Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Urteil vom 2. März 2012
Aktenzeichen: 7 A 2037/10

(Hessischer VGH: Urteil v. 02.03.2012, Az.: 7 A 2037/10)

1. Die Verpflichtung des Nutzungsberechtigten nach § 71 Abs. 2 TKG zum Ersatz von Mehraufwendungen, die dem Unterhaltspflichtigen für Maßnahmen der Unterhaltung des Verkehrsweges infolge dessen Nutzung für Telekommunikationslinien entstehen, besteht nur insoweit, als der Unterhaltspflichtige entsprechende Maßnahmen bewirken durfte.

2. Verwehrt ist dem Unterhaltspflichtigen gemäß § 72 Abs. 3 TKG die Bewirkung von Maßnahmen an der Telekommunikationslinie im Sinne des § 72 Abs. 1 TKG.

3. Eine Telekommunikationslinie steht im Sinne des § 72 Abs. 1, 3. Fall TKG der Änderung des Verkehrsweges schon dann entgegen, wenn die Änderung des Verkehrsweges ohne Zugriff auf die Telekommunikationslinie nicht durchgeführt werden kann.

4. Neben den Fällen, in denen die Telekommunikationslinie den Wegekörper in größerem Umfang oder an anderer Stelle als zuvor in Anspruch nimmt, und die als Änderung einer vorhandenen Telekommunikationslinie nach § 68 Abs. 3 Satz 1 TKG das Zustimmungserfordernis des Wegebaulastträgers auslösen, erfasst die in § 72 Abs. 1 TKG geregelte Abänderung der Telekommunikationslinie auch sämtliche weitere Maßnahmen an der Telekommunikationslinie mit Ausnahme deren in § 72 Abs. 1 TKG gesondert genannter Beseitigung.

5. Ein Handeln eines Hoheitsträgers zur Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Handlungspflicht eines Privaten auf dessen Kosten ist nach dem Vorbehalt des Gesetzes prinzipiell nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung zulässig.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens alsGesamtschuldner zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. DieKläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhedes jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht dieBeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höheleistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren von der Beklagten die Erstattung von Kosten,die bei Straßenbauarbeiten wegen in der Straße verlegtenTelekommunikationslinien der Beklagten entstanden sind.

Aufgrund Auftrags des Landes Hessen (Amt für Straßen- undVerkehrswesen Gelnhausen) nahm die X... Bau AG an den KreisstraßenK 877 und K 879 in der Ortsdurchfahrt Birstein im OrtsteilOberreichenbach der Klägerin im Jahr 2005 Arbeiten vor. Fahrbahnenund Gehwege wurden in den bestehenden Abmessungen und Grenzengrundhaft erneuert.

Der Kläger ist Baulastträger für die Kreisstraßen, die KlägerinBaulastträgerin für die Gehwege an den Kreisstraßen im Bereich derOrtsdurchfahrt. Die Arbeiten an den Kreisstraßen K 877 und K 879 inder Ortsdurchfahrt Birstein stellten eine Gemeinschaftsmaßnahme desKlägers (Fahrbahn) und der Klägerin (Gehwege) dar. Das Amt fürStraßen- und Verkehrswesen Gelnhausen wurde aufgrund einesKreisstraßenvertrages zwischen dem Kläger und dem Land Hessentätig, in dem dem Land die Verwaltung und Unterhaltung derKreisstraßen übertragen wurde.

Das Amt für Straßen- und Verkehrswesen Gelnhausen unterrichtetedie Beklagte mit Schreiben vom 7. April 2005 über denbeabsichtigten Ausbau der Kreisstraßen K 877 und K 879 in derOrtsdurchfahrt Birstein. Die Beklagte teilte dem Amt für Straßen-und Verkehrswesen Gelnhausen mit Schreiben vom 21. April 2005 mit,dass ein im Schreiben namentlich benannter Bediensteter des Amtesüber das Vorhandensein und die Lage gefährdeterTelekommunikationsanlagen informiert worden sei.

Die bauausführende X... Bau AG führte im Hinblick auf sowohl imBereich der Fahrbahn als auch im Bereich der Gehwege im Erdreichbefindliche Telekommunikationslinien der Beklagten Arbeiten durchund erstellte hierüber die an das Amt für Straßen- undVerkehrswesen Gelnhausen gerichtete Rechnung Nr. 160356 €K877/K 879 - Ausbau der OD Birstein OT Oberreichenbach ArbeitenTelekom€ vom 14. August 2006. Zu diesen Arbeiten zählten u.a. kombinierte Hand- und Maschinenarbeit zum Freilegen von Kabelnder Beklagten (Position 1.2.5. der Rechnung) sowie die Aufnahme undseitliche Lagerung der Kabel sowie deren Zurückverlegung in dieursprüngliche Lage (Position 7.1.1. der Rechnung).

