Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Oktober 2000
Aktenzeichen: 5 W (pat) 443/99

(BPatG: Beschluss v. 18.10.2000, Az.: 5 W (pat) 443/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamtes - Gebrauchsmusterabteilung I - vom 28. Juni 1999 aufgehoben.

Das Gebrauchsmuster 89 16 161 wird gelöscht, soweit es über Schutzanspruch 1 in folgender Fassung sowie die Schutzansprüche 3 bis 7, letztere jeweils ohne Rückbeziehung auf Schutzanspruch 2, hinausgeht:

"1. Extraktionsvorrichtung zum Entfernen einer implantierten Leitung (204), welche eine Spiralstruktur (211) mit einem sich längs hierdurch erstreckenden Durchgang (210) aufweist, mit:

einem äußeren Rohr (1402);

einer Kontrolleinrichtung (1403) zum Bewegen der Spiralstruktur (211);

wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein Stylett umfaßt, welches in dem äußeren Rohr (1402) gleitbar angeordnet ist, wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein distales Ende zum Einführen in den Durchgang (210) der Spiralstruktur (211) aufweist, gekennzeichnet durcheine diagonal geschlitzte Hülse (1405), die zwischen dem distalen Ende des äußeren Rohres (1402) und dem der Kontrolleinrichtung (1403) angeordnet ist, wobei das distale Ende (1407) der Kontrolleinrichtung (1403) und das distale Ende des äußeren Rohres (1402) angeschrägt sind derart, daß sie bei Betätigung der Kontrolleinrichtung (1403) in die geschlitzte Hülse (1405) eingreifen und sie an beiden Enden aufweiten."

Im übrigen werden der Löschungsantrag und die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug tragen die Antragsgegnerinnen zu 7/8, die Antragstellerin zu 1/8; die Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug tragen die Antragsgegnerinnen zu 9/10, die Antragstellerin zu 1/10.

Gründe

I Die Antragsgegnerinnen sind Inhaber des als Abzweigung aus der EP-Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen EP 89 311 373.8 am 25. März 1994 beim Deutschen Patentamt eingereichten und am 7. Juli 1994 unter der Bezeichnung Vorrichtung zum Entfernen einer länglichen in biologisches Gewebe implantierten Strukturmit sieben Schutzansprüchen in die Rolle eingetragenen Gebrauchsmusters 89 16 161.

Für die dem Streitgebrauchsmuster zugrundeliegende, am 2. November 1989 beim Europäischen Patentamt eingereichte Patentanmeldung ist die Priorität von vier Voranmeldungen in den Vereinigten Staaten von Amerika vom 9. November 1988 (US 269,771)

17. Januar 1989 (US 298,100)

3. Mai 1989 (US 347,217)

9. Juni 1989 (US 363,960)

in Anspruch genommen.

Die der Eintragung zugrundeliegenden Schutzansprüche haben die Antragsgegnerinnen am 3. Juni 1994 nachgereicht; sie lauten:

1. Extraktrionsvorrichtung zum Entfernen einer implantierten Leitung (204), welche eine Spiralstruktur (211) mit einem sich längs hierdurch erstreckenden Durchgang (210) aufweist, mit:

einem äußeren Rohr (1302; 1402);

einer Kontrolleinrichtung (1403, 1503; 1603) zum Bewegen der Spiralstruktur (211);

