Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 13. August 2007
Aktenzeichen: 22 L 1042/07

(VG Köln: Beschluss v. 13.08.2007, Az.: 22 L 1042/07)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Be-scheid der Antragsgegnerin vom 22. Juni 2007 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Juni 2007 anzuordnen,

ist zulässig und begründet.

Die Antrag ist statthaft. Der Bescheid vom 22. Juni 2007 ist ein belastender Ver- waltungsakt, denn der Antragstellerin werden Verpflichtungen zur Auskunftserteilung nach § 45 Postgesetz vom 22. Dezember 1997, BGBl. I S. 3294, zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Postgesetzes vom 16. August 2002, BGBL, I S. 3218 und die Neunte ZuständigkeitsanpassungsVO vom 31. Oktober 2006, BGBl.I S, 2407, PostG auferlegt. Der Bescheid ist auch sofort vollziehbar, nach 44 PostG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 TKG in der Fassung des 1. Gesetzes zur Änderung des TKG vom 21. Oktober 2002, BGBl. I S. 4186 haben Rechtsmittel ge- gen Entscheidungen der Regulierungsbehörde (jetzt Bundesnetzagentur - BNA) kei- ne aufschiebende Wirkung.

An der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin bestehen ernsthafte Zweifel. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Antragstellerin daran, vom Vollzug einstweilen verschont zu werden, das Interesse der Antragsgegnerin am Sofortvoll- zug überwiegt.

Allerdings ist der Bescheid vom 22. Juni 2007 formell rechtmäßig. Dabei kann dahinstehen, ob der Bescheid hätte förmlich zugestellt werden müssen. Zustel- lungsmängel wären nämlich nach § 8 VwZG geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, dass unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist,

vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2007 - KVR 16/06 - , zitiert nach juris.

Dass der Bescheid der Antragstellerin zugegangen ist, wird von ihr nicht in Zwei- fel gezogen.

Die übrigen formellen Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 PostG liegen vor: Der Bescheid benennt Rechtsgrundlage, Gegenstand und Zweck des Auskunftsverlan- gens.

Materiell begegnet das Auskunftsverlangen jedoch Bedenken. Nach § 45 Abs. 1 PostG kann die BNA von im Postwesen tätigen Unternehmen Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verlangen, soweit das zur Erfüllung der in diesem Ge- setz der Regulierungsbehörde übertragenen Aufgaben erforderlich ist. Übertragene Aufgabe, zu deren Erfüllung die Auskünfte verlangt werden, ist nach dem Bescheid die Erteilung von Lizenzen nach § 6 PostG, auch ist die Antragstellerin ein auf dem Gebiet des Postwesens tätiges Unternehmen. Gegenstand des Auskunftsverlangens sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin. Der Begriff der wirt- schaftlichen Verhältnisse ist nämlich weit auszulegen: Die Mitteilungspflicht bezieht sich auf die tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen des Unternehmens,

vgl. Badura in Beck´scher PostG Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 13 zu § 45; Holznagel in Habersack/Holznagel/Lübbig, Behördliche Auskunftsrechte und besondere Missbrauchsaufsicht im Postrecht, S. 59.

Die Erforderlichkeit der von § 45 Abs. 1 PostG eröffneten Maßnahmen ist objek- tiv zu bestimmen, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächti- gungsgrundlage vor, ist der BNA hinsichtlich ihres Einschreitens ein Entschließungs- und Auswahlermessen eröffnet,

vgl. OVG Münster, Beschluss vom 26.1.2000 - 13 B 47/00, NVwZ 2000, S. 702.

Die Auskunftsaufforderung ist jedenfalls nicht hinsichtlich aller Fragen, die die BNA der Antragstellerin gestellt hat, bei der gegenwärtig nur möglichen überschlägi- gen Betrachtung mit großer Wahrscheinlichkeit erforderlich. Damit ist sie insoweit unverhältnismäßig. Dies führt dazu, dass die Auskunftsaufforderung insgesamt er- messensfehlerhaft ist.

Die Kammer vermag bei den Fragen Teil III 2 (beförderte Sendungsmengen), Teil IV 6 (mehrere Betriebsstätten) und Teil V 7 (Art der Zustellung) den erforderlichen Zusammenhang mit dem Zweck des Auskunftsverlangens nicht zu erkennen. Das Auskunftsverlangen dient dem Zweck, die tatsächlichen Grundlagen zu ermitteln, die der Entscheidung über eine Lizenzversagung zugrunde zu legen sind, wenn der Antragsteller die wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, nicht unerheblich unterschreitet, also der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PostG. Unter wesentlichen Arbeitsbedingungen im Sinne des PostG versteht man Arbeitslohn, Arbeitszeit, Urlaubsregelungen und Vereinbarungen über den Kündigungsschutz,

vgl. Badura, a.a.O. Rdnr. 28 zu § 6.

