Bundesgerichtshof:
Urteil vom 4. November 2010
Aktenzeichen: I ZR 118/09

(BGH: Urteil v. 04.11.2010, Az.: I ZR 118/09)

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. Juli 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte, eine selbständige Lebensmittelchemikerin, war für eine in Österreich ansässige Gesellschaft tätig. Auf deren Veranlassung äußerte sich die Beklagte mit Schreiben vom 3. Mai 2005 zu der Frage, ob in Österreich als Lebensmittel oder Nahrungsmittel eingestufte Produkte in Deutschland als nicht verkehrsfähig angesehen werden dürfen. In der Stellungnahme erwähnte die Beklagte zunächst Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und führte anschließend auszugsweise aus:

Beide Urteile bestätigen, dass die Verwaltungspraxis sowohl in Deutschland als auch in Österreich mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs nicht immer vereinbar ist. Es kann natürlich vorkommen - und da ist die Skepsis Ihrer Kundschaft berechtigt -, dass durch fehlerhaftes Handeln einer schlecht informierten, staatlichen Administration Störungen im Verkehr mit Lebensmitteln vorkommen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, für sein gutes Recht zu kämpfen bzw. die Verhältnisse lebensmittelrechtlich korrekt darzustellen. In sehr vielen Fällen lässt sich eine Eskalation bei sofortiger Reaktion und kompetenter Beantwortung der Fragen z.B. eines Landratsamts das Missverständnis aus dem Weg räumen. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass die Gegenwehr Ihrer Kundschaft zuzumuten ist. Es ist unbedingt zu raten, den Kunden die Bestätigung der Verkehrsfähigkeit aus Österreich in Kopie zur Verfügung zu stellen, damit bei Kontrollen der Überwachung sofort eine Legitimation vorweisbar ist. Bei jedem Gutachten, das in einem Land der EU ausgestellt worden ist, muss man zunächst davon ausgehen, dass der Unterzeichner aufgrund der ihm vorliegenden Informationen Risiken abgewogen und Rechtsnormen beachtet hat. Für den Besitzer eines solchen Gutachtens oder seiner Kopie, zusammen mit der Produktspezifikation, bedeutet dies, dass er seiner Sorgfaltspflicht im Verkehr mit Lebensmitteln nachgekommen ist. Die Ausnahmen von der Durchgängigkeit des Lebensmitteltransfers durch die Hoheitsgebiete der EU ergeben sich aus selteneren, hygienespezifischen Parametern für ein Lebensmittel.

Beispiel: angenommen, es ließ sich aus klimatischen Gründen nicht vermeiden, dass in Südeuropa ein Lebensmittel mit höherem Gehalt eines Pestizides als der entsprechenden Höchstmenge in der RL 86/362/EU (mit aktuellen Ergänzungen) angegeben ist, und ein südeuropäisches EU-Land hat eine Ausnahme explizit zugelassen, dann kann ein solches Produkt z.B. nicht einfach ohne Beachtung der Hygienekompetenz der Länder Österreich oder Deutschland nach dort verbracht werden. Statt dessen müsste auch in diesen Ländern die entsprechende hoheitliche Erlaubnis, in Deutschland nennt man dies Allgemeinverfügung, eingeholt werden. Ist national, z.B. in D. eine einmal erteilte Allgemeinverfügung aufgehoben worden, so gilt, dass ein entsprechendes Produkt in D. eben auch nicht verkehrsfähig wäre.

Grundsätzlich gilt also, dass der Warenverkehr innerhalb der EU ohne Vorbehalte laufen muss, weil alle denselben Rechtsnormen unterworfen sind.

Bei Einfuhren aus Drittländern kann es schon eher vorkommen, dass ein Lebensmittel nicht den EU-Rechtsnormen, damit natürlich auch nicht den nationalen Normen bezüglich Zusammensetzung, Hygiene und Deklaration entspricht.

Die in diesem Schreiben skizzierte Unsicherheit ist - jedenfalls in Deutschland - leider Alltag für die am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Kreise.

Dieses Schreiben ist von mir aus offen für alle, die es betreffen kann. Bei Fragen bin ich jederzeit ansprechbar.