Die Gesamtkosten der wegen der Telekommunikationslinien derTelekom durchgeführten Arbeiten belaufen sich nach der Rechnung derX... Bau AG vom 14. August 2006 auf 75.574,73 €. Wegen derEinzelheiten der Rechnungspositionen wird auf diese Rechnung Bezuggenommen.

Das Amt für Straßen- und Verkehrswesen Gelnhausen begehrte vonder Beklagten die Übernahme dieser Kosten. Die Beklagte verneintedas Bestehen eines gegen sie gerichteten Anspruchs, erklärte sichaber mit Schreiben vom 6. November 2006 zur Zahlung eines Betragesin Höhe von 10.029,92 € bereit. Die Zahlung von zusammen10.029,92 € erfolgte nach dem Schreiben vom 6. November 2006auf folgende Rechnungsposten:

€- Suchgräben herstellen (gem. der Leistungsposition X...bau AG 1.2.6) 162,18 €

- Telekommunikationskabel aufnehmen, lagern und wiedereinlegen

(gem. der Leistungsposition X... bau AG 7.1.1) 3.146,85€

- Kombinierte Hand- und Maschinenarbeit, inkl. Querungen vonVU-Leitungen (gem. dem Leistungsverzeichnis der Deutschen TelekomAG bei einer fiktiven Menge v. 104,03 m3) 5.254,00€

- Abdecksand 0/2 liefern (gem. der Leistungsposition X... bau AG1.3.2) 1.466,89 €€

Am 25. Juli 2007 haben die Kläger Klage erhoben.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger gesamtgläuberisch65.544,71 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem22. August 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 10.September 2009 - 11 K 2116/07.F - die Klage abgewiesen. Bei dendurchgeführten Arbeiten handele es sich um Maßnahmen nach § 72 Abs.1 und 3 des Telekommunikationsgesetzes in der Fassung vom 22. Juni2004 (BGBl. I S. 1190) - TKG -, zu deren Vornahme nicht die Klägerals Träger der Straßenbaulast, sondern allein die Beklagte alsNutzungsberechtigte legitimiert und verpflichtet gewesen sei. Wegendieser ausschließlichen Berechtigung der Beklagten, die gebotenenMaßnahmen an der Telekommunikationslinie auf ihre Kosten zubewirken, scheide auch ein Aufwendungsersatzanspruch der Kläger ausdem rechtlichen Gesichtspunkt einer Geschäftsführung ohne Auftragaus. Eine Kostentragungsverpflichtung der Beklagten lasse sichschließlich auch nicht aus einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtungoder dem Grundsatz von Treu und Glauben herleiten. Wegen derEinzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe desangefochtenen Urteils verwiesen.

Am 9. Oktober 2009 haben die Kläger gegen das ihnen am 18.September 2009 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurtam Main Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.

Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 7 A2795/09.Z -, der den Klägern am 8. Oktober 2010 zugestellt wordenist, die Berufung gegen das Urteil des VerwaltungsgerichtsFrankfurt am Main vom 10. September 2009 - 11 K 2116/07.F -zugelassen, soweit darin die Klage mit dem Begehren abgewiesenworden ist, die Beklagte zur Zahlung von 64.448,47 € nebst 5 %Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22. August 2005 an dieKläger als Gesamtgläubiger zu verurteilen. Im Übrigen hat dasBerufungsgericht den Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufungabgelehnt.

Die Kläger halten die klageweise geltend gemachte Forderung demGrunde und der Höhe nach für aus § 71 Abs. 2 TKGgerechtfertigt.

Dem Grunde nach seien sie in ihrer Eigenschaft alsStraßenbaulastträger anspruchsberechtigt, da auch die hiervorgenommene grundhafte Erneuerung einer Straße als Maßnahme derUnterhaltung im Sinne des § 71 Abs. 2 TKG anzusehen und dieseUnterhaltungsmaßnahme durch die Telekommunikationskabel derBeklagten im Straßenkörper erschwert worden sei.

Der Höhe nach sei dieser Anspruch in der im Berufungsverfahrenstreitgegenständlichen Höhe von 64.448,47 € gerechtfertigt.Dieser Betrag entfalle auf im Rahmen von Unterhaltungsmaßnahmendurchgeführte Arbeiten, die wegen der im Straßenkörper befindlichenTelekommunikationskabel erforderlich gewesen seien. Es handele sichmithin um Kosten, die den Klägern als Unterhaltungspflichtigen ausder Erschwernis (Telekommunikationskabel im Straßenkörper)erwachsen seien und die die Beklagte als Nutzungsberechtigte zuersetzen habe.

Für die Position 1.2.5 (333,232 cbm, kombinierte Hand- undMaschinenarbeit, Einheitspreis 180,74 €, Gesamtpreis netto60.228,35 €) in der Rechnung der X... Bau AG vom 14. August2006 gelte dabei Folgendes: Beim Vorhandensein vonTelekommunikationskabeln reduziere sich der maschinelleLeistungsanteil und erhöhe sich der Anteil der Handschachtung. DemVolumen von 333,232 cbm liege ein von der bauausführenden X... BauAG angesetzter Arbeitsbereich von 0,75 m Breite und 0,5 m Tiefe zuGrunde. Dieser Arbeitsbereich trage den Vorgaben derKabelschutzanweisung der Beklagten Rechnung und sei nicht zubeanstanden.

