Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 19. Februar 2014
Aktenzeichen: 6 U 113/13

(OLG Köln: Urteil v. 19.02.2014, Az.: 6 U 113/13)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 06.06.2013 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 118/12 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Dieses Urteil und das des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit leistet. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit beträgt bezüglich der Unterlassungsansprüche 100.000 € (bezüglich jeder Variante 33.333 €), im Übrigen für die der Vollstreckung ausgesetzte Partei 110 % des auf Grund der Urteile vollstreckbaren Betrages und für die die Vollstreckung betreibende Partei 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beklagte betreibt eine Apotheke in den Niederlanden, von wo sie Arzneimittel insbesondere auch an deutsche Kunden versendet. In Bezug auf ihre Verkaufspreise warb sie seit Beginn ihrer Geschäftstätigkeit im Jahr 2000 mit Bonusmodellen, die sich an der Höhe der gesetzlichen Zuzahlung orientierten. Im September 2012 kündigte sie in einer Zeitungsbeilagenwerbung und im Internet (Anlagen K 1 und 2) an, dass sie gesetzlich oder privat versicherten Kunden für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel gegen Vorlage des Rezepts mindestens 2,50 € und gesetzlich Krankenversicherten für jedes zuzahlungspflichtige Medikament die Hälfte der Zuzahlung, bis zu 15,00 € pro Rezept, gutschreibe.

Die Klägerin sieht darin eine bewusste Verletzung des ihrer Ansicht nach auch für ausländische Versandapotheken geltenden deutschen Arzneimittelpreisrechts, das für verschreibungspflichtige und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebene Arzneimittel einheitliche Abgabepreise der Apotheken vorsieht. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung der Werbung, des Werbenlassens, Ankündigens, Ankündigenlassens und der Gewährung von Boni in drei jeweils selbständig angegriffenen Varianten (Bonus in Höhe der halben gesetzlichen Zuzahlung auf verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Kassenrezept; Bonus in Höhe von 2,50 € für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Kassenrezept; Bonus in Höhe von 2,50 € für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Privatrezept), Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch genommen. Die Beklagte hat behauptet, dass sie das streitbefangene Bonusmodell seit dem 26.10.2012 nicht mehr angeboten habe. Sie hält die seitdem geltende, ausländische Versandapotheken ausdrücklich dem inländischen Arzneimittelpreisrecht unterwerfende gesetzliche Regelung ebenso wie den für das bisherige Recht zum gleichen Ergebnis kommenden Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 22.08.2012 - GmS-OGB 1/10 - für unvereinbar mit dem Recht der Europäischen Union (Art. 34 AEUV) und deutschem Verfassungsrecht (Art. 12 GG), § 7 HWG für unanwendbar und sämtliche etwa in Betracht kommenden Ansprüche für verwirkt.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte überwiegend - unter Abweisung des Schadensersatzfeststellungs- und Auskunftsbegehrens der Klägerin - antragsgemäß verurteilt. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage und - hilfsweise - ihre Verfahrensanträge auf Aussetzung und Einholung von Vorabentscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union bzw. des Bundesverfassungsgerichts weiter verfolgt. Sie rügt, das Landgericht habe den schon aus formellen Gründen keine Wirkung entfaltenden Beschluss des Gemeinsamen Senats zitiert, ohne sich mit ihren Argumenten inhaltlich auseinanderzusetzen; hierzu wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend macht sie bezüglich der Höhe der Boni geltend, die Bagatellgrenze sei zumindest nicht in jedem denkbaren Fall verletzt. Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen, denen der Senat beitritt, hat das Landgericht die Beklagte im beantragten Umfang zur Unterlassung (§§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG in Verbindung mit § 78 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV) und zur Erstattung der Abmahnkosten (§ 12 Abs. 1 S. 2 UWG) verurteilt, wobei es für den auf die Abwehr künftiger Rechtsverstöße gerichteten Unterlassungsanspruch auf das geltende Recht und zusätzlich - wegen sonst fehlender Wiederholungsgefahr - auf die Rechtswidrigkeit der Wettbewerbshandlung zur Zeit ihrer Begehung, für den Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Abmahnung ankommt (vgl. BGH, GRUR 2012, 1053 = WRP 2012, 1216 [Rn. 10] - Marktführer Sport, m.w.N.). Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

