstoßen.

45a) Auch bei einer Prüfung nach Maßgabe des § 317 HGB hätte der Beklagten auffallen müssen, dass die angekauften €Patente€ nicht bestanden.

46Die Beklagte hatte zunächst erheblichen Anlass, diesen €Patenterwerb€ eingehender zu prüfen.

aa) Die Bilanzsumme der geprüften Schuldnerin betrug nach Feststellungen der Beklagten rd. € 17,8 Mio., wovon die teilabgeschriebenen €Patente€ einen Betrag von rd. € 2,2 Mio. ausmachten, also gut 12 % der gesamten Bilanzsumme. Wie die Beklagte durch Vergleich mit der Vorjahreszahl feststellen konnte, sprang die entsprechende Bilanzposition von rd. € 400.000,- auf fast € 2,6 Mio.

bb) Die Beklagte selbst stellte fest, dass der Erwerb dieser €Patente€ für rd. € 2,5 Mio. von einer namensähnlichen Schwestergesellschaft der Schuldnerin erfolgte, die am gleichen Ort wie die Schuldnerin residierte. Die Beklagte konnte auch feststellen, dass wesentliche Teile des Kaufpreises nicht flossen, sondern nur auf Verbindlichkeiten der Verkäuferin bei der Schuldnerin €verrechnet€ wurden.

cc) Der Beklagten war auch klar, dass durch diesen Verkaufsakt die Möglichkeit geschaffen wurde, entgegen der Regel des § 248 Abs. 2 HGB erstmalig diese immateriellen Vermögensgegenstände in einer Bilanz zu aktivieren.

Bei dieser Möglichkeit der Erstaktivierung von immateriellen Vermögensgegenständen des Anlagevermögens entgegen § 248 Abs. 2 HGB hätte der Beklagten auch bewusst sein müssen, dass bei den Umständen dieses Kaufvertrages eine Drittkontrolle des Kaufpreises nicht erfolgt war, da zwischen 2 Schwestergesellschaften diese €Patente€ übertragen worden sind.

In solchen Fällen darf gerade nicht ohne weiteres das Entgelt, welches im Kaufvertrag genannt wird, als Entgelt aktiviert werden, sondern nur der Teil, der am Markt bezahlt worden wäre bei Erwerb von Dritten (vgl. Merkt in: Baumbach/Hopt, Rdn. 3 zu § 248 HGB). Diesbezügliche Feststellungen unterließ die Beklagte.

52dd) Die Liquiditätslage der Schuldnerin war bereits nach den von der Beklagten testierten Zahlen bedrohlich. Bei diesen Größenordnungen und bei diesen Gesamtumständen des €Patenterwerbs€ wäre es angesichts §§ 317 I 3, 264 II HGB zwingend erforderlich gewesen, wenigstens zunächst stichprobenweise die Existenz der angeblichen €Patente€ zu überprüfen; zwischen den Parteien ist nunmehr nach dem Angebot des Sachverständigen in seiner mündlichen Anhörung, eine solche Patentüberprüfung im Internet binnen Minuten vorzunehmen unstreitig, dass pro Patent eine Internetabfrage binnen weniger Minuten, insgesamt bei einem Prüfungsaufwand von nur ca. 1 Stunde zwecks Überprüfung sämtlicher €Patente€ erfordert hätte.

Das Gericht würde von der Beklagten auch nicht verlangen, von vornherein sämtliche Patente auf ihre Erteilung zu überprüfen; jedoch lag der Sachverhalt vorliegend so, dass gleich welche Stichprobe gewählt worden wäre, das Ergebnis stets negativ ausgefallen wäre dahingehend, dass ein erteiltes Patent nicht vorlag.

Spätestens diese Feststellung hätte die Beklagte dazu veranlassen müssen, näher in die Wertprüfung dieser angeblichen €Patente€ einzusteigen.

55Die Beklagte hat jedoch sowohl eine stichprobenweise Überprüfung der Frage, ob die Schutzrechte überhaupt erteilt worden seien, unterlassen, wie auch eine anschließende wirtschaftliche Bewertung.

Das Gericht geht auch davon aus, dass angesichts dieses speziellen Kaufvertrages zwischen über gemeinsame Familiengesellschafter verbundene Unternehmen und der Bilanzrelationen auch ohne stichprobenweise Überprüfung der Erteilung der Patente eine zumindest stichprobenweise wirtschaftliche Wertüberprüfung der €Patente€ notwendig gewesen wäre. Dies war schon deshalb nötig, da die Bilanzrelationen bei der Schuldnerin bereits auch unter Übernahme der von der Beklagten geprüften Zahlen auf Insolvenzreife der Schuldnerin hindeuteten.