Nach Nr. 2 der Kabelschutzanweisung der Beklagten liegen Kabelgewöhnlich in einer Tiefe von 60 cm (in Einzelfällen 40 cm) bis 100cm. Nr. 6 der Kabelanweisung lautet:

€Bei Erdarbeiten in der Nähe von unterirdischenTelekommunikationslinien/-anlagen dürfen spitze oder scharfeWerkzeuge (Bohrer, Spitzhacke, Spaten, Stoßeisen) nur so gehandhabtwerden, dass sie höchstens bis zu einer Tiefe von 10 cm über derTelekommunikationslinie/-anlage in das Erdreich eindringen. Für dieweiteren Arbeiten sind stumpfe Geräte, wie Schaufel usw., zuverwenden, die möglichst waagerecht zu führen und vorsichtig zuhandhaben sind. Spitze Geräte (Dorne, Schnurpfähle) dürfen oberhalbvon Telekommunikationslinien/-anlagen nur eingetrieben werden, wennsie mit einem von der Spitze nicht mehr als 30 cm entfernt festangebrachten Teller oder Querriegel versehen sind. Da mitAusweichungen der Kabellage oder mit breiteren Kabelkanälengerechnet werden muss, sind die gleichen Verhaltensmaßnahmen auchin einer Breite bis zu 50 cm rechts und links der bezeichnetenKabellage zu beachten. Bei der Anwendung maschineller Baugeräte inder Nähe von Kabeln ist ein solcher Abstand zu wahren, dass eineBeschädigung des Kabels ausgeschlossen ist. Ist die Lage oder dieTiefenlage von Kabeln nicht bekannt, so ist besondere Vorsichtgeboten. Gegebenenfalls muss der Verlauf der Kabel durch invorsichtiger Arbeit herzustellender Querschläge ermitteltwerden.€

Der von der X... Bau AG in Position 1.2.5. in Rechnung gestellteEinheitspreis von 180,74 € sei im Rahmen einer mit derVergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) in Einklangstehenden Ausschreibung zustande gekommen und gleichfalls nicht zubeanstanden.

Die Kläger beantragen,

unter entsprechender Abänderung des Urteils desVerwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 2009 - 11 K2116/07.F - die Beklagte zu verurteilen, 64.448,47 € nebst 5 %Zinsen hieraus seit dem 22. August 2005 an die Kläger alsGesamtgläubiger zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte tritt der geltend gemachten Forderung sowohl demGrunde als auch der Höhe nach entgegen.

Ein Anspruch der Kläger auf Kostenersatz aus § 71 Abs. 2 TKGscheide aus, da die Arbeiten, deren Kosten streitgegenständlichseien, Maßnahmen im Sinne des § 72 Abs. 1 TKG darstellten.Maßnahmen nach § 72 Abs. 1 TKG seien gemäß § 72 Abs. 3 TKGausschließlich von der Beklagten als Nutzungsberechtigter auf ihreKosten zu bewirken. Eine Bewirkung der Maßnahmen durch die Klägerals Straßenbaulastträger auf Kosten der Beklagten alsNutzungsberechtigter sei durch § 72 Abs. 3 TKG untersagt.

Der Ausbau der Kreisstraßen K 877 und K 879 in derOrtsdurchfahrt Birstein - Ortsteil Oberreichenbach - stelle eineÄnderung des Verkehrsweges im Sinne des § 72 Abs. 1, 3. Fall TKGund keine bloße Unterhaltung im Sinne des § 71 Abs. 2 TKG dar. DieKläger seien daher nicht berechtigt gewesen, die Maßnahmen, die denPositionen 1.2.5. und 7.1.1. der Rechnung der X... Bau AG vom 14.August 2006 zu Grunde liegen, zu veranlassen.

Unabhängig hiervon sei die Höhe der von den Klägern geltendgemachten Forderung nicht zu rechtfertigen. Der Einheitspreis von180,74 € in Position 1.2.5. der Rechnung der X... Bau AG vom14. August 2006 sei unangemessen hoch und sein Zustandekommen nichtnachvollziehbar dargelegt. Zudem sei ein Arbeitsbereich von 0,40 mBreite und 0,30 m Tiefe ausreichend gewesen, der von der X... BauAG veranschlagten 0,75 m Breite und 0,50 m Tiefe hätte es nichtbedurft.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf dieim gesamten Verwaltungsstreitverfahren gewechselten Schriftsätzeder Beteiligten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichenVerhandlung gewesen sind.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs.1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).






Hessischer VGH:
Urteil v. 02.03.2012
Az: 7 A 2037/10


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