wobei die Kontrolleinrichtung (1403; 1503; 1603) ein Stylett (200, 205; 2801) umfaßt, welches in dem äußeren Rohr (1302; 1402) gleitbar angeordnet ist, wobei die Kontrolleinrichtung (1403; 1503; 1603) ein distales Ende zum Einführen in den Durchgang (210) der Spiralstruktur (211) aufweist, gekennzeichnet durcheine aufweitbare Einheit (1405; 1506; 1605), die kein integraler Teil des äußeren Rohres (1302; 1402) ist, welche dem distalen Ende der Kontrolleinrichtung (1403; 1503; 1603) benachbart ist, und welche in eine aufgeweitete Stellung innerhalb des Durchgangs (210) der Spiralstruktur (211) gebracht werden kann, um die Kontrolleinrichtung (1403; 1503; 1603) an der Spiralstruktur (211) zu befestigen.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die aufweitbare Einheit eine spreizbare Einheit (1405) umfaßt, die nach außen in den Durchgang (210) aufspreizbar ist, um in die Spiralstruktur (211) einzugreifen, um die Kontrolleinrichtung (1403; 1503; 1603) an der Leitung, insbesondere Herzschrittmacherleitung (204), zu befestigen.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung weiterhin einen Kontrollmechanismus (254) umfaßt, welcher ungefähr an einem proximalen Ende der Kontrolleinrichtung (1403; 1503; 1603) angeordnet ist, um die aufweitbare Einheit aufzuweiten und um die Leitung (204) aus dem Gewebe zu entfernen, wenn die aufweitbare Einheit (1405; 1506; 1604) an der Spiralstruktur (211) angebracht ist.

4. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung weiterhin ein Verbindungsstück (241) umfaßt, welches ungefähr an einem proximalen Ende der Leitung (204) angebracht ist, nachdem die Kontrolleinrichtung (1403; 1503; 1603) in den longitudinalen Durchgang (210) eingeführt und an der Leitung (204) angebracht wurde.

5. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung weiterhin ein erstes Rohr (2402) umfaßt, welches um eine Länge der Leitung (204) angeordnet werden kann, um die Leitung (204) von dem Gewebe zu trennen, wenn die aufweitbare Einheit (1405; 1506; 1605) an der Leitung (204) befestigt worden ist.

6. Vorrichtung nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung weiterhin noch ein zweites Rohr (2405) umfaßt, welches um das erste Rohr herum angeordnet werden und mit diesem betätigt werden kann, um das Gewebe von der Leitung (204) zu trennen.

7. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung weiterhin sich gegenüberliegende Backen (223, 224) umfaßt, die angeordnet sind, um die Leitung (204) ungefähr an deren proximalen Ende zu greifen und deren Bewegung zu beschränken, und drehbar verbundene längliche Elemente (233, 234), um die Backen zwischen einer offenen und einer geschlossenen Stellung zu bewegen.

Die ursprünglich eingereichten Schutzansprüche 1 bis 5 lauten:

1. Vorrichtung zum Entfernen einer länglichen Struktur (204) aus biologischem Gewebe, wobei die Vorrichtung eine Mandrinanordnung (stylet arrangement) (200, 205; 2801) umfaßt, welche in einen longitudinalen Durchgang (210) innerhalb der Struktur über das proximale Ende (221) der letztgenannten eingeführt werden kann, wobei die Mandrinanordnung einen ersten Abschnitt (200; 2802) umfaßt, welcher in der Lage ist, im wesentlichen über die Länge der Struktur eingeführt zu werden, und wobei ein zweiter Abschnitt (205; 2804-2809) davon sich wenigstens entlang eines Bereiches des ersten Abschnitts, entfernt von dessen proximalem Ende befindet, und der zweite Abschnitt benutzt werden kann, um einen ausreichenden seitlichen Druck auf die Struktur auszuüben, um es durch Mittel, welche den ersten Abschnitt einschließen, zu ermöglichen, daß diese aus dem biologischem Gewebe entfernt werden kann, dadurch gekennzeichnet, daß

der zweite Abschnitt nach außen dehnbar ist und eine Vielzahl von seitlichen Kräften auf die Struktur an Stellen ausüben kann, welche wenigstens von dem proximalen Ende des ersten Abschnitts entfernt liegen, um den ausreichenden seitlichen Druck zur Verfügung zu stellen.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der zweite Abschnitt eine dehnbare Einheit (205; 1004; 1102; 1103; 1204; 1304; 1405, 1506; 1605; 1704; 1806; 2003; 2804-2809) umfaßt, die an einem Ende an dem ersten Abschnitt angeordnet ist und die nach außen in dem longitudinalen Durchgang dehnbar ist, um in die längliche Struktur einzugreifen, um den ersten Abschnitt an der länglichen Struktur anzubringen.

