Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. März 2000
Aktenzeichen: 20 W (pat) 65/99

(BPatG: Beschluss v. 01.03.2000, Az.: 20 W (pat) 65/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluß des Patentamts vom 24. März 1999 aufgehoben.

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung mit Hilfsantrag 2, Beschreibung Spalten 1 bis 3, gemäß Patentschrift mit der Maßgabe, daß in Spalte 2 in Zeile 45 und 54 jeweils das Wort "vorzugsweise" gestrichen wird, 1 Blatt Zeichnungen Fig 1, 2, gemäß Patentschrift.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Patent 195 15 668 wurde widerrufen, weil sein Gegenstand durch den Stand der Technik nahegelegt sei. Das Patentamt berief sich dabei auf

(1) CH-PS 127 109

(2) Funkentstörung, Firmenschrift der Firma Robert Bosch GmbH, Stuttgart, 1991, Seite 13 - 15, 18 und 19 (vgl. den Druckvermerk links oben auf Blatt 2 der eingereichten Ablichtungen: "2. Ausgabe vom Juni 1991").

(3) Bauelemente zur Funk-Entstörung, Firmenschrift der Firma Ernst Roederstein, Band 3, Landshut 1980/81, Seiten 62 - 67.

Die Beschwerdeführerin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten, hilfsweise mit folgenden Unterlagen beschränkt:

Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 1, weiter hilfsweise gemäß Hilfsantrag 2, weiter hilfsweise gemäß Hilfsantrag 3, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift, zu Hilfsantrag 2 mit der Maßgabe, daß in Spalte 2, Zeile 45 und Zeile 54 jeweils das Wort "vorzugsweise" gestrichen wird.

Die Beschwerdegegnerin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der erteilte Anspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"1. Anordnung zur Verminderung von Störsignalen auf Leitungen in einem Kabelbündel mit mehreren Leitungen (L), wobei eine der Leitungen (LK) auf mindestens einem Abschnitt des Kabelbündels zu Entstörzwecken außerhalb unter Bildung eines Stromkreises geschlossen ist, dadurch gekennzeichnet, daß in diesen Stromkreis Hochfrequenz-Dämpfungsmittel nach Art eines Ferritkörpers (F) oder ein ohmscher Widerstand oder eine Kombination von beiden unter Bildung eines Absorptions-Stromkreises eingefügt sind".

In der Fassung seines Oberbegriffs übereinstimmend lautet der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 wie folgt:

"dadurch gekennzeichnet, daß in diesen Stromkreis Hochfrequenz-Dämpfungsmittel unter Bildung eines Absorptions-Stromkreises eingefügt sind, wobei die Dämpfungsmittel einen rohrförmigen Ferritkörper umfassen, der im Frequenzbereich der Störungen einen Wirkwiderstand in den Stromkreis transformiert."

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch folgende Anfügung an den kennzeichnenden Teil:

"wobei der Wirkwiderstand der Dämpfungsmittel zumindest annähernd gleich dem Wellenwiderstand der einen Leitung (LK) im Frequenzbereich der Störungen gewählt ist."

II.

Die Beschwerde hat nur im Rahmen des Hilfsantrages 2 Erfolg.

A. Zum Hauptantrag Der Anspruch 1 ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig, weil er am Anmeldetag dem Fachmann durch (1) nahelag.

Als Fachmann gilt hier ein Elektroingenieur mit Fachhochschulabschluß, der als Qualitätsmerkmal eines Nachrichten verarbeitenden Systems die Sicherheit gegen Störgrößen im Auge hat und hierbei namentlich auch auf die Störfestigkeit der Übertragungswege achtet. Dabei berücksichtigt er elektromagnetische Störgrößen im weiten Frequenzbereich von Null bis zu einigen Gigahertz.

Aus (1) ist ihm eine Anordnung bekannt, die Störsignale auf Leitungen in einem Kabelbündel mit mehreren Leitungen 1 vermindert, und zwar dadurch, daß die Einrichtung Schwachstromleitungen 1 vor Beeinflussung durch eine Starkstromleitung 4 schützt (Fig 2). Eine der Leitungen 1 des Kabelbündels ist auf mindestens einem Abschnitt zu Entstörzwecken als Schutzleitung 2 ausgeführt und außerhalb des Bündels unter Bildung eines Stromkreises geschlossen (Fig 2, 3).

Obwohl die Schutzleitung 2 einen möglichst kleinen Scheinwiderstand besitzen soll (S 1 liSp Abs 1), ist in der bekannten Anordnung durch induktive Belastung die Selbstinduktion L der Schutzleitung 2 so weit erhöht und ihr Ohmscher Widerstand R dabei so klein gehalten, daß WL/R = 10 (Anspruch 1). Hiermit soll erreicht werden, daß der Störstrom Is in der Schutzleitung 2 möglichst gegenphasig zum Störstrom Io der parallel geführten Störleitung 4 verläuft: In diesem Fall heben sich die beiden durch die Ströme Is und Io in der zu schützenden Schwachstromleitung 1 induzierten elektromotorischen Kräfte Es und Eo auf (Fig 1, S 2 liSp Abs 2).

Der Fachmann erkennt, daß die Schutzmaßnahmen nicht nur im Niederfrequenzbereich von etwa 50 Hz wirken. Vielmehr zieht er die in (1) beschriebene Kompensationsmethode auch in seine Überlegungen ein, wenn es Beeinflussungen des Kabelbündels durch höherfrequente Störströme entgegenzuwirken gilt; denn die in (1) dargestellten Phasenverschiebungen (Fig 1) sind nicht abhängig von der Höhe der Frequenz der zeitabhängig sich verändernden Störgröße, solange nur sichergestellt ist, daß WL/R = 10 (Fig 1). Dann stellt aber der Ohmsche Widerstand R, der gleich der Summe aus dem Leitungswiderstand der Schutzleitung 2 und dem Verlustwiderstand der Spule 3 ist (Fig 2), selbst bei verhältnismäßig kleinem Wert gleichwohl in dem geschlossenen Stromkreis ein HF-Dämpfungsmittel dar. Denn selbst wenn man berücksichtigt, daß der Widerstand R im Frequenzbereich auftretender hochfrequenter Störungen durch die Induktivität L und Länge der Schutzleitung 2 eine Widerstandstransformation erleidet, so verbleibt doch immer noch im Stromkreis ein Wirkwiderstand als reeller Anteil eines komplexen Widerstandes. Dieser Wirkwiderstand setzt letztlich einen Teil der vom Schutzleiter 2 aufgenommenen hochfrequenten Störungen in Wärme um und läßt damit den Stromkreis - wenn auch ungewollt - gewissermaßen als eine Art Absorber erscheinen.

B. Zum Hilfsantrag 1 Der Anspruch 1 ist gleichfalls nicht bestandsfähig. Auch sein Gegenstand beruht nicht auf einer erfinderischen Leistung, weil er sich am Anmeldetag in naheliegender Weise aus (1) und (3) ergab.

1. Nach dem Anspruch 1 ist nunmehr die Lehre dahingehend beschränkt, daß die HF-Dämpfungsmittel einen rohrförmigen Ferritkörper umfassen, der im Frequenzbereich der Störungen einen Wirkwiderstand in den Stromkreis transformiert.

2. Es ist fachmännisches Handeln, in der Einrichtung nach (1) die Induktivität 3 nicht als Luftspule auszuführen, sondern als HF-Spule mit Ferritkern in Form eines rohrförmigen Körpers. Die induktive Belastung der Schutzleitung 2 durch eine Spule mit Kern zeigt bereits (1) (Fig 3). Als Hochfrequenzkernstoff sind dem Fachmann Ferrite geläufig; sie stehen ihm wahlweise als rohrförmige Körper zur Verfügung ((3) S 62).

Da der Ferritkern den Verlustwiderstand der Spule erhöht, transformiert im Frequenzbereich der Störungen dieser zusätzliche Verlustwiderstand, der zum Leitungswiderstand und dem Verlustwiderstand der kernlosen Spule in Reihe liegt, gleichfalls einen Wirkwiderstand in den Stromkreis.

C. Zum Hilfsantrag 2 Der Anspruch 1 ist rechtsbeständig, sein Gegenstand nach §§ 1 bis 5 PatG patentfähig.

1. Der Anspruch 1 ist zulässig, weil damit der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf die besondere Ausführungsform nach dem erteilten Anspruch 3 unter Berücksichtigung der Beschreibung (Sp 2 Z 50 bis 55) beschränkt ist.

2. Die Lehre des Anspruchs 1 gibt die entscheidende Richtung an. Sie besagt, daß der Wirkwiderstand der Dämpfungsmittel - Ferritkörper und/oder Ohmscher Widerstand - im Frequenzbereich der Störungen zumindest annähernd gleich dem Wellenwiderstand der zu einem Stromkreis geschlossenen Leitung ist. Damit tritt ins Auge, daß Störungen am besten dann Einhalt geboten wird, wenn der Wirkwiderstand der Dämpfungsmittel im betrachteten Frequenzbereich genauso groß ist wie der Wellenwiderstand dieser Leitung. Da selbst bei verlustbehafteten Leitungen die Leitungsdämpfungen üblicherweise so klein sind, daß man auch dann noch den Wellenwiderstand als reell ansieht, so kann dies nur bedeuten, daß im Idealfall in diesem Frequenzbereich mit Anpassung gearbeitet werden soll: Dabei stellt sich der Widerstand der Dämpfungsmittel im Stromkreis als reiner, dem Wellenwiderstand der Leitung angepaßter Wirkwiderstand dar.

Ob die Erfindung eine ausreichende Verminderung von Störsignalen auch dann noch zu leisten imstande ist, wenn der Widerstand der Dämpfungsmittel mehr oder weniger von diesem Idealwert abweicht, ist im Rahmen einfacher Untersuchungen ohne weiteres feststellbar.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gehörte vor dem Anmeldetag nicht zum Stand der Technik. Keine der Druckschriften spricht in Verbindung mit Störverminderung von Absorption der Störsignale durch Anpassung.

4. Die zusätzlich in den Anspruch 1 aufgenommene Maßnahme, den Absorptionsstromkreis dergestalt auszuführen, daß die in ihm liegenden HF-Dämpfungsmittel an den Wellenwiderstand der Leitung angepaßt sind, heben seine Lehre in den Rang einer patentfähigen Erfindung. Damit wird erreicht, daß im Frequenzbereich der Störungen im Absorptionsstromkreis keine reflektierte Welle vorhanden ist: Die im Stromkreis aufgenommenen Störsignale werden voll dem Dämpfungsmittel zugeführt und von ihm vollständig in Wärme umgesetzt.

Die beanspruchte Maßnahme beruht auf einer überdurchschnittlichen Gedankenleistung, der Stand der Technik konnte am Anmeldetag nicht dazu anregen.

Die Störunterdrückung nach (1) ist bereits vom Prinzip her nicht vergleichbar: Sie beruht nicht auf Absorption der Störsignale, sondern auf Kompensation durch geeignete Phasenverschiebung. Eine gewisse, dieser Phasenverschiebung entgegenarbeitende Absorption ist dabei lediglich als nachteilig in Kauf zu nehmen. Dem Fachmann steigt nicht der richtige Gedanke auf, daß es für die Verminderung hochfrequenter Störsignale auf eine geeignete Phasenverschiebung gar nicht mehr ankommt und somit die induktive Belastung der Schutzleitung 2 entfallen kann, wenn man statt dessen bei der bekannten Einrichtung die unerwünschte Absorption fördert und die Erhöhung des Wirkwiderstandes dazu nutzt, eine Anpassung an den Wellenwiderstand der Leitung zu erzielen. Auch (2) brachte den Fachmann nicht voran.

Die Entgegenhaltung (2) nennt zwar als Entstörmittel für leitungsgebundene Störungen Entstörwiderstände (S 13 Mitte). Sie werden zur Entstörung von Hochspannung führenden Stromkreisen eingesetzt, wobei ein möglichst niedriger Ohmwert eine möglichst starke Dämpfung der von der Störquelle ausgehenden hochfrequenten Störwellen bewirkt (S 14). Es fehlt aber die gedankliche Brücke zum Wellenwiderstand einer Leitung, da die angegebenen Entstörwiderstandswerte im k-Bereich liegen (S 14, 15), wohingegen dem Fachmann für HF-Leitungen Wellenwiderstände bis zu maximal 600 geläufig sind. Die Funkentstörung nach (2) schließt sogar das Arbeiten mit Leistungsanpassung aus. Dies erhellt aus folgendem: Die Entstörwiderstände liegen nicht in einem eigenen Absorptionsstrompfad, sondern im Signalstrompfad (S 15). Sie sollen die hochfrequenten Störwellen möglichst stark dämpfen, das Nutzsignal hingegen nicht schwächen und sind dieserhalb - wenn auch so klein wie möglich - hochohmig, um keinen zu hohen Leistungsverlust zu bewirken. Eine Anpassung hätte die unerwünschte Folge, daß auch das Nutzsignal voll dem Entstörwiderstand zugeführt ist!

Die in (2) weiterhin zur Entstörung genannten Entstördrosseln können gleichfalls kein Vorbild sein. Sie sind nicht als Absorber vorgesehen, sondern verhindern das Eindringen hochfrequenter Ströme in das Leitungsnetz (S 13, 18 liSp Abs 3).

Vergleichbar liegen die Dinge im Hinblick auf die Funk-Entstördrosseln nach (3), die für Störgrößen höherer Frequenzen die erforderliche Induktivität durch über die Leitungen geschobene Ferritkerne erzielen. Berührungspunkte zur Vernichtung von Störleistung mit Hilfe eines angepaßten Absorberschaltkreises sind auch hier nicht erkennbar.

Die weitere, im Prüfungsverfahren genannte, in der Patentbeschreibung dargestellte Literaturstelle (Sp 1 Abs 2) hat in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt; sie zeigt nicht mehr als der oben abgehandelte Stand der Technik.

5. Die Ansprüche 2 bis 4 nach Hilfsantrag 2 haben gleichfalls Bestand. Sie umschreiben besondere Ausführungsarten der Erfindung nach dem Anspruch 1.

Kalkoff Obermayer Dr. Hartung Dr. van Raden Mr/prö






BPatG:
Beschluss v. 01.03.2000
Az: 20 W (pat) 65/99


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