Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 10. Juni 2010
Aktenzeichen: 15 U 192/09

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 10.06.2010, Az.: 15 U 192/09)

Tenor

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil der 1.Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 10. September 2009 wirdzurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zutragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Herstellungund des Vertriebs von Großanlagen für die Schrottverarbeitung. Dievon der Verfügungsklägerin vertriebenen Anlagen und die für ihreHerstellung erforderlichen Konstruktionszeichnungen sind von ihrenMitarbeitern bzw. Mitarbeitern ihrer Rechtsvorgängerinnen, der AGmbH, der B GmbH oder der C GmbH entwickelt worden. Mehrere, inSchlüsselbereichen dieser Unternehmen beschäftigte Mitarbeiter sindzu der erst am 9. Oktober 2004 gegründeten Verfügungsbeklagtengewechselt.

Die Verfügungsklägerin argwöhnt, dass der nach ihrer Darstellungerstaunlich schnell eingetretene Geschäftserfolg derVerfügungsbeklagten auch darauf zurückzuführen ist, dass dieVerfügungsbeklagte ihre Produkte nachahme und hierbei eine Vielzahlvon Konstruktionszeichnungen nutze, die ihre damaligen Mitarbeiterbeim Wechsel zur Verfügungsbeklagten unerlaubt mitgenommenhätten.

Die Verfügungsklägerin begehrt deswegen, durch Einsichtnahme indie bei der Verfügungsklägerin zur deren Produktherstellungverwendeten Konstruktionszeichnungen beweissichernd in Erfahrung zubringen, ob die Verfügungsbeklagte tatsächlich in nach Darstellungder Klägerin urheberrechtsverletzender und/oder wettbewerbswidrigerWeise ihre Konstruktionszeichnungen benutzt.

Sie hat in Anlehnung an die sog. €DüsseldorferPraxis€ beantragt, in einem selbständigen Beweisverfahrenohne vorherige Anhörung der Verfügungsbeklagten durch Einholungeines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben, ob dieVerfügungsbeklagte Konstruktionszeichnungen vervielfältigt hat undim Wege der einstweiligen Verfügung der Verfügungsbeklagtenaufzugeben, die Besichtigung durch den Sachverständigen inAnwesenheit von Rechtsvertretern der Verfügungsklägerin zu dulden,wobei diese aus Gründen der Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissender Verfügungsbeklagten zunächst zur Verschwiegenheit verpflichtetwerden sollten.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. April 2009 imselbständigen Beweisverfahren 1 OH 22/09 LG Kassel entsprechenddiesem Begehren der Verfügungsklägerin eine Beweiserhebung durchEinholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet und mitBeschluss im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligenVerfügung die Verfügungsbeklagte zur Duldung der Begutachtung aufihrem Betriebsgelände und in ihren Betriebsräumlichkeitenverpflichtet.

Gegen diese einstweilige Verfügung hat die VerfügungsbeklagteWiderspruch eingelegt. Die Verfügungsklägerin hat, nachdem derSachverständige die Besichtigung im selbständigen Beweisverfahrendurchgeführt und sein erstelltes Gutachten zu den Gerichtsaktenübersandt hat, ihr Antragsbegehren für erledigt erklärt. In dem aufden Widerspruch der Verfügungsbeklagten anberaumten Termin zumündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat sie beantragt,

festzustellen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligenVerfügung zulässig und begründet war und sich mit der Beendigungder Besichtigung in der Betriebsstätte der Verfügungsbeklagtenerledigt hat.

Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,

die einstweilige Verfügung sowie den Beschluss im selbständigenBeweisverfahren aufzuheben und den Antrag auf Erlass einereinstweiligen Verfügung zurückzuweisen;

den Sachverständigen anzuweisen, sämtliche bei ihm vorhandeneUnterlagen der Verfügungsbeklagten, bestehend aus Zeichnungen undDateien, an die Verfügungsbeklagte unverzüglich herauszugeben, ohneKopien zurückzubehalten oder Unterlagen und Kopien derVerfügungsbeklagten auszuhändigen;

die beiden Verfahren zu verbinden;

hilfsweise für den Fall, dass das Gericht von einer Erledigungausgehen wolle, festzustellen, dass der Antrag auf Erlass einereinstweiligen Verfügung nebst Antrag auf Erlass eines selbständigenBeweisverfahrens unzulässig und unbegründet war.