Die Klägerin, eine bundesweit tätige Rechtsanwaltsgesellschaft, hat das Schreiben der Beklagten vom 3. Mai 2005 wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz für wettbewerbswidrig gehalten.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt, der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts geschäftsmäßig Rechtsrat zu erteilen, soweit sich dieser nicht im Rahmen der im Rahmen des Rechtsdienstleistungsgesetzes zugelassenen Ausnahmen bewegt und/oder nicht von der zuständigen Behörde hierfür eine Erlaubnis erteilt ist.

Die Beklagte hat sich darauf berufen, die in dem beanstandeten Schreiben erteilte Auskunft sei keine unerlaubte Rechtsberatung.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat in dem beanstandeten Verhalten einen Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz und das Rechtsdienstleistungsgesetz gesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Unterlassungsantrag sei hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. In der Sache sei der Unterlassungsanspruch nach § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit Art. 1 § 1 RBerG begründet. Die Beklagte habe mit der Auskunft und den Ratschlägen im Schreiben vom 3. Mai 2005 gegenüber der österreichischen Gesellschaft ohne behördliche Erlaubnis geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorgt. Die Rechtsberatung sei keine bloße Hilfstätigkeit zur Tätigkeit eines Lebensmittelchemikers und stehe mit ihr auch nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang im Sinne von Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG; es handele sich vielmehr um die typische Tätigkeit eines Rechtsanwalts. Die Tätigkeit der Beklagten sei auch nicht mit den Bestimmungen des während des Prozesses in Kraft getretenen Rechtsdienstleistungsgesetzes vereinbar.

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt der verallgemeinernd gefasste Unterlassungsantrag nicht dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und ist deshalb unzulässig.

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bliebe (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - I ZR 191/03, GRUR 2007, 607 Rn. 16 = WRP 2007, 775 - Telefonwerbung für "Individualverträge"; Urteil vom 5. Oktober 2010 - I ZR 46/09 Rn. 10 - Verbotsantrag bei Telefonwerbung).

b) Der Unterlassungsantrag, mit dem der Beklagten verboten werden soll, ohne behördliche Erlaubnis auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts geschäftsmäßig Rechtsrat zu erteilen, soweit keine im Rahmen des Rechtsdienstleistungsgesetzes vorgesehene Ausnahme vorliegt, genügt diesen Anforderungen nicht.

aa) Der verallgemeinernd formulierte Antrag ist unbestimmt, weil mit der Verwendung des Begriffs "Rechtsrat" unklar bleibt, was der Beklagten konkret verboten werden soll. Die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe im Klageantrag zur Bezeichnung der zu untersagenden Handlung ist allerdings hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Verurteilung zweckmäßig oder sogar geboten, wenn über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe kein Zweifel besteht, so dass die Reichweite von Antrag und Urteil feststeht (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2007 - I ZR 12/05, GRUR 2008, 357 Rn. 22 = WRP 2008, 499 - Planfreigabesystem). Davon ist im Regelfall auszugehen, wenn über die Bedeutung des an sich auslegungsbedürftigen Begriffs zwischen den Parteien kein Streit besteht und objektive Maßstäbe zur Abgrenzung vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2000 - I ZR 28/98, BGHZ 144, 255, 263 - Abgasemissionen) oder wenn zum Verständnis des Begriffs auf die konkrete Verletzungshandlung und die gegebene Klagebegründung zurückgegriffen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2003 - I ZR 23/01, GRUR 2004, 151, 152 = WRP 2004, 227 - Farbmarkenverletzung I, insoweit nicht in BGHZ 156, 126; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 202/07, GRUR 2010, 749 Rn. 21 = WRP 2010, 1030 - Erinnerungswerbung im Internet). Beides ist vorliegend nicht der Fall. Zum einen ist zwischen den Parteien umstritten, was unter Rechtsrat zu verstehen ist und ob die Beklagte mit dem beanstandeten Schreiben der Empfängerin einen Rechtsrat erteilt hat. Zum anderen ist das von der Klägerin beantragte Verbot nicht auf die konkrete Verletzungsform beschränkt, weil es aufgrund des ganz allgemein gehaltenen Begriffs "Rechtsrat" über die Erteilung der konkreten Auskunft im Schreiben vom 3. Mai 2005 zur Verkehrsfähigkeit von aus Österreich stammenden Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland hinausgeht. Aus dem von der Revisionserwiderung zur Stützung ihrer gegenteiligen Ansicht herangezogenen Vorbringen der Klägerin folgt keine Beschränkung des Unterlassungsantrags auf die konkrete Verletzungsform.