1. Die Beklagte hat mit der beanstandeten Auslobung und Gewährung der streitgegenständlichen Boni in der 38. Kalenderwoche 2012 (17.-24.09.2012) den als Marktverhaltensregeln (§ 4 Nr. 11 UWG) anzusehenden Bestimmungen des deutschen Arzneimittelpreisrechts zuwidergehandelt.

a) Hiernach haben Apotheken bei der Abgabe von apothekenpflichtigen Fertigarzneimitteln an Endverbraucher einen einheitlichen Abgabepreis (§ 78 Abs. 2 S. 2 AMG) in Höhe von 3 Prozent über dem Nettoabgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens zuzüglich 8,10 € und Umsatzsteuer (§ 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AMPreisV) zu berechnen.

b) Diese Bestimmungen waren bereits vor Inkrafttreten des neuen § 78 Abs. 1 S. 4 AMG am 26.10.2012 auch auf Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anzuwenden, die - wie die Beklagte - solche Arzneimittel an deutsche Verbraucher im Wege des Versandhandels abgeben.

aa) Eine gegenteilige Auffassung hat der Senat allerdings früher im Anschluss an Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSGE 101, 161 = PharmR 2008, 595) und des Oberlandesgerichts Hamm (MMR 2005, 101) für Fälle der Bestellung und Kurierlieferung von in den Niederlanden verkauften Arzneimitteln über deutsche Apotheken vertreten (PharmR 2010, 197 = MD 2010, 77 - Holland-Preise). Hieran wird nicht mehr festgehalten, nachdem der vom I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (NJW 2010, 3724 = GRUR 2010, 1130 = WRP 2010, 1485 - Sparen Sie beim Medikamentenkauf) angerufene Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Beschluss vom 22.08.2012 - GmS-OGB 1/10 (BGHZ 194, 354 = GRUR 2013, 417 = WRP 2013, 621) - die Argumentation des Bundessozialgerichts verworfen und ausgeführt hat, dass die deutschen Vorschriften, die einen Preiswettbewerb zwar auf der Stufe der pharmazeutischen Unternehmen (Hersteller, Groß- und Zwischenhändler, Parallel- und Reimporteure) zulassen, auf der Einzelhandelsstufe aber einen einheitlichen Apothekenabgabepreis vorsehen, nach ihrem Wortlaut, ihrem Zweck, ihrer Systematik und ihrer Entstehungsgeschichte nicht nach einer Abgabe im herkömmlichen Apothekenbetrieb oder im Versandhandel oder nach dem Sitz der Apotheke im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union unterscheiden (GmS-OGB, a.a.O. [Rn. 23 ff.]).

Den überzeugenden Erwägungen des Gemeinsamen Senats, die sich das Landgericht im angefochtenen Urteil durch weitgehend wörtliche Wiedergabe zu eigen gemacht hat und die an dieser Stelle nicht im Einzelnen wiederholt werden müssen, schließt sich der Senat an. Die Behauptung der Beklagten, dass die schriftliche Begründung des Beschlusses vom 22.08.2012 nicht binnen fünf Monaten zur Geschäftsstelle des Gemeinsamen Senats gelangt sei, ist unerheblich, weil die Überzeugungskraft der Begründung des Gemeinsamen Senats nicht von ihrer - in vorliegender Sache ohnehin fehlenden - prozessualen Bindungswirkung abhängt.

Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung gehen fehl:

bb) Gegen die kollisionsrechtliche Anknüpfung wendet sich die Berufung nicht, so dass sich ergänzende Ausführungen zur Anwendung deutschen Sachrechts auf den zwischenstaatlichen Arzneimittelversandhandel erübrigen.

cc) Die Bindung der in den Niederlanden ansässigen, als Aktiengesellschaft niederländischen Rechts organisierten Beklagten an deutsches Arzneimittelpreisrecht verstößt entgegen der von ihr und ihren anwaltlichen Vertretern (vgl. Diekmann, WRP 2013, 290) am Beschluss des Gemeinsamen Senats geübten Kritik nicht gegen höherrangiges europäisches Recht.

