Sozialgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 5. Juni 2015
Aktenzeichen: S 7 SF 355/14 E

(SG Frankfurt am Main: Beschluss v. 05.06.2015, Az.: S 7 SF 355/14 E)

Tenor

I. Die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die Erinnerungsführerin hat der Erinnerungsgegnerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Erinnerungsverfahren zu erstatten.

Gründe

Die Erinnerung der Beklagten (im weiteren Erinnerungsführerin) vom 3. November 2014 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. Oktober 2014 € S 13 R 190/09 und L 2 R 181/12 -, mit dem die von ihr an die Klägerin (im weiteren Erinnerungsgegnerin) zu erstattenden Kosten für das Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht auf 1.011,14 Euro festgesetzt worden sind, ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, vgl. § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jedoch unbegründet.

Die Berechnung der von der Erinnerungsführerin zu erstattenden Rechtsanwaltskosten für das Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht, die sich nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz € (RVG) richtet, ist nicht zu beanstanden. Dabei ist die Vergütung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG noch nach der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung des RVG zu berechnen, da die Rechtsanwältin den Auftrag für das Berufungsverfahren vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 1. August 2013 erhalten hat.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Bevollmächtigte der Erinnerungsgegnerin für ihre Tätigkeit in dem Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht Anspruch auf eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 3204 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 - Vergütungsverzeichnis (VV-RVG), auf eine Terminsgebühr gem. Nr. 3205 VV-RVG in Höhe von 200,00 Euro, auf eine Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV-RVG in Höhe von 20,00 Euro sowie auf eine Dokumentenpauschale gem. Nr. 7000 VV-RVG in Höhe von 59,95 Euro hat. Die Erinnerungsführerin wendet sich im vorliegenden Erinnerungsverfahren allein noch gegen die Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhe der Höchstgebühr von 570,00 Euro.

Die Höchstgebühr fällt nicht nur dann an, wenn sämtliche Umstände überdurchschnittlich sind (Lutje/v.Seltmann, in: BeckOK, RVG, § 14 Rn. 23). Bereits ein außergewöhnliches Merkmal kann den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertigen, auch wenn die übrigen Umstände nur durchschnittlich sind (anders allerdings zur BRAGO: LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16. Juni 2003 € L 5 B 13/03 SF SK € juris und LSG Sachsen, Beschlüsse vom € L 1 B 32/97 RA-Ko -, juris Rn. 17 und vom 19. Mai 2006 € L 6 B 168/05 R-KO -, juris Rn. 25; zum RVG SG Stade, Beschluss vom 2. Januar 2007 - S 4 SF 1/06 -, juris Rn. 17). Dabei sind sozialrechtliche Streitigkeiten über typische Dauerleistungen, die den wesentlichen Lebensunterhalt des Leistungsberechtigten sicherstellen, wegen der außergewöhnlichen (wirtschaftlichen) Bedeutung der Sozialleistung grundsätzlich geeignet, eine über der Mittelgebühr liegende Verfahrensgebühr (bis zur Höchstgebühr) zu begründen (so zur Geschäftsgebühr LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. Mai 2008 - L 3 R 84/08 -, juris Rn. 36 m.w.N.; so auch zur BRAGO: LSG Thüringen, Beschlüsse vom 12. Juli 2004 € L 6 B 41/04 SF-, juris Rn. 26 m.w.N., vom 19. Mai 2003 € L 6 B 18/03 SF -, juris Rn. 21 und vom 8. Februar 2000 € L 6 B 71/99 SF -, juris 20; LSG Sachsen, Beschluss vom 18. Juni 2004 € L 6 B 92/03 RJ-KO -, juris Rn. 20). Eine Regelvermutung für das Entstehen der Höchstgebühr in Rentenverfahren besteht allerdings nicht (so auch: SG Karlsruhe, Urteil vom 4. August 2009 € S 16 633/09 -, juris Rn. 25). Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob aus dem Umfang und der Schwierigkeit des Rechtsstreits, dem Ausmaß der anwaltlichen Tätigkeit, der überdurchschnittlichen Verfahrensdauer oder der Bedeutung der Angelegenheit die Festsetzung der Höchstgebühr gerechtfertigt ist (LSG Hessen, Beschluss vom 1. September 2011 € L 2 SF 162/10 E -). Liegt kein außergewöhnliches Merkmal vor, wird die Annahme der Höchstgebühr erfordern, dass mehrere Umstände überdurchschnittlich sind (LSG Thüringen, Beschluss vom 19. Juli 2012 € L 6 SF 930/12 B -, juris Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. April 2007 € L 7 B 36/07 AS -, juris Rn. 14; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. Juli 2008 - L 6 B 141/07-, juris Rn. 31).