Die Beklagte berief sich jedoch im Verfahren lediglich darauf, dass sie €einen Bewertungsexperten aus der Grundsatzabteilung ..., dem €...€ der Beklagten in ... hinzugezogen habe, weitere Angaben zu einer stichprobenweise Überprüfung der Werthaltigkeit der Patente machte die Beklagte jedoch nicht.

Im Übrigen hätte die Überprüfung der angeblichen Patente auch Folgendes ergeben:

59Jede Stichprobe hätte zu dem Ergebnis geführt, dass Patente nicht erteilt worden sind; mit jeder Negativmeldung hätte die Beklagte nach Ansicht des Gerichts eine weitere Stichprobenüberprüfung durchführen müssen, die letztendlich zu dem zwischenzeitlich unstreitigen Ergebnis geführt hätte, dass kein einziges Patent erteilt worden war. Diese Überprüfung hätte im übrigen auch zur Feststellung geführt, dass auch die Rechteinhaberschaft bezüglich der Patentanmeldungen nicht generell zumindest im formalen Bereich bei der Verkäuferin der €Patente€ gelegen hätte.

60Die Pflichtverletzung im Sinne von § 323 Abs. 1 Satz 3 HGB der Beklagten lag darin, dass sie die stichprobenweise Überprüfung der erteilten Patente angesichts der Wertverhältnisse in der geprüften Bilanz unterließ und auch angesichts der Bilanzrelationen eine wirtschaftliche Stichprobe hinsichtlich der Werthaltigkeit der gewählten Bilanzansätze nicht vornahm.

3. Dieser Fehler hat sich auch auf den Jahresabschluss der Schuldnerin in erheblichem Umfang ausgewirkt; wie sich aus den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ... ergab, hatten die gewerblichen Schutzrechte der Schuldnerin bei weitem nicht den in der Bilanz angesetzten Wert.

a. Zunächst geht jedoch das Gericht davon aus, dass wegen des Vorsichtigkeitsprinzips nach § 253 Abs. 1 Nr. 4 HGB die Wertansätze der €Patente€ angesichts eigener fehlender Überprüfung mit Null hätten erfolgen müssen. Dies resultiert daraus, dass die Beklagte hätte erkennen müssen, dass die Patente allenfalls in Form von Patentanmeldungen vorgelegen hatten, die Rechteinhaberschaft teilweise nicht bei der Verkäuferin gelegen war zumindest in formaler Hinsicht und eine eigene wirtschaftliche Bewertung außer €Hinzuziehung eines Experten€ nicht erfolgte. € auch vor dem Hintergrund, daß eine Marktkontrolle der Angemessenheit des Kaufpreises wegen des Verkaufs unter Schwesterunternehmen nicht erfolgte. Aus diesem Grund hätte in einem ordnungsgemäßen Jahresabschluss eine außerplanmäßige Abschreibung im Sinne von § 253 Abs. 2 Satz 3 HGB erfolgen müssen.

b. Die Kausalität der Pflichtverletzung der Beklagten wäre jedoch sehr zweifelhaft gewesen, wenn ein tatsächlicher Marktwert wenigstens in der Nähe der gewählten Bilanzansätze vorhanden gewesen wäre. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall gewesen. Insbesondere fehlte nach den überzeugenden Feststellungen des Gutachters, die in diesem Punkt von der Beklagten gar nicht angegriffen worden sind, weitgehend die €Neuheit€ der €Patente€, die somit schon großteils gar nicht erteilungsfähig gewesen waren, somit der Wert der €Patente€ allenfalls in handwerklichen Verbesserungen lag.

aa) Das Gericht hat als Sachverständigen ausdrücklich einen Patentanwalt, der sich auch bereits mit der Bewertung von Patenten im Bereich Maschinenbau (wie hier angesichts des Geschäftszwecks der Schuldnerin einschlägig) beschäftigt hatte, ausgewählt; dieser Berufsstand ist gerade im vorliegenden Verfahren, da auch häufig in die Verwertungsproblematik von Patenten eingeschaltet, zur Begutachtung prädestiniert.