(1) Maßnahmen von Mitgliedstaaten, die den Handel mit Arzneimitteln betreffen, sind mangels vorrangiger Regelung durch die zuständigen Organe der Europäischen Union nur an primärem Unionsrecht, nämlich insbesondere der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV zu messen. Arzneimittel sind Waren im Sinne von Art. 28 Abs. 2 AEUV. Soweit die Beklagte als Versandhändlerin auch Dienstleistungen erbringen mag, ist die Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 ff. AEUV gegenüber dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV subsidiär (vgl. Pfeifer, jurisPR-ITR 23/2013 Anm. 6, sub C II 6).

(2) Gemäß Art. 34 AEUV sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Dieser Tatbestand liegt hier jedoch nicht vor.

(a) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist allerdings grundsätzlich jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den Handel innerhalb der Union unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als eine Maßnahme gleicher Wirkung gemäß Art. 34 AEUV anzusehen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 11.07.1974 - 8/74 - Dassonville = NJW 1975, 515; GemS-OGH, BGHZ 194, 354 = GRUR 2013, 417 = WRP 2013, 621 [Rn. 40] m.w.N.). Eine Einschränkung greift aber bei Vorschriften der Mitgliedstaaten, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten; diese dürfen auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten angewandt werden, solange sie für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer gelten und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren, den Marktzugang für diese Erzeugnisse also nicht stärker behindern als für inländische Waren (vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.1993 - C-267 und 268/91 - Keck und Mithouard = NJW 1994, 121 = GRUR 1994, 296 m. Anm. Bornkamm; vgl. auch GemS-OGH, a.a.O.). Solche Vorschriften begründen keine Behinderung im Rechtssinne, weil ihnen das Element einer (formellen oder materiellen) Diskriminierung der Anbieter aus anderen Mitgliedsstaaten fehlt (vgl. EuGH, Urteil vom 30.04.2009 - C 531/07 - LIBRO = GRUR 2009, 792).

In den von der Berufung angeführten Entscheidungen zur Buchpreisbindung (EuGH, Urteil vom 10.01.1985 - C 229/83 - Leclerc = NJW 1985, 1615; Urteil vom 30.04.2009 - C 531/07 - LIBRO = GRUR 2009, 792) lag eine Diskriminierung darin, dass die nationale Regelung den Absatz importierter Bücher gegenüber dem Absatz der einheimischen Buchausgaben erschwerte, indem sie dem Importeur gezielt die Möglichkeit nahm, seine durch einen günstigeren Einstandspreis im Ausfuhrmitgliedstaat erzielte Beschaffungsvorteile über den Endverkaufspreis weiterzugeben.

(b) Im Streitfall dagegen liegt keine damit vergleichbare, sondern in gewisser Hinsicht sogar eine gegensätzliche Konstellation vor, insofern sich die Beklagte durch "Auswanderung aus dem deutschen Arzneimittelpreisrecht" einen Sondervorteil gegenüber inländischen Apotheken zu verschaffen versucht. Sie behauptet nämlich nicht etwa, auf Grund niedrigerer Beschaffungskosten für Arzneimittel in den Niederlanden über einen unionsrechtlich geschützten Wettbewerbsvorteil zu verfügen, den sie an deutsche Endverbraucher müsse weitergeben dürfen; vielmehr ist davon auszugehen, dass die Abgabepreise der Pharmaunternehmen und damit die Einkaufspreise der in Rede stehenden, deutschen Patienten von ihren Ärzten verordneten Medikamente in beiden Ländern gleich sind (vgl. die entsprechenden, von der Berufung nicht in Frage gestellten Feststellungen des Gemeinsamen Senats betreffend die Apotheke Venlo, a.a.O. [Rn. 43]). Das Bonusmodell der Beklagten beruht demgemäß nicht auf niedrigeren Gestehungskosten, sondern nach ihren eigenen Angaben darauf, dass sie in den Niederlanden nur Höchstabgabepreise zu beachten hat, die an die Einkaufspreise gekoppelten Mindestabgabepreise ihrer inländischen Mitbewerber deshalb zur Förderung ihres eigenen Absatzes meint unterbieten zu können. Hiermit reklamiert sie für ihr Marktverhalten in Deutschland zu Unrecht großzügigere Bedingungen der Verkaufsförderung als sie das deutsche Arzeimittelpreisrecht den Apotheken gewährt.

(4) Unabhängig davon, dass es danach an einer diskriminierenden Ungleichbehandlung der Versandhandelsanbieter aus anderen Mitgliedsstaaten - wie der Beklagten - durch ihre Bindung an die für die Abgabe an Endverbraucher geltenden Mindestpreise des deutschen Arzneimittelpreisrechts fehlt, scheidet ein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit auch deshalb aus, weil die Anwendung der deutschen Bestimmungen - gemäß der im angefochtenen Urteil aufgegriffenen (Hilfs-) Begründung des Gemeinsamen Senats (a.a.O. [Rn. 44 ff.]) - nach Art. 36 AEUV zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gerechtfertigt wäre.

Das nationale Arzneimittelpreisrecht betrifft die Gesundheitspolitik und Organisation des Gesundheitswesens der Mitgliedsstaaten. Der Senat teilt die überzeugend begründete Auffassung des Gemeinsamen Senats, dass der deutsche Gesetzgeber den ihm insoweit eingeräumten Wertungsspielraum nicht überschritten hat, indem er bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln im Interesse der sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung einen einheitlichen Apothekenabgabepreis vorgesehen hat.

Das gegenteilige Vorbringen der Berufung erschöpft sich trotz seines Umfangs letztlich darin, die Stichhaltigkeit der vom deutschen Gesetzgeber angeführten Gründe - nämlich der Verhinderung eines ruinösen Preiswettbewerbs unter Apotheken, der Sicherung einer flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung und der Minderung der Gefahr eines Fehl- oder Mehrgebrauchs von Medikamenten - pauschal zu bestreiten, ohne hinreichend nachvollziehbar aufzuzeigen, welches andere konkrete System bei geringeren Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit ebenso geeignet wäre, die vorbeschriebenen Ziele zu erreichen. Entgegen der Auffassung der Berufung ist es angesichts der vom deutschen Gesetzgeber vorgenommenen Wertung keineswegs Aufgabe der Klägerin, die drohende Beeinträchtigung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung bei Aufgabe des Systems substantiiert darzulegen; vielmehr hätte es nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen der Beklagten oblegen, die Voraussetzungen ihrer anspruchsvernichtenden Einwendung schlüssig vorzutragen und über den Hinweis auf mögliche oder bereits umgesetzte unterstützende Maßnahmen hinaus belegbar darzutun, dass und gegebenenfalls wie die vom deutschen Gesetzgeber mit dem derzeitigen System verfolgten legitimen Gemeinwohlziele auf andere, den Preiswettbewerb auf der Handelsstufe der Apotheken weniger einschränkende konkrete Weise ebenso effektiv erreicht werden könnten. Daran fehlt es.

(5) Vor diesem tatsächlichen Hintergrund besteht auch kein Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die vom Landgericht gefundene Entscheidung des Streitfalles beruht vielmehr auf einer Auslegung des Unionsrechts, die in ihre Grundlage in der gesicherten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat (vgl. hierzu den Beschluss des Gemeinsamen Senats, a.a.O. [Rn. 47], m.w.N.).