3. Vorrichtung nach Anspruch 2 weiterhin dadurch gekennzeichnet, daß die dehnbare Einheit eine Drahtspirale (205; 2804-2809) aufweist, deren distales Ende ungefähr an oder nahe dem distalen Ende des ersten Abschnitts angeordnet ist und deren proximales Ende einen Fangdraht (250; 2306; 2806-2808) aufweist, welcher sich davon ausgehend dehnt, um das proximale Ende (253; 2806-2808) während der Ausdehnung der Drahtspirale anzubringen.

4. Vorrichtung nach Anspruch 3 weiterhin dadurch gekennzeichnet, daß ein proximales Ende (253) des Fangdrahtes so angeordnet ist, daß es sich aus dem longitudinalen Durchgang nach außen hin ausdehnt, um das proximale Ende der Drahtspirale anzubringen, wenn sie in den longitudinalen Durchgang eingeführt wird.

5. Vorrichtung nach Anspruch 3 weiterhin dadurch gekennzeichnet, daß ein proximales Ende (2807) des Fangdrahtes darauf zurückgefaltet ist, um den Fangdraht in die längliche Struktur eingreifen zu lassen.

Die ursprünglich eingereichten Schutzansprüche 6 bis 10 entsprechen den eingetragenen Schutzansprüchen 3 bis 7, die ursprünglich eingereichten Schutzansprüche 11 bis 15 waren Verfahrensansprüche.

In ihrem am 31. Dezember 1997 eingereichten Löschungsantrag hat die Antragstellerin unter Hinweis auf die US-PS 45 74 800 geltend gemacht, daß der Gegenstand des Gebrauchsmusters nach §§ 1 bis 3 GebrMG nicht schutzfähig sei und zudem über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgehe, in der diese ursprünglich eingereicht worden sei.

Die Antragsgegnerinnen haben dem Löschungsantrag fristgerecht widersprochen.

Auf den Hinweis der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und Markenamtes, daß das Gebrauchsmuster zum Zeitpunkt der Einreichung des Löschungsantrags bereits abgelaufen war, ist die Antragstellerin unter Bezugnahme auf eine vor dem LG Düsseldorf gegen sie aus dem Gebrauchsmuster anhängige Klage auf Schadensersatz (4 0 231/97) auf einen Antrag, die Unwirksamkeit des Gebrauchsmusters rückwirkend festzustellen, übergegangen.

In einem Zwischenbescheid hat die Gebrauchsmusterabteilung erklärt, daß die Schutzansprüche dem Fachmann keine klare technische Lehre vermittelten und deshalb mit der Feststellung der Unwirksamkeit der Schutzansprüche in der eingetragenen Fassung zu rechnen sei.

Am 28. Juni 1999 haben die Antragsgegnerinnen einen geänderten Schutzanspruch 1 vorgelegt, der folgenden Wortlaut hat:

Extraktionsvorrichtung zum Entfernen einer implantierten Leitung (204), welche eine Spiralstruktur (211) mit einem sich längs hierdurch erstreckenden Durchgang (210) aufweist, mit:

einem äußeren Rohr (1402);

einer Kontrolleinrichtung (1403) zum Bewegen der Spiralstruktur (211);

wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein Stylett umfaßt, welches in dem äußeren Rohr (1402) gleitbar angeordnet ist, wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein distales Ende zum Einführen in den Durchgang (210) der Spiralstruktur (211) aufweist, gekennzeichnet durcheine aufweitbare Einheit (1405), die kein integraler Teil des äußeren Rohres (1402), sondern als geschlitzte Hülse ausgebildet ist, welche dem distalen Ende der Kontrolleinrichtung (1403) benachbart und an diesem gehalten ist, und welche zur Befestigung der Kontrolleinrichtung (1403) an der Spiralstruktur (211) durch Relativbewegung zwischen äußerem Rohr und Kontrolleinrichtung in eine aufgeweitete Stellung innerhalb des Durchgangs (210) der Spiralstruktur (211) bringbar ist.

Die Gebrauchsmusterabteilung hat mit Beschluß vom 28. Juni 1999 festgestellt, daß das Gebrauchsmuster von Anfang an unwirksam war, soweit es über den Hauptanspruch in der Fassung vom 28. Juni 1999 und die eingetragenen Schutzansprüche 2 bis 7 hinausgeht.

