Verwaltungsgericht Stuttgart:
Urteil vom 15. März 2012
Aktenzeichen: 4 K 4251/11

(VG Stuttgart: Urteil v. 15.03.2012, Az.: 4 K 4251/11)

Die Teilnahme an einem Gewinnspiel, das lediglich den Abschluss eines Kaufs voraussetzt und kein zusätzliches Vermögensopfer erfordert, erfolgt unentgeltlich und ist daher kein Glücksspiel i.S. d. § 3 GlüStV.

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 02.11.2012 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass eine Werbeaktion, mit der für den Fall, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt am Flughafen Stuttgart regnet, den Kunden, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums Waren im Wert von mindestens 100,- EUR erworben haben, die Rückerstattung des Kaufpreises zugesichert wird, kein unerlaubtes Glücksspiel im Sinne des § 3 GlüStV darstellt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass es sich bei einer von ihr geplanten Werbeaktion nicht um ein Glücksspiel im Sinne von § 3 Abs. 1 Glücksspielstaatsvertrag - GlüStV - handelt.

Die Klägerin betreibt in B. ein Einrichtungshaus. Unter dem Slogan Sie bekommen die Ware geschenkt, wenn es am .... regnet plant die Klägerin eine Werbeaktion. An dieser Aktion können sich Kunden beteiligen, die innerhalb des Aktionszeitraums bei der Klägerin Waren in einer Kaufpreishöhe von mindestens 100 EUR beziehen. Sollte es an einem festgelegten Stichtag ungefähr drei Wochen nach der Teilnahme zwischen 12 und 13 Uhr am Flughafen Stuttgart amtlich festgestellt mindestens 3 ml/qm regnen, so erhält der Teilnehmer den Kaufpreis in voller Höhe zurückerstattet.

Mit Schreiben vom 04.08.2011 wandte sich die Klägerin erstmalig an den Beklagten und bat um Bestätigung, dass es sich bei der von ihr geplanten Werbeaktion nicht um ein Glückspiel im Sinne des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) handelt. Mit Schreiben vom 12.08.2011 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass es sich bei der Aktion um ein öffentliches Glücksspiel in Form von Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt eines zukünftigen Ereignisses i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 3 GlüStV handele, das mangels Erlaubnisfähigkeit gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV verboten sei. Die Teilhabe an der Gewinnchance setze die Entrichtung eines Kaufpreises in Höhe von mindestens 100 EUR voraus, so dass der Kaufpreis für diesen Einkauf ein Entgelt im Sinne des § 3 Abs. 1 GlüStV darstelle.

Daraufhin wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 09.09.2011 an das Innenministerium Baden-Württemberg, welches in einem Antwortschreiben vom 06.10.2011 die Rechtsauffassung des Beklagten teilte. Zugleich wies das Innenministerium darauf hin, dass bei einer unentgeltlichen Teilnahmemöglichkeit gegebenenfalls der glücksspielrechtliche Charakter der Werbeaktion entfallen könne.

Mit Schreiben vom 28.10.2011 beantragte die Klägerin festzustellen, dass es an einem glücksspielrechtlichen Charakter der Werbeaktion fehle.

Mit Bescheid vom 02.11.2011 lehnte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Antrag ab. Es führte weiter aus, der Erwerb der Gewinnchance liege darin, dass die Kunden den Kaufpreis für die gekauften Möbel zurückerstattet bekämen, d.h. die Möbel unentgeltlich erhielten. Ob es zum vorgesehenen Zeitpunkt regne, sei zufallsabhängig. In dem zu entrichtenden Kaufpreis liege auch ein Entgelt im Sinne des § 3 Abs. 1 GlüStV. Dies sei immer dann gegeben, wenn der Spieler einen Vermögensbeitrag leisten müsse, um an dem Spiel teilnehmen zu können. Dass er für diesen Vermögenseinsatz neben der Teilnahmemöglichkeit am Spiel noch eine weitere Leistung, die Waren, erhalte, stehe dem nicht entgegen. Gerade von Spielen wie dem vorliegenden gehe das Risiko aus, dass die Kunden größere Geldbeträge zum Kauf von Waren aufwendeten, die sie ohne die Aussicht auf eine Rückerstattung des Kaufpreises nicht gekauft hätten.

Am 02.12 2011 hat die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben.

Sie trägt vor, dass entgegen der tatbestandlichen Voraussetzung von § 3 Abs. 1 GlüStV die Teilnehmer an der von ihr geplanten Werbeaktion kein Entgelt entrichten müssten, um eine Gewinnchance zu erlangen. Vielmehr erhielten die Teilnehmer eine wertadäquate Gegenleistung in Form der Möbel, die sie unabhängig vom Ausgang der Aktion behalten dürften. Da die Kunden schlicht Waren kaufen würden, zu denen im Rahmen einer Werbeaktion zusätzlich eine Gewinnchance eingeräumt werde, stelle der Kaufpreis kein Entgelt für den Erwerb einer Gewinnchance im Sinne von § 3 Abs. 1 GlüStV dar, womit der Werbeaktion der glücksspielrechtliche Charakter fehle. Für die zusätzlich gewährten Gewinnchancen leiste der Teilnehmer damit bei wirtschaftlicher Betrachtung nichts. Auch das Angebot einer unentgeltlichen Alternative, wie sie der Landesgesetzgeber in Fällen der entgeltlichen Teilnahme voraussetze, sei aufgrund des unentgeltlichen Charakters der Werbeaktion nicht erforderlich. Eine Teilnahme ohne Warenkauf mache im Übrigen schon deshalb keinen Sinn, weil der Kunde im Erfolgsfalle dann nichts gewinnen könne. Darüber hinaus liege auch kein verstecktes Entgelt vor, da auch dieses voraussetze, dass es für den Erwerb einer Gewinnchance geleistet werde. Dies sei jedoch bei dem Kauf von Waren nicht der Fall, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass die potentiellen Neukunden allein wegen der Gewinnchance ansonsten unnötige Möbelkäufe tätigen würden. Der Annahme eines versteckten Entgelts stehe auch die Tatsache entgegen, dass die Klägerin sicherstelle, dass die Preise für die Einrichtungsgegenstände während des Aktionszeitraumes nicht angehoben würden. Eine Einpreisung des mit der Werbeaktion verbundenen Risikos zulasten der Kunden sei damit ausgeschlossen. Auch der Sinn und Zweck des Staatvertrages, welcher in der Suchtprävention liege, gebiete keine Erstreckung des Entgeltbegriffes auf den vorliegenden Fall. Es sei vielmehr offensichtlich, dass die einmalige Werbeaktion der Klägerin keine Suchtgefahr in sich berge, womit selbst für den Fall der Annahme eines Entgelts im vorliegenden Falle eine teleologische Reduktion geboten sei. Zuletzt sei es nicht nachvollziehbar, warum andere Unternehmen - darunter auch Konkurrenten der Klägerin - gegenwärtig und in der Vergangenheit vergleichbare Werbeaktionen unbeanstandet hätten durchführen dürfen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 02.11.2011 aufzuheben und festzustellen, dass eine Werbeaktion, mit der für den Fall, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt am Flughafen Stuttgart regnet, den Kunden, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums Waren im Wert von mindestens 100,- EUR bei ihr erworben haben, die Rückerstattung des Kaufpreises zugesichert wird, kein unerlaubtes Glücksspiel im Sinne des § 3 GlüStV darstellt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist erneut darauf, dass ein Entgelt im Sinne von § 3 Abs. 1 GlüStV immer schon dann gegeben sei, wenn der Spieler einen Vermögensbeitrag leisten müsse, um an dem Spiel teilnehmen zu können. Dass der Spieler neben der Teilnahmemöglichkeit noch eine weitere Leistung erhalte, stünde dem nicht entgegen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sich der Gesetzgeber im GlüStV bewusst von dem in der strafrechtlichen Judikatur gebräuchlichen Begriff des Einsatzes abgekehrt und sich für den weiten Begriff des Entgelts entschieden habe. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle ein Glücksspiel nur dann nicht vorliegen, wenn für die Teilnahme an dem Spiel kein Entgelt verlangt werde. Dies setze indes voraus, dass neben der entgeltlichen Teilnahmemöglichkeit eine gleichwertige, praktikable und unentgeltliche Alternative zur Teilnahme an dem Spiel angeboten werde. Hieraus gehe hervor, dass der Gesetzgeber nur dann das Vorliegen eines Glücksspiels verneint habe, wenn der Betroffene kein Vermögensopfer für die Teilnahme an dem Spiel aufbringen müsse. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass jedes Vermögensopfer für die Teilnahme an dem Spiel als Entgelt im Sinne des § 3 Abs. 1 GlüStV anzusehen sei. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass der Teilnehmer im Gegenzug Waren übereignet bekomme. Diese stellten lediglich eine Kompensation für das zuvor erbrachte Vermögensopfer dar, was nichts daran ändere, dass der Teilnehmer dennoch einen Beitrag aus seinem Vermögen erbringen müsse, um an dem Spiel teilnehmen zu können.

Für eine weite Auslegung des glücksspielrechtlichen Entgeltbegriffes spreche auch die Tatsache, dass eine Einpreisung des Risikos zulasten der Kunden im Einzelfall kaum dezidiert nachgewiesen werden könne. Eine solche Einpreisung könne etwa dadurch erfolgen, dass an sich betriebswirtschaftlich angezeigte Preissenkungen in der Erwartung der mit der Werbeaktion verbundenen Mehreinnahmen zurückgestellt würden. Eine teleologische Auslegung des Entgeltbegriffs spreche folglich dafür, bereits die Zahlung des Kaufpreises als glücksspielrechtliches Entgelt anzusehen und nicht noch zu fordern, dass ein Teil des Kaufpreises nachweislich zur Finanzierung des Spiels und der daraus folgenden Gewinne herangezogen werde.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ändere daran auch eine an dem Schutzzweck des GlüStV ausgerichtete Auslegung des Entgeltbegriffes nichts. Zu den Zielen des Gesetzes gehöre neben der Suchtbekämpfung auch die Lenkung des natürlichen Spieltriebs der Bevölkerung in geordnete Bahnen und die Begrenzung des Glücksspielangebots im Allgemeinen. Da die Klägerin letztlich versuche, sich den natürlichen Spieltrieb ihrer Kunden zunutze zu machen, indem sie ihnen anbiete, den von ihnen entrichteten Kaufpreis unter den zufallsabhängigen Voraussetzungen zurückzuerstatten, gebiete es dieses Ziel, Werbeaktionen wie die der Klägerin dem strengen Regime des GlüStV zu unterwerfen. Auch könne davon ausgegangen werden, dass viele Kunden erst im Hinblick auf die Gewinnchance Käufe tätigen, die sie an sich nicht vorgenommen hätten. Dann bestehe aber an sich kein Unterschied zu einem regulären Glücksspiel, bei dem man ein Los o.ä. kaufe, um hierdurch die Aussicht auf einen erheblichen Gewinn zu erlangen. Schließlich bestehe auch die Gefahr, dass durch die Werbeaktion Personen, die bislang kein Interesse an Glücksspielen zeigten, auf den Geschmack kämen, und in der Folge auch die klassischen Glücksspiele nachfragten. Dies konterkariere jedoch den Zweck des GlüStV, die Gelegenheit zum Glücksspiel allgemein zu begrenzen. Zuletzt sei zu berücksichtigen, dass es für jeden Anbieter von Glücksspielen ein Leichtes wäre, das staatliche Wettmonopol dadurch zu umgehen, dass der Spieler neben einer Gewinnchance auch noch einen Gegenwert in Form einer Übereignung eines Gegenstandes erhielte. Auch diese Schaffung von zusätzlichen Umgehungsmöglichkeiten stehe dem Zweck des GlüStV entgegen, womit auch vor diesem Hintergrund der Kaufpreis für die Ware als Entgelt im Sinne von § 3 Abs. 1 GlüStV betrachtet werden müsse.

Die Akten des Beklagten liegen dem Gericht vor. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf deren Inhalt sowie die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Gründe

Die Klage ist in der vorliegenden Klageart als Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig.

Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage). Nach Absatz 2 kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können.

Ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten liegt vor. Als Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis setzt voraus, dass zwischen den Beteiligten dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können (exemplarisch und umfassend Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.01.1992, BVerwGE 89, 327 mit weitgehenden und umfassenden Hinweisen auf die vorausgegangene Rechtsprechung). Der Streit der Beteiligten muss in Beziehung zu Bedeutung und Tragweite einer Vorschrift des öffentlichen Rechts im Hinblick auf einen konkreten Sachverhalt bestehen (so BVerwG, Urt. v. 26.01.1996 - BVerwGE 100, 262 - 275).

Diese Voraussetzungen liegen im Verhältnis der Beteiligten vor, denn zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die von der Klägerin geplante Werbeaktion den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags unterliegt.

Die Klägerin hat auch das nach § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der erstrebten Feststellung. Dieses Interesse schließt über ein rechtliches Interesse hinaus jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse auch wirtschaftlicher oder ideeller Art ein, wobei jedoch zur Vermeidung der dem Verwaltungsprozess fremden Popularklage die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden ist (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 29.06.1995, BVerwGE 99, 64). Das bedeutet, dass auch eine auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtete Klage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO nur zulässig ist, wenn es dem Kläger dabei um die Verwirklichung seiner Rechte geht, sei es, dass er an dem festzustellenden Rechtsverhältnis selbst beteiligt ist, sei es, dass von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte des Klägers abhängen. Der Klägerin kommt somit schon deshalb ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung zu, da sie hierdurch sicherstellen kann, dass sie sich bei der Durchführung der geplanten Aktion nicht gemäß § 284 StGB strafbar macht.

Die Feststellungsklage ist im vorliegenden Fall auch nicht gegenüber einer Anfechtung- oder Verpflichtungsklage subsidiär.

Eine Anfechtungsklage allein genügt nicht, um das Rechtschutzbegehren der Klägerin im geltend gemachten Umfang zu umfassen, denn im Hinblick darauf, dass eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für den angefochtenen feststellenden Bescheid des Beklagten nicht vorliegt, sondern allenfalls aufgrund einer Ableitung aus den dem Beklagten eingeräumten entsprechenden Befugnissen in Betracht kommt (vgl. BVerwG, U. v. 09.05.2001 - 3 C 2/01 -, BVerwGE 114, 226ff. m. w. N.), wäre dem Begehren der Klägerin jedenfalls dann nicht umfassend Rechnung getragen, wenn der Bescheid des Beklagten aus formalen Gründen aufgehoben würde.

Die Klägerin ist auch nicht auf die Möglichkeit einer Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Erlaubnis (§ 4 GlüStV) für die geplante Veranstaltung zu verweisen, da sie diese gerade nicht als Glücksspiel ansieht. Eine Klage mit dem Ziel, den Beklagten zur begehrten Feststellung zu verpflichten, kommt ebenfalls nicht in Betracht, da eine entsprechende Rechtsgrundlage für diesen Anspruch nicht vorhanden ist.

Die Klage ist auch begründet. Denn entgegen der Auffassung des beklagten Regierungspräsidiums stellt sich die Werbeaktion nicht als (unerlaubtes) Glücksspiel dar.

Nach § 3 Abs. 1 GlüStV liegt ein Glücksspiel vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist. Auch Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses sind Glücksspiele.

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Frage, ob die Klägerin für den Erwerb der Gewinnchance ein Entgelt verlangt. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht gegeben. Ungeachtet der Frage, inwieweit der für die Anwendung des § 284 StGB erforderliche Einsatz mit dem Begriff des für die Bejahung eines Glücksspiels im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages erforderlichen Entgelts übereinstimmt, ist nicht erkennbar, dass die Teilnahme an der Werbeaktion überhaupt gegen ein Entgelt des Kunden zumindest in verdeckter Form erfolgt. Das setzt nämlich voraus, dass der Kunde seine grundsätzliche Kaufentscheidung zumindest zusätzlich in der Absicht trifft, dass er mit seinem Kauf eine Gewinnchance erwirbt und nicht wesentlich daran orientiert, dass er Möbel bzw. Waren im Wert von mindestens 100,- EUR kauft. Im vorliegenden Fall gehört die Teilnahme am Gewinnspiel als Dreingabe zum Inhalt der von der Klägerin angebotenen Leistung. Sie ist kalkulatorisch nicht von der Preisgestaltung zu trennen und soll lediglich eine zusätzliche Anziehungskraft für den Erwerb der Ware beinhalten. Sie beinhaltet nicht den zusätzlichen gezielten Erwerb einer Teilnahmemöglichkeit an einem Gewinnspiel, d.h. es ist nicht erkennbar, dass der betreffende Verbraucher seine wirtschaftliche Entscheidung nicht mehr von den Eigenschaften der Waren und ihres Preises abhängig macht, sondern sie im Hinblick darauf trifft, dass ihm dadurch eine Gewinnchance eingeräumt wird, die über den konkreten Preis oder Gegenwert der Ware hinausgeht, und somit sachfremde Motive dafür maßgeblich sind. Das ergibt sich daraus, dass dem jeweiligen Verbraucher keine Gewinnmöglichkeit eröffnet wird, die den Wert der Ware übersteigt. Es handelt sich vielmehr um ein mit dem Kauf verknüpftes zusätzliches Leistungsangebot, nicht jedoch um eine zusätzlich eingeräumte gesonderte Gewinnchance. Entgegen der Auffassung des Beklagten geht der Teilnahme am Gewinnspiel kein Vermögensopfer voraus, denn der Kunde erhält die von ihm gekauften Waren. Die Einschätzung des Beklagten, dass dies lediglich eine Kompensation für das Vermögensopfer im Hinblick auf die erworbene Teilnahme am Gewinnspiel darstellen könnte, ist im Hinblick darauf, dass der Kunde den vollen Wert der Gegenstände behält, nur schwer nachvollziehbar, zumal er die Möglichkeit hat, sich innerhalb des Aktionszeitraums auf dem Möbelmarkt zu orientieren und ggf. andere attraktive Angebote mit entsprechenden Zugaben oder Rabattgestaltungen vorzuziehen.

