Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Februar 2009
Aktenzeichen: 30 W (pat) 171/06

(BPatG: Beschluss v. 19.02.2009, Az.: 30 W (pat) 171/06)

Tenor

Die Beschwerde der Markeninhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die am 2. August 2001 in der Gazette OMPI des marques internationales veröffentlichte international registrierte Marke 758 507 Avancel sucht für "Pharmaceutical preparations" um Schutz in der Bundesrepublik Deutschland nach.

Dagegen hat u. a. die Inhaberin der seit dem 11. Mai 1998 unter der Nummer 2 104 830 für die Waren "Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate zur Gesundheitspflege, Arzneimittel, Diagnostika für medizinische Zwecke, immunologische und onkologische Produkte" eingetragenen Marke ARA -cell Widerspruch erhoben.

Im Beschwerdeverfahren hat die Inhaberin der angegriffenen IR-Marke die Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten. Zur Glaubhaftmachung der Benutzung hat die Widersprechende Unterlagen eingereicht. Daraufhin hat die IR-Markeninhaberin die Benutzung für "Zytostatika" anerkannt; eine weitergehende Benutzung ist von der Widersprechenden nicht geltend gemacht worden.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentund Markenamts hat die Verwechslungsgefahr bejaht und der IR-Marke den nachgesuchten Schutz verweigert. Ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und identischen Produkten seien die Übereinstimmungen der jeweils dreisilbigen Markenwörter im Lautgerüst "A-acel" bei gleicher Vokalfolge und gleichem Sprechund Betonungsrhythmus und fast identischen Endungen zu groß, um klanglichen Verwechslungen begegnen zu können.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen IR-Marke. Sie hält mit näheren Ausführungen weder in klanglicher, begrifflicher oder schriftbildlicher Hinsicht Verwechslungsgefahr für gegeben und verweist insbesondere auf eine ihrer Ansicht nach gegebene Kennzeichnungsschwäche der Widerspruchsmarke, die mit dem Bestandteil "ARA" auf den Wirkstoff "Cytarabin" und mit "cell" auf "Zelle" beschreibend Bezug nehme. Zudem trage der Begriffsanklang der IR-Marke an "Avance" (Vorsprung) zur Unterscheidbarkeit bei.

Die IR-Markeninhaberin beantragt sinngemäß, die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 IR des Deutschen Patentund Markenamts aufzuheben.

Einen angekündigten Kostenantrag hat die IR-Markeninhaberin in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt.

Die Widersprechende trägt des Näheren vor, die Verwechslungsgefahr der Marken sei wegen normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, hochgradiger klanglicher, schriftbildlicher und begrifflicher Ähnlichkeit der Marken und der Eintragung für identische bzw. ähnliche Produkte gegeben. Sie beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der IR-Markeninhaberin hat in der Sache keinen Erfolg. Zwischen der Widerspruchsmarke und der angegriffenen IR-Marke 758 507 besteht auch nach Auffassung des Senats Verwechslungsgefahr im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Die Markenstelle hat der IR-Marke den nachgesuchten Schutz zu Recht verweigert.

Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr bemisst sich nach der Identität oder Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, der Identität oder Ähnlichkeit der Marken und dem Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl., § 9 Rdn. 29).

Auf die nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG zulässig bestrittene Benutzung der Widerspruchsmarke hat die Inhaberin der angegriffenen Marke nach Vorlage von Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung in der mündlichen Verhandlung die Benutzung der Widerspruchsmarke für "Zytostatika" anerkannt. Eine darüber hinausgehende Benutzung ist nicht geltend gemacht; von einer Benutzung für diese Waren ist damit auszugehen; auf Seiten der Widerspruchsmarke können "Zytostatika" im Sinne der entsprechenden Hauptgruppe 86 der Roten Liste berücksichtigt werden (vgl. BGH GRUR 2002, 59, 62 f -ISCO; Ströbele/Hackera. a. O. § 26 Rdn. 141 ff.).

Die angegriffene IR-Marke beansprucht Schutz für "Pharmaceutical preparations". Insoweit können sich die Marken auf identischen Waren begegnen.

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke insgesamt ist nach Auffassung des Senats als durchschnittlich einzustufen. Zwar kann dem Bestandteil "-cell" ein beschreibender Anklang in Bezug auf die hier maßgeblichen Waren entnommen werden, da es sich im Bereich der Medizin um ein übliches Kürzel für "Zelle" handelt; dies lässt sich entgegen der Auffassung der IR-Markeninhaberin aber nicht für den Bestandteil "ARA" feststellen; soweit sie darauf verweist, dass es sich um eine Kurzform der Wirkstoffbezeichnung (INN) "Cytarabin" handelt, lässt sich dies nicht nachweisen; In der Internet-Enzyklopädie sind dazu die Kurzformen "ARAC" und "ARA-C" verzeichnet (Anlage 1 zum Schriftsatz der IR-Markeninhaberin vom 26. Februar 2007; diese Abkürzungen sind so indessen nicht in der Widerspruchmarke ARA -cell enthalten, denn der Buchstabe "C" ist zweifelsfrei dem Bestandteil "cell" zugeordnet. Abgesehen davon ist in der Roten Liste kein Präparat verzeichnet, das die Kurzformen "ARAC" oder "ARA-C" so verwendet. In der Kombination ihrer Bestandteile ist ein begrifflicher Aussagegehalt der Widerspruchsmarke nach Auffassung des Senats nicht gegeben; von einer Einschränkung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke kann damit nicht ausgegangen werden, sondern von einem normalen, durchschnittlichen Schutzumfang der Widerspruchsmarke insgesamt.

Unter diesen Umständen gelten grundsätzlich strenge Anforderungen an den Markenabstand.

Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken, wobei von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hackera. a. O. § 9 Rdn. 111). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist dabei im Klang, im (Schrift-)Bild und im Bedeutungs-(Sinn-)Gehalt zu ermitteln. Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr reicht dabei regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht aus (BGHZ 139, 340, 347 -Lions; BGH MarkenR 2008, 393, 395 Tz. 21 -HEITEC). Zu beachten ist vorliegend, dass die beiderseitigen Waren nach dem Wortlaut der Warenverzeichnisse nicht der Rezeptpflicht unterliegen. Es müssen damit auch weniger kompetente Endabnehmer in die Beurteilung mit einbezogen werden. Gleichwohl kann keine besondere Flüchtigkeit beim Erwerb solcher Produkte unterstellt werden. Vielmehr pflegen auch die Endabnehmer, bei denen auf den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2004, 943 -SAT.2), allem, was mit Gesundheit zusammenhängt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen (vgl. BGH GRUR 1995, 50 -INDOREKTAL/INDOHEXAL; Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 122 m. w. N.). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Zytostatika, die in der Tumortherapie eingesetzt werden, ausweislich der Roten Liste durchweg nur gegen ärztliche Verordnung abgegeben werden. Dies führt de facto dazu, dass Laien mit den Marken weitgehend nur unter Einschaltung des Fachverkehrs in Berührung kommen. Dadurch wird die Gefahr von Verwechslungen etwas reduziert, da der Fachverkehr (insbesondere Ärzte und Apotheker) erfahrungsgemäß im Umgang mit Arzneimitteln sorgfältiger ist und deshalb seltener Markenverwechslungen unterliegt (BGH GRUR 1999, 587 -Cefallone; Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 122).

Davon ausgehend sind nach Auffassung des Senats beide Marken bereits im klanglichen Gesamteindruck noch so weit angenähert, dass eine hinreichend sichere Unterscheidung nicht gewährleistet ist. Die Vergleichsmarken stimmen bei gleicher Silbenzahl (A-vancel gegenüber A-RA-cell) und identischer Vokalfolge (A-ae) sowie sehr ähnlichen Endungen (cel gegenüber cell) in fünf von sieben Buchstaben überein. Sie unterscheiden sich lediglich in der Verdoppelung des Endkonsonanten "l" in der Widerspruchsmarke sowie im Konsonantengerüst der Mittelsilbe (vn gegenüber r). Jedoch weisen die Buchstaben "vn" in der jüngeren Marke keine besondere Klangstärke auf. Diese Abweichungen im ohnehin regelmäßig weniger auffälligen Wortinneren sind nicht geeignet, den klanglichen Gesamteindruck ausreichend verschieden zu gestalten. Auch der Endkonsonant "l" der jüngeren Marke in Alleinstellung verändert das Klangbild nicht durchgreifend und zuverlässig, da gewöhnlich die Aussprache von Endungen im Deutschen nicht buchstabengetreu deutlich, sondern eher verschliffen erfolgt. Zudem liegt diese Abweichung am ohnehin weniger beachteten Wortende. Für eine Aussprache der jüngeren Marke wie "A-wanzl" oder eher französisch wie "A-wonzeel" fehlen hinreichend sichere Anhaltspunkte; soweit die IR Markeninhaberin hierzu auf das aus der französischen Sprache stammende Wort "Avance/Avancen" (deutsch = Vorsprung, Anbiederung) verweist, ist ein solcher Anklang für das Gesamtwort "Avancel" nach der natürlichen Silbengliederung (A-vancel) nicht nahegelegt, steht aber jedenfalls nicht im Vordergrund.

Entgegen der Auffassung der Widersprechenden tritt "-cell" im Gesamteindruck der Widerspruchsmarke auch nicht wegen eines beschreibenden Anklangs (Zelle) zurück. Hierzu trägt bei, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichthofs bei der Beurteilung des Gesamteindrucks, den die zu vergleichenden Marken bei der mündlichen oder schriftlichen Wiedergabe im Geschäftsverkehr erwecken, auch kennzeichnungsschwache Wortelemente nicht außer Betracht gelassen werden dürfen.

Auch ein Vernachlässigen des Bestandteils "cell" unter dem Gesichtspunkt der Abspaltung kommt nicht in Betracht. "Cell" ist im Gegensatz zu den "Schulbeispielen" wie "aktiv, forte, extra" keine allgemein verständliche, lediglich eine Verstärkung bezeichnende Angabe (vgl. im einzelnen Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 308).

Der von der IR-Markeninhaberin angeführte Sinngehalt kann einer Verwechslungsgefahr nicht entgegenwirken, weil er, wie oben ausgeführt, im Hinblick auf die Silbengliederung "A-vancel" nicht hervortritt.

Die Beschwerde hat daher keinen Erfolg.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG). Dieser Grundsatz gilt auch, soweit die IR-Markeninhaberin mit der Beschwerde die Kostenentscheidung der Markenstelle angegriffen hat.

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BPatG:
Beschluss v. 19.02.2009
Az: 30 W (pat) 171/06


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