Gegen diesen Beschluß haben die Antragstellerin wie auch die Antragsgegnerinnen Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerinnen haben ihre Beschwerde später zurückgenommen.

Die Antragsgegnerinnen verteidigen das Gebrauchsmuster hilfsweise in einer weiter eingeschränkten Fassung des Schutzanspruchs 1 (Hilfsantrag) vom 18. Oktober 2000. Diese lautet:

Extraktionsvorrichtung zum Entfernen einer implantierten Leitung (204), welche eine Spiralstruktur (211) mit einem sich längs hierdurch erstreckenden Durchgang (210) aufweist, mit:

einem äußeren Rohr (1402);

einer Kontrolleinrichtung (1403) zum Bewegen der Spiralstruktur (211);

wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein Stylett umfaßt, welches in dem äußeren Rohr (1402) gleitbar angeordnet ist, wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein distales Ende zum Einführen in den Durchgang (210) der Spiralstruktur (211) aufweist, gekennzeichnet durcheine aufweitbare Einheit, die kein integraler Teil des äußeren Rohres (1402), sondern als geschlitzte Hülse (1405) ausgebildet ist, welche dem distalen Ende der Kontrolleinrichtung (1403) benachbart und an diesem gehalten ist, und welche zur Befestigung der Kontrolleinrichtung (1403) an der Spiralstruktur (211) durch Relativbewegung zwischen äußerem Rohr und Kontrolleinrichtung dadurch in eine aufgeweitete Stellung innerhalb des Durchgangs (210) der Spiralstruktur (211) bringbar ist, daß das distale Ende des äußeren Rohres (1402) in die geschlitzte Hülse (1405) eingreift und diese aufweitet.

Die Antragstellerin macht geltend, daß der Gegenstand des in erster Linie verteidigten Schutzanspruchs 1 über den Inhalt der Gebrauchsmusteranmeldung in der ursprünglichen Fassung hinausgehe.

Der Beschreibung des Ausführungsbeispiels nach Figur 9, auf dem der Gegenstand dieses Anspruchs beruhe. sei nur eine diagonal geschlitzte Hülse, nicht etwa auch eine schlechthin anders (also auch zB achsparallel) geschlitzte Hülse entnehmbar. Für das beschriebene radiale Aufweiten der Hülse sei das gleichfalls beschriebene Aufspreizen von beiden Enden her von erheblicher Bedeutung; dazu sei erforderlich, daß die Hülse kein integraler Teil des äußeren Rohres und der Kontrolleinrichtung sei.

Diese Merkmale wie auch weitere notwendige Angaben über die Art des Aufweitens fehlten im Schutzanspruch 1.

Den Unterlagen sei nicht die Lehre zu entnehmen, daß die Verformung der aufweitbaren Einheit nur an deren distalem Ende erfolgen solle. Für die Ausführungsbeispiele mit zylindrischen Teilen sei eine radiale Aufweitung beschrieben, für die anderen Ausführungsbeispiele andere Funktionen und Wirkungen.

Die Antragstellerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Unwirksamkeit des Gebrauchsmusters festzustellen.

Die Antragsgegnerinnen beantragendie Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Zurückweisung im Umfang des Schutzanspruchs 1 nach Hilfsantrag und der Schutzansprüche 2 bis 7.

Sie tragen vor, daß die Erfindung von der aus der genannten US PS 45 74 800 bekannten Vorrichtung ausgehe. Diese weise aber den Nachteil auf, daß aufgrund des konischen Aufweitens der Schlitze 45 des rohrförmigen Elements 32 vom distalen Ende her kein sicherer Halt gewährleistet, sondern vielmehr ein Durchrutschen der Vorrichtung bei einem Extraktionsversuch möglich sei. Die Erfindung ziele demgegenüber darauf ab, einen mechanischen Eingriff zum Herausziehen der implantierten Leitung zu nutzen. Der Kerngedanke liege in der das Durchrutschen verhindernden Richtungsumkehr des aus der US PS bekannten formschlüssigen Eingriffs.

Das Gebrauchsmuster lehre, wie diese Mitnahmemöglichkeiten ausgeführt werden können. So zeigten die Figur 6 mit den radialen Vorsprüngen 1102, 1103, die Figur 14 mit dem verschwenkbaren Zylinder 1903 und der Figur 16 mit den Längsvorsprüngen 2003, 2103 diesen Mitnahmeeffekt. Der Fachmann könne erkennen, daß es allein auf die Ausbildung des proximalen Endes der aufweitbaren Einheit bzw Elemente ankomme. Ebenso bewirke die Drahtspirale nach dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 1 eine Verkeilung nach hinten zum proximalen Ende hin. Auch bei den aufweitbaren "Hülsen" nach den Figuren 9, 10 und 11 erfolge eine Aufweitung hin zu einem sperrenden Eingriff. Wichtig sei dabei das geeignete Aufweiten; auf den Schlitz und seine Form komme es dabei nicht an.

Die Antragsgegnerinnen hätten sich auf das für sie wesentliche Ausführungsbeispiel mit der geschlitzten Hülse beschränkt. Es sei jedoch rechtlich nicht geboten, alle Merkmale des Ausführungsbeispiels in den eingeschränkten Schutzanspruch zu übernehmen. Vielmehr sei es zulässig und ausreichend, nur die für die Erfindung wesentlichen und der Anmeldung als Erfindungsgedanke entnehmbaren Merkmale zum Gegenstand des Schutzanspruchs zu machen.

II Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und teilweise auch begründet. Denn der Feststellungsantrag ist im Hinblick auf den gegen die Antragstellerin gerichteten Schadensersatzanspruch aus dem Gebrauchsmuster zulässig; er ist zwar nicht in vollem Umfang, aber doch in weitergehendem Umfang als im angefochtenen Beschluß ausgesprochen begründet. Soweit das Gebrauchsmuster nicht mehr verteidigt wird, folgt dies aus § 17 Abs 1 Satz 2 GebrMG. Im übrigen ist der geltend gemachte Feststellungsanspruch auf der Grundlage des § 15 Abs 1 Nr 1GebrMG teilweise gegeben.

1a) Der in erster Linie verteidigte Gegenstand des Schutzanspruchs 1 in der Fassung vom 28. Juni 1999 ist unzulässig erweitert.

Dieser Schutzanspruch richtet sich auf eine Extraktionsvorrichtung, bei der die aufweitbare Einheit als geschlitzte Hülse ausgebildet ist. Die Gebrauchsmusterabteilung hat die Ausbildung der aufweitbaren Einheit als separates Bauteil in Form einer - insoweit ohne weitere Spezifizierung - geschlitzten Hülse als aus Figur 9 wie auch aus der zugehörigen Beschreibung des Gebrauchsmusters herleitbar anzusehen. Dabei ist aber außer Acht gelassen, daß der Schutzanspruch gegenüber der ursprünglichen Offenbarung so geändert ist, daß er auch Ausbildungen der eine geschlitzte Hülse aufweisenden Extraktionsvorrichtung umfaßt, die der Fachmann - ein auf die Entwicklung von Gefäßkathetern und verwandten medizinischen Vorrichtungen spezialisierter Fachhochschulingenieur - der ursprünglichen Offenbarung nicht ohne weiteres entnommen hätte.

Dazu gehört zum einen eine Ausbildung, bei welcher das Aufweiten allein vom distalen Ende der geschlitzten Hülse her erfolgt, wie dies im Prinzip vom Stand der Technik bekannt ist, weil sich die Hülse am distalen Ende des äußeren Rohres nur abstützt, wie auch zum anderen eine Ausbildung, bei welcher die Aufweitung vor allem bzw allein vom proximalen Ende der Hülse her erfolgt, weil sie sich am distalen Ende der Kontrolleinrichtung nur abstützt oder an diesem sogar befestigt ist, wie dies die Antragsgegnerinnen in ihrem Vortrag in diesem Verfahren als vom Schutzumfang mitumfaßt geltend machen. In beiden Fällen ergäbe sich eine im wesentlichen konisch aufgeweitete Hülse.

