Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 3. April 2008
Aktenzeichen: 29 W 1081/08

(OLG München: Beschluss v. 03.04.2008, Az.: 29 W 1081/08)

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 7. März 2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 20.000,- € festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassenGründeI.

Die Antragstellerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie rechnet für Zahnärzte bestimmte Zahlungen der Versicherer mit den Zahnärzten ab.

Die Antragsgegnerin bietet zusammen mit gesetzlichen Krankenversicherungen, Berufsverbänden der Ärzte, Krankenhäusern und einzelnen Ärzten auf vertraglicher Grundlage eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung (integrierte Versorgung gemäß den §§ 140a ff. SGB V) an. Sie koordiniert die beteiligten Leistungserbringer und führt die Abrechnung durch. Eine von ihr mit der AOK B. und dem Landesverband B. im Berufsverband der Frauenärzte e. V. geschlossene Rahmenvereinbarung (vgl. Anlage K 5) enthält folgende Regelungen:

§ 4 Leistungsumfang

[€]

(2) Zu den Aufgaben des Partnerarztes gehören ferner die Durchführung des ärztlichen Gesprächs über die erhöhten Risiken im Zusammenhang mit Parodontalerkrankungen während der Schwangerschaft und über die besondere Bedeutung der Dentalhygiene für Mutter und Kind sowie die Überweisung der Schwangeren an einen Partnerzahnarzt.

[€]

§ 5 Vergütung und Abrechnung

[€]

(2) Davon abweichend vereinbaren die Vertragspartner für die Vergütung der Frauenärzte [€] folgende Regelung:

[€]

b) Zusätzlich erhält der Partnerarzt von der AOK für seine Leistungen nach § 4 Abs. 2 eine Vergütungspauschale in Höhe von EUR 10,-- je Fall, wenn [€] die Schwangere im Rahmen dieser integrierten Versorgung von einem Partnerzahnarzt behandelt wird [€].

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Antragsgegnerin stifte durch diese Vertragsgestaltung die Partnerärzte zu einem Verstoß gegen § 31 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns vom 6. August 2007 (im Folgenden: BO) an, der wie folgt lautet:

Unerlaubte Zuweisung von Patienten gegen Entgelt

Dem Arzt ist es nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten [€] ein Entgelt oder andere Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.

Die Antragsgegnerin sei daher sowohl als Teilnehmerin als auch als Störerin gemäß § 8 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG zur Unterlassung verpflichtet.

Die Antragstellerin hat beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verbieten,

einen Vertrag anzubieten, abzuschließen oder zu bewerben, der vorsieht, dass ein Arzt einen Geldbetrag als Gegenleistung dafür erhält, dass er einen Patienten an einen Zahnarzt überweist.

Die Antragsgegnerin hat den beschrittenen Rechtsweg gerügt und beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Antrag sei nicht nur wegen der Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte unzulässig, sondern auch unbegründet. Unter anderem hat sie die Auffassung vertreten, es liege jedenfalls deshalb kein Verstoß gegen § 31 BO vor, weil diese Vorschrift restriktiv auszulegen sei, soweit Verträge über die integrierte Versorgung gemäß § 140a ff. SGB V betroffen seien. Um den gesetzgeberischen Willen zur Etablierung einer integrierten Versorgung zu entsprechen, müssten zwischen den unterschiedlichen an der Behandlung der Patienten beteiligten Leistungserbringern Schnittstellen geschaffen werden, die über das bisherige Maß hinausgingen.

Mit Verfügung vom 4. März 2008 (vgl. Bl. 32 f. d. A.) hat das Landgericht seine Absicht bekundet, den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig zu erklären und das Verfahren an das Sozialgericht München zu verweisen. Es liege eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i. S. d. § 51 SGG vor, weil der Schwerpunkt des Rechtsstreits unmittelbar die Sicherstellung der Versorgung der Kassenmitglieder in der von den Vertragsparteien auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V vereinbarten Weise betreffe.

