Verwaltungsgericht Minden:
Beschluss vom 12. September 2007
Aktenzeichen: 10 K 1944/06.A

(VG Minden: Beschluss v. 12.09.2007, Az.: 10 K 1944/06.A)

Tenor

Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Gründe

I.

Mit Bescheid vom 08. Mai 2006 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) dem Kläger gegenüber dessen Anerkennung als Asylberechtigter sowie die zu seinen Gunsten getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen. Zugleich stellte es fest, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG seien nicht gegeben. Am 26. Mai 2006 erhob der Kläger, ein ..................... Staatsangehöriger, durch den von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt, der ihn bereits im Verwaltungsverfahren vertreten hatte, Klage. Mit Schriftsatz vom 29. März 2007 hob das Bundesamt den Bescheid vom 08. Mai 2006 auf. Die Kammer stellte, nachdem die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, das Verfahren ein und bestimmte, die Kosten des Verfahrens trage die Beklagte (Beschluss vom 10. April 2007).

Am 16./26. April 2007 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Kostenfestsetzung beantragt. Dabei hat er u.a. eine Geschäftsgebühr (245,70 EUR), unter Hinweis auf Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Ziffern 3100 ff. der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG eine um die halbe Geschäftsgebühr verminderte Verfahrensgebühr (122,85 EUR) und eine Erledigungsgebühr (189,00 EUR) geltend gemacht. Mit Beschluss vom 31. Mai 2007 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Minden die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 169,99 EUR festgesetzt. Dabei hat er erstinstanzliche Anwaltskosten des Klägers im Umfang von 122,45 EUR berücksichtigt und zur Begründung ausgeführt: "0,65 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG (1,3 Ausgangsgebühr abzüglich 1/2 der 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG der bis zum 30.06.2006 geltenden Fassung (nunmehr Nr. 2300 VV RVG - vergleiche Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG)."

Am 08. Juni 2007 hat der Kläger gerichtliche Entscheidung beantragt: Die Anrechnungsvorschriften bezüglich der Gebührentatbestände seien bereits aus der BRAGO bekannt. Danach sei etwa die Geschäftsgebühr auf die anschließend entstehende Prozessgebühr anzurechnen gewesen. Dabei sei niemand auf die Idee gekommen, die Anrechnung der Geschäftsgebühr dem Prozessgegner zugute kommen zu lassen. Dieser Gedanke werde nunmehr erstmals vom Verwaltungsgericht Minden vertreten. Die RVG regele die Rechtsanwaltsvergütung, die Anrechnungsbestimmungen beträfen ausschließlich das Verhältnis Anwalt-Mandant, nicht jedoch das Verhältnis Kläger-Beklagter. Dass der im Prozess Unterlegene dem im Prozess Gewinnenden die vollen Prozesskosten einschließlich der vollen Verfahrensgebühr zu erstatten habe, sei danach offensichtlich. Die Verfahrensgebühr ermäßige sich nicht deshalb zu Gunsten des unterlegenen Prozessgegners, weil sich die durch das Verhältnis des Anwalts zu seinem Mandanten entstehenden Geschäftsgebühren und Verfahrensgebühren teilweise überlappten bzw. teilweise angerechnet werden müssten. Der Gesetzgeber habe zu keinem Zeitpunkt die unterlegene Partei in dieser Weise entlasten wollen.

II.

Der Antrag auf Entscheidung des Gerichts (sog. Erinnerung über den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 31. Mai 2007) ist zulässig nach § 165 i.V.m. § 151 VwGO, hat in der Sache aber keinen Erfolg. In dem angegriffenen Beschluss sind die dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden Kosten zutreffend festgesetzt worden.

Im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 164 VwGO werden auf der Grundlage der Kostengrundentscheidung nach §§ 154, 155 VwGO auf Antrag die im Verhältnis der Beteiligten zueinander zu erstattenden Kosten festgesetzt. Inhaber des Kostenerstattungsanspruchs ist der jeweilige Beteiligte, nicht sein Prozessbevollmächtigter. Dies gilt auch insoweit, als Gegenstand der Festsetzung die Vergütung ist, die der Erstattungsberechtigte seinem Prozessbevollmächtigten aufgrund dessen Beauftragung schuldet

- Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 164 Rdnrn. 37, 38 -.

Erstattungsfähig sind nach § 162 Abs. 1 VwGO die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Beteiligten. Der Höhe nach sind gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Falle der Zuziehung eines Rechtsanwalts Aufwendungen im Umfang der gesetzlichen Gebühren und Auslagen notwendig. Maßstab für die Notwendigkeit der Aufwendungen sind die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG -. Was der erstattungsberechtigte Beteiligte dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz schuldet, kann er auf den erstattungsverpflichteten Beteiligten abwälzen

- vgl. Neumann, a.a.O., § 162 Rdnr. 63 -.

Von diesem Ansatz ausgehend ist der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss nicht zu beanstanden, denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen diesen - bezogen auf das gerichtliche Verfahren - keinen höheren Vergütungsanspruch, als er von dem Urkundsbeamten berücksichtigt worden ist.

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Ziffern 3100 ff. der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nrn. 2300 bis 2303 (vormals 2400 bis 2403) entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Es vermindert sich nach dem eindeutigen Wortlaut also nicht die entstandene Geschäftsgebühr, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren anfallende Verfahrensgebühr

- Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - -.