Die Verfügungsbeklagte wendet sich gegen die begehrteFeststellung, sieht weder ein erledigendes Ereignis, noch hält sieden ursprünglichen Antrag für zulässig und begründet.

Sie ist der Auffassung, dass entgegen dem Vorgehen der Kammernur ein einheitliches, aus einem Anordnungsteil undBeweissicherungsteil bestehendes Verfahren gegeben sei. Einerledigendes Ereignis könne deswegen nicht festgestellt werden,solange das Gutachten noch nicht an die Verfügungsklägerinausgehändigt worden sei. Auch sei es zur formwirksamen Vollziehungder einstweiligen Verfügung notwendig gewesen, neben dem Beschlussüber die einstweilige Verfügung auch den Beweisbeschlusszuzustellen, was indessen unstreitig unterblieben ist.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei zudemunzulässig, weil er mangels ausreichender Bestimmtheit keinenvollstreckungsfähigen Inhalt aufweise, denn es fehle anhinreichenden Angaben, auf welche konkreten Zeichnungen sich dieVerfügung beziehe.

Die Verfügungsbeklagte hält auch aus mehreren Gründen wedereinen Verfügungsanspruch, noch einen Verfügungsgrund für gegeben.Die Konstruktionszeichnungen seien mangels hinreichenderSchöpfungshöhe nicht urheberrechtlich geschützt, auch läge keinwettbewerbswidriges Verhalten der Verfügungsbeklagten vor.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf welches auch zur Darstellungder Einzelheiten des Sach- und Streitstandes gemäß § 540 Abs. 1 Nr.1 ZPO verwiesen wird, hat das Landgericht festgestellt, dass dasVerfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung erledigtist und die Kosten der Verfügungsbeklagten auferlegt. DasLandgericht hat ausgeführt, dass der Antrag auf Erlass einereinstweiligen Verfügung gerechtfertigt war. Die Verfügungsklägerinhabe einen Besichtigungsanspruch nach § 101a Abs. 1 UrhGausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Auch wenn die Regelnzur Anfertigung technischer Zeichnungen durch technische Regelwerkevorgegeben seien, erscheine plausibel, dass dennochGestaltungsspielräume verblieben, welche die Annahme einereigenschöpferischen Gestaltung zulasse. Dass in einem eventuellenHauptsacheverfahren über diese Frage u.U. Beweis zu erheben sei,stehe der Glaubhaftmachung einer Urheberrechtsverletzung nichtentgegen. Die Verfügungsklägerin habe auch ihre Inhaberschaft andem Urheberrecht und eine Nutzung der Verfügungsbeklagten durchVervielfältigung glaubhaft gemacht. Ob daneben einwettbewerbswidriges Verhalten der Verfügungsbeklagten gegeben sei,bedürfe keiner Entscheidung.

Ein Verfügungsgrund habe bestanden, weil mit der naheliegendenGefahr zu rechnen gewesen sei, dass seitens der VerfügungsbeklagtenZeichnungen beiseite geschafft werden könnten, um einenVerletzungstatbestand zu verschleiern. Ein Eilbedürfnis sei für dieVerfügungsklägerin auch entgegen der Meinung derVerfügungsbeklagten nicht entfallen, weil sie zu lange zugewartethabe. Vielmehr habe sie glaubhaft gemacht, erst zu einem späten,kurz vor Antragstellung liegenden Zeitpunkt hinreichendeVerdachtsmomente entwickelt zu haben, nachdem sie von derVerfügungsklägerin benutzte Zeichnungen in Händen gehabt hat.Außerdem impliziere die Möglichkeit einer Beweisvereitelung denVerfügungsgrund, weil nur durch Erlass einer einstweiligenVerfügung ohne vorherige Kenntnis durch die Verfügungsbeklagte denZweck der Beweissicherung sichergestellt werden könne.

Mit der Durchführung des Beweistermins sei die einstweiligeVerfügung gegenstandslos geworden, weswegen Erledigung in derHauptsache eingetreten sei. Die einstweilige Verfügung habe alleindarauf abgezielt, die Beweiserhebung zu sichern. Eine Besichtigungdurch die Verfügungsklägerin selbst sei nicht Gegenstand desVerfügungsanspruchs. Die Frage, ob und inwieweit das Gutachten andie Verfügungsklägerin herauszugeben ist, sei im selbständigenBeweisverfahren zu beantworten. Eine einheitliche Behandlung ineinem Verfahren sei nicht geboten. Ein hinreichender Schutz derVerfügungsbeklagten sei durch die Rechtsschutzmöglichkeiten in dengetrennt behandelten Verfahren hinreichend gewährleistet.

Gegen das ihr am 23. September 2009 zugestellte Urteil wendetsich die Verfügungsbeklagte mit ihrer am 7. Oktober 2009eingelegten und nach Verlängerung bis zum 23. Dezember am 22.Dezember begründeten Berufung. Sie wiederholt und vertieft gegendas Urteil des Landgerichts im Wesentlichen ihre erstinstanzlichvorgetragenen Argumente.

Sie beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die einstweiligeVerfügung un den Beweisbeschluss vom 6. April 2009 aufzuheben undden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und einesBeweisbeschlusses vom 11. März 2009 zurückzuweisen;

das Verfahren mit dem Verfahren hinsichtlich der sofortigenBeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts im selbständigenBeweisverfahren 1 OH 22/09 zu verbinden.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und den Antrag auf Verbindung mitdem Beschwerdeverfahren zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil, ebenfalls imWesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihrererstinstanzlich vorgetragenen Argumente.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerechteingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache indes keinenErfolg.

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Erledigung desVerfahrens über den Erlass einer einstweiligen Verfügungfestgestellt. Infolge der einseitig gebliebenenErledigungserklärung der Verfügungsklägerin hatte das Landgerichtauf den ausdrücklich geänderten Antrag der Verfügungsklägerinfestzustellen, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten war und derursprüngliche Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügungzulässig und begründet war. Diese Voraussetzungen hat es zu Rechtbejaht.

Allerdings folgt der Senat dem Landgericht nicht darin, dass dieVerfügungsklägerin einen Verfügungsanspruch nach § 101a Abs.1 UrhGglaubhaft gemacht hat. Denn entgegen dem Landgericht hält der Senatdas Bestehen eines Urheberrechts der Verfügungsklägerin an denfraglichen Konstruktionszeichnungen für nicht hinreichendnachgewiesen. Hierbei kann dahinstehen, ob das Landgericht €wie die Verfügungsbeklagte meint € an den Nachweis desBestehens eines solchen Urheberrechts ein zu geringes Beweismaßangelegt hat, worauf die Formulierung im landgerichtlichen Urteilhindeuten könnte, es sei mit einem ausreichenden Grad anWahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, dass die Anfertigung derZeichnungen ein gewisses Maß an eigenschöpferischer Gestaltungzulässt und erfordert. Der Besorgnis der Verfügungsbeklagten, dasLandgericht habe übersehen, dass nach der Vorschrift des § 101aAbs. 1 UrhG nur im Hinblick auf den Nachweis der Verletzung dieDarlegung einer Wahrscheinlichkeit genüge, während das Bestehen desUrheberrechts wie die anderen Anspruchsvoraussetzungen selbstglaubhaft gemacht werden müsse und deswegen jedenfalls ein höhererGrad von Wahrscheinlichkeit für den Nachweis des Bestehenserforderlich ist, bedarf keiner vertieften Erörterung. Der Senatsieht jedenfalls eine solche Glaubhaftmachung nicht für gegeben.Hierbei ist zunächst allerdings davon auszugehen, dass nach demeindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG auch technischeZeichnungen zu den urheberrechtlich geschützten Werken zählen. DerSenat hat aber auf der Grundlage des Vortrages derVerfügungsklägerin durchgreifende Zweifel, ob die Zeichnungen alseine hinreichend persönlich geistige Schöpfung bewertet werdenkönnen, wie dies § 1 Abs. 2 UrhG zur Feststellung einerWerkqualität erfordert. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechungdes Bundesgerichtshofs nur dann der Fall, wenn die Zeichnung fürsich eine über das dargestellte Werk hinausgehende schöpferischeEigenart besitzt (vgl. Wandtke/Bullinger, UrhG, 3. Aufl., § 2 Rn.137 mwN.). Eine solche individuelle Eigenart der Darstellung istvorliegend fraglich, weil unstreitig die Form der Darstellung beitechnischen Zeichnungen in erheblichem Maße durch technischeRegelwerke, die in DIN und ISO Normen niedergelegt sind,vorbestimmt ist. Dies schließt eine individuelle Prägung nicht aus,wobei angesichts dieser Eigenart auch ein geringes Maß ausreichenmag. Ob dies indessen vorliegend der Fall ist, vermag der Senatohne im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nichtstatthafte sachverständige Hilfe nicht zu beurteilen. Ob diekonkret in Frage stehenden Zeichnungen allein in Anwendung dergenannten technischen Regelwerke entstanden sind oder in ihnen auchdie Nutzung eines bestehenden Freiraums in der Gestaltung derDarstellung zum Ausdruck kommt, ist nicht ohne weiteres erkennbar.Da es um die Werkqualität gerade der streitgegenständlichenZeichnungen geht, kann es nicht genügen, darauf zu verweisen, dassgrundsätzlich für den technischen Zeichner Gestaltungsspielräumeverbleiben, weil er im Hinblick auf das Ziel der Darstellung zuentscheiden habe, welche Ansichten, Winkel und Perspektiven er fürdie zeichnerische Darstellung wähle, wie die Verfügungsklägerin unddas Landgericht meinen. Hiermit ist allein die Möglichkeit einersolchen individuellen Gestaltung dargetan, nicht aber, ob dieseMöglichkeit vorliegend auch genutzt wurde. Das aber ist alleinentscheidend. Eine bestimmte Werkart ist nicht als solche generellurheberrechtsschutzfähig. Vielmehr ist immer das einzelne konkreteWerk daraufhin zu überprüfen, ob es als eine persönliche geistigeSchöpfung anzusehen ist (vgl. BGH GRUR 1991, 529 €Explosionszeichnungen). Dies festzustellen, ist dem Senatvorliegend aber auch unter Anlegung des Beweismaßes einer bloßenGlaubhaftmachung nicht möglich.

Gleichwohl war ein Verfügungsanspruch gegeben, weil sich derAnspruch der Verfügungsklägerin auf Duldung der Besichtigung durchden Sachverständigen auf den allgemeinen Besichtigungsanspruch aus§ 809 BGB stützen lässt. Auf das Bestehen eines Urheberrechts kommtes hierfür nicht an. Auch derjenige, dessen Leistungwettbewerbsrechtlich gegen Nachahmung geschützt ist, kann sich aufdiesen Anspruch berufen (BGH GRUR 2002, 1046 unter II) 3) a)), wiedies die Verfügungsklägerin auch bereits in ihrer Antragsschriftgetan hat.

Der Senat geht in einer Gesamtbewertung des Vorbringens beiderParteien davon aus, dass eine für die Anwendung des § 809 BGBjedenfalls im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügunggenügende Wahrscheinlichkeit eines solchen Wettbewerbsverstoßesbesteht. Hierbei ist im Ansatz zu sehen, dass derBesichtigungsanspruch als Hilfsanspruch auch demjenigen zusteht,der sich erst Gewissheit verschaffen will, ob der Hauptanspruch€ hier ein möglicher wettbewerbsrechtlicher Unterlassungs-oder Schadensersatzanspruch € besteht. Deswegen muss dieserHauptanspruch nicht nachweislich bestehen. Es genügt ein gewisserGrad von Wahrscheinlichkeit (BGH NJW-RR 2002, 1617). Dies giltinsbesondere im Verfahren der einstweiligen Verfügung (OLGFrankfurt NJW-RR 2006, 1344). Dem Senat genügt daher vorliegend,dass belegt durch die nur geringfügig abgeänderten Sachnummern dieVerfügungsbeklagte von der Verfügungsklägerin stammendeKonstruktionszeichnungen verwendet, was von der Verfügungsbeklagtenletztlich auch nicht in Abrede gestellt wird, dass sie € wasebenfalls unstreitig ist € mindestens ähnliche, wenn auch intechnischen Details abweichende Maschinen herstellt und dieseMaschinen in ihrer Konstruktion hochkomplex sind, was ebenfallsbeide Parteien übereinstimmend vortragen, und dass dieVerfügungsbeklagte jedenfalls mehrere frühere Mitarbeiter derRechtsvorgängerin der Verfügungsklägerin in sog. Schlüsselbereichen(Vertrieb, Technik, Service) beschäftigt.