bb) Der Antrag ist aber auch deshalb unbestimmt, weil er in seinem "Soweit"-Teil allgemein auf im Rahmen des Rechtsdienstleistungsgesetzes zugelassene Ausnahmen Bezug nimmt, ohne diese näher zu konkretisieren.

(1) Ausnahmetatbestände brauchen in den Klageantrag nicht aufgenommen zu werden, wenn der Klageantrag die konkrete Verletzungsform beschreibt. Ist der Unterlassungsantrag dagegen - wie im Streitfall - über die konkrete Verletzungsform hinaus verallgemeinernd abstrakt gefasst, müssen entsprechende Einschränkungen in den Tenor aufgenommen werden, um von dem weit gefassten Verbot erlaubte Verhaltensweisen auszunehmen. Dementsprechend müssen, wenn der Klageantrag nicht auf die konkrete Verletzungsform beschränkt wird, die Umstände, die nach Auffassung der Klägerin für die Erfüllung des Ausnahmetatbestands sprechen, so genau umschrieben werden, dass im Vollstreckungsverfahren erkennbar ist, welche konkreten Handlungen von dem Verbot ausgenommen sind (vgl. BGH, GRUR 2010, 749 Rn. 25 f. - Erinnerungswerbung im Internet).

(2) Ein Verweis auf die Ausnahmetatbestände des Rechtsdienstleistungsgesetzes reicht für eine hinreichende Konkretisierung der Merkmale nicht aus, unter denen eine Rechtsdienstleistung zulässigerweise erbracht werden darf. Die Klägerin nimmt mit diesem Hinweis auf die Bestimmungen Bezug, die eine Rechtsdienstleistung erlauben. Ob hierdurch die §§ 5 bis 8 RDG insgesamt in Bezug genommen sind oder nur § 5 Abs. 1 RDG, der vorliegend allein als Erlaubnistatbestand in Betracht kommt, ist schon nicht klar. Selbst wenn die Klägerin insoweit nur auf § 5 Abs. 1 RDG Bezug genommen hat, genügt dies für eine ausreichende Konkretisierung des Ausnahmetatbestands nicht. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erlaubt, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind (§ 5 Abs. 1 Satz 2 RDG). Die Vorschrift ist nicht so eindeutig und konkret gefasst oder durch eine gefestigte Auslegung geklärt, dass ihre Übernahme in den Unterlassungsantrag dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt.

Allerdings kann nach der Senatsrechtsprechung eine auslegungsbedürftige Antragsformulierung hinzunehmen sein, wenn eine weitere Konkretisierung nicht möglich ist und die Antragsformulierung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Hinblick auf eine bestimmte Geschäftspraxis erforderlich erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 - I ZR 13/07, GRUR 2009, 977 Rn. 22 = WRP 2009, 1076 - Brillenversorgung I; Urteil vom 5. Oktober 2010 - I ZR 46/09 Rn. 10 - Verbotsantrag bei Telefonwerbung). Davon ist im Streitfall nicht auszugehen, weil die Klägerin sich mit der Formulierung des Ausnahmetatbestandes im Klageantrag an der konkreten Verletzungsform orientieren kann, ohne dass für sie damit ein effektiver Rechtsschutz gefährdet wäre.