Gemessen hieran war die Verfahrensgebühr in dem der angegriffenen Kostenentscheidung vom 23. Oktober 2014 zugrunde liegenden Berufungsrechtsstreit L 2 R 181/12 in Höhe der Höchstgebühr festzusetzen. Denn die existenzielle Bedeutung des Rechtsstreits für die Mandantin der Erinnerungsführerin war prägend für das gesamte Verfahren. Ihr Klageziel war die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente auf Dauer. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der langen Laufzeit des gesamten Rechtsstreits von rund fünf Jahren entfaltet die Angelegenheit eine Bedeutung, die in der Zusammenschau mit dem Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit die Angemessenheit der begehrten Höchstgebühr begründet.

Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit waren nämlich überdurchschnittlich. Die Kammer nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Urkundsbeamtin. Dies zumal die Erinnerungsführerin im vorliegenden Erinnerungsverfahren zu diesen Punkten substantiiert nicht vorgetragen, sondern auf ihren Schriftsatz aus dem Kostenfestsetzungsverfahren vom 26. September 2014 Bezug genommen hat, der von der Urkundsbeamtin ausreichend gewürdigt worden ist.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass weit unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnissen regelmäßig die Bedeutung der Angelegenheit kompensieren (so bei SGB II-Leistungen: BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 € B 4 AS 21/09 -, juris Rn. 38). Eine solche Kompensation würde dem Ausgangsverfahren L 2 R 181/12, bei dem aufgrund der langen Laufzeit Rentenleistungen für mehrere Jahre nachzuzahlen waren, nach Auffassung der Kammer nicht gerecht. Bei der Gesamtabwägung der Umstände, die nicht starr erfolgen kann, überwiegt bei der Gebührenbemessung weiterhin die Bedeutung der Angelegenheit für die Mandantin der Erinnerungsführerin, während ihre schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse als einziger Umstand im Gesamtzusammenhang eine Verweigerung der Höchstgebühren nicht rechtfertigen können (vgl. so auch LSG Hessen, Beschluss vom 26. Januar 2004 - L 12 B 90/02 RJ -, juris Rn. 26).

Im Ergebnis war die Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhe der Höchstgebühr daher nicht zu beanstanden. Da weitere Gebührenpositionen nicht im Streit standen war die Erinnerung insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Vorliegend bedarf es auch einer Kostengrundentscheidung (ständige Rechtsprechung SG Kassel, Beschluss vom 26. Juni 2014 € S 10 SF 50/14 E €, Rn. 33, juris; vgl. auch grds. SG Fulda, Beschluss vom 10. Februar 2010 € 3 SF 22/09 E - juris, Rn. 68 ff.; st. Rspr. SG Cottbus, Beschlüsse vom 17. August 2011 € S 30 SF 214/11 E €, Rn. 29, juris, vom 17. August 2011 € S 30 SF 205/11 E €, Rn. 14, juris und vom 28. Oktober 2009 - S 27 SF 87/09 E €, Rn. 39, juris); st. Rspr. SG Berlin, Beschlüsse vom 1. Dezember 2010 € S 180 SF 2119/09 E, m. w. N., vom 24. Februar 2010 € S 164 SF 1396/09 E, S 165 SF 1629/09 E, S 164 SF 1512/09 E €, juris, vom 6. März 2009 € S 164 SF 118/09 E €, Rn. 7, juris, vom 13. Februar 2009 € S 164 SF 126/09 E, juris, Rn. 15 und vom 10. September 2007 € S 48 SB 2223/05 €, Rn. 14, juris; SG Koblenz, Beschluss vom 30. April 2010 € S 8 SF 3/10 E €, Rn. 27, juris; SG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Januar 2010 € S 2 R 858/08 KE €, Rn. 25, juris; SG Reutlingen, Beschluss vom 26. März 2008 € S 2 AS 911/08 KE €, Rn. 26, juris; SG Köln, Beschluss vom 10. Februar 2011 € S 8 SF 25/10 E, NZS 2011, S. 960; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 197 Rn. 10 a.E.; a.A. noch 9. Aufl. 2008, § 197 Rn. 10 a.E.).

Diese Entscheidung ist endgültig, § 197 Abs. 2 2. Halbsatz SGG (vgl. Kostensenat des LSG Hessen, Beschluss vom 2. Juni 2014 € L 2 SO 50/14 B -).






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