Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Oktober 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 67/00

(BPatG: Beschluss v. 26.10.2000, Az.: 25 W (pat) 67/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Januar 2000 insoweit aufgehoben, als wegen des Widerspruchs aus der Marke 612 360 die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet worden ist.

Dieser Widerspruch wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung TILIN ist am 23. August 1995 für "pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse" in das Markenregister eingetragen worden. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 20. Januar 1996. Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat im Beschwerdeverfahren das Warenverzeichnis der jüngeren Marke auf "pharmazeutische Erzeugnisse, nämlich Analgetika, Antiphlogistika, Antirheumatika und Narkosemittel" beschränkt.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 8. Oktober 1951 für "Arzneimittel, pharmazeutische Drogen und Präparate" eingetragenen Marke 612 360 Tridin, deren Benutzung bestritten ist, ausgenommen für ein Mineralstoffpräparat zur Behandlung der Osteoporose. Eine weitergehende Benutzung wird von der Widersprechenden nicht geltend gemacht.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in dem angefochtenen Beschluß die Verwechslungsgefahr zwischen den Marken bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Ausgehend von einer Benutzung der Widerspruchsmarke zur Kennzeichnung eines Osteoporosemittels und der mit "pharmazeutischen Erzeugnissen" möglichen Warenidentität sowie einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke müßten strenge Anforderungen an den Markenabstand gestellt werden. Diese seien wegen der erforderlichen Einbeziehung von Laien noch zu verschärfen und würden in klanglicher Hinsicht wegen der dominierenden Übereinstimmungen der Markenwörter in der Silbenanzahl, der Betonung, der Vokalfolge und der gemeinsamen Lautfolge "T-iin" nicht eingehalten.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke, die keinen Antrag gestellt hat. Eine Verwechslungsgefahr bestehe auch in klanglicher Hinsicht nicht, da die Waren aufgrund der Beschränkung des Warenverzeichnisses nunmehr einen deutlichen Abstand aufwiesen, Osteoporosemittel - wie auch das mit der Widerspruchsmarke gekennzeichnete Präparat - generell rezeptpflichtig seien und deshalb den insoweit maßgeblichen Fachkreisen die Unterschiede der in jeder Silbe deutlich abweichenden Markenwörter sofort auffielen.

Die Widersprechende hat gleichfalls keinen Antrag gestellt und ausführt, daß auch angesichts der Beschränkung des Warenverzeichnisses der jüngeren Marke der Widerspruch aufrechterhalten werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß sowie die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG). Sie ist auch in der Sache begründet, da nach Auffassung des Senats unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren maßgeblichen Warenkonstellation keine Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht. Der Widerspruch ist deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen, §§ 42 Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG.

Der Senat geht bei seiner Entscheidung mangels entgegenstehender Anhaltspunkte von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus.

Nachdem die Inhaberin der angegriffenen Marke die nach § 43 Abs 1 MarkenG mögliche Einrede mangelnder Benutzung der Widerspruchsmarke für alle Waren mit Ausnahme für ein Mineralstoffpräparat zur Behandlung der Osteoporose erhoben und die Widersprechende eine weitergehende Benutzung auch nicht behauptet hat, ist für die Beurteilung der Warenähnlichkeit im Rahmen der Integrationsfrage auf Seiten der Widerspruchsmarke von diesen Waren (vgl hierzu das Arzneimittelverzeichnis "Rote Liste" zu der Hauptgruppe 68 "Osteoporosemittel/Calciumstoffwechselregulatoren"), ganz allgemein und mangels entgegenstehender Festschreibung im Warenverzeichnis ohne Beschränkung auf eine Rezeptpflicht, bestimmte Darreichungsformen oder enthaltene Wirkstoffe auszugehen (st Rspr, vgl BPatG Mitt 1979, 223 - Mastu; vgl allgemein zur Integrationsfrage BGH GRUR 1990, 39 ff - Taurus - und GRUR 1999, 164, 165 - JOHN LOBB). Diesen stehen mit den für die jüngere Marke nunmehr noch beanspruchten Analgetika, Antiphlogistika, Antirheumatika und Narkosemitteln Arzneimittel gegenüber, die hierzu einen sehr beträchtlichen Indikationsunterschied aufweisen, was die Gefahr von Verwechslungen deutlich mindert. Hierbei sind entgegen der Ansicht der Inhaberin der angegriffenen Marke auch auf Seiten der Widerspruchsmarke mangels Festschreibung einer Rezeptpflicht im Warenverzeichnis für die Beurteilung der maßgeblichen Verkehrskreise Laien miteinzubeziehen, auch wenn in tatsächlicher Hinsicht Arzneimittel der Hauptgruppe 68 der Roten Liste nahezu ausschließlich oder bzgl der eigentlichen Osteoporosepräparate ausschließlich der Rezeptpflicht unterliegen. Auch soweit danach Laien zu berücksichtigen sind, ist allerdings zu beachten, daß grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTACHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände sind an den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG von der jüngeren Marke einzuhaltenden Markenabstand jedenfalls keine strengen Anforderungen mehr zu stellen. Diese sind nach Auffassung des Senats in jeder Hinsicht eingehalten, so daß der Widerspruch zurückzuweisen war.

Danach unterscheiden sich die gegenüberstehenden Markenwörter auch in klanglicher Hinsicht ihrem jeweiligen Gesamteindruck nach noch hinreichend, da sie trotz nicht unerheblicher Übereinstimmungen und Annäherungen der Laute in beiden Sprechsilben konsonantische Unterschiede aufweisen, die nicht unbemerkt bleiben. Schon das "r" tritt nach dem "t" hier auffälliger in Erscheinung als dies in manchen anderen Lautkombinationen der Fall ist. Hinzu kommt, daß auch die jeweils zweite Sprechsilbe der Markenwörter unterschiedliche Konsonanten aufweist, deren Abweichung zwischen den jeweils gleichlautenden Vokalen verhältnismäßig deutlich hervortritt. Insgesamt ist deshalb ein hinreichend sicheres Auseinanderhalten der Wörter aufgrund ihres unterschiedlichen klanglichen Gesamteindrucks gewährleistet, auch wenn erfahrungsgemäß die Auffassung des Verkehrs eher von einem undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt ist (vgl hierzu auch EuGH MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd / Loints).

Ebenso weisen die Marken im Schriftbild in jeder üblichen Schreibweise aufgrund der Abweichungen in ihrer Buchstabenkontur, insbesondere des in der Widerspruchsmarke hinzukommenden Buchstabens "r", eine hinreichenden Markenabstand auf, zumal es sich vorliegend um kurze Markenwörter handelt, bei denen bereits geringfügige Abweichungen stärker ins Gewicht fallen und das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende gesprochene Wort.

Nach alledem erweist sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke als begründet.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Knoll Engels Pü






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Beschluss v. 26.10.2000
Az: 25 W (pat) 67/00


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