dd) Ebenso wenig ist anzunehmen, dass die bis zum 25.10.2012 geltenden deutschen Vorschriften über den einheitlichen Apothekenabgabepreis (§ 78 Abs. 2 S. 2 AMG, § 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AMPreisV) in ihrer Auslegung durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gegen Art. 12 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verstießen, weil die von der Beklagten bzw. ihren Geschäftsführern für den Betrieb einer Versandapotheke in einem europäischen Nachbarland in Anspruch genommene Berufsausübungsfreiheit dadurch unverhältnismäßig eingeschränkt worden sein könnte. Da sich die Berufung zur Begründung der materiellen Verfassungswidrigkeit der Regelung nur auf den angeblichen Verstoß gegen die unionsrechtlich fundierte Warenverkehrsfreiheit bezieht, genügt in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die vorstehenden Erwägungen, wonach ein solcher Verstoß nicht feststellbar ist.

c) Die Einfügung des neuen § 78 Abs. 1 S. 4 AMG, wonach die Arzneimittelpreisverordnung auch für Arzneimittel gilt, die gemäß § 73 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a AMG von einer Versandapotheke in einem anderen Land des Europäischen Wirtschaftsraum aus nach Deutschland verbracht werden, hat an dieser, im Beschluss des Gemeinsamen Senats vom 22.08.2012 näher dargestellten Rechtslage ersichtlich nichts geändert.

Soweit die Berufung aus einem vermeintlichen Verstoß des deutschen Gesetzgebers gegen die unionsvertragliche Pflicht zur Notifizierung geplanter wettbewerbsverzerrender Vorschriften des nationalen Rechts gemäß Art. 116, 117 Abs. 1 AEUV die auch von der Beklagten geltend zu machende Unwirksamkeit der Gesetzesänderung meint herleiten zu können, geht dies schon deshalb fehl, weil mit der Einfügung des neuen § 78 Abs. 1 S. 4 AMG keine Rechtsänderung bewirkt, sondern lediglich die bereits bestehende, durch Auslegung feststellbare Rechtslage klargestellt worden ist.

Da diese Rechtslage - wie ausgeführt - mit Art. 34 AEUV wie mit Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG im Einklang steht, hat es das Landgericht zu Recht auch insoweit abgelehnt, die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 78 Abs. 1 S. 4 AMG gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht oder die Frage der unionsrechtlichen Unbedenklichkeit der Vorschrift gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Entscheidung vorzulegen.

d) Mit ihrer Bonus-Werbung hat die Beklagte gegen die von ihr nach alledem zu beachtende Regelung des Apothekenabgabepreises verstoßen.

aa) Ein Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung liegt nicht nur vor, wenn ein Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem anderen als dem nach der Arzneimittelpreisverordnung zu berechnenden Preis abgibt, sondern auch, wenn für das preisgebundene Arzneimittel zwar der korrekte Preis angesetzt wird, dem Kunden aber gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen; insbesondere eine über einen bestimmten Geldbetrag lautende Gutschrift kann einen entsprechenden Vorteil darstellen (vgl. BGH, GRUR 2010, 1136 = WRP 2010, 1482 [Rn. 17 f.] - UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; GRUR 2013, 1264 = WRP 2013, 1587 [Rn. 13] - RezeptBonus). Die mit der Klage angegriffenen Varianten des Bonusmodells der Beklagten stellen solche geldwerten Vorteile dar.

bb) Die von der Beklagten ausgelobten und gewährten Boni sind auch geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, wobei die Bagatellgrenze des § 3 Abs. 1 UWG der einer geringwertigen Kleinigkeit gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2. Alt. HWG entspricht (vgl. BGH, GRUR 2013, 1264 = WRP 2013, 1587 [Rn. 18 ff.] - RezeptBonus; GRUR 2013, 1262 = WRP 2013, 1590 [Rn. 7 ff.] - Rezept-Prämie). Ohne dass es insofern auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage ankommt, ob unter den Umständen des Streitfalls auch eine Anwendung von § 7 HWG auf das Bonusmodell der Beklagten in Betracht käme, überschreiten die von ihr in Aussicht gestellten Boni die vom Bundesgerichtshof in seinen beiden Entscheidungen vom 08.05.2013 (a.a.O.) mit einem Euro pro Medikament bestimmte Spürbarkeitsschwelle bereits deutlich. In Bezug auf Nr. 1.2 und 1.3 der Klage und des Unterlassungstenors, die sich gegen Auslobung eines Rezeptbonus "von 2,50 € für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel" wenden, liegt das auf der Hand (vgl. BGH, GRUR 2013, 1264 = WRP 2013, 1587 - RezeptBonus, wo der Betrag sich auf 1,50 € belief); in Bezug auf den mit dem Unterlassungsgebot zu Nr. 1.1 angesprochenen, unstreitig ebenfalls durchweg über 1,00 € liegenden Bonus in Höhe der Hälfte der gesetzlichen Zuzahlung gilt im Ergebnis nichts anderes. Richtig ist, dass bei abstrakter Fassung des Unterlassungsantrags ein Rabatt bis zu 3,00 € pro Rezept möglicherweise unbedenklich und ein entsprechender Antrag wegen zu weiter Fassung insgesamt unbegründet sein könnte, weil die Wertgrenze von 1,00 € für jedes verschreibungspflichtige Medikament gilt (vgl. BGH, GRUR 2013, 1262 = WRP 2013, 1590 [Rn. 9] - Rezept-Prämie). Dem trägt der Tenor des landgerichtlichen Urteils jedoch Rechnung, indem der Beklagten nicht die Auslobung eines Bonus pro Rezept (der beim Kauf eines einzigen Medikaments über, beim Kauf von drei Medikamenten unter der Bagatellgrenze liegen mag), sondern eines oberhalb der Spürbarkeitsschwelle liegenden Bonus für jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel untersagt worden ist.

e) Die durch den Wettbewerbsverstoß der Beklagten begründete Wiederholungsgefahr (§ 8 Abs. 1 S. 1 UWG) ist - wie zutreffend schon das Landgericht angenommen hat - durch die Neufassung des § 78 Abs. 1 AMG selbst dann nicht entfallen, wenn entsprechend ihrem Vorbringen im Schriftsatz vom 22.04. 2013 unterstellt wird, dass sie ihr Bonusmodell in seiner bisherigen Form ab dem 26.10.2012 nicht mehr praktiziert hat.

Allerdings entfällt die im Wettbewerbsrecht geltende Vermutung, ein Wettbewerber werde sein in der Vergangenheit gezeigtes Verhalten auch in der Zukunft fortsetzen oder wiederholen, in der Regel dann, wenn die Wettbewerbswidrigkeit des fraglichen Verhaltens in der Vergangenheit umstritten war, aufgrund einer Gesetzesänderung nunmehr aber eindeutig zu bejahen ist. Denn bei bisher zweifelhafter Rechtslage kann nicht angenommen werden, dass derjenige, der sein Verhalten (noch im Prozess) mit vertretbaren Gründen gegen den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verteidigt, auch dann auf einer Fortsetzung oder Wiederholung seines Handelns besteht, wenn der Gesetzgeber die offene Frage eindeutig im Sinne des zuvor streitigen Verbots entschieden hat (vgl. BGH, GRUR 2002, 717 [719] = WRP 2002, 679 - Vertretung der Anwalts-GmbH; Bornkamm, in: Köhler / Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 8 Rn. 1.43 m.w.N.).