2. Die Verurteilung der Beklagten nach dem allgemein gefassten Unterlassungsantrag kann danach keinen Bestand haben. Gleichwohl kann die Klage nicht abgewiesen werden. Dem Klagevorbringen ist durch Auslegung zu entnehmen, dass die Klägerin zumindest die konkrete Verletzungshandlung unterbunden wissen möchte, die sie mit der Klage beanstandet hat. Bei dem Unterlassungsantrag handelt es sich um eine Verallgemeinerung, die die konkrete Verletzungsform als Minus umfasst. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht nach § 139 Abs. 1 ZPO auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinwirken müssen, durch die die konkrete Verletzungsform hinreichend genau umschrieben wird. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Anspruch der Parteien auf ein faires Gerichtsverfahren gebieten es in einem solchen Fall, von einer Abweisung der Klage als unzulässig abzusehen und der Klägerin im wiedereröffneten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben, den aufgetretenen Bedenken durch eine angepasste Antragsfassung zu begegnen (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 - I ZR 143/04, GRUR 2008, 84 Rn. 23 = WRP 2008, 98 - Versandkosten). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Annahme der Revision auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte in den Tatsacheninstanzen auf Bedenken gegen die Bestimmtheit des Unterlassungsantrags hingewiesen hat. Die gerichtliche Pflicht, auf sachdienliche Klageanträge hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO), wird nicht durch einen Hinweis des Prozessgegners auf die Unbestimmtheit des Klageantrags ersetzt. Denn die bereits in erster Instanz erfolgreiche Klägerin hatte im Berufungsverfahren ohne richterlichen Hinweis keinen Anlass, den Verbotsantrag neu zu formulieren (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70 Rn. 6).

III. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird Folgendes zu beachten sein:

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Verstoß gegen Bestimmungen des Rechtsberatungsgesetzes (Art. 1 § 1 RBerG) und des Rechtsdienstleistungsgesetzes (§ 3 RDG) wettbewerbsrechtliche Ansprüche gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG 2004 und § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG begründen kann.

a) Die Klägerin hat ihren Unterlassungsantrag auf Wiederholungsgefahr gestützt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG) und dazu eine ihrer Auffassung nach von der Beklagten im Mai 2005 begangene Zuwiderhandlung vorgetragen. Da der Unterlassungsanspruch auf die Abwehr künftiger Rechtsverstöße gerichtet ist, ist er nur begründet, wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts Unterlassung verlangt werden kann. Zudem muss die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig gewesen sein, weil es anderenfalls an der Wiederholungsgefahr fehlt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 23/08, GRUR 2010, 652 Rn. 10 = WRP 2010, 872 - Costa del Sol).

b) Das zur Zeit der von der Klägerin beanstandeten Verhaltensweise der Beklagten geltende Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 1414; nachfolgend: UWG 2004) ist zwar Ende 2008 geändert worden. Diese - der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken dienende - Gesetzesänderung ist für den Streitfall jedoch ohne Bedeutung. Die Bestimmung des § 4 Nr. 11 UWG ist nach altem wie neuem Recht ohne weiteres anwendbar.

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass nach Art. 4 der mit der UWG-Novelle 2008 in das deutsche Recht umgesetzten Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken diejenigen Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken vollständig harmonisiert werden sollen, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen. Im Streitfall ist die Richtlinie 2005/29/EG nach ihrem Art. 3 Abs. 1 nicht anwendbar, weil vorliegend keine Geschäftspraktik gegenüber einem Verbraucher in Rede steht. Die Beklagte hat den beanstandeten Rechtsrat gegenüber einem Unternehmen erteilt. Zudem bleiben nach Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie 2005/29/EG alle spezifischen Regeln für reglementierte Berufe unberührt, damit die strengen Integritätsstandards gewährleistet bleiben, die die Mitgliedstaaten den in dem Beruf tätigen Personen nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts auferlegen können. Dementsprechend ist die Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG auf berufsrechtliche Bestimmungen, die - wie die Regelung des § 3 RDG - das Marktverhalten in gemeinschaftsrechtskonformer Weise regeln, auch nach dem jetzt geltenden UWG zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2009 - I ZR 166/06, GRUR 2009, 1077 Rn. 21 = WRP 2009, 1380 - Finanz-Sanierung).