Die Grenzen der zulässigen Beschränkung eines unter Schutz gestellten Gegenstandes werden aber überschritten, wenn ein Merkmal aus den Unterlagen aufgegriffen und in den Schutzanspruch aufgenommen wird, das zwar in der Beschreibung oder der Zeichnung enthalten, aber dort in keinem sachlichen Zusammenhang mit der als Erfindung offenbarten und unter Schutz gestellten Lehre steht. Der funktionelle Zusammenhang des verteidigten Gegenstands mit als zur Erfindung gehörig Beschriebenen muß gewahrt bleiben. Das durch das Einfügen in den Schutzanspruch jetzt hervorgehobene Merkmal (aus der Beschreibung S 11 Z 9/10) ist in seinem Kontext (S 11 Z 5 bis 8 und 11 bis 18) zu betrachten und muß von daher als unzulässig verworfen werden.

Figur 9 und die zugehörige Beschreibung zeigt bzw beschreibt (S 11 Z 5 bis 17) und nennt (S 11 Z 17/18) allein ein radiales Ausdehnen der Hülse durch das Eingreifen der angeschrägten Enden sowohl der Kontrolleinrichtung wie auch des äußeren Rohrs in die Hülse. Eine allgemeine Lehre dahingehend, daß es beim angestrebten Ausdehnen (= ursprünglicher Hauptanspruch) bzw Aufweiten (= eingetragener Hauptanspruch) der genannten Einheit vor allem auf deren proximales Ende bzw dessen Wirkung ankommt, ist - anders als die Antragsgegnerinnen meinen - den (ursprünglichen) Unterlagen aber nicht zu entnehmen. Die die unterschiedlichen Ausführungsbeispiele der "aufweitbaren Einheit" übergreifende ursprüngliche Lehre erschöpft sich vielmehr, wie ursprünglich beansprucht, darin, eine dehnbare Einheit vorzusehen, die nach außen in dem longitudinalen Durchgang (der implantierten Leitung) dehnbar ist, um in deren längliche Struktur (Spiralstruktur) einzugreifen (s den ursprünglichen Schutzanspruch 2), wobei sie eine Vielzahl von seitlichen Kräften, dh ausreichenden Seitendruck, zur Verfügung stellen soll (s den kennzeichnenden Teil des ursprünglichen Schutzanspruchs 1).

Die in ihrem Aufbau und ihrer Wirkungsweise lediglich nebeneinander beschriebenen Ausführungsbeispiele lassen sich allenfalls unter drei Funktionsprinzipien zusammenfassen:

- eine erste Gruppe (mit den Ausführungsbeispielen nach den Figuren 6; 8; 14; 15), bei welcher an der aufweitbaren Einheit ausgebildete, über deren Längsausdehnung verteilte, bewegbare Vorsprünge nach einem "Aufweiten" (zB Hinausdrücken mittels eines Mandrins) als "Widerhaken", also vor allem formschlüssig in die Spiralstruktur eingreifen,

- eine zweite Gruppe (mit den Ausführungsbeispielen/Varianten nach den Figuren 1 bis 3; 12; 18; 24) mit einer am distalen Ende eines Mandrins befestigten Drahtspirale als aufweitbarem Element, die sich dicht gewickelt im Bereich der distalen Enden oder mit gestreckten Windungen über die gesamte Länge des Mandrindrahtes erstreckt und die durch Verdrehen des Mandrins entgegen dem Wicklungssinn von ihrem distalen Ende her aufgeweitet und in kraftschlüssigen und - steigungsabhängig - auch formschlüssigen Eingriff mit der Spiralstruktur der implantierten Leitung bringbar ist, und - eine dritte Gruppe (mit den Ausführungsbeispielen nach den Figuren 5 und 13; 7; 9; 10 und 11) mit den aufweitbaren Elementen Ballon, diagonal geschlitzte Hülse und massiver Zylinder aus elastischem Material, die über ihre ganze Länge im wesentlichen gleichmäßig radial aufgeweitet werden und vor allem kraftschlüssig in die Drahtspirale "eingreifen".

