Landgericht Bonn:
Beschluss vom 20. April 2005
Aktenzeichen: 10 O 539/04

(LG Bonn: Beschluss v. 20.04.2005, Az.: 10 O 539/04)

Tenor

Nach Erledigung der Hauptsache werden die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens den Verfügungsklägern als Gesamtschuldnern auferlegt.

Gründe

I.

Die Verfügungskläger bilden den Vorstand der W AG mit Sitz in Köln. Während der Verfügungskläger zu 1) erst im November 2001 in dieses Gremium berufen wurde, war der Verfügungskläger zu 2) schon 1999 dessen Mitglied. An der Gesellschaft sind die N GmbH mit Sitz in Bonn als Hauptaktionärin mit einem Aktienanteil von mehr als 99% und unter anderem der Verfügungsbeklagte als Minderheitsaktionär beteiligt.

Am 3.11.1999 schlossen die W AG und die zur N GmbH umgewandelte N GmbH & Co. KG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, durch den sich letztere als beherrschendes Unternehmen verpflichtete, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs dessen Aktien gegen Barabfindung von 300,00 DM (153,39 €) je Stückaktie zu erwerben, wobei der Betrag von der H GmbH im Auftrag von Vorstand und Geschäftsführung der beteiligten Gesellschaften mit Gutachten vom 2.11.1999 ermittelt worden war.

Zur ordentlichen Hauptversammlung der W AG vom 6.9.2000 reichte der Verfügungsbeklagte zu Tagesordnungspunkt 5 "Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 1999/2000 folgenden Gegenantrag ein:

"Hier ist den Mitgliedern des Vorstandes die Entlastung für das Geschäftsjahr 1999/2000 zu versagen. Den Antrag begründe ich wie folgt:

Der Vorstand hat den Aktionären im Dez. 1999 ein unakzeptables Abfindungsangebot bzw. einen unakzeptablen Ausgleich vorgelegt. Im nachhinein werden nun die freien Aktionäre bei der Einholung verschiedener Unterlagen zur angemessenen Wertfindung massiv behindert. Der Vorstand kommt seinen Pflichten, seiner Bringschuld gegenüber den verbliebenen Aktionären in keiner Weise nach, er ist nur noch ein Werkzeug des Großaktionärs, um das Unternehmen auszuplündern."

Hierzu nahm der Vorstand der W AG wie folgt Stellung:

"1.

Mit Schriftsatz vom 17.05.2000 hat der Aktionär unserer Gesellschaft, Herr O erstmals seine Aktionärsstellung nachgewiesen. Daraufhin wurde ihm der Bericht über den Unternehmensvertrag nebst Vertragstext, Bewertungsgutachten und Bericht des Vertragsprüfers übersandt.

2.

Mit Telefax vom 31.7.2000 forderte der Aktionär O weitere Unterlagen an. Diese wurden ihm unverzüglich übersandt, soweit dem keine rechtliche Gründe entgegen standen.

3.

Abfindungsangebot und Ausgleich wurden von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer ermittelt und in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften durch einen weiteren unabhängigen Wirtschaftsprüfer geprüft und für angemessen erachtet.

4.

Der Vorstand weist daher den Vorwurf, seinen Pflichten nicht nachgekommen zu sein, mit Entschiedenheit zurück.

5.

Der Vorstand hält den Gegenantrag für unbegründet und schlägt vor, diesen abzulehnen.

Der Verfügungsbeklagte wie auch andere Minderheitsaktionäre stellten einen Antrag auf gerichtliche Bestimmung des geschuldeten Ausgleichs und der Abfindung. Über diese Anträge hat das nach § 2 des Spruchverfahrensgesetzes zuständige Landgericht Köln noch nicht entschieden.

Am 19.2.2003 meldete der Beklagte der W AG zur Abfindung an. Nach Maßgabe eines Betrages von 153,39 € je Stückaktie wurden seinem Konto insgesamt 1.564.578,00 € gutgeschrieben.

Zur ordentlichen Hauptversammlung der W AG vom 23.12.2004 reichte der Verfügungsbeklagte zu Tagesordnungspunkt 2 "Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2003/2004 am 22.11.2004 folgenden Gegenantrag ein:

"Der Vorstand ist nicht zu entlasten, sondern zu verknasten.