Nach Stellungnahme der Antragstellerin hierzu hat das Landgericht mit Beschluss vom 7. März 2008 (vgl. Bl. 38 ff. d. A.; das Datum ergibt sich aus den Zustellnachweisen) den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es zunächst auf seine Verfügung vom 4. März 2008 Bezug genommen und zur entgegenstehenden Auffassung der Antragstellerin ausgeführt, die von dieser angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs Gesamtzufriedenheit (GRUR 2007, 535 ff.) stütze die gerichtliche Würdigung. Darin werde die Zuständigkeit der Sozialgerichte bei Maßnahmen bejaht, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienten (vgl. Tz. 13 dieser Entscheidung); nur wenn das nicht der Fall sei, komme es darauf an, auf welche Normen sich der Kläger stütze. Im Streitfall diene der angegriffene Rahmenvertrag unmittelbar der Erbringung der Leistung durch die AOK an die Versicherten, also der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden Aufgaben.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 10. März 2008 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, dass die Gewährung von Vergütungspauschalen keine Maßnahme sei, die der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben diene. Im Übrigen sei das unerheblich, weil allein maßgeblich sei, auf welche streitentscheidenden Rechtsnormen der Antrag gestützt werde. Im Streitfall entscheidungserheblich seien lediglich § 4 Nr. 11 UWG und § 31 BO. Keine dieser Vorschriften habe einen Bezug zum Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs. Im Übrigen werde bestritten, dass die Rahmenvereinbarung den gesetzlichen Anforderungen des Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs entspreche.

Sie beantragt,

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und über den (Verfügungs-)Antrag in der Sache zu entscheiden.

Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss und beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (vgl. Bl. 48 d. A.).

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet, weil das Landgericht zu Recht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten als eröffnet angesehen hat.

1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, selbst soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Für die Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten ist deshalb entscheidend, ob es sich um eine Streitigkeit in einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt; nicht von Bedeutung ist nach der Bestimmung des § 51 SGG, ob die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30. Januar 2008 - I ZB 8/07 - Treuebonus , in juris dokumentiert, Tz. 13; BGH GRUR 2007, 535 - Gesamtzufriedenheit Tz. 10; jeweils m. w. N.).

Von einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist auszugehen, wenn durch den Gegenstand des Streits Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtli­chen Aufgaben dienen (vgl. BGH, a. a. O., - Treuebonus Tz. 14; BGH, a. a. O., - Gesamtzufriedenheit Tz. 13; jeweils m. w. N.).

Werden wettbewerbsrechtliche Ansprüche dagegen nicht auf einen Verstoß gegen Vorschriften des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs gestützt, sondern ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt, handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG (vgl. BGH, a. a. O., - Treuebonus Tz. 14; BGH, a. a. O., - Gesamtzufrieden­heit Tz. 13; jeweils m. w. N.). Ist Streitgegenstand allerdings eine Maßnahme, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dient, so kommt es nicht darauf an, ob die geltend gemachten Anspruchsgrundlagen selbst im Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs angesiedelt sind. Vielmehr ist ausschlaggebend, dass eine Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten überall dort sachgerecht ist, wo nicht ausschließlich die allgemeinen Regeln des Privat- oder Wettbewerbsrechts, sondern auch die besonderen Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung streitentscheidend sein können, weil in diesem Bereich die besondere Sachkompetenz der Sozialgerichte zum Tragen kommt (vgl. Senat, Beschl. v. 15. Januar 2007 - 29 W 2942/06 - Treuebonus , in juris dokumentiert, dort Tz. 29). Das ist bei der Beurteilung von Maßnahmen, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen, zwangsläufig der Fall. Auf welche Normen ein Anspruchsteller zur Stützung seines Begehrens heranzieht, kommt es deshalb nur an, wenn nicht schon der Charakter der angegriffenen Maßnahme die Angelegenheit zu einer solchen der gesetzlichen Krankenversicherung macht.

342. Danach ist im Streitfall der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.

a) Gegenstand des Streits ist eine Maßnahme, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dient.

Angegriffen wird eine Regelung in einem Rahmenvertrag zur integrierten Versorgung gemäß § 140a ff. SGB V. Derartige Verträge sollen eine bevölkerungsbezogene Flächendeckung der Versorgung ermöglichen (vgl. § 140a Abs. 1 Satz 2 SGB V). Insoweit dienen sie unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen obliegenden Aufgaben.

Die gesetzlichen Vorgaben der §§ 140a ff. SGB V enthalten zwar keine ausdrückliche Regelung von Vergütungspauschalen, deren Gewährung im Streitfall angegriffen wird. Das steht indes nicht grundsätzlich der Würdigung entgegen, durch die Gewährung der in § 5 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung (Anlage K 5) vereinbarten Vergütungspauschale trage die AOK B. zur Erfüllung ihrer Aufgaben bei. Denn es ist das Ziel der integrierten Versorgung, eine interdisziplinäre Versorgung zu erreichen (vgl. BT-Drs. 14/1245, S. 91); dieses Ziel kann auch durch die Begründung von Anreizen für Ärzte gefördert werden, Patienten an Zahnärzte zu überweisen. Die angegriffene Gewährung einer Vergütungspauschale ist auf die Schaffung eines solchen Anreizes gerichtet und zielt damit auf eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten ab; sie steht in engem Zusammenhang mit dem Versorgungsauftrag der Krankenkassen und dient dessen Erfüllung. Es handelt sich dabei um den primären Zweck der Maßnahme und nicht nur um eine reflexartige Wirkung bei der Verfolgung anderer, die Erfüllung der Aufgaben der Krankenkassen nicht unmittelbar berührender Ziele.

Ob eine Maßnahme mit solcher Zweckrichtung mit den darauf anwendbaren allgemeinen Normen vereinbar ist, unterfällt der besonderen Sachkompetenz der Sozialgerichte, weil diese Frage nur unter Berücksichtung der Aufgaben und Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung beantwortet werden kann.

b) Da die angegriffene Gewährung einer Vergütungspauschale unmittelbar auf die Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben abzielt, betrifft der Rechtsstreit eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Zuordnung wird nicht dadurch wieder aufgehoben, dass die Antragstellerin die Zulässigkeit der Maßnahme ausschließlich am Maßstab des Wettbewerbsrechts überprüft sehen will.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Entscheidung über den Beschwerdewert beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei ist einem Wert von 1/5 des Hauptsachestreitwerts auszugehen (vgl. BGH NJW 1998, 909 [910]). Die Angabe der Antragstellerin hierzu (100.000,- €) begegnet keinen Bedenken und wird vom Senat zu Grunde gelegt.

3. Die als Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff. ZPO) ausgestaltete Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG (vgl. BGH NJW 2003, 433 [434]) ist auch im Verfügungsverfahren statthaft (vgl. BGH, a. a. O., - Gesamtzufriedenheit Tz. 5 m. w. N.).

Sie ist im Streitfall zuzulassen, weil die Rechtsfrage nach der Reichweite des Begriffs der Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung in § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG eine Vielzahl möglicher Rechtsstreite betrifft und daher von grundsätzlicher Bedeutung ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 28. September 2005 - 16 W 117/05, in juris nachgewiesen, dort Tz. 37; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm , UWG, 26. Aufl. 2008, § 12 Rz. 2.3: € Wann eine "Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, € auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden" vorliegt, ist noch nicht abschließend geklärt€). Auch die Treuebonus- Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2008 - I ZB 8/07 hat die Frage für Gestaltungen wie im Streitfall nicht geklärt, bei denen der Kläger bzw. Antragsteller zwar eine unmittelbar auf die Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben abzielende Maßnahme angreift, sich dabei jedoch lediglich auf wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen beruft.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie rechnet für Zahnärzte bestimmte Zahlungen der Versicherer mit den Zahnärzten ab.

Die Antragsgegnerin bietet zusammen mit gesetzlichen Krankenversicherungen, Berufsverbänden der Ärzte, Krankenhäusern und einzelnen Ärzten auf vertraglicher Grundlage eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung (integrierte Versorgung gemäß den §§ 140a ff. SGB V) an. Sie koordiniert die beteiligten Leistungserbringer und führt die Abrechnung durch. Eine von ihr mit der AOK B. und dem Landesverband B. im Berufsverband der Frauenärzte e. V. geschlossene Rahmenvereinbarung (vgl. Anlage K 5) enthält folgende Regelungen:

§ 4 Leistungsumfang

[€]

(2) Zu den Aufgaben des Partnerarztes gehören ferner die Durchführung des ärztlichen Gesprächs über die erhöhten Risiken im Zusammenhang mit Parodontalerkrankungen während der Schwangerschaft und über die besondere Bedeutung der Dentalhygiene für Mutter und Kind sowie die Überweisung der Schwangeren an einen Partnerzahnarzt.

[€]

§ 5 Vergütung und Abrechnung

[€]

(2) Davon abweichend vereinbaren die Vertragspartner für die Vergütung der Frauenärzte [€] folgende Regelung:

[€]

b) Zusätzlich erhält der Partnerarzt von der AOK für seine Leistungen nach § 4 Abs. 2 eine Vergütungspauschale in Höhe von EUR 10,-- je Fall, wenn [€] die Schwangere im Rahmen dieser integrierten Versorgung von einem Partnerzahnarzt behandelt wird [€].

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Antragsgegnerin stifte durch diese Vertragsgestaltung die Partnerärzte zu einem Verstoß gegen § 31 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns vom 6. August 2007 (im Folgenden: BO) an, der wie folgt lautet:

Unerlaubte Zuweisung von Patienten gegen Entgelt

Dem Arzt ist es nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten [€] ein Entgelt oder andere Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.

Die Antragsgegnerin sei daher sowohl als Teilnehmerin als auch als Störerin gemäß § 8 Abs. 1, § 4 Nr. 11 UWG zur Unterlassung verpflichtet.

Die Antragstellerin hat beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verbieten,

einen Vertrag anzubieten, abzuschließen oder zu bewerben, der vorsieht, dass ein Arzt einen Geldbetrag als Gegenleistung dafür erhält, dass er einen Patienten an einen Zahnarzt überweist.

Die Antragsgegnerin hat den beschrittenen Rechtsweg gerügt und beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Antrag sei nicht nur wegen der Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte unzulässig, sondern auch unbegründet. Unter anderem hat sie die Auffassung vertreten, es liege jedenfalls deshalb kein Verstoß gegen § 31 BO vor, weil diese Vorschrift restriktiv auszulegen sei, soweit Verträge über die integrierte Versorgung gemäß § 140a ff. SGB V betroffen seien. Um den gesetzgeberischen Willen zur Etablierung einer integrierten Versorgung zu entsprechen, müssten zwischen den unterschiedlichen an der Behandlung der Patienten beteiligten Leistungserbringern Schnittstellen geschaffen werden, die über das bisherige Maß hinausgingen.

Mit Verfügung vom 4. März 2008 (vgl. Bl. 32 f. d. A.) hat das Landgericht seine Absicht bekundet, den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig zu erklären und das Verfahren an das Sozialgericht München zu verweisen. Es liege eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i. S. d. § 51 SGG vor, weil der Schwerpunkt des Rechtsstreits unmittelbar die Sicherstellung der Versorgung der Kassenmitglieder in der von den Vertragsparteien auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V vereinbarten Weise betreffe.