Die Beschreibung der Vielzahl von Ausführungsbeispielen für die aufweitbare Einheit nebeneinander gibt dem Fachmann jedoch keine Anregung, einzelne Merkmale im Hinblick auf deren Wirkung von einer dieser Gruppen oder einem der Ausführungsbeispiele auf ein anderes Ausführungsbeispiel unter Abwandlung von dessen beschriebenem Aufbau und seine Wirkungsweise zu übertragen. Der Fachmann wäre davon abgehalten, auch eine andere Schlitzform als die Diagonale als mögliche Lösung in Betracht zu ziehen.

Figur 9 bzw die zugehörige Beschreibung zeigt bzw nennt ausschließlich eine "diagonal" geschlitzte Hülse. Zwar ist an einer Stelle von der "diagonal geschlitzten" Hülse, im übrigen aber in der Tat von der "geschlitzten" Hülse schlechthin die Rede. Die Hülse wird aber sogleich bei ihrer erstmaligen Nennung als "diagonal geschlitzt" bezeichnet. Wenn die folgenden Erwähnungen der Hülse sich auf die Charakterisierung "geschlitzt" beschränken, so liegt hierin mangels eines entsprechenden Hinweises keine Erweiterung des Bedeutungsgehalts, sondern nur eine sprachliche Abkürzung.

Eine besondere Wirkung des diagonalen Schlitzes ist zwar nicht beschrieben. Angeregt durch die gegenüber einem axialen Schlitz eher ungewöhnliche und im übrigen aufwendigere Form kann der Fachmann jedoch durch einfache Überlegungen und Versuche zu der Erkenntnis gelangen, daß durch diesen diagonalen Schlitz zusätzliche Torsionskräfte im Schlitzbereich der Hülse auftreten - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - die im Ergebnis zu einer (wenn auch geringen) stundenglasförmigen Einschnürung der Hülse und damit zu einem gewissen Einspreizen der beiden Enden der Hülse in die Spiralstruktur der implantierten Leitung führen.

Auch das kennzeichnende Merkmal, daß die Hülse am distalen Ende der Kontrolleinrichtung "gehalten ist", ist den ursprünglichen Unterlagen nicht für das Ausführungsbeispiel mit der diagonal geschlitzten Hülse insoweit zu entnehmen, als darunter auch ein "befestigt" verstanden werden soll. Denn nach den beschriebenen Funktionen soll auch dieses abgeschrägte Ende der Kontrolleinrichtung in die Hülse eingreifen und so beim radialen Aufweiten mitwirken.

b) Auch der hilfsweise verteidigte Gegenstand läßt sich der Prüfung auf mangelnde Schutzfähigkeit wegen unzulässiger Erweiterung nicht zugrundelegen. Denn der Schutzanspruch 1 nach dem Hilfsantrag unterscheidet sich vom Schutzanspruch 1 nach dem Hauptantrag lediglich durch das Merkmal, daß das distale Ende des äußeren Rohres in die geschlitzte Hülse eingreift und diese aufweitet.

Damit wird einschränkend die bereits im Rahmen des Hauptantrags als vom Schutzanspruch 1 mitumfaßte und als unzulässige Erweiterung zu bewertende Lösung beansprucht, bei welcher allein das proximale Ende der geschlitzten Hülse aufgeweitet wird.

2. Wird der Gegenstand, der vom Schutzanspruch 1 erfaßt wird, auf den zulässigerweise zu verteidigenden Umfang zurückgeführt, so ergibt sich - als für den Fachmann der Beschreibung des Ausführungsbeispiels nach Figur 9 (S 10, Z 34 bis S 11, Z 21) zu entnehmen - eine Extraktionsvorrichtung zum Entfernen einer implantierten Leitung (204), welche eine Spiralstruktur (211) mit einem sich längs hierdurch erstreckenden Durchgang (210) aufweist, mit:

einem äußeren Rohr (1402);

einer Kontrolleinrichtung (1403) zum Bewegen der Spiralstruktur (211);

wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein Stylett umfaßt, welches in dem äußeren Rohr (1402) gleitbar angeordnet ist, wobei die Kontrolleinrichtung (1403) ein distales Ende zum Einführen in den Durchgang (210) der Spiralstruktur (211) aufweist, diegekennzeichnet ist durcheine diagonal geschlitzte Hülse (1405), die zwischen dem distalen Ende des äußeren Rohres (1402) und dem der Kontrolleinrichtung (1403) angeordnet ist, wobei das distale Ende (1407) der Kontrolleinrichtung (1403) und das distale Ende des äußeren Rohres (1402) angeschrägt sind derart, daß sie bei Betätigung der Kontrolleinrichtung (1403) in die geschlitzte Hülse (1405) eingreifen und sie an beiden Enden aufweiten.

