Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 4. Juni 2009
Aktenzeichen: L 9 AL 166/06

(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 04.06.2009, Az.: L 9 AL 166/06)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.11.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Bewilligung von Insolvenzgeld an die Klägerin für die Zeit vom 15.02.2004 bis zum 09.03.2004 im Streit.

Die Klägerin beantragte am 25.05.2004 die Gewährung von Insolvenzgeld bei der Beklagten. Sie führte aus, entsprechend dem von ihr vorgelegten - durch den Aufsichtsratsvorsitzenden L und den Vorstand C unterzeichneten - Arbeitsvertrag vom 07.02.2004 ab dem 15.02.2004 bei der Firma "P AG" mit Sitz in der X-straße 00, L, als Assistentin des Sekretariats mit einer vereinbarten Vergütung von 25.000,- EUR pro Jahr angestellt gewesen zu sein. Das Angestelltenverhältnis sei mit Ablauf des 09.03.2004 durch ihre eigene Kündigung beendet worden. Während ihrer Beschäftigungszeit habe sie keinen Lohn erhalten. Sie habe gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin Anspruch auf Zahlung von insgesamt 1.927,39 EUR.

Die P AG war zu keinem Zeitpunkt in das Handelsregister eingetragen. Dort war lediglich die P Holding GmbH, deren alleiniger Gesellschafter L L seit August 2003 war, verzeichnet. Im November 2004 wurde die P Holding GmbH wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht. Bereits am 15.12.2003 gab die GmbH drei eidesstattliche Versicherungen ab. Beide Firmen hatten ihren Sitz unter der gleichen Anschrift in L.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Insolvenzgeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.08.2005 ab und führte aus, ein Insolvenztatbestand nach Maßgabe des § 183 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) habe nicht ermittelt werden können. Beim Amtsgericht Köln sei über das Vermögen der P AG ein Insolvenzantrag gestellt worden, der als unzulässig abgewiesen worden sei. Der Aufsichtsratsvorsitzende der P AG, Herr L, sei unbekannten Aufenthaltes. Daher könnten von ihm keine Angaben zur vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit und Zahlungsunfähigkeit eingeholt werden.

Ihren hiergegen am 01.10.2005 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sich ihre Ansprüche nicht gegen die P AG richten könnten, da die AG zu keiner Zeit existent gewesen sei. Tatsächlicher Arbeitgeber sei die P Holding GmbH gewesen, die in die AG habe umgewandelt werden sollen. Gegen die P Holding GmbH lägen auch von anderen Arbeitnehmern Urteile auf Zahlung des Arbeitsentgeltes vor. Die GmbH habe bereits mehrfach die eidesstattliche Versicherung abgegeben und ihre Tätigkeit eingestellt.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2006 als unbegründet zurück und führte aus: Eine Eintragung der P AG in das Handelsregister sei nicht erfolgt. Für die AG sei als Aufsichtsratsvorsitzender ein Herr L aufgetreten, der nach Medienberichten in der Vergangenheit mehr als 50 Scheinfirmen gegründet habe. Für die P AG sei die Einstellung von 500 Mitarbeitern angekündigt worden. Etwa 3000 Interessenten hätten sich beworben, von denen nach Angaben der Klägerin nahezu 100 Bewerber eingestellt worden seien, ohne Gehalt erhalten zu haben. Unter der Adresse der P AG sei auch die P Holding GmbH gemeldet gewesen, die Herr L durch notariell beglaubigten Vertrag vom 19.08.2003 erworben habe. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der P AG sei durch das Amtsgericht Köln als unzulässig abgewiesen worden, da die Antragsteller ihre Befugnis zur Stellung des Antrages nicht nachgewiesen hätten. Der Antrag der Klägerin auf Insolvenzgeld sei jedenfalls deshalb abzulehnen, weil es an dem erforderlichen offenen Anspruch auf Arbeitsentgelt fehle. Die AG sei mangels Eintragung im Handelsregister nicht entstanden und scheide als Schuldnerin einer Forderung aus. Eine Haftung des Herrn L nach § 41 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG) komme schon deshalb nicht in Betracht, weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Vorgesellschaft gegründet worden sei, die die Voraussetzungen des § 23 AktG erfülle. Auch eine Haftung des Herrn L in entsprechender Anwendung des § 179 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) begründe wegen subjektiver Unmöglichkeit, als offensichtlich vermögensloser Privatmann etwa 100 Arbeitnehmer zu beschäftigen und zu vergüten, lediglich einen Anspruch auf Schadensersatz, jedoch keine Forderung auf Arbeitsentgelt. Die GmbH sei zu keinem Zeitpunkt als Vertragspartnerin aufgetreten. Im Übrigen habe die Klägerin auch eine tatsächliche Arbeitsaufnahme nicht vorgetragen.

Am 06.03.2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages sei ihr - ebenso wie der Beklagten - nicht bekannt gewesen, dass es die AG noch gar nicht gegeben habe. In ihrem arbeitsgerichtlichen Verfahren habe sich sogar eine L Kanzlei für die P AG bestellt und Prozesshandlungen vorgenommen. Sie habe zunächst vorsorglich gegen beide Firmen geklagt. Als später bekannt geworden sei, dass es die AG nicht gegeben habe, habe sie insoweit ihre Klage zurückgenommen. Die P GmbH sei jedoch vom Arbeitsgericht Köln zur Zahlung des vereinbarten Arbeitsentgeltes für die Dauer des Arbeitsverhältnisses verurteilt worden. Auch in verschiedenen Arbeitsgerichtsprozessen von Kollegen sei deren Anspruch auf Lohnzahlung gegenüber der P Holding GmbH festgestellt worden. Dennoch weigere sich die Beklagte, Insolvenzgeld zu bewilligen. Die Beklagte sei fälschlich der Ansicht, bei der Insolvenzgeldbewilligung sei allein auf die AG abzustellen, obwohl diese niemals existiert habe. Bei der P Holding GmbH sei unterdessen Vermögenslosigkeit eingetreten, so dass auch sie die Betriebstätigkeit eingestellt habe. Die Vollstreckung aus dem von ihr erwirkten Versäumnisurteil sei deshalb erfolglos verlaufen. Die Beklagte habe sie selber in die Stelle bei der nicht existenten P AG vermittelt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2006 zu verurteilen, ihrem Antrag auf Bewilligung von Insolvenzgeld stattzugeben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Köln sei für sie nicht bindend. Sie könne nicht alle Firmen hinter den bei ihr aufgegebenen Stellenanzeigen vor der Vermittlung kontrollieren. Es obliege vielmehr dem Bewerber selbst, sich von der Seriosität eines Arbeitgebers zu überzeugen. Aus dem Arbeitsverhältnis zur P AG lasse sich kein Arbeitsverhältnis zur P Holding GmbH fingieren. Soweit der ebenfalls eingestellten Frau M Insolvenzgeld bewilligt worden sei, sei dies dem Umstand geschuldet, dass die GmbH in diesem Einzelfall einen Arbeitsentgeltanspruch gegen sich - wenn auch ohne Rechtsgrund per Vergleich - anerkannt habe.

Mit Urteil vom 10.11.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe bereits kein insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt für die Beschäftigungszeit vom 15.02.- 09.03.2004 zu beanspruchen. Ein Arbeitsverhältnis zur existierenden Firma P Holding GmbH habe nicht bestanden. Zwar habe die Klägerin durch Versäumnisurteil vor dem Arbeitsgericht Köln einen entsprechenden Titel auf Zahlung von Arbeitsentgelt gegen die Firma P Holding GmbH erwirkt. An dieses Versäumnisurteil sei die Kammer jedoch nicht gebunden. Maßgeblich für die Beurteilung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin sei der Arbeitsvertrag zwischen der Firma P AG und der Klägerin vom 07.02.2004. Zwar hätten sowohl die P AG als auch die Firma P Holding GmbH unter derselben Anschrift in L residiert. Allein die identische Adresse reiche aber vor dem Hintergrund des Inhalts des Arbeitsvertrages nicht aus, auf ein Arbeitsverhältnis zur Firma P Holding GmbH zu schließen.

Ansprüche auf Arbeitsentgelt gegenüber der Firma P AG bestünden ebenfalls nicht, da die Firma P AG bei Abschluss des Arbeitsvertrages vom 07.02.2004 nicht existent gewesen und nie in das Handelsregister eingetragen worden sei. Die Klägerin könne auch keine Ansprüche auf Arbeitsentgelt auf der Grundlage der Handelndenhaftung bei einer Aktiengesellschaft in Gründung nach § 41 Abs. 1 S. 2 AktG geltend machen. Nach § 41 Abs. 1 S. 2 AktG hafte, wer vor Eintragung der Aktiengesellschaft in ihrem Namen handele. Diese Haftung setze voraus, dass die Gesellschaft bereits errichtet, aber noch nicht in das Handelsregister eingetragen sei. Hierfür bedürfe es der Feststellung der notariell beurkundeten Satzung im Sinne von § 23 AktG, die für die P AG gerade nicht vorliege. Eine entsprechende Bevollmächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden L oder des mit unterzeichnenden Vorstandes C sei nicht erkennbar. Soweit darüber hinaus grundsätzlich eine Haftung des Handelnden nach § 179 BGB in Betracht komme, werde nach der Rechtsprechung des BAG dadurch lediglich ein sekundärer Anspruch auf Schadensersatz, nicht aber ein Anspruch auf Arbeitsentgelt begründet. Dieser Anspruch sei nicht insolvenzgeldfähig nach § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III.

Gegen das ihr am 27.11.2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 27.12.2006 eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ergänzend vorträgt, das Sozialgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass kein Arbeitsverhältnis zur existierenden P Holding GmbH bestanden habe. Diese habe auch unter dem 29.03.2004 die Kündigung der Klägerin bestätigt. Auch habe die P Holding GmbH in die AG umgewandelt werden sollen. In einer vergleichbaren Konstellation habe die Beklagte der betreffenden Kollegin Insolvenzgeld gezahlt. Nach dem arbeitsgerichtlichen Versäumnisurteil sei auch davon auszugehen, dass die P Holding GmbH ihre Arbeitgeberin gewesen sei, da das Arbeitsgericht immerhin die Schlüssigkeit des Vortrages geprüft haben müsse. Aus einem Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 30.08.2007 gehe zudem hervor, dass gegenüber der P AG i.Gr. für die Zeit vom 15.01-27.06 2004 Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von 149.503,72 EUR erhoben würden. Soweit demnach Beiträge auch für die Klägerin bei der P AG i.Gr. bzw. dem verantwortlich Handelnden L L gefordert würden, sei es denknotwendig, dass auch entsprechende Arbeitnehmeransprüche auf Insolvenzgeld geltend gemacht werden könnten. Es handele sich auch nicht um eine bloße Bezifferung nicht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge, sondern um Bescheide der Rentenversicherung. L sei bereits mehrfach einschlägig in Erscheinung getreten. Gegen ihn seien mehrere Strafverfahren anhängig.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.11.2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2006 zu verurteilen, ihr Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und verweist darauf, dass die Klägerin in keinem Rechtsverhältnis zur P GmbH gestanden habe. Eine wirtschaftliche oder rechtliche Identität zwischen der P GmbH und dem Pseudonym P AG lasse sich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt konstruieren. Soweit sich die Klägerin auf den Fall einer Kollegin berufe, sei dieser Sachverhalt gerade nicht vergleichbar, weil die P GmbH im Fall der Kollegin einen Arbeitsentgeltanspruch per Vergleich anerkannt habe. Aus dieser Einzelfallentscheidung könne die Klägerin keine Rechte herleiten. Der Versuch, zwischen der Bezifferung eines Schadens im Hinblick auf nicht entrichtete Sozialversicherungsbeiträge durch die Deutsche Rentenversicherung und Ansprüchen der Klägerin auf Insolvenzgeld einen Zusammenhang herzustellen, gehe ins Leere, weil das Insolvenzgeld nicht aus Sozialversicherungsbeiträgen finanziert werde. Sie verweise auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 06.07.2007 - L 3 AL 54/06 -.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akte 109-8/06 des Landgerichts Köln. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Insolvenzgeld nach Maßgabe des § 183 SGB III für die Zeit vom 15.02.2004 bis zum 09.03.2004 besteht nicht.

Nach § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei (1.) Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, (2.) Abweisung des Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (3.) vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Es mangelt an einem Insolvenzereignis nach Maßgabe des § 183 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-3 SGB III.

Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitsgebers nach Maßgabe des § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III ist nicht eröffnet. Weder über das Vermögen der P AG noch über das Vermögen der P Holding GmbH, die zudem im November 2004 wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht wurde, war ein Insolvenzverfahren anhängig. Allerdings betont der Senat, dass die P Holding GmbH nicht Arbeitgeberin der Klägerin war. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil. Insoweit genügt die bloße Adressidentität der Firmen genauso wenig zur Herleitung der Arbeitgebereigenschaft der GmbH wie das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Köln, das lediglich eine Schlüssigkeitsprüfung vorgenommen hat. Die P Holding GmbH ist zu keinem Zeitpunkt als Arbeitgeberin in Erscheinung getreten. Ein Insolvenzverfahren ist auch über das Vermögen des als Aufsichtsratsvorsitzender der P AG in Erscheinung getretenen Herrn L nicht eröffnet.

Ebenso ist kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden (§ 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III). Der beim Amtsgericht Köln unter dem Az. 71 IN 150/04 anhängig gewesene Eröffnungsantrag über das Vermögen der P AG wurde mit Beschluss vom 22.03.2004 als unzulässig - nicht aber mangels Masse - abgewiesen.

Die danach allenfalls in Betracht kommende Variante des § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III erfasst schon nach ihrem Wortlaut Fälle nicht, in denen ein (vermeintlicher) Arbeitgeber bereits zu Beginn einer etwaigen betrieblichen Tätigkeit zahlungsunfähig ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 06.07.2007 - L 3 AL 54/06 -). Die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit ist als Insolvenzereignis nur beachtlich, wenn sie auf Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen ist. Eine offensichtliche Zahlungsunfähigkeit bereits bei Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit wird hiervon nicht erfasst (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, a.a.O., m.w.N.). Die Zahlungsunfähigkeit ist dabei von der Zahlungsunwilligkeit zu unterscheiden, der für das Insolvenzgeld keine leistungsauslösende Wirkung beigemessen werden kann. Die Insolvenzgeldversicherung dient nicht der Absicherung der faktischen Sicherstellung für Arbeitnehmertätigkeit, die vom Arbeitgeber von vornherein nicht bezahlbar war. Versichert ist im Rahmen der Insolvenzgeldversicherung die Nichterfüllung der Zahlungspflichten eines Arbeitgebers vielmehr nur dann, wenn er in Vermögensverfall geraten ist. Zumindest bei Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit muss demnach noch Zahlungsfähigkeit bestanden haben.

Vorliegend war die P AG nicht einmal rechtlich existent, geschweige denn, dass von Zahlungsfähigkeit ausgegangen werden könnte. Alle vorhandenen Indizien deuten darauf hin, dass der "Firma" kein Geld zur Verfügung stand. Es handelt sich letztlich um eine mit betrügerischer Absicht konstruierte Scheinfirma, bei der eine Bezahlung der Arbeitnehmer von vornherein ausgeschlossen war. Dem Schutz von - auch gutgläubigen - Arbeitnehmern vor derartigen Risiken dient das Straf - und/oder Schadensersatzrecht, nicht aber das Insolvenzgeld.

Gegen die vorstehenden Erwägungen spricht auch nicht § 183 Abs. 2 SGB III. Zwar ist dort auch vorgesehen, dass ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses die Arbeit aufnimmt, Anspruch auf Insolvenzgeld haben kann, doch ist bezogen auf die die dritte Variante des § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III nicht vorstellbar, dass ein Arbeitnehmer in Unkenntnis der vollständigen Einstellung der Betriebstätigkeit noch Arbeit aufnehmen kann. § 183 Abs. 2 SGB III ist vor diesem Hintergrund nur bezüglich der ersten beiden Varianten des § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III von Bedeutung. Vor diesem Hintergrund braucht auch der Frage nicht weiter nachgegangen zu werden, ob die Klägerin für eine Scheinfirma, die nach allen vorliegenden Informationen zu keinem Zeitpunkt eine Geschäftstätigkeit entfaltet hat, überhaupt die Arbeit aufnehmen konnte.

Im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III führt es auch zu keinem anderen Ergebnis, wenn als Arbeitgeber Herr L als Unterzeichner des Arbeitsvertrages anzusehen wäre, was der Senat vorliegend offen lassen kann. Denn bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Herrn L sind auch durch das inzwischen vorläufig eingestellte Strafverfahren vor dem Landgericht Köln (Az. 109-8/06) keine verwertbaren Erkenntnisse vermittelt worden. Zwar deuten insoweit einige Indizien - wie etwa die Lebensumstände des Herrn L in den Monaten zu Beginn des Jahres 2004 - darauf hin, dass er nicht über nennenswerte Vermögenswerte verfügt hat , doch lassen sich die wirtschaftlichen Gegebenheiten des Herrn L schon aufgrund seiner derzeitigen Aufenthaltsverhältnisse nicht zugunsten der Klägerin in dem Sinne aufklären, dass von offensichtlicher Masselosigkeit nach § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III auszugehen wäre. Auch verwertbare Informationen zur Frage, wann die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit zu verzeichnen war, liegen nicht vor. Selbst wenn aber bei Herrn L von offensichtlicher Vermögenslosigkeit auszugehen wäre, hätten diese Vermögensverhältnisse auch schon zu dem Zeitpunkt bestanden, als Herr L begann, sich als Aufsichtsratsvorsitzender der P AG zu gerieren und Einstellungen von Arbeitnehmern vorzunehmen. Nach den oben für die P AG formulierten Erwägungen wäre dann wiederum der Insolvenztatbestand des § 183 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III von vornherein nicht anzunehmen.

Ein Insolvenzgeldanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus dem von ihr geltend gemachten Fehlverhalten der Beklagten bei der Vermittlung an die P AG. Denn ein daraus resultierender sozialrechtlicher Herstellungsanspruch würde - ein Fehlverhalten der Beklagten unterstellt - nicht zu einem Anspruch der Klägerin auf Insolvenzgeld führen, da sie ohne die Vermittlung der Beklagten arbeitslos geblieben wäre und ebenfalls kein Insolvenzgeld hätte beziehen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).






LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 04.06.2009
Az: L 9 AL 166/06


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