Nach Stellungnahme der Antragstellerin hierzu hat das Landgericht mit Beschluss vom 7. März 2008 (vgl. Bl. 38 ff. d. A.; das Datum ergibt sich aus den Zustellnachweisen) den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es zunächst auf seine Verfügung vom 4. März 2008 Bezug genommen und zur entgegenstehenden Auffassung der Antragstellerin ausgeführt, die von dieser angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs Gesamtzufriedenheit (GRUR 2007, 535 ff.) stütze die gerichtliche Würdigung. Darin werde die Zuständigkeit der Sozialgerichte bei Maßnahmen bejaht, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienten (vgl. Tz. 13 dieser Entscheidung); nur wenn das nicht der Fall sei, komme es darauf an, auf welche Normen sich der Kläger stütze. Im Streitfall diene der angegriffene Rahmenvertrag unmittelbar der Erbringung der Leistung durch die AOK an die Versicherten, also der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden Aufgaben.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 10. März 2008 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, dass die Gewährung von Vergütungspauschalen keine Maßnahme sei, die der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben diene. Im Übrigen sei das unerheblich, weil allein maßgeblich sei, auf welche streitentscheidenden Rechtsnormen der Antrag gestützt werde. Im Streitfall entscheidungserheblich seien lediglich § 4 Nr. 11 UWG und § 31 BO. Keine dieser Vorschriften habe einen Bezug zum Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs. Im Übrigen werde bestritten, dass die Rahmenvereinbarung den gesetzlichen Anforderungen des Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs entspreche.

Sie beantragt,

den angegriffenen Beschluss aufzuheben und über den (Verfügungs-)Antrag in der Sache zu entscheiden.

Die Antragsgegnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss und beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (vgl. Bl. 48 d. A.).

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet, weil das Landgericht zu Recht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten als eröffnet angesehen hat.

1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, selbst soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Für die Eröffnung des Rechtsweges zu den Sozialgerichten ist deshalb entscheidend, ob es sich um eine Streitigkeit in einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt; nicht von Bedeutung ist nach der Bestimmung des § 51 SGG, ob die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30. Januar 2008 - I ZB 8/07 - Treuebonus , in juris dokumentiert, Tz. 13; BGH GRUR 2007, 535 - Gesamtzufriedenheit Tz. 10; jeweils m. w. N.).

Von einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist auszugehen, wenn durch den Gegenstand des Streits Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtli­chen Aufgaben dienen (vgl. BGH, a. a. O., - Treuebonus Tz. 14; BGH, a. a. O., - Gesamtzufriedenheit Tz. 13; jeweils m. w. N.).

Werden wettbewerbsrechtliche Ansprüche dagegen nicht auf einen Verstoß gegen Vorschriften des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs gestützt, sondern ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt, handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG (vgl. BGH, a. a. O., - Treuebonus Tz. 14; BGH, a. a. O., - Gesamtzufrieden­heit Tz. 13; jeweils m. w. N.). Ist Streitgegenstand allerdings eine Maßnahme, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dient, so kommt es nicht darauf an, ob die geltend gemachten Anspruchsgrundlagen selbst im Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs angesiedelt sind. Vielmehr ist ausschlaggebend, dass eine Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten überall dort sachgerecht ist, wo nicht ausschließlich die allgemeinen Regeln des Privat- oder Wettbewerbsrechts, sondern auch die besonderen Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung streitentscheidend sein können, weil in diesem Bereich die besondere Sachkompetenz der Sozialgerichte zum Tragen kommt (vgl. Senat, Beschl. v. 15. Januar 2007 - 29 W 2942/06 - Treuebonus , in juris dokumentiert, dort Tz. 29). Das ist bei der Beurteilung von Maßnahmen, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen, zwangsläufig der Fall. Auf welche Normen ein Anspruchsteller zur Stützung seines Begehrens heranzieht, kommt es deshalb nur an, wenn nicht schon der Charakter der angegriffenen Maßnahme die Angelegenheit zu einer solchen der gesetzlichen Krankenversicherung macht.