Dies folgt auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Sie wurde im Vermittlungsverfahren auf Antrag des Bundesrats in das Gesetz eingefügt, um der Gefahr vorzubeugen, „dass der Wettbewerb durch ein massenhaftes Ausweichen in ungeschützte Arbeitsverhältnisse verzerrt wird",

vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 13/774, S. 36.

Sie hat damit zwei Stoßrichtungen: sie will Wettbewerbsverzerrungen verhindern, indem sie Mindeststandards bei den Arbeitsverträgen der Lizenznehmer festschreibt, darüber hinaus aber auch als „Sozialklausel" das Regulierungsziel der Berücksichtigung sozialer Belange nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 PostG für den lizenzierten Bereich verwirklichen,

vgl. Badura, a.a.O., Rdnr. 26 zu § 6.

Beidem entspricht es, die wesentlichen Arbeitsbedingungen im oben genannten Sinn zu verstehen.

Die Fragen über die Zahl der transportierten Sendungen haben jedoch mit den wesentlichen Arbeitsbedingungen nichts zu tun. Allerdings handelt es sich um Fragen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen im Sinne des § 45 Abs. 1 PostG: Sie können etwa dazu etwas aussagen, ob der Personaleinsatz gemessen am Produktionsergebnis rentabel ist. Für den hier nach dem Bescheid erstrebten Zweck sind sie aber nicht erforderlich. Gleiches gilt für die Fragen nach mehreren Betriebsstätten: Auch hier fehlt der Bezug zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen. Ob nämlich die Arbeit an einer oder mehreren Betriebsstätten geleistet wird, ist für die Frage der Nichtanwendung üblicher Sozialstandards ebenso wenig von Bedeutung wie die Frage nach Hilfsmitteln wie PKW oder sonstigen Fahrzeugen bei der Zustellung der Sendungen.

Die Kammer kann nicht lediglich die Beantwortung der aufgezeigten Fragen aussetzen. Dem steht entgegen, das der BNA neben dem Entschließungsermessen, der Frage also, ob Auskünfte überhaupt eingeholt werden sollen, auch ein Auswahlermessen zusteht. Mit einer Aussetzung nur der beanstandeten Fragen würde das Gericht im Ergebnis sein Ermessen an Stelle des Ermessens der BNA setzen. Der BNA muss aber vorbehalten bleiben, welche Fragen sie für erforderlich hält. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass sie andere Fragen gestellt hätte, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass einige der gestellten Fragen nicht erforderlich im Sinne von § 45 Abs. 1 PostG waren.

Selbst wenn man dem nicht folgte, so überwiegt hier das Aussetzungsinteresse. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt nämlich, dass die BNA ein Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht geltend machen kann. Dies folgt einmal daraus, dass für die bisherige Lizenzierungspraxis die Vorschrift des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PostG allenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Gutachten war die ständige Verwaltungspraxis so: Lizenzen wurden in aller Regel ohne nähere Nachprüfung der Voraussetzungen der Vorschrift erteilt, vielmehr unterstellte die BNA bei solchen Unternehmen, die bisher keine Postdienstleistungen erbrachten, für die ersten beiden Jahre nach Erteilung der Lizenz die Einhaltung der üblichen Arbeitsbedingungen, bei sonstigen Unternehmen unterstellte sie dies für ein Jahr. Für eine beabsichtigte Änderung dieser Praxis ist nichts dargetan. Zum Anderen würde die Beantwortung der Fragen die Vorwegnahme der Hauptsache in vollem Umfang zu Lasten der Antragstellerin bedeuten.

Im Rahmen der Interessenabwägung spricht auch für das Aussetzungsinteresse, dass weitere Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bestehen, für deren abschließende Würdigung im vorläufigen Verfahren kein Raum ist: Dies gilt für die Frage, ob die Auskunftsaufforderung schon deshalb rechtswidrig sein könnte, weil die Auskünfte nicht in Bezug auf ein konkretes Lizenzerteilungsverfahren eingeholt werden, sondern (nur) zur Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse der Beschäftigten im Bereich des Postwesens dienen. Eine nicht anlassbezogene Wirtschaftsanalyse als solche wäre nämlich von § 45 PostG möglicherweise nicht gedeckt. Weiter wäre zu prüfen, ob die Auskunft aller Postdienstleister im lizenzierten Bereich erforderlich wäre, um die üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen zu ermitteln, oder ob etwa die Arbeitsbedingungen der weit überwiegenden Mehrheit der Marktteilnehmer oder nur die des Inhabers der Exklusivlizenz nach § 51 Abs. 1 PostG als üblich anzusehen wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, bei der Streitwertfestsetzung erachtet die Kammer die Hälfte des Anhaltswertes nach § 52 Abs. 2 GKG als angemessen.






VG Köln:
Beschluss v. 13.08.2007
Az: 22 L 1042/07


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