c) Der dem österreichischen Unternehmen von der Beklagten mit dem Schreiben vom 3. Mai 2005 erteilte Rat erfüllt sowohl die Voraussetzungen einer Wettbewerbshandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG 2004 als auch diejenigen einer geschäftlichen Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

d) Die Bestimmung des Art. 1 § 1 RBerG zählt zu den Vorschriften, die dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 2007 - I ZR 19/05, GRUR 2007, 978 Rn. 19 = WRP 2007, 1334 - Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer). Dasselbe gilt für die am 1. Juli 2008 in Kraft getretene Vorschrift des § 3 RDG. Diese stellt klar, dass Rechtsdienstleistungen angesichts des fortbestehenden Verbotscharakters des neuen Gesetzes, das gemäß seinem § 1 Abs. 1 Satz 2 dazu dient, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, nur aufgrund gesetzlicher Erlaubnis erbracht werden dürfen und im Übrigen verboten sind (vgl. BGH, GRUR 2009, 1077 Rn. 20 - Finanz-Sanierung).

2. Dementsprechend setzt ein Verbot der beanstandeten Verhaltensweise nach § 8 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG voraus, dass die Beklagte mit dem Schreiben vom 3. Mai 2005 entgegen Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG ohne behördliche Erlaubnis geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorgt hat und auch der Ausnahmetatbestand des Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG nicht eingreift. Nachdem an die Stelle des zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung geltenden Rechtsberatungsgesetzes das Rechtsdienstleistungsgesetz getreten ist, muss das beanstandete Verhalten der Beklagten auch eine unerlaubte Rechtsdienstleistung sein. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Den Verstoß gegen Bestimmungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes hat das Berufungsgericht jedoch nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.

a) Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend angenommen, dass die beanstandeten Passagen des Schreibens der Beklagten vom 3. Mai 2005 eine Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG darstellen. Rechtsdienstleistung ist nach § 2 Abs. 1 RDG jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Davon ist vorliegend auszugehen.

aa) Die Beklagte hat in dem Schreiben vom 3. Mai 2005 dem Adressaten Rechtsrat erteilt, indem sie zur Frage Stellung genommen hat, ob Lebensmittel, die in Österreich zulässigerweise vertrieben worden sind, in Deutschland verkehrsfähig sind. Außerdem hat sich die Beklagte zum Vorgehen gegenüber deutschen Behörden im Falle von Beanstandungen geäußert. Diese Stellungnahme erforderte eine rechtliche Prüfung im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG. Welche Anforderungen an eine rechtliche Prüfung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG zu stellen sind, ist umstritten. Teilweise wird unter Hinweis auf die ursprünglich im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes vorgesehene Fassung des § 2 Abs. 1 RDG (vgl. BT-Drucks. 16/3655, S. 7, 46) angenommen, von einer erforderlichen rechtlichen Prüfung sei nur auszugehen, wenn der Rechtsuchende eine besondere rechtliche Betreuung oder Aufklärung erkennbar erwarte oder nach der Verkehrsanschauung eine besondere rechtliche Prüfung erforderlich sei (Dreyer/Müller in Dreyer/Lamm/Müller, Rechtsdienstleistungsgesetz, 2009, § 2 Rn. 21). Nach der Gegenauffassung ist an das Ausmaß der rechtlichen Prüfung kein hoher Maßstab anzulegen, nachdem das Erfordernis einer besonderen rechtlichen Prüfung nicht in § 2 Abs. 1 RDG übernommen worden ist (Krenzler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 2009, § 2 Rn. 15; Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2010, § 2 RDG Rn. 33). Danach sollen vom Tatbestandsmerkmal der rechtlichen Prüfung alle rechtlichen Prüfungstätigkeiten auch ohne besondere vertiefte Prüfung erfasst werden, soweit sie über eine einfache rechtliche Prüfung und Rechtsanwendung hinausgehen und einer gewissen Sachkunde bedürfen (Weth in Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 2 RDG Rn. 19). Die Frage der Anforderungen an die rechtliche Prüfung im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG braucht vorliegend nicht abschließend entschieden zu werden. Denn die Frage der Verkehrsfähigkeit eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zulässigerweise in Verkehr gebrachten Erzeugnisses im Inland erforderte eine vertiefte Rechtsprüfung, die über eine einfache oder schematische Rechtsanwendung hinausging.

bb) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der Beklagten auch eine konkrete Angelegenheit betraf und eine Einzelfallprüfung erforderte.

Durch das Tatbestandsmerkmal der konkreten Angelegenheit sollen Konstellationen ausgeschieden werden, in denen nur ein fiktiver oder abstrakter Fall zu beurteilen ist. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Beklagte eine sachverhaltsbezogene Rechtsauskunft zu einer wirklichen und nicht nur fingierten Rechtssache erteilt hat. Diese Ausführungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Eine Einzelfallprüfung ist erforderlich, wenn die Rechtsdienstleistung die Beurteilung konkreter Umstände des Einzelfalls erforderlich macht. Im Streitfall war eine Einzelfallprüfung in diesem Sinn notwendig, weil die seinerzeit für die Verkehrsfähigkeit in Deutschland maßgebliche Vorschrift des § 47a LMBG in § 47a Abs. 1 Satz 2 LMBG Ausnahmen von der Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln nach § 47a Abs. 1 Satz 1 LMBG vorsah. Davon ist im Ergebnis auch das Berufungsgericht ausgegangen, ohne dass die Revision insoweit etwas dagegen erinnert.

b) Das Berufungsgericht hat jedoch zu hohe Anforderungen an die Voraussetzungen gestellt, unter denen eine Rechtsdienstleistung nach § 5 Abs. 1 RDG erlaubt ist.

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Rechtsauskunft in dem beanstandeten Teil des Schreibens vom 3. Mai 2005 zur Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln und zum Verhalten gegenüber inländischen Behörden stelle keine Nebenleistung zu einer Haupttätigkeit eines Lebensmittelchemikers dar. Der erforderliche sachliche Zusammenhang zwischen der Nebenleistung und der Haupttätigkeit sei nicht gegeben, wenn die Nebenleistung isoliert erbracht werden könne, ohne dass damit eine sachgerechte Erfüllung der Hauptleistung durch den Anbieter beeinträchtigt werde. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

bb) Nach der Bestimmung des § 5 Abs. 1 RDG sind Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit gestattet, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. Ziel der Vorschrift ist es, diejenigen, die in einem nicht spezifisch rechtsdienstleistenden Beruf tätig sind, in ihrer Berufsausübung nicht zu behindern, andererseits aber den erforderlichen Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rechtsrat zu gewährleisten (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/3655, S. 51). Erlaubt ist die Tätigkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG nur, wenn sie zum Berufs- oder Tätigkeitsbild desjenigen gehört, der die Rechtsdienstleistung erbringt, und wenn sie eine Nebenleistung zu einer Haupttätigkeit ist. Ob eine Nebenleistung gegeben ist, ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 RDG nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichem Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind. Das Vorliegen der Voraussetzungen einer Nebenleistung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 RDG ist nach objektiven Kriterien und nicht nach der vertraglichen Vereinbarung als Haupt- oder Nebenleistung zu bestimmen (Krenzler aaO § 5 Rn. 16; Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken aaO § 5 RDG Rn. 16).

cc) Die Anwendung der Vorschrift des § 5 Abs. 1 RDG ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht schon dann ausgeschlossen, wenn die sachgerechte Erfüllung der Haupttätigkeit durch den Anbieter ohne die Nebenleistung nicht beeinträchtigt wird. Der nach § 5 Abs. 1 Satz 2 RDG erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Haupttätigkeit setzt nicht voraus, dass die Hauptleistung ohne die Nebenleistung nicht mehr sachgerecht ausgeführt werden kann (Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/3655, S. 54; Dreyer/Müller in Dreyer/Lamm/Müller aaO § 5 Rn. 28).

c) Das Berufungsgericht wird im wiedereröffneten Berufungsrechtszug erneut zu prüfen haben, ob die Beurteilung der Verkehrsfähigkeit von Produkten innerhalb der Europäischen Union und die konkret erteilten Ratschläge bei amtlichen Kontrollen zum Berufs- und Tätigkeitsfeld eines Lebensmittelchemikers gehören und ob eine Nebenleistung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 RDG vorliegt.