Im Streitfall liegt es jedoch anders. Zwar war angesichts der Divergenz zwischen Bundessozialgericht und Bundesgerichtshof in der hier maßgeblichen Frage der Anwendbarkeit deutschen Arzneimittelpreisrechts auf Versandapotheken in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union sicherlich eine zweifelhafte Rechtslage entstanden. Doch war zur Zeit der streitgegenständlichen Werbung die entscheidende Klärung bereits erfolgt, weil der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes mit Beschluss vom 22.08.2012 - GmS-OGB 1/10 - die umstrittene Rechtsfrage im Sinne der Auffassung des Bundesgerichtshofs beantwortet und deutsches Arzneimittelpreisrecht auf Versandapotheken in den Niederlanden ausdrücklich für anwendbar erklärt hatte. Obwohl ihr die dieses Verfahrensergebnis deutlich zum Ausdruck bringende Pressemitteilung vom gleichen Tag (Anlage K 5) bekannt war, hat die Beklagte an ihrem Bonussystem bewusst weiter festgehalten (vgl. Anlage K 7), das in Rede stehende Wettbewerbsverhalten also nicht etwa aufgegeben, sondern in Kenntnis der klärenden Entscheidung des Gemeinsamen Senats fortgesetzt und auf diese Weise intensiviert. Angesichts dessen kann es ihr nicht zu Gute kommen, dass sich der Gesetzgeber bereits zu einer klarstellenden Ergänzung des § 78 AMG im Hinblick auf die "anstehende nicht kurzfristig zu erwartende Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes" (vgl. BR-Drs. 91/12, S. 108 = Anlage K 6; BT-Drs. 17/9341, S. 66) entschlossen hatte, die abschließende Lesung im Deutschen Bundestag aber erst am 21.09.2012 - einige Wochen nach dem Beschluss des Gemeinsamen Senats und nahezu gleichzeitig mit der streitbefangenen Werbung - erfolgte.

2. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass von einer Verwirkung des Unterlassunganspruchs (vgl. Köhler, in: Köhler / Bornkamm, a.a.O., § 11, Rn. 2.13 ff.) der Klägerin keine Rede sein kann.

Denn auch wenn sich das mit der Klage angegriffene Rezeptbonus-Angebot der Beklagten nicht wesentlich von ihren bereits früher (möglicherweise schon seit Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit im Jahr 2000) praktizierten Bonusmodellen unterschieden haben mag, hatte seine werbliche Ankündigung und Durchführung im September 2012 auf Grund des zwischenzeitlich ergangenen, der Beklagten aus der Pressemitteilung bekannten Beschlusses des Gemeinsamen Senats doch eine neue Qualität. Zum einen gab das den Beschluss ignorierende Verhalten der Beklagten der Klägerin einen gewichtigen zusätzlichen Anlass zum gerichtlichen Vorgehen; zum anderen wäre ein von der Beklagten im Vertrauen auf bisher unterbliebene Maßnahmen der berufsständischen Vertretungen der deutschen Apotheker aufgebauter Besitzstand jedenfalls nach diesem Beschluss nicht mehr schutzwürdig gewesen. Ohnehin greift die Verwirkung als ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) grundsätzlich nur bei in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten ein, während wiederholte gleichartige Verletzungshandlungen jeweils einen neuen Unterlassungsanspruch auslösen und die für die Beurteilung des Zeitmoments maßgebliche Frist immer neu beginnen lassen (vgl. zum Markenrecht BGH, GRUR 2012, 928 = WRP 2012, 1104 [Rn. 22 ff.] - Honda-Grauimport; zum Wettbewerbsrecht Köhler, a.a.O., § 11, Rn. 2.14).

3. Zusätzliche den Grund oder die Höhe des Anspruchs auf Erstattung von Abmahnkosten betreffende Einwände bringt die Berufung nicht vor; sie sind auch nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Das Urteil betrifft - wie dargestellt - Fragen der tatrichterlichen Anwendung gefestigter Rechtsgrundsätze, so dass kein Anlass besteht, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen.

IV.

Der Streitwert für den Rechtsstreit erster Instanz wird nach § 63 Abs. 3 GKG abweichend von der Festsetzung im angefochtenen Urteil und unter Berücksichtigung des von der Klägerin im Parallelverfahren 84 O 3/13 LG Köln angegebenen und dort festgesetzten Werts auf angemessene 125.000 € festgesetzt. Für den Streitwert des Berufungsverfahrens bleibt es bei der Festsetzung auf 100.000 € mit Beschluss des Senats vom 26.08.2013.






OLG Köln:
Urteil v. 19.02.2014
Az: 6 U 113/13


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/6dbd1953cfbd/OLG-Koeln_Urteil_vom_19-Februar-2014_Az_6-U-113-13




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share