Soweit die Parteien im Übrigen umfänglich und detailliertdarüber streiten, ob eine wettbewerbliche Eigenart der Produkte derVerfügungsklägerin gegeben ist und Umstände vorliegen, die denVorwurf eines unlauteren Verhaltens rechtfertigen, kommt es hieraufjedenfalls im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligenVerfügung nicht entscheidend an. Die Vorschrift des § 809 BGBberuht auf einer Interessenabwägung. Sie möchte einerseits demGläubiger ein Mittel an die Hand geben, um den Beweis derRechtsverletzung in den Fällen führen zu können, in denen einsolcher Beweis nur schwer oder gar nicht erbracht werden könnte, indenen also die Vorlage zur Verwirklichung des Anspruchs mehr oderweniger unentbehrlich ist. Andererseits soll vermieden werden, dassder Besichtigungsanspruch zu einer Ausspähung insbesondere auchsolcher Informationen missbraucht wird, die der Verpflichtete ausschutzwürdigen Gründen geheimhalten möchte, und der Gläubiger sichüber sein berechtigtes Anliegen hinaus wertvolle Kenntnisseverschafft (vgl. zu allem BGH GRUR 2002, 1046 € Faxkarte).Ist mithin die Zubilligung eines Anspruchs auf Besichtigung schonim Hauptsacheverfahren nur davon abhängig, dass ein gewisser Gradan Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Hauptanspruchs gegebenist, gilt dies um so mehr im Verfahren auf Erlass einereinstweiligen Verfügung, in welcher wie vorliegend allein durcheine begleitende Duldungsverfügung gegenüber dem Anspruchsgegnereine Beweissicherung erreicht werden soll.

Dass die Verfügungsklägerin für den Nachweis einer unlauterenNachahmung ihrer Leistung auf eine Besichtigung der von derVerfügungsbeklagten in ihrem Unternehmen genutztenKonstruktionszeichnungen angewiesen ist, liegt ohne weiteres aufder Hand, da eine Nutzung weitgehend unveränderter oder garidentischer Konstruktionszeichnungen der Verfügungsklägerinmindestens ein erhebliches Indiz für einen Wettbewerbsverstoßdarstellen würde. Andererseits sind durch die Fassung derDuldungsverfügung die berechtigten Belange der Verfügungsbeklagtenan einer Geheimhaltung gewahrt, denn sowohl der im selbständigenBeweisverfahren tätige Sachverständige als auch die anwaltlichenVertreter der Verfügungsklägerin, denen die Anwesenheit bei derBesichtigung gestattet wurde, sind hiernach zur Geheimhaltungverpflichtet.

Damit ist insbesondere auch sichergestellt, dass dieVerfügungsklägerin nicht vor der Durchführung einesHauptsacheverfahrens, in dem ohne die Besonderheiten undBeschränkungen des Eilverfahrens das Bestehen einesBesichtigungsanspruchs der Verfügungsklägerin nachgewiesen wird,Kenntnis von schützenswerten Geschäftsgeheimnissen derVerfügungsbeklagten erlangt. Dies gilt um so mehr, als dasLandgericht € insoweit wiederum der eingeschränktenAntragstellung folgend € im selbständigen Beweisverfahrendurch das dort angeordnete Verfahren die Möglichkeit einerGeltendmachung von Geheimhaltungsinteressen ausdrücklich vorgesehenhat.

Zu Recht hat das Landgericht auch das ursprüngliche Besteheneines Verfügungsgrundes angenommen. Die Eilbedürftigkeit folgthierbei, wie das Landgericht richtig gesehen hat, ebenfalls aus derbesonderen Situation, dass die einstweilige Verfügung zurSicherstellung einer effektiven Sicherung von Beweisen imselbständigen Beweisverfahren dient. Der von derVerfügungsbeklagten auch im Berufungsverfahren angeführteGesichtspunkt, dass ein längeres Zuwarten des Anspruchsinhabers mitseiner Rechtsverfolgung die Eilbedürftigkeit im Einzelfallentfallen lassen kann, ändert nichts daran, dass wegen der Gefahreiner Beweisvereitelung allein der Erlass einer einstweiligenVerfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners effektivenRechtsschutz bietet.

Mit der Durchführung der Begutachtung durch den Sachverständigenist die einstweilige Verfügung auch erledigt, denn die mit ihrangestrebte Ermöglichung der Beweissicherung ist erreicht. Soweitdie Verfügungsbeklagte dies anders sieht, weil sie eine Erledigungerst dann für gegeben hält, wenn das Gutachten derVerfügungsklägerin ausgehändigt wurde, beruht dies auf derAuffassung, dass es sich bei einstweiliger Verfügung undselbständigem Beweisverfahren um ein einheitliches Verfahrenhandele, welches erst mit der Entscheidung über die Aushändigungdes Gutachtens seinen Abschluss finde. Dieser auch in der Literaturvertretenen Ansicht (vgl. Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387, 390 mwN)schließt sich der Senat nicht an, weswegen auch die von derVerfügungsbeklagten beantragte Verbindung beider Verfahren nicht inBetracht kommt und vom Landgericht zu Recht abgelehnt wurde. Sowohldas Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als auch dasselbständige Beweisverfahren sind eigenständige, in derZivilprozessordnung ausdrücklich geregelte besondere Verfahren, dieauch jeweils unterschiedliche Zwecke verfolgen und besonderenVerfahrensvorschriften unterliegen. Zwar ist nicht zu übersehen,dass in der vorliegenden Konstellation beide Verfahren sachlichaufeinander bezogen sind, weil nur ein gleichförmiges Vorgehen denübergeordneten von der Verfügungsklägerin verfolgten Zwecksicherstellen kann. Eine Notwendigkeit, deswegen aberrechtsfortbildend anzunehmen, dass ein einheitliches Verfahrenvorliege, besteht nicht. Insbesondere ist es aus dem von derVerfügungsbeklagten hervorgehobenen Grund der Gewährung effektivenRechtsschutzes nicht geboten, die Frage der Aushändigung des imBeweissicherungsverfahren erstellten Gutachtens im Rahmen desVerfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden.Vielmehr fällt die Entscheidung natürlicherweise im selbständigenBeweisverfahren an, in welchem € vorliegend von derVerfügungsbeklagten auch eingelegte € Rechtsmittel zurVerfügung stehen. Die einstweilige Verfügung erschöpft sich alleinin einer das selbständige Beweisverfahren begleitenden Anordnungeiner Duldungs- und Unterlassungsverpflichtung, die nursicherstellen soll, dass die Begutachtung ohne vorherigeBenachrichtigung und manipulative Einflussmaßnahme desAntragsgegners erfolgen kann. Die Besonderheit der hierdurchbewirkten Einwirkung auf das selbständige Beweisverfahren kann undwird vom Senat in der Entscheidung über das in jenem Verfahreneingelegte Rechtsmittel berücksichtigt.

Der Feststellung der Erledigung steht auch nicht entgegen, dassdie Verfügungsbeklagte rügt, die einstweilige Verfügung sei nichtinnerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO ordnungsgemäß vollzogenworden, weil ihr nur der Beschluss des Landgerichts im Verfahrenauf Erlass einer einstweiligen Verfügung zugestellt worden sei,nicht auch der im selbständigen Beweisverfahren erlasseneBeschluss.

Soweit dieses Erfordernis von der Verfügungsbeklagten damitbegründet wird, dass es sich um ein einheitliches Verfahrenhandele, welches aus einem Anordnungsteil und einemBeweissicherungsteil bestehe, kann auf die obigen Ausführungenverwiesen werden.

Soweit sie darüber hinaus die Auffassung vertritt, dieNotwendigkeit der Zustellung des Beweisbeschlusses folge daraus,dass das Landgericht in seinem Beschluss den Beschluss imselbständigen Beweisverfahren genannt und in Bezug genommen habe,begründet dies die Notwendigkeit einer Zustellung nicht. EineVollziehung der einstweiligen Verfügung als Verdeutlichung desWillens des Gläubigers zur Durchsetzung seines Rechts imEilverfahren erfordert eine Zustellung von Anlagen zur Entscheidungdes Gerichts nur insoweit, als dies auch als ausdrücklichesWirksamkeitserfordernis bestimmt ist, wenn etwa wie auch vorliegendzur Begründung der Entscheidung auf die Antragsschrift Bezuggenommen wird und bestimmt wird, dass ohne Zustellung auch dieserAntragsschrift eine wirksame Vollziehung nicht vorliegt. Ersthierdurch werden diese in der Entscheidung erwähnten Anlagen zumBestandteil der einstweiligen Verfügung (Zöller/Vollkommer, ZPO,26. Aufl. § 922 Rn. 11; § 929 Rn. 13). Eine solche Anordnung hatdas Landgericht aber in den Gründen seines Beschlusses nur in Bezugauf die Antragsschrift und einige der hierzu überreichten Anlagengetroffen. Dass diese aber vom beauftragten Gerichtsvollziehernicht mit dem Beschluss zugestellt wurden, behauptet dieVerfügungsbeklagte nicht. Aus der Verfügung des Vorsitzenden derKammer vom 6. April 2009 ergibt sich vielmehr im Gegenteil, dassfür die der Verfügungsklägerin zum Zwecke der Zustellung erteilteAusfertigung des Beschlusses dieser mit der Antragsschrift und denangeführten Anlagen verbunden wurde. Für die Frage einer Wahrungder Vollziehungsfrist ist die erfolgte Zustellung mithinausreichend. Die von der Verfügungsbeklagten angeführteRechtsprechung zur Zustellung von Anlagen zur Klageschrift (so diein Bezug genommene Entscheidung BGH NJW 2007, 775) betrifft eineandere Fallgestaltung. Der dort angeführte Grundsatz, dass derAnspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)es erfordert, dass der Beklagte mit der Zustellung der Klageschriftalle Informationen erhalten muss, die in der Klageschrift enthaltensind, erfordert auch nach Auffassung des Senats, dass Anlagen zurKlageschrift mit zugestellt werden müssen, weil und soweit auf siezur Begründung des Klageanspruchs verwiesen wird. Vorliegend aberoblag es der Entscheidung des Landgerichts, in welchem Umfang siezur Darstellung des Inhalts und Umfangs der einstweiligen Verfügungseine Gründe näher erläuterte und hierzu auch auf beizufügendeAnlagen verwies. Wenn das Landgericht hierbei zu der Auffassunggelangt ist, dass eine Beifügung des im selbständigenBeweisverfahren ergangenen Beschlusses nicht notwendig ist, magdies aus der Sicht der Verfügungsbeklagten kritikwürdig sein. EineUnwirksamkeit der Zustellung folgt hieraus indessen ebenso wenig,wie angenommen werden kann, dass eine unzulässige oder unschlüssigeKlage nicht wirksam zugestellt werden könnte.

Ferner ist nicht erkennbar, dass €durch dieVerfahrensweise des Landgerichts€ der Verfügungsbeklagten dergesetzliche Richter nach Art. 101, 13 GG entzogen worden wäre. DieVerfügungsklägerin verweist zutreffend darauf, dass demSachverständigen von der Verfügungsbeklagten die gewünschteEinsicht gewährt wurde. Eine zwangsweise Durchsuchung, dieallenfalls eine Anordnung nach § 758 a ZPO erfordert hätte, warnicht erforderlich, der Anwendungsbereich von Art. 13 ZPO nichtberührt und deswegen ein Entziehung des gesetzlichen Richters nichtgegeben.

Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs.1ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigenVollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 10.06.2010
Az: 15 U 192/09


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