Der Vorstand hat die Minderheitsaktionäre in der Vergangenheit so schwer belogen, betrogen und über das Ohr gehaut, daß er für alle Ewigkeit ohne Brot und Wasser in den Knast gehört. Er hat die Aktionäre auf deutsch schwer beschissen. Daß er sich seines Betruges sicherlich bewußt ist, zeigt schon alleine die Tatsache, daß er die HV absichtlich auf einen Tag vor Weihnachten gelegt hat. Hier sollte endlich einmal der Staatsanwalt tätig werden."

Diesen Gegenantrag machten die Verfügungskläger mit Hinweis auf § 126 Abs. 2 Nr. 3 AktG gegen den Protest des Verfügungsbeklagten ohne Begründung und ohne den Zusatz "sondern zu verknasten" der Hauptversammlung zugänglich.

Mit Anwaltsschreiben vom 10.12.2004 forderten die Verfügungskläger den Verfügungsbeklagten ergebnislos auf, sich strafbewährt zur Unterlassung der mit dem Gegenantrag vom 22.11.2004 erhobenen Vorwürfe zu verpflichten.

Durch Beschluss vom 23.12.2004 hat die Hauptversammlung die Übernahme der noch von den Minderheitsaktionären gehaltenen Aktien durch die N GmbH im Wege des sogenannten "Squeeze-Out-Verfahrens" gegen Barabfindung in Höhe von 283,36 € je Stückaktie beschlossen, wobei der Betrag von der T GmbH im Auftrag der Geschäftsführung der N GmbH mit Gutachten vom 27.10.2004 ermittelt worden war. Gegen diesen Beschluss hat der Verfügungsbeklagte Anfechtungsklage vor dem Landgericht Köln erhoben.

Die Verfügungskläger haben die Auffassung vertreten, die beanstandeten Äußerungen seien als nicht von der Meinungsfreiheit des Verfügungsbeklagten gedeckte unwahre Tatsachenbehauptungen, jedenfalls aber als unzulässige Schmähkritik und Formalbeleidigung einzustufen.

Auf Antrag der Verfügungskläger hat die Kammer dem Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der angegriffenen Äußerungen aufgegeben. Nach Einlegung des Widerspruchs hat sich der Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung vom 7.3.2005 strafbewährt zur Unterlassung verpflichtet. Daraufhin haben beide Parteien das einstweilige Verfügungsverfahren unter Verwahrung gegen die Kostenlast in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Verfügungsbeklagte hat gemeint, bei den beanstandeten Äußerungen habe es sich um Werturteile gehandelt, die ohne Rücksicht auf Inhalt, Form und Begründung den Schutz der Meinungsfreiheit genössen.

II.

Nachdem beide Parteien das einstweilige Verfügungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über dessen Kosten gemäß § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies führte zur Auferlegung der Kosten auf die Verfügungskläger, da diese ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses aller Voraussicht nach unterlegen wären.

Den Verfügungsklägern stand der im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens verfolgte Unterlassungsanspruch nach §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 823 Abs. 1 und Abs. 2, 824 BGB, §§ 185 ff StGB – den hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen - nicht zu.

1.

Entgegen der Auffassung der Verfügungskläger stellen die Äußerungen, der Vorstand habe die Minderheitsaktionäre so schwer belogen, betrogen und über das Ohr gehauen, dass er für alle Ewigkeit ohne Brot und Wasser in den Knast gehöre, keine Tatsachenbehauptungen dar. Sie werden vielmehr ohne weiteres als (Un-)Werturteil über die Person der Verfügungskläger verstanden. Die beanstandeten Äußerungen werden maßgeblich durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens oder Meinens geprägt. Zwar mögen sich diese auch mit Elementen einer Tatsachenbehauptung verbinden oder vermischen. Wegen ihrer Substanzarmut tritt der tatsächliche Gehalt aber gegenüber der Wertung vollständig in den Hintergrund.

2.