342. Danach ist im Streitfall der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.

a) Gegenstand des Streits ist eine Maßnahme, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dient.

Angegriffen wird eine Regelung in einem Rahmenvertrag zur integrierten Versorgung gemäß § 140a ff. SGB V. Derartige Verträge sollen eine bevölkerungsbezogene Flächendeckung der Versorgung ermöglichen (vgl. § 140a Abs. 1 Satz 2 SGB V). Insoweit dienen sie unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen obliegenden Aufgaben.

Die gesetzlichen Vorgaben der §§ 140a ff. SGB V enthalten zwar keine ausdrückliche Regelung von Vergütungspauschalen, deren Gewährung im Streitfall angegriffen wird. Das steht indes nicht grundsätzlich der Würdigung entgegen, durch die Gewährung der in § 5 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung (Anlage K 5) vereinbarten Vergütungspauschale trage die AOK B. zur Erfüllung ihrer Aufgaben bei. Denn es ist das Ziel der integrierten Versorgung, eine interdisziplinäre Versorgung zu erreichen (vgl. BT-Drs. 14/1245, S. 91); dieses Ziel kann auch durch die Begründung von Anreizen für Ärzte gefördert werden, Patienten an Zahnärzte zu überweisen. Die angegriffene Gewährung einer Vergütungspauschale ist auf die Schaffung eines solchen Anreizes gerichtet und zielt damit auf eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten ab; sie steht in engem Zusammenhang mit dem Versorgungsauftrag der Krankenkassen und dient dessen Erfüllung. Es handelt sich dabei um den primären Zweck der Maßnahme und nicht nur um eine reflexartige Wirkung bei der Verfolgung anderer, die Erfüllung der Aufgaben der Krankenkassen nicht unmittelbar berührender Ziele.

Ob eine Maßnahme mit solcher Zweckrichtung mit den darauf anwendbaren allgemeinen Normen vereinbar ist, unterfällt der besonderen Sachkompetenz der Sozialgerichte, weil diese Frage nur unter Berücksichtung der Aufgaben und Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung beantwortet werden kann.

b) Da die angegriffene Gewährung einer Vergütungspauschale unmittelbar auf die Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben abzielt, betrifft der Rechtsstreit eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Zuordnung wird nicht dadurch wieder aufgehoben, dass die Antragstellerin die Zulässigkeit der Maßnahme ausschließlich am Maßstab des Wettbewerbsrechts überprüft sehen will.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Entscheidung über den Beschwerdewert beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei ist einem Wert von 1/5 des Hauptsachestreitwerts auszugehen (vgl. BGH NJW 1998, 909 [910]). Die Angabe der Antragstellerin hierzu (100.000,- €) begegnet keinen Bedenken und wird vom Senat zu Grunde gelegt.

3. Die als Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff. ZPO) ausgestaltete Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG (vgl. BGH NJW 2003, 433 [434]) ist auch im Verfügungsverfahren statthaft (vgl. BGH, a. a. O., - Gesamtzufriedenheit Tz. 5 m. w. N.).

Sie ist im Streitfall zuzulassen, weil die Rechtsfrage nach der Reichweite des Begriffs der Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung in § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG eine Vielzahl möglicher Rechtsstreite betrifft und daher von grundsätzlicher Bedeutung ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 28. September 2005 - 16 W 117/05, in juris nachgewiesen, dort Tz. 37; Köhler in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm , UWG, 26. Aufl. 2008, § 12 Rz. 2.3: € Wann eine "Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, € auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden" vorliegt, ist noch nicht abschließend geklärt€). Auch die Treuebonus- Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2008 - I ZB 8/07 hat die Frage für Gestaltungen wie im Streitfall nicht geklärt, bei denen der Kläger bzw. Antragsteller zwar eine unmittelbar auf die Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben abzielende Maßnahme angreift, sich dabei jedoch lediglich auf wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen beruft.






OLG München:
Beschluss v. 03.04.2008
Az: 29 W 1081/08


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