Der gewählte Sachverständige hat vor der Ausbildung zum Patentanwalt die Ausbildung zum Wirtschaftsingenieur mit Fachrichtung Maschinenbau durchlaufen und konnte daher auch die Innovationshöhe der Patentanmeldungen aus technischer Sicht untersuchen. Er hat eigene Mandanten bei Verfahren, in denen es um solche Wertermittlungen ging, begleitet.

bb) Im schriftlichen Gutachten kam der Sachverständige zunächst zu dem Ergebnis, dass Patentanmeldungen wirtschaftlich in der Regel werthaltiger als gänzlich ungeschützte Erfindungen seien, da diese aufgrund der Überprüfung schon des Antragstellers einen ersten Anhaltspunkt über zukünftige eventuelle unter Patentschutz stehende Technologien böten. Der Sachverständige stellte aber auch fest, dass in der Praxis bei ungeschützten Schutzrechten wie Patentanmeldungen daher bei der Beurteilung besondere Sorgfalt und besondere Vorsichtsmaßnahmen gehandhabt würden. Deshalb hätten sich sogenannte Validitätsgutachten etabliert. Angesichts der Komplexität der Sachverhalte seien in der Praxis selten pauschalierte Werte ohne Ansicht der Validität anzuwenden. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass generell ein Großteil angemeldeter Patente gar nicht erteilt werden würden, da zumeist Neuheit und/oder erfinderische Tätigkeit im Sinne von §§ 3, 4 PatG nicht vorlägen.

Konkret auf die übertragenen Schutzrechte bei der Schuldnerin wies der Sachverständige zunächst darauf hin, dass die tabellarische Übersicht der Schutzrechte, die dem Kaufvertrag (vgl. Anl. K 2) beigefügt worden sei, schon in mehrfacher Hinsicht deutlich erkennbare Ungereimtheiten und Lücken aufgewiesen habe, die auch einem gewerblichen Rechtsschutz weniger bewandten Personen förmlich ins Auge hätten fallen müssen. Schon der Rechtsstatus sei gar nicht ersichtlich gewesen, ob eben diese Schutzrechte überhaupt schon überprüft, geschweige denn erteilt worden seien. Schon deshalb sei letztendlich der gewählte Wertansatz in Höhe von rd. € 2,5 Mio. (€ 2,2 Mio. nach Abschreibung) in mehrfacher Hinsicht nicht nachvollziehbar. Die einfach zu erhaltende Statusabfrage online im Internet sei jedermann zugänglich und hätte ohne besonderen Aufwand ergeben, dass alle im Kaufvertrag aufgeführten €Patente€ nur ungeprüfte Patentanmeldungen bzw. ein Gebrauchsmuster gewesen seien; die Nutzung entsprechender Onlinedatenbanken sei auch ohne gesonderte Fachkenntnisse möglich und für jeden frei zugänglich.

cc) Bezüglich der konkreten einzelnen Patente stellte der Sachverständige Folgendes fest, hier beispielhaft dargestellt anhand der Schutzrechte 1 und 2:

Das Schutzrecht Nr. 1 gemäß der Anlage im Kaufvertrag Anlage K 2 sei nicht neu gewesen gegenüber dem Stand der Technik; eine solche Biegeeinrichtung sei bereits bezüglich des Biegens von Rohrleitungen bekannt, die entsprechende Anmeldung sei nicht neu und damit nicht rechtsbeständig gewesen.

Gleiches gelte letztendlich auch hinsichtlich des Schutzrechtes Nr. 2. Auch hinsichtlich der weiteren Patentanmeldungen wies der Sachverständige darauf hin, dass regelmäßig die in der Patentanmeldung beanspruchten Gegenstände gegenüber dem bereits vorhandenen Stand der Technik nicht neu gewesen seien.

dd) Letztendlich seien Wertansätze allenfalls insoweit aktivierbar gewesen, als etwaige Überschüsse über den Stand der Technik hinaus Rechtsbeständigkeit hätten erlangen können im patentrechtlichen Sinne, weshalb der Sachverständige sämtliche der Schuldnerin übertragenen Patente mit einem Wert im Bereich von max. € 570.000,- bis € 750.000,- ansetzte.

ee) In seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige diese Ausführungen bestätigt und nach Voraberhalt eines schriftlichen Fragenkatalogs der Parteien weiter erläutert.

(1) Der Sachverständige hat zunächst darin weiter ausgeführt, dass die Schutzrechte wirtschaftlich nicht mit Null hätten bewertet werden können, da sie als solche bestanden hätten zumindest im Zeitpunkt des Prüfungsabschlusses bezüglich des Jahresabschlusses. Einen Wert Null habe er nicht feststellen können. Vielmehr seien jedenfalls bestimmte Werte zum damaligen Prüfungszeitpunkt ansetzbar gewesen wie von ihm zuvor im schriftlichen Gutachten ausgeführt, wobei sich der Sachverständige nur auf die Beantwortung der gerichtlichen Frage nach dem wirtschaftlichen Wert beschränkte und deshalb nicht zur rechtlichen Frage sich äußerte, wie ein Bilanzansatz zu erfolgen habe.