Im Umfang eines so beschränkten Schutzanspruchs 1 läßt sich die beantragte Feststellung der Unwirksamkeit nach §§ 1-3 GebrMG nicht treffen.

Eine solche Extraktionsvorrichtung ist neu. Die Vorrichtung nach der US-PS 4 574 800 weist zwar die Merkmale des Oberbegriffs auf. Doch ist die aufweitbare Einheit dort integraler Bestandteil des äußeren Rohres (32), da dieses Rohr von seinem distalen Ende her geschlitzt und von dort aus mittels eines "vorstehenden Elements" (36; 36a) am Ende der Kontrolleinrichtung 33 konisch aufweitbar ist.

Diese Extraktionsvorrichtung beruht auch auf einem erfinderischen Schritt.

Die US PS 4 574 800 als einziger im Löschungsverfahren eingeführte Stand der Technik enthält zwar den Hinweis, daß die Schlitze je nach Materialwahl für das äußere Rohr nicht zwingend erforderlich sind. Doch sind ihr keine sonstigen Anregungen für andere Lösungen zu entnehmen. Es bedarf mehr als routinemäßiger Bemühungen des Fachmanns, um zu der vorgeschlagenen Lösung zu kommen.

Aus der Praxis ergaben sich, wie von den Antragsgegnerinnen geltend gemacht, in den Lösungen nach dem Stand der Technik Unzulänglichkeiten durch ein mögliches Durchrutschen des in distaler Richtung erweiterten konischen Endes des "äußeren Rohres" in der Spiralstruktur bei Extraktionsversuchen. Es bot sich aber dem Fachmann nicht an, sondern bedurfte näherer Lösungsbemühungen, gerade zu einer Lösung nach Figur 9 des Streitgebrauchsmusters mit einer separaten, diagonal geschlitzten und von beiden Enden her aufweitbaren Hülse zu kommen.

3. Der auf den eingetragenen Schutzanspruch 1 bezogene eingetragene Schutzanspruch 2 kann nicht als ursprünglich wirksam anerkannt werden, weil er gegenüber dem auf seinen rechtsbeständigen Rest beschränkten (vgl oben unter Abschnitt 2) Schutzanspruch 1 nichts Neues, insbesondere keine Weiterbildungen oder Ausgestaltungen dessen Gegenstandes wiedergibt.

4. Die eingetragenen, nunmehr auf Schutzanspruch 1 in der als zulässig bezeichneten, beschränkten (vgl oben unter Abschnitt 2) Fassung bezogenen Schutzansprüche 3 bis 7 sind nicht als unwirksam anzusehen. Sie haben nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen und Weiterbildungen des Gegenstandes des verbliebenen Schutzanspruchs zum Gegenstand.

5. Für die von den Antragsgegnerinnen angeregte Zulassung der Rechtsbeschwerde gibt es keine Rechtsgrundlage. Insbesondere ist keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd § 100 Abs 2 Nr 1 PatG zu entscheiden, sondern insoweit lediglich eine Subsumtion des Sachverhalts unter die seit langem anerkannte (vgl Benkard (9) PatG § 35 Rdn 27 mwN) Regel vorzunehmen, dem unter Schutz gestellten Gegenstand nur solche Merkmale zuzuordnen, die als zur Erfindung gehörig offenbart sind.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs 3 GebrMG iVm § 84 Abs 2 PatG, § 92 Abs 1, § 269 Abs 3 ZPO.

Goebel Klosterhuber Haaß

Pr






BPatG:
Beschluss v. 18.10.2000
Az: 5 W (pat) 443/99


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