Da die beanstandeten Äußerungen nicht als unzulässige Schmähkritik oder Formalbeleidigung eingestuft werden können, fallen sie in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, auf den sich der Verfügungsbeklagte berufen kann. Die Abwägung mit dem gleichfalls grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des Klägers führt zu dem Ergebnis, dass die Äußerungen noch gerechtfertigt sind.

a)

Zwar sind die beanstandeten Äußerungen geeignet, das Ansehen der Kläger in der Öffentlichkeit herabzusetzen und ihre persönliche Ehre zu beeinträchtigen. Indes können auch herabsetzende Äußerungen über einen Dritten durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt sein. Wenngleich dieses einerseits nicht als eine Art "Beschimpfungsfreiheit" vorrangig gegenüber dem Recht des einzelnen sein darf, als Person anerkannt und nicht mittels wahlloser Beschimpfungen, Verdächtigungen oder willkürlicher Abwertungen herabgewürdigt zu werden, so muss andererseits sachbezogene Kritik auch dann hingenommen werden, wenn sie in überspitzter Form geäußert wird. Das Recht auf freie Meinungsäußerung hat dementsprechend erst dann zurückzutreten, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Schmähkritik bzw. Formalbeleidigung darstellt (BverfGE 93, 266, 293 f). Von Verfassungs wegen macht selbst eine überzogene, unmäßige oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich noch nicht zur unzulässigen Schmähung. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs vielmehr erst dann vor, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der betroffenen Person im Vordergrund steht, wenn sich also die Äußerung jenseits polemischer oder überspitzter Kritik in der Herabsetzung der angegriffenen Person erschöpft (BverfGE 82, 272, 283 f; BGH WM 2002, 937). Nach Art und Aussagegehalt sachbezogene Kritik muss hingenommen werden, auch wenn der Kritiker zur Verdeutlichung seines Standpunkts nicht das "mildeste Mittel einsetzt.

bb)

Daran gemessen bewegen sich die beanstandeten Äußerungen noch innerhalb einer durch die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit gedeckten sachbezogenen Kritik.

Dass sie sich durch eine polemisch aggressive und beißende – insgesamt sarkastische und zynische – Diktion auszeichnen, steht dem nicht entgegen. Weisen die um solche Elemente entkleideten Äußerungen ihrem "eigentlichen Inhalt" nach einen auf den Gegenstand der Kritik sachlich bezogenen Aussagegehalt auf, und lässt sich auch aus der Art der sarkastischen und zynischen Einkleidung selbst kein hinreichender Anhaltspunkt für einen ausschließlich der Diffamierung des Kritisierten dienenden Zweck herleiten, kann insgesamt nicht auf eine den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG überschreitende und daher unzulässige Schmähkritik geschlossen werden (BverfG NJW 1992, 2073, 2074).

Diesen Vorgaben halten die angegriffenen Äußerungen noch stand. Hinter den sarkastischen und die Verfügungskläger aggressiv herabsetzenden Formulierungen, über deren geschmackliches Niveau die Kammer nicht zu befinden hat, stand – ganz eindeutig und nicht zuletzt auch angesichts des vorangegangenen Gegenantrags des Verfügungsbeklagten zu Tagesordnungspunkt 5 der Hauptversammlung vom 6.9.2000 wie auch des noch anhängigen Spruchverfahrens vor dem Landgericht Köln sowohl für die Verfügungskläger als auch für die auf der Hauptversammlung vertretenen Aktionäre ohne weiteres erkennbar – die Auseinandersetzung des Verfügungsbeklagten mit einer dem seinerzeit amtierenden Vorstand der W AG angelasteten Verschleierung des Unternehmenswertes im Zusammenhang mit dem den Minderheitsaktionären unterbreiteten Abfindungsangebot aus dem Jahr 1999 und deren Deckung durch den aktuellen Vorstand. Insofern haben die beanstandeten Äußerungen eine Sachbezogenheit der Kritik aufgewiesen, welcher der innere Zusammenhang mit dem zu erörternden Tagesordnungspunkt der Entlastung der Verfügungskläger in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Vorstandes für das Geschäftsjahr 2003/2004 nicht gänzlich abgesprochen werden kann.

Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht allein deshalb gerechtfertigt, weil der Hauptversammlung vom 23.12.2004 weder mit dem Antrag noch mit der Begründung konkrete Tatsachen an die Hand gegeben waren, um die zum Ausdruck gebrachte vernichtende Wertung selbst kritisch nachvollziehen zu können. Maßgebend ist allein, ob die abwertende Kritik auch vom Standpunkt des Kritikers aus ohne sachlichen Bezugspunkt, mithin grundlos und willkürlich abgegeben ist. Liegen der polemisch überspitzten und in bissiger Form geäußerten Meinung tatsächliche Anhaltspunkte zugrunde, die gewichtig genug sind, um die geäußerte Meinung zu veranlassen, kann von einer ausschließlich der Diffamierung dienenden Schmähkritik nicht allein deshalb ausgegangen werden, weil dem Adressaten die sachlichen Bezugspunkte, die den Anlass der Kritik darstellen, nicht mitgeteilt werden (BGH NJW 1962, 1004; NJW 1995, 301; OLG Köln NJW-RR 1997, 786, 788).

Die beanstandeten Äußerungen standen in Zusammenhang mit einer dem seinerzeit amtierenden Vorstand angelasteten Verschleierung des Unternehmenswertes im Zusammenhang mit dem den Minderheitsaktionären unterbreiteten Abfindungsangebot aus dem Jahr 1999 und deren Deckung durch den aktuellen Vorstand. Veranlasst waren sie von der durch die Verfügungskläger und den Aussichtsrat der W AG empfohlenen Beschlussfassung der Hauptversammlung vom 23.12.2004, der N GmbH als herrschendem Unternehmen die Übernahme der noch von den Minderheitsaktionären gehaltenen Aktien durch die N GmbH im Wege des sogenannten "Squeeze-Out-Verfahrens" gegen Barabfindung in Höhe von 283,36 € je Stückaktie zu ermöglichen, wodurch der Verfügungsbeklagte die Verschleierung des Unternehmenswerts für das Jahr 1999 und deren Deckung durch die Verfügungskläger bestätigt sah. Dabei nahm der Verfügungsbeklagte nicht nur seine eigenen Interessen, sondern auch die anderer Minderheitsaktionäre wahr. Ziel seiner Äußerungen war es, die Entlastung des Vorstandes zu verhindern. Der Hinweis auf die angeblich strafrechtliche Relevanz des Verhaltens der Verfügungskläger hatte ersichtlich die Funktion, die Beschlussfassung der Hauptversammlung im Sinne des Verfügungsbeklagten zu beeinflussen.

Schließlich lässt sich auch aus der Art der in den angegriffenen Äußerungen verwendeten Formulierungen selbst auf eine unzulässige Schmähkritik nicht schließen. Dieses Formulierungen dienen ganz offenkundig als Stilmittel, um die Intensität der Kritik zum Ausdruck zu bringen, die – dem Grad der Übertreibung und polemischen Überspitzung entsprechend – eine besondere Missbilligung beschreiben soll.

c)

Erweist sich die Herabsetzung der Verfügungskläger durch den Verfügungsbeklagten danach nicht als Schmähkritik oder Formalbeleidigung als unzulässig, bedarf es einer Abwägung der einander gegenüber stehenden Grundrechtspositionen der Parteien (vgl. BverfGE 85, 1, 16).

Danach genießt das Persönlichkeitsrecht der Kläger keinen Vorrang gegenüber dem Grundrecht der Meinungsfreiheit. Berührt ein Vorwurf – wie hier – nicht den Intimbereich des Betroffenen, sondern den Bereich seiner gewerblichen Betätigung, also die Sozialsphäre, so kommt dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit ein erheblicher Rang zu. Wer sich im Wirtschaftsleben betätigt, muss sich in weitem Umfang der Kritik aussetzen (BGH GRUR 1995, 270, 274). Bei Anwendung dieser Regeln erscheinen die durch die beiden Gutachten zur Ermittlung des Unternehmenswertes der W AG geschaffenen unstreitigen Tatsachen jedenfalls nicht von vornherein unschlüssig, um einen Verdacht von Verschleierungsmaßnahmen sowie deren Äußerung gegenüber der Hauptversammlung der Gesellschaft zu rechtfertigen.






LG Bonn:
Beschluss v. 20.04.2005
Az: 10 O 539/04


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