(2) Im Übrigen sei es als Verfahrensprocedere zwar richtig, dass eine Patentanmeldung zunächst möglich weit gefasst werde, um möglichst umfassenden Rechtsschutz zu erhalten; allerdings wies der Sachverständige auf Frage des Beklagtenvertreters darauf hin, dass bei der vorliegenden Anmeldung der Anmelder selbst Teilbereiche genannt habe, die einer Patenterteilung von vornherein bezüglich Anspruch 1 im Wege gestanden hätten.

(3) Eine getrennte Bewertung vom deutschen und europäischen Patent sei zugunsten der Anmelder jedoch vornehmbar, da deutsches und europäisches Patentamt unabhängig voneinander prüfen würden und dementsprechend ein Wertansatz einmal als deutsches, einmal als europäisches angemeldetes Patent geboten sei.

(4) Auch sei es üblich, dass im weiteren Verfahrensablauf später andere Rechteinhaber gemeldet werden würden, da für die Anmeldung und die Prüfung durch die Patentbehörden es irrelevant sei, wer tatsächlich der Anmelder und Rechteinhaber sei. Der Sachverständige sei auch davon ausgegangen, dass der anmeldende Kollege ... sich im Klaren gewesen sei, wo die Rechte tatsächlich gelegen hätten, weil er diese ansonsten nicht beispielsweise auf den Namen der ... GmbH angemeldet hätte.

(5) Unüblich sei jedoch, dass beim Kaufvertrag die sogenannten Registerauszüge nicht beigelegt worden seien; üblich sei vielmehr, dass diese Registerauszüge, online abrufbare Auszüge des Patentamts über sämtliche Formalien der Patentanmeldung, mit beigelegt werden würden.

(6) Die Vorhaltungen der Beklagtenseite, dass die Gutachten ... (Anlagen B 5 und 6) zu anderen Wertermittlungsansätzen gekommen seien, wies der Sachverständige überzeugend zurück, da insoweit die Gutachter der Beklagten sich lediglich auf Literatur stützten aus dem Bereich der Arbeitnehmererfindungen; deren Schutzrichtung hinsichtlich der Arbeitnehmererfindungen sei jedoch ein anderer als die tatsächliche wirtschaftliche Wertentwicklung am Markt bezüglich Patentanmeldungen.

(7) Die von den Beklagten-Gutachtern gewählte Bewertungsmethode der Lizenzanalogie sei nur dann sinnvoll, wenn tatsächliche Wirtschaftsdaten vorlägen, da sie dann geläufig und einfach anwendbar sei. Solche hätte es jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, dass tatsächlich Lizenzumsätze geflossen seien.

Auch im Hinblick auf die neu ihm erst mit dem Fragenkatalog vorgelegten Unterlagen beispielsweise des Auftrags von ... an ... bezüglich des Schutzrechtes 1 gab der Sachverständige an, dass dies nicht zu einer Änderung seiner Bewertung geführt hätte, da die dort genannten Umsätze nur möglicherweise im Planungsbereich sich befanden, da im Maschinenbau es regelmäßig eines längeren Zeitraums bedürfe, um Umsätze tatsächlich zu generieren. Selbst wenn er als Sachverständiger das Lizenzanalogieverfahren der Gutachter der Beklagten herangezogen hätte, wäre er nicht zu großen Abweichungen bei seinem Bewertungsansatz gekommen; insoweit wies der Sachverständige auch darauf hin, dass die Gutachter der Beklagtenseite nicht Techniker bzw. nicht Techniker im Bereich Maschinenbau seien.

(8) Im Hinblick auf die dem Sachverständigen vorgelegten Bestellungen beispielsweise Anl. B 7 führte der Sachverständige aus, dass man anhand dieser Bestellung überhaupt nicht erkennen könne, inwieweit das Schutzrecht bei der Bestellung verwendet worden sei oder nicht; dazu bedürfe es ein Eingehen auf die nicht vorliegenden technischen Zeichnungen, Schemata und dergleichen mehr, um die Verwendung des angemeldeten Schutzrechts überhaupt beurteilen zu können.

(9) Im Übrigen legte der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung exemplarisch für das angemeldete Schutzrecht Nr. 1 gemäß Anlage zum Kaufvertrag (vgl. Anl. K 2) dar, wie er zu seinem Wertansatz gekommen sei. Die technische Überprüfung durch ihn habe ergeben, dass das angemeldete Schutzrecht Nr. 1 die erforderliche Erfindungshöhe nicht aufgewiesen habe, weil beispielsweise die im schriftlichen Gutachten auf S. 18 erwähnte Patentanmeldung EP... neuheitsschädlich dem hier angemeldeten Schutzrecht bereits entgegengestanden habe. Der sogenannte Biegefinger sei in der Patentanmeldung als zentrales Element beim ersten Schutzrecht angegeben worden; gerade dieser Biegefinger sei jedoch bereits bekannt gewesen, wie sich aus der gerade erwähnten europäischen Patentanmeldung ergeben habe. Die sogenannten Unteransprüche zu diesem Schutzanspruch 2 hätten lediglich quasi €handwerksmäßige Verbesserungen€ aufgewiesen.

Für seinen eigenen Wissenshintergrund wies der Sachverständige darauf hin, dass er ebenfalls Mandantschaft berate bei An- oder Verkauf gewerblicher Schutzrechte. Einen Verkauf von Patentanmeldungen habe er für Mandanten noch nicht durchgeführt, jedoch mehrfach Patentanmeldungen im Auftrag von Mandanten bewertet. Das Ergebnis der Verwertbarkeit dieser Schutzrechte, die die Mandanten dann verwertet hätten, sei stets im Rahmen dessen gelegen, was er den Mandanten als Wertrahmen angegeben hätte.

Angesichts der schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen und der dazu angegebenen mündlichen Erläuterungen ist das Gericht davon überzeugt, dass die Wertansätze des Sachverständigen ... für die Schutzanmeldungen wirtschaftlich richtig gewesen sind und damit die Werte der €Patente€ in der Bilanz schon rein wirtschaftlich weit unter den von der Beklagten bestätigten Werten anzusetzen gewesen wären, rechtlich sogar, wie oben ausgeführt, angesichts §§ 252 I # 4 HGB, mit € 0.

Das Gericht ist von der Richtigkeit der Sachverständigenfeststellungen insbesondere auch wegen der technischen Erkenntnisse des Sachverständigen hinsichtlich des Erfindungsgrades der Patentanmeldungen überzeugt; die Angriffe der Beklagten-Gutachter verharren dagegen im Bereich der Methodik, die sich mit der fehlenden technischen Innovation der Patente überhaupt nicht auseinandersetzten. Die Gutachter der Beklagten setzten daher andere Wertermittlungsansätze gerade im Bereich des Lizenzanalogieverfahrens, ohne sich mit der grundsätzlichen Frage überhaupt zu befassen, inwieweit die konkreten €Patente€ überhaupt erteilungsfähig gewesen wären. Die entscheidenden Divergenzen zwischen den von der Beklagtenseite vorgelegten Gutachten zur Bewertung der €Patente€ und der Werte des gerichtlich bestellten Sachverständigen beruhen jedoch gerade auf der von der Beklagtenseite insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen, dass der technische Neuerungsgrad und damit die Patentfähigkeit der Anmeldungen, wenn überhaupt, nur in geringem Umfang vorhanden gewesen ist.

Auch erfolgte beklagtenseits keine Darlegung, in welchem Umfang in den behaupteten späteren Kaufverträgen die €Patente€ mit als Anwendung verkauft worden wären; dies hätte nach den Feststellungen des Sachverständigen eine eingehendere Prüfung und damit Beklagtendarlegung anhand von technischen Zeichnungen etc erfordert.

Das Gericht weist an dieser Stelle jedoch nochmals darauf hin, dass angesichts unterlassener Stichproben und angesichts unterlassener eigener Bewertungen durch die Beklagte angesichts des Vorsichtigkeitsprinzips und angesichts der Umstände des Kaufvertrages wie auch der Einordnung in die Bilanzrelationen der Schuldnerin aus Vorsichtigkeitsgründen gem. § 253 Abs. 1 Nr. 4 HGB in Verbindung mit einer Sonderabschreibung nach § 253 Abs. 2 HGB ein Ansatz der €Patente€ mit € 0 hätte erfolgen müssen.

Erst nach eigenen angesichts der Gesamtumstände dringend gebotener Überprüfungs- und Bewertungshandlungen der Beklagten hätte ein Wertansatz erfolgen können, der sich im Bereich der vom Sachverständigen ... genannten Werte hätte bewegen müssen.

4. Die Folgen dieses fehlerhaften Ansatzes für Bilanz- und Jahresabschluss waren gravierend für die Darstellung der wahren wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin bereits am 29.2.2004.

a. Bilanzansätze

Schon wenn man die Maximalwerte des Sachverständigen ... ansetzt, wäre in der Bilanz die Position der gewerblichen Schutzrechte um mindestens weitere € 1,455 Mio. herabzusetzen; dies hätte für die Ermittlung des Eigenkapitals zur Folge gehabt, dass dieses nur noch mit € 371.000,- statt rd. € 1,8 Mio. ausgewiesen hätte werden dürfen.

Bei einem Wertansatz Null wäre bereits das gesamte Eigenkapital negativ geworden.

Selbst mit den Maximalwerten des Sachverständigen hätte die Eigenkapitalquote im Verhältnis zu der korrigierten Bilanzsumme lediglich noch 2,3 % gegenüber zuvor von den Beklagten festgestellten 10,2 % betragen.

b. Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung

Statt eines ausgewiesenen Gewinnes über € 475.000,- hätte schon bei Ansatz der Maximalwerte des Sachverständigen ein Verlust von rd. € 1 Mio. festgestellt werden müssen aufgrund einer erhöhten Abschreibung um mindestens € 1,455 Mio.

c. Liquiditätsanalyse

aa) Liquidität im Allgemeinen

Schon nach den von der Beklagten unbeanstandet übernommenen Zahlen sanken die flüssigen Mittel der Schuldnerin zum Abschlusstag von im Vorjahr € 338.000,- auf nur noch € 36.000,-. Auch die von der Beklagten testierten Zahlen wiesen bei der Verhältnissetzung kurzfristiger Verbindlichkeiten gegen kurzfristige Forderungen zuzüglich flüssiger Mittel eine Unterdeckung im Bereich von € 3,8 Mio. auf nach einer Unterdeckung im Vorjahr von € 1,3 Mio.

Im von der Beklagten geprüften Abschluss wurde auch festgestellt, dass in dem Prüfungszeitraum eine Personalaufstockung um 50 % erfolgte, was absehbar zu erhöhtem kurzfristigen Mittelabfluss für Gehälter führen musste.

bb) Liquidität zweiten Grades

Auch die sogenannte Liquidität zweiten Grades als Kennzahl der von der Schuldnerin verwendeten Datevbuchführung, dort der betriebswirtschaftlichen Auswertungen, verschlechterte sich im Jahr 2004 erheblich. Die Liquidität zweiten Grades stellt verfügbare Mittel und kurzfristig fällige Forderungen bis zu einem Zeitraum von 3 Monaten fälligen Verbindlichkeiten gegenüber. Für Januar 2004 betrug der Monatswert 0,71 (d.h. die kurzfristigen Verbindlichkeiten waren lediglich noch zu 71 % von flüssigen Mitteln und kurzfristigen Forderungen gedeckt), für den Monat Februar 2004 1,13, für März 0,68, für April 0,56, für den Monat Mai, in welchem die Beklagte den Abschlussvermerk fertigte, 042.

Schon die Kennzahl 0,71 für Januar 2004 hätte die Beklagte veranlassen müssen, sich eingehender mit der Liquiditätslage der Schuldnerin auseinanderzusetzen, da dieser Monat auch noch im Prüfungszeitraum war. Diese Zahl deutet schon auf Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hin, wie schon lange in der Literatur erörtert und vom BGH in der Entscheidung IX ZR 123/04 vom 24.5.05 bestätigt worden ist.

Auch die weiteren Kennzahlen bis Mai 2004 hätte die Beklagte zur Prüfung heranziehen müssen; zwar wären diese ab März außerhalb des Prüfungszeitraums gelegen; jedoch handelt es sich bei diesen Zahlen angesichts der oben unter aa) dargestellten allgemeinen Liquiditätslage lediglich um wertaufhellende Zahlen im Sinne von § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, die lediglich die zum Abschlussstichtag 29.2.2004 bereits vorhandene erhebliche Liquiditätsunterdeckung im Millionenbereich auch im kurzfristigen Bereich erläutert hätten.

Aus diesem Grund hätte wenigstens im Lagebericht nach § 289 Abs. 2 Nr. 1 HGB ein Hinweis erfolgen müssen auf die existenzbedrohende Liquiditätslage der Schuldnerin, die ja dann auch tatsächlich nur 5 Monate später Insolvenzantrag stellte.

Die genannten Zahlen, die schon unabhängig von der Frage der Bewertung der Patentansätze von der Beklagten selbst testiert wurden, genügen bereits zur Annahme der Insolvenzreife wegen Zahlungsunfähigkeit im Sinn von § 17 InsO nach den Grundsätzen, die der BGH im o.a. Urteil bestätigt hatte, nachdem diese zuvor bereits intensiv in der Literatur so erörtert worden sind.

Die weitere Fehlleistung der Beklagten, die sogenannten €Patente€ weder rechtlich noch wirtschaftlich zu überprüfen, führte in dem geprüften Jahresabschluss dazu, dass an veräußerungsfähigen Aktiva außerhalb des Umlaufvermögens sich eben nicht mehr noch Aktiva in Höhe von 12 % der Bilanzsumme in Form von €Patenten€ befand, sondern als einzig veräußerbarer gewichtiger Aktivposten lediglich das notwendige Betriebsgrundstück samt darauf befindlicher zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs ebenfalls erforderliche Maschineneinrichtungen. Über die Insolvenzreife der Schuldnerin schweigen jedoch sowohl der Jahresabschluss als auch sämtliche Prüfhinweise der Beklagten auch bezüglich des Lageberichts. Wenn die Beklagte auf S. 14 hinweist:

€Der Lagebericht steht mit dem Jahresabschluss und unseren bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnissen in Einklang und vermittelt insgesamt eine zutreffende Vorstellung von der Lage des Unternehmens€,

ist dieser Satz möglicherweise im ersten Teil richtig, die zutreffende Vorstellung der Lage des Unternehmens wäre jedoch nur mit dem Rat auf Stellung des Insolvenzantrags wahrheitsgemäß gewesen.