Diese Einschätzung entspricht der wettbewerbsrechtlichen obergerichtlichen Rechtsprechung zu § 4 Abs. 6 UWG (vgl. BGH, U. v. 22.01.2009 - I ZR 31/06 -, NJW 2009, 997 und BGH GRUR 2007, 982), die sich daran orientiert, dass eine Differenzierung vorzunehmen ist, ob die Teilnahme an einem Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird oder ob es sich wie hier um ein Verfahren der konkreten Preisgestaltung handelt, bei welchem der Eintritt des ungewissen Ereignisses sich lediglich auf die vertragliche Gegenleistung in Form der Zahlung des Kaufpreises auswirkt, d.h. die entsprechende Kaufpreisvereinbarung unter einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) getroffen worden ist.

Diese Beurteilung steht auch nicht mit den Zielrichtungen des Glücksspielstaatsvertrags in Widerspruch, wie sie in dessen § 1 ausdrücklich aufgeführt sind. Danach sind Ziele des Staatsvertrags 1. das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen, 2. das Glücksspielangebot zu begrenzen und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete Bahnen zu lenken; insbesondere ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern, 3. den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten, 4. sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt und die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden.

Entgegen der Auffassung des Beklagten, wie sie dieser in der mündlichen Verhandlung vertreten hat, ist für das Gericht das Risiko einer Einstiegsdroge in die Glücksspiel- bzw. Wettsucht durch die zusätzliche Dreingabe einer Teilnahmemöglichkeit an einem Gewinnspiel in Form einer sich auf den Kaufpreis auswirkenden Gewinngestaltung nicht naheliegend. Dass einzelne Werbeaktionen, die die Möglichkeit des Entfallens des Kaufpreises der erworbenen Waren beinhalten, geeignet sind, den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung von geordneten und überwachten allgemeinen Angeboten abzulenken, ist ebenfalls nicht erkennbar. Die Einhaltung des Jugendschutzes erscheint im Hinblick auf die allgemeinen Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit nicht bedroht. Potentiell betrügerischen Machenschaften, die angesichts der im konkreten Fall objektivierbaren Modalitäten weder ersichtlich sind noch sich aufdrängen, kann durch die allgemein den Verbraucher schützenden Regelungen vorgebeugt bzw. können diese strafrechtlich sanktioniert werden.

Da es somit bereits an einem Entgelt für die Teilnahme an dem Gewinnspiel fehlt, fällt die geplante Werbeaktion nicht unter § 3 GlüStV. Dass durch die Aktion Verkaufsentscheidungen ggf. vorgezogen oder bei der Klägerin realisiert werden, sind Gesichtspunkte, die jeder Werbeaktion immanent sind. Wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte und allgemeine verbraucherschützende Gesichtspunkte zu beurteilen, unterliegt jedoch nicht der Kompetenz des Beklagten.

Angesichts dessen hat der Feststellungsantrag der Klägerin in vollem Umfang Erfolg.

Somit ist auch der angefochtene Bescheid des beklagten Regierungspräsidiums aufzuheben, da die beabsichtigte Werbeaktion mangels Entgelts kein Glücksspiel im Sinne des § 3 GlüStV ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 1 S. 1 und § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft.

Beschluss vom 15.03.2012

Der Streitwert wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf EUR 5.000,00 festgesetzt.






VG Stuttgart:
Urteil v. 15.03.2012
Az: 4 K 4251/11


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