aa) Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Beklagte für das österreichische Unternehmen eine andere Tätigkeit erbracht hat, mit der die in dem Schreiben vom 3. Mai 2005 erteilte Rechtsauskunft in Zusammenhang steht. Es ist zwar davon ausgegangen, dass die Anfrage des österreichischen Unternehmens, die die Beklagte mit dem Schreiben vom 3. Mai 2005 beantwortet hat, im Anschluss an einen Auftrag dieses Unternehmens an die Beklagte erging. Weitere Feststellungen hat das Berufungsgericht hierzu aber nicht getroffen. Diese wird es gegebenenfalls nachzuholen haben, weil auch eine nachfolgende, aber noch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Haupttätigkeit stehende Nebenleistung in einem sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit stehen kann, wenn sie zum Ablauf oder zur Abwicklung der Haupttätigkeit gehört (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/3655, S. 52; Weth in Henssler/Prütting aaO § 5 RDG Rn. 11; Krenzler aaO § 5 Rn. 21 f.). Dagegen fehlt ein sachlicher Zusammenhang mit der Haupttätigkeit, wenn die Rechtsdienstleistung isoliert als gesonderte Dienstleistung angeboten wird (vgl. Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken aaO § 5 RDG Rn. 17; Hirtz in Grunewald/Römermann, Rechtsdienstleistungsgesetz, 2008, § 5 Rn. 22).

bb) Das Berufungsgericht hat in anderem Zusammenhang angenommen, die von der Beklagten erteilten Rechtsauskünfte gingen über dasjenige hinaus, was von einem Lebensmittelchemiker erwartet werde. Die Auskünfte seien keine bloße kaufmännische Hilfstätigkeit und erforderten eine umfassende Beurteilung im Bereich des öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts, wie sie typisch für eine anwaltliche Tätigkeit sei.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zu Recht macht die Revision geltend, dass zum Berufsbild des Lebensmittelchemikers auch die Beurteilung lebensmittelrechtlicher Fragen gehört. Davon ist ersichtlich auch das Berufungsgericht ausgegangen, das angenommen hat, zu den Aufgaben eines Lebensmittelchemikers gehöre auch die Betreuung und Beratung von Herstellern, Händlern und Importeuren in lebensmittelrechtlicher Hinsicht. Gehört zum Berufsbild eines Lebensmittelchemikers aber die Beurteilung der Verkehrsfähigkeit eines Lebensmittels in Deutschland nach unionsrechtlichen und nationalen lebensmittelrechtlichen Bestimmungen und darf ein Berufsangehöriger hierzu zulässigerweise Stellung nehmen - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist -, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, warum zu dem Berufsbild des Lebensmittelchemikers nicht auch eine Stellungnahme zur Verkehrsfähigkeit eines in einem EU-Mitgliedstaat in den Verkehr gebrachten Lebensmittels im Inland gehört.

Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte Ratschläge zum Umgang mit deutschen Behörden erteilt hat. Diese erschöpfen sich in allgemein gehaltenen Hinweisen zur Bedeutung und Vorlage von Verkehrsfähigkeitsbescheinigungen gegenüber Behörden, die - für den Adressaten ersichtlich - keine umfassende Beurteilung des öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts darstellen.

d) Sollte das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsrechtszug erneut zu dem Ergebnis gelangen, dass die Beklagte eine unerlaubte Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 1, §§ 3, 5 Abs. 1 RDG mit dem beanstandeten Schreiben erbracht hat, bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, dass die Beklagte auch eine unerlaubte Rechtsberatung im Sinne von Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 und Art. 1 § 5 RBerG vorgenommen hat. Denn § 5 RDG soll eine weitergehende Zulassung von Nebenleistungen gegenüber der zuvor gültigen Bestimmung des Art. 1 § 5 RBerG ermöglichen (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 16/3655, S. 52).

Bornkamm Pokrant Büscher Schaffert Kirchhoff Vorinstanzen:

LG Mainz, Entscheidung vom 17.04.2008 - 12 HKO 60/07 -

OLG Koblenz, Entscheidung vom 28.07.2009 - 4 U 664/08 -






BGH:
Urteil v. 04.11.2010
Az: I ZR 118/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/733470785c75/BGH_Urteil_vom_4-November-2010_Az_I-ZR-118-09




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