Demzufolge ist auch die zusammenfassende Beurteilung der Beklagten auf S. 15, wonach nach der pflichtgemäß durchgeführten Prüfung sie die Überzeugung gewonnen habe, €dass der Jahresabschluss insgesamt unter Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft vermittelt€, falsch. Gleiches gilt demzufolge auch für den uneingeschränkt erteilten Bestätigungsvermerk auf S. 16 und 17 (vgl. Anl. K 1).

Die Schuldnerin war bereits zum Stichtag 29.2.2004 zahlungsunfähig und unter der Prämisse, dass unter den Vorsichtigkeitsgesichtspunkten des § 252 HGB ein Wertansatz der €Patente€ lediglich mit Null hätte erfolgen dürfen, auch bereits überschuldet.

Die von der Beklagten im Prüfungsbericht getätigte €Kernaussage€ (S.3, Anlage K 1)

€Die Gesellschaft wird sich im kommenden Jahr weiterhin wirtschaftlich positiv entwickeln€

war daher bereits nach 5 Monaten nur noch Makulatur.

Die Prüfungsergebnisse der Beklagten verschleierten diesen Sachverhalt durch den Fehlansatz der €Patente€ und Verkennung der Liquiditätslage.

cc) Soweit die Beklagte insoweit vortrug, dass die Unterdeckung €zumindest teilweise€ durch einen kurzfristigen Barkreditrahmen für Betriebsmittelzwecke gedeckt gewesen sei, schildert die Beklagte in keiner Weise näheren Sachverhalt, beispielsweise in welchem Umfang diese Deckung erfolgt sei, durch wann von wem gewährte Kreditrahmen (vgl. Schriftsatz vom 31.1.2007, Bl. 146 d.A.).

Insoweit ist dieser Sachvortrag ebenfalls ungeeignet, um die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu widerlegen.

Hinzu kommt, dass die Beklagte nicht mehr bestritt, dass sie entsprechende Behauptungen seitens der Geschäftsleitung der ... GmbH erst in einer E-Mail vom 16.6.2004 erfahren habe, nachdem sie 3 Wochen zuvor bereits ihr uneingeschränktes Testat erteilt hatte.

4. Das Verschulden der Beklagten muß angesichts der obigen Darlegung positiv zumindest im Bereich der Fahrlässigkeit festgestellt werden; insoweit griffe im übrigen auch die Vermutung nach § 280 BGB.

5. Die Beklagte haftet daher für den eingetretenen Schaden bei der Schuldnerin, den das Gericht in der Erhöhung der Schulden um gut € 4 Mio. bis zum 29.10.2004 ansieht.

a) Die Beklagte bestritt nicht, dass der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag der Schuldnerin im Zeitraum vom 31.5.2004 (also nach Übergabe der Prüfung an die Schuldnerin) und dem 31.10.2004 (2 Tage nach Insolvenzantrag) um rd. € 1,786 Mio. angestiegen ist. Die Beklagte trat auch der Ausführung der Klägerseite (vgl. Bl. 46 d.A.) nicht entgegen, dass diese Überschuldung durch Erhöhung der Verbindlichkeiten über diesen Betrag von rd. € 1,786 Mio. entstanden war.

Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 24.5.2006 mit Nichtwissen den Schaden bestritt, bezog sich ihr Bestreiten nur auf die Richtigkeit der Angaben der vorgelegten Anlagen K 9, K 10, ohne dass insoweit jenseits der Frage der €Patente€ das Zahlenwerk selbst oder zumindest die Erhöhung der Verbindlichkeiten schriftsätzlich angegriffen wurde; aus diesem Grund ist das Bestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO unbeachtlich gewesen. Die Beklagte hätte zumindest anhand der ihr vorliegenden Zahlen hinsichtlich des von ihr überprüften Jahresabschlusses weitere Angaben hinsichtlich des Bestreitens machen müssen, zumal sie aus dem Verfahren 15HK O 7742/06 weiß, dass sie dort von der Hausbank der Schuldnerin auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, weil die Hausbank im Vertrauen auf den falschen Prüfbericht der Beklagten weiteren Millionenkredit an die Schuldnerin ausgereicht haben will. Im Parallelverfahren hat dementsprechend die Hausbank der Schuldnerin den Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte u.a. darauf gestützt, dass im Vertrauen auf die Richtigkeit des Jahresabschlusses die Erweiterung der Kreditlinie um € 2,5 Mio. erfolgte und auch in Anspruch genommen wurde.

b. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass sicherlich nicht nach Erhalt einer richtigen Bilanz und eines richtigen Jahresabschlusses Insolvenzantrag gestellt worden wäre, verkennt sie zum einen die Verpflichtung nach §§ 64, 84 GmbHG, unterstellt andererseits einen im deutschen Recht nicht berücksichtigungsfähigen hypothetischen Kausalverlauf. Es ist vielmehr gerade auch Pflicht der Abschlussprüfer, mit der nötigen Klarheit auf solche Tatbestände wie Insolvenzreife ausdrücklich hinzuweisen und damit den Organen der Gesellschaft die Gesetzeslage auch im Hinblick auf Insolvenzantragspflichten zu verdeutlichen.

Wenn dies unterlassen wird, haftet die Beklagte eben nach § 323 HGB, jedoch begrenzt durch die Schranke des § 323 Abs. 2 Satz 1 HGB; nachdem im vorliegenden Verfahren Klage nur auf € 1 Mio. erhoben wurde, brauchte im vorliegenden Verfahren nicht geprüft zu werden, ob die Beklagte sogar vorsätzlich gehandelt hätte.

c) Der Ansicht der Beklagten, es handele sich bei dem eingetretenen Schaden nicht um einen Schaden der Schuldnerin, lediglich um einen Quotenschaden der Gläubiger, kann ebenfalls nicht gefolgt werden; die eingegangenen Verbindlichkeiten, die begründet wurden nach Erhalt der falschen Beurteilung der Beklagten, sind Verbindlichkeiten der Schuldnerin.

Eine andere Sichtweise würde im Übrigen regelmäßig die Haftung nach § 323 HGB vollständig ins Leere laufen lassen.

6. Der Anspruch war auch nicht zu kürzen wegen eines etwaigen Mitverschuldens der Schuldnerin, die ja zunächst in eigener Verantwortung den Jahresabschluss und den Lagebericht erstellen ließ.

Ein Mitverschulden aufgrund der Tatsache, dass die Schuldnerin der Beklagten gefälschte Unterlagen oder fingierte Buchhaltung zur Prüfung vorgelegt habe, liegt im Gegensatz zu den Fällen, auf die sich die Beklagte aus der Rechtsprechung bezieht, hier nicht vor. Vielmehr konnte die Beklagte allein aufgrund des ihr vorgelegten Jahresabschlusses und des Kaufvertrags über die €Patente€ eine vertiefte Prüfungsanforderung bei der Beklagten erkennen.

Die bedrohliche Liquiditätslage der Schuldnerin ergibt sich aus dem von der Beklagten geprüften Jahresabschluß schon selbst. Bezüglich der €Patente€ ergab sich dies aus dem Jahresabschluß in Zusammenschau mit dem Kaufvertrag.

Insoweit handelte die Beklagte ausschließlich im eigenen Pflichtenkreis (bzw. unterließ gebotenes Prüfhandeln), welches daher im vorliegenden Fall nicht zu einer Reduktion des klägerischen Anspruchs infolge zuzurechnenden Mitverschuldens führt (vgl. insoweit Baumbach-Hopt/Merkt, Rdn. 7 zu § 323 HGB).

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Zuweisung der Pflichtprüfung nach § 316 HGB auch aus öffentlichem Interesse erfolgt; um insoweit jedoch eine Haftung des Abschlussprüfers nicht uferlos werden zu lassen, hat der Gesetzgeber die Haftungsbeschränkung des § 323 HGB postuliert, die angesichts der geringen Summen nur dann ihre Rechtfertigung finden, wenn ein Mitverschuldenseinwand generell ausgeschlossen ist.

7. Soweit die Beklagte sich zuletzt im Schriftsatz vom 15.2.08 (Bl. 262 d.A.) auf die Ausschlußfrist nach § 9 III S. 1 IDW-AAB beruft, handelte es sich insoweit um neuen Sachvortrag nach Schluß der mündlichen Verhandlung, bezüglich dessen auch keine Schriftsatzfrist mehr gewährt worden war und schon deshalb unbeachtlich ist.

Im übrigen verstieße dieser Ausschluß auch gegen die zwingende Norm des § 323 I HGB, wie § 323 IV HGB zeigt.

II.

Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 91, 709 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 14.03.2008
Az: 14HK O 8038/06, 14HK O 8038/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/787238026ee7/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_14-Maerz-2008_Az_14HK-O-8038-06-14HK-O-8038-06




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