Aufgrund dieser Anrechnungsvorschrift kann ein Anwalt, der seinen Mandanten - wie hier - bereits wegen desselben Gegenstandes in dem dem Klageverfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahren vertreten hat, für die anschließende Tätigkeit im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Teil seiner gesetzlichen Vergütung nur eine geminderte Verfahrensgebühr abrechnen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass eine bereits im außergerichtlichen Verfahren geleistete Einarbeitung des Rechtsanwaltes in die Sach- und Rechtslage dann nicht nochmals voll vergütet werden soll, wenn es in dem gerichtlichen Verfahren in der Sache um denselben Gegenstand geht. Die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV ist nach Ansicht der Kammer auch im sog. Außenverhältnis zwischen dem Mandanten und dem kostenpflichtigen anderen Verfahrensbeteiligten anzuwenden

- vgl. zum Meinungsstand die Nachweise im angefochtenen Beschluss vom 31. Mai 2007 - 10 K 1944/06.A - -.

Das Gegenteil - keine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr - lässt sich nach Ansicht der Kammer nicht tragfähig mit der Feststellung begründen, die Kostenfestsetzung könne sich (naturgemäß) nicht auf solche Gebühren erstrecken, die nicht Gegenstand der gerichtlichen Kostengrundentscheidung seien. Denn von dem hier vertretenen Standpunkt aus betrifft die im Beschluss vom 10. April 2007 enthaltene Grundentscheidung nur eine durch Anrechnung verminderte Verfahrensgebühr.

Es erscheint auch nicht sinnwidrig, wenn der kostenerstattungspflichtige Beteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens deshalb niedrigere Kosten zu erstatten hat, weil der Rechtsanwalt des Erstattungsberechtigten bereits vorgerichtlich dessen Geschäft betrieben hat. Denn damit bleibt der Erstattungsberechtigte mit der Geschäftsgebühr belastet, die zu tragen er durch Beauftragung des Rechtsanwalts im Verwaltungsverfahren sich entschlossen hat, weil es nach geltender Rechtslage an einer Kostenerstattungsregelung in jenem Verfahren fehlt und eine anwaltliche Vertretung vor der Behörde grundsätzlich ins eigene Kostenrisiko des Betreffenden fällt

- vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 6. März 2006 - 19 C 06.268 - -.

Bedenklich wäre viel eher die vom gegenteiligen Standpunkt aus sich ergebende Konsequenz, dass derjenige, der schon im Verwaltungsverfahren mit seinem Anliegen durchdringt, mit der Geschäftsgebühr belastet bleibt, derjenige aber, der - dort erfolglos - ein Klageverfahren beginnt, in dem er ganz oder zum Teil obsiegt, nachträglich diese zum Teil auf die im gerichtlichen Verfahren unterlegene Gegenseite abwälzen kann.

Dass die in Rede stehende Anrechnung nur im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant vorzunehmen und nicht auch im Außenverhältnis zwischen Mandant und Prozessgegner zu berücksichtigen wäre, ist der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Ziffern 3100 ff. der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG im Übrigen nicht zu entnehmen

- siehe auch Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06 - ("Diese Anrechnung ist ... erst im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu berücksichtigen") -.

Gegen die Gegenansicht spricht im Übrigen, dass sie für den alltäglichen Fall, dass eine Geschäftsgebühr für vorprozessuales anwaltliches Tätigwerden gerade in einem Vorverfahren (§ 68 VwGO) entstanden ist, eine Ausnahme macht und die Vorbemerkung bei dieser Sachverhaltsgestaltung doch anwendet

- Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14. Mai 2007 - 25 C 07.754 - -,

möglicherweise aber von der gerade referierten Ausnahme eine erneute Ausnahme machen (und zu der von ihr grundsätzlich für zutreffend erachteten Regelung zurückkehren) würde, wenn zwar die Geschäftsgebühr für anwaltliche Tätigkeiten in einem Widerspruchsverfahren (§ 68 VwGO) entstanden, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für dieses Verfahren indessen nicht gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt worden ist

- zu einem von dem Standpunkt der Gegenansicht aus notwendigen weiteren Ausnahmefall vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. September 2006 - 7 E 957/06 - -.

Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorbemerkung ist unerheblich

- vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. März 2007 -,

dass bei der hier vertretenen Sichtweise im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens möglicherweise geprüft werden muss

- anders Bayerischer VGH, Beschluss vom 06. März 2006 -,

in welcher Höhe die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 (bzw. - zuvor - 2400), die sich auf 0,5 bis 2,5 beläuft, tatsächlich entstanden ist.

Dass im konkreten Fall vom Urkundsbeamten eine Anrechnung im Umfang von 0,65 vorgenommen worden ist, begegnet keinen Bedenken. Bei diesem Satz handelt es sich um die Hälfte des Regelwertes von 1,3 gemäß Nr. 2300 bzw. 2400 RVG-VV. Dass die Geschäftsgebühr niedriger bemessen gewesen sei, hat der Kläger nicht behauptet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.






VG Minden:
Beschluss v. 12.09.2007
Az: 10 K 1944/06.A


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