Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 20. September 1999
Aktenzeichen: 1 BvR 636/95

(BVerfG: Beschluss v. 20.09.1999, Az.: 1 BvR 636/95)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist der aktienrechtliche Auskunftsanspruch (§ 131 AktG).

I.

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die ordentliche Hauptversammlung 1993 der (früheren) Daimler-Benz AG, an der der Beschwerdeführer nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts im Entscheidungszeitpunkt mit einer Aktie beteiligt war. Die kurz nach 10.00 Uhr eröffnete Hauptversammlung wurde vom Aufsichtsratsvorsitzenden, Herrn Hilmar Kopper, geleitet. Sie hatte unter anderem über die Entlastung des Aufsichtsrats zu entscheiden. Dem Aufsichtsrat war im Vorfeld der Hauptversammlung vorgeworfen worden, im Zusammenhang mit einem Insiderskandal seine Pflichten verletzt zu haben.

Die Diskussion über die ersten Tagesordnungspunkte, zu denen auch die Entlastung des Aufsichtsrats gehörte, zog sich erheblich hin. Der Aufsichtsratsvorsitzende ordnete deshalb um 16.00 Uhr eine allgemeine Begrenzung der Redezeit auf zehn Minuten an. Um 17.30 Uhr meldete sich der Beschwerdeführer zu Wort. Um 18.30 Uhr begrenzte der Aufsichtsratsvorsitzende mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit und die noch vorliegenden 20 Wortmeldungen die Redezeit auf fünf Minuten und schloß zugleich die Rednerliste. Der Beschwerdeführer erhielt um 19.45 Uhr das Wort. Nachdem er fünf Minuten gesprochen hatte, unterbrach ihn der Aufsichtsratsvorsitzende, entzog ihm das Wort, räumte ihm zunächst nach einem kurzen Wortwechsel noch eine Frist von einer Minute zur Beendigung seiner Ausführungen ein und ließ dann das Mikrophon abstellen. Dies geschah - wie der Beschwerdeführer vorträgt -, nachdem er erklärt hatte: "Nun komme ich zu Ihnen, Herr Kopper" und "Ich habe Fragen, die Sie persönlich betreffen". Der Aufsichtsratsvorsitzende forderte den Beschwerdeführer dreimal auf, das Rednerpult zu verlassen und ließ ihn schließlich durch Saaldiener aus dem Versammlungssaal bringen. Dabei kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Beschwerdeführer zu Boden fiel. Die genaue Ursache für den Sturz des Beschwerdeführers blieb im Ausgangsverfahren umstritten. Der Beschwerdeführer wurde später wieder in den Saal gelassen und konnte an den Abstimmungen teilnehmen. Dabei wurde dem Aufsichtsrat Entlastung erteilt.

2. Im Ausgangsverfahren erhob der Beschwerdeführer eine Anfechtungsklage gegen den Beschluß der Hauptversammlung über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden. Der Beschwerdeführer trug dabei vor, der Versammlungsleiter habe ihm sein Anwesenheits- und Rederecht in der Hauptversammlung rechtswidrig entzogen und ihn daran gehindert, von seinem Auskunftsrecht Gebrauch zu machen. Er habe sieben bereits vorbereitete Fragen, insbesondere zur Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden im Zusammenhang mit dem Insiderskandal, nicht mehr stellen können. Das Landgericht wies die Klage ab (veröffentlicht in: WM 1994, S. 1754).

3. Das Oberlandesgericht wies die Berufung mit dem angegriffenen Urteil zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus (veröffentlicht in: WM 1995, S. 617):

Der Versammlungsleiter sei für eine generelle Beschränkung der Redezeit zuständig. Es könne dahinstehen, ob es rechtswidrig sei, wenn die Redezeit erst nach und nach beschränkt werde. Denn im vorliegenden Fall seien die Redezeitbeschränkung und der auf ihr beruhende Wortentzug für den Beschluß über die Entlastung des Aufsichtsrats nicht ursächlich gewesen. Nach seinem eigenen Vortrag hätte der Beschwerdeführer die besondere Verantwortlichkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden für den auf der Hauptversammlung diskutierten Insiderskandal herausstellen wollen. Zu diesem Thema hätten bereits andere Redner ausführlich Stellung genommen und dabei die Verantwortung des Aufsichtsratsvorsitzenden betont. Gleichwohl habe die Hauptversammlung die Entlastung des Aufsichtsrats beschlossen. Es erscheine ausgeschlossen, daß die Ausführungen des Beschwerdeführers daran etwas geändert hätten.

Nicht zu folgen sei einer Mindermeinung, die bei einer Verletzung von mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechten auf das Erfordernis einer (potentiellen) Kausalität verzichte. Dieser Auffassung stehe § 243 Abs. 4 AktG entgegen. Der Vorschrift hätte es nicht bedurft, wenn schon allgemein jeder die Mitgliedschaftsrechte beeinträchtigende Verfahrensfehler zur Anfechtung berechtige.

Es könne dahinstehen, ob die Saalverweisung zulässig gewesen sei. Auch insofern könne ausgeschlossen werden, daß der Beschluß über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden auf einer unzulässigen (gewaltsamen) Entfernung des Beschwerdeführers aus dem Versammlungssaal oder einer unnötig langen Dauer der Saalverweisung beruht habe.

Schließlich sei der Entlastungsbeschluß nicht deshalb anfechtbar, weil der Beschwerdeführer daran gehindert worden sei, Fragen zu stellen. Es sei allgemein anerkannt, daß eine allgemeine Beschränkung der Redezeit nicht zu einer Einschränkung des Fragerechts der Aktionäre führen dürfe. Es könne aber offen bleiben, ob der Beschwerdeführer vor oder nach dem Wortentzug erklärt habe, er wolle noch Fragen stellen. Ebenso könne es offen bleiben, ob der Versammlungsleiter den Beschwerdeführer noch - ungeachtet der Redezeitbeschränkung - auf sein Fragerecht hingewiesen habe. Auch insoweit beruhe der Entlastungsbeschluß ersichtlich nicht darauf, daß der Beschwerdeführer sein Fragerecht nicht ausüben konnte. Die Fragen, die der Beschwerdeführer habe stellen wollen, seien nämlich nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG unzulässig gewesen, weil sie nicht an den Vorstand, sondern an den Aufsichtsratsvorsitzenden persönlich gerichtet gewesen seien. Das ergebe sich eindeutig aus der Anredeform und dem Inhalt der Fragen. Vorgänge in der Aufsichtsratssitzung seien grundsätzlich vertraulich und könnten nicht zum Gegenstand einer zulässigen Frage gemacht werden. Im übrigen vermittelten die Fragen den Eindruck, daß der Beschwerdeführer nur deshalb die Frageform gewählt habe, um die Redezeitbegrenzung zu umgehen.

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1, 3, 14, Art. 19 Abs. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Er begehrt, das Bundesverfassungsgericht möge die Verfassungswidrigkeit verschiedener Feststellungen des Oberlandesgerichts feststellen. Dabei führt er unter anderem aus:

Es sei mit den unabdingbaren Kontrollrechten des Aktionärs unvereinbar, wenn die Amtsführung des Aufsichtsrats keiner Aufklärung über das Fragerecht nach § 131 AktG zugänglich sein solle. Seine Fragen seien an die Verwaltung gerichtet gewesen. Es gehe nicht an, wenn sich der Aufsichtsrat darauf zurückziehe, daß er zur Beantwortung der Fragen formal nicht zuständig sei. Der Aktionär habe einen Anspruch auf Beantwortung seiner Fragen über Angelegenheiten der Gesellschaft. Dieser Anspruch könne weder von der Anredeform noch von sonstigen formellen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

Die Feststellung des Oberlandesgerichts, Erwägungen, Auffassungen, Überlegungen und Motive von Aufsichtsratsmitgliedern könnten nicht zum Gegenstand von Fragen gemacht werden, sei verfassungsrechtlich nicht hinzunehmen. Keineswegs könne das Fragerecht mit der Begründung abgeschnitten werden, Vorgänge in der Aufsichtsratssitzung seien vertraulich.

Mit Art. 1 und Art. 14 GG sei die Auffassung des Oberlandesgerichts, ein Aktionär dürfe gewaltsam aus dem Versammlungssaal entfernt werden, ohne daß dies die Rechtmäßigkeit der gefaßten Beschlüsse berühre, nicht vereinbar. Das Eigentumsgrundrecht werde damit sogar in seinem Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) angetastet. Das Oberlandesgericht habe es in dem angegriffenen Urteil offen gelassen, ob seine gewaltsame Entfernung aus dem Versammlungsraum zulässig gewesen sei. Diese und die anderen vom Oberlandesgericht offen gelassenen Fragen hätten aber von Verfassungs wegen zu seinen Gunsten entschieden werden müssen. Es verstoße gegen Grundrechte, wenn ein Aktionär einer Hauptversammlung nur noch unter der Drohung von Gewaltanwendung beiwohnen könne.

II.

Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen lassen sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <26>). Das angegriffene Urteil verletzt die Grundrechte des Beschwerdeführers nicht.

1. Für einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG ist nichts hervorgetreten. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG. Das Oberlandesgericht hat die grundrechtliche Eigentumsgarantie auch auf der Rechtsanwendungsebene nicht verkannt.

a) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Eigentum. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fällt das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum in den Schutzbereich des Grundrechts. Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft. Aus der mitgliedschaftlichen Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche (vgl. BVerfG, DB 1999, S. 1693 <1694>).

aa) Das Recht des Aktionärs, Informationen über die Angelegenheiten der Gesellschaft, an der er beteiligt ist, zu erhalten, ist ein wesentlicher Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts. Im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum wird es als "mitgliedschaftliches Grundrecht" bezeichnet (vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1997, S. 625). Die hinter dieser Formulierung stehende Einsicht ist zutreffend: Informationen sind für den Gesellschafter eine unerläßliche Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner mitgliedschaftlichen Rechte. Nur ein über die Angelegenheiten der Gesellschaft unterrichteter Gesellschafter kann die ihm obliegenden Aufgaben im Rahmen des gemeinsamen Gesellschaftszwecks erfüllen. Zugleich korrespondiert das Informationsrecht aber auch mit den vermögensrechtlichen Ansprüchen, die die Gesellschaftsbeteiligung vermittelt. Die Dispositionsfreiheit über den Eigentumsgegenstand, die das Grundrecht schützt, liefe praktisch leer, wenn sich ein Aktionär kein Bild über das Unternehmen, an dem er beteiligt ist, machen könnte. Der Schutz von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG umfaßt mithin auch das Recht eines Aktionärs, Informationen über seine Gesellschaft zu erhalten. Davon geht auch der Bundesgerichtshof aus (vgl. BGHZ 86, 1 <19>).

bb) Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Das individuelle Informationsrecht des Aktionärs, das diese Vorschrift begründet, ist in zeitlicher und gegenständlicher Hinsicht beschränkt. Der Aktionär kann Auskünfte nur in der Hauptversammlung und nur insoweit, als seine Frage mit einem Gegenstand der Tagesordnung zusammenhängt, verlangen. Die Regelung berührt damit den Schutzbereich des Grundrechts.

cc) § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedoch eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG).

(1) Die Einschränkung des Auskunftsrechts in zeitlicher Hinsicht hat der Gesetzgeber damit gerechtfertigt, daß nur ein auf die Hauptversammlung beschränkter Auskunftsanspruch eine gleichmäßige Unterrichtung aller Aktionäre gewährleiste (vgl. Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 187). Das ist eine legitime gesetzgeberische Erwägung, die in Art. 3 Abs. 1 GG eine verfassungsrechtliche Stütze hat.

(2) Die gegenständliche Einschränkung, die von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ausgeht, findet ihren Grund in der Verknüpfung von Auskunftsanspruch und Mitgliedschaftsrecht (vgl. dazu Kropff, a.a.O., S. 184). Das Informationsrecht des Aktionärs hat in dessen mitgliedschaftlichen Befugnissen und vermögensrechtlichen Ansprüchen seinen Grund, aber auch seine Grenze. Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber den Informationsanspruch eines Gesellschafters rechtsformspezifisch - korrespondierend zu den Befugnissen in der jeweiligen Gesellschaftsform - ausgestaltet. Er muß dabei aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Das ist bei § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG geschehen.

Nach der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft sind die Aktionäre den anderen Gesellschaftsorganen nicht übergeordnet (vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 4. Aufl. 1999, § 118 Rn. 4). Die Aktionäre üben ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der Hauptversammlung aus (§ 118 Abs. 1 AktG). Die Hauptversammlung entscheidet in den im Gesetz und in der Satzung ausdrücklich bestimmten Fällen, namentlich über die in § 119 Abs. 1 AktG genannten Beschlußgegenstände. Dabei sind der Satzungsautonomie der Gesellschafter jedoch Grenzen durch die zwingenden Befugnisse des Vorstands und des Aufsichtsrats gezogen (§ 23 Abs. 5 AktG). Der Vorstand hat die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG). Ihm obliegt die Geschäftsführung. Die Hauptversammlung kann über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt (§ 119 Abs. 2 AktG). Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG). Hierzu hat er diverse Einsichts- und Prüfungsrechte (vgl. nur § 111 Abs. 2 AktG), und deshalb ist der Vorstand dem Aufsichtsrat gegenüber nach § 90 AktG berichtspflichtig. Demgegenüber haben die Aktionäre - anders als die Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 46 Nr. 6 GmbHG) - keine Kontrollfunktion gegenüber der Geschäftsführung. Nach der zwingenden Organisationsverfassung können sie nur mittelbar über ihr Stimmverhalten in der Hauptversammlung Einfluß auf die Geschäfte der Gesellschaft nehmen.

Im Licht der beschränkten mitgliedschaftlichen Befugnisse ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber korrespondierend dazu das individuelle Informationsrecht der Aktionäre in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG gegenständlich beschränkt hat. Die mitgliedschaftlichen Interessen der Aktionäre werden dadurch nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Soweit die Aktionäre zur Wahrnehmung ihrer Mitgliedschaftsrechte, insbesondere ihres Stimmrechts, auf Informationen über einen zur Beschlußfassung anstehenden Gegenstand der Tagesordnung angewiesen sind, haben sie ein Auskunftsrecht. Unter den Voraussetzungen des § 122 Abs. 2 AktG kann eine Minderheit verlangen, daß Gegenstände zur Beschlußfassung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Durch das Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 AktG und die Strafvorschrift des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG hat der Gesetzgeber zudem hinreichende Vorkehrungen dafür getroffen, daß der Vorstand die erforderlichen Auskünfte auch tatsächlich erteilt.

Auch die Vermögensinteressen des Aktionärs sind durch die einschränkende Regelung des individuellen Auskunftsanspruchs nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Zwar sind Aktionäre für eine sinnvolle Vermögensdisposition auf mehr und andere Informationen angewiesen, als sie sie gemäß § 131 AktG erhalten können. Der Gesetzgeber durfte aber berücksichtigen, daß der individuelle Auskunftsanspruch nicht die einzige Informationsquelle des Aktionärs ist. Die Regelung des § 131 AktG ist in eine Vielzahl von Informations- und Publizitätsvorschriften eingebettet, von denen jeder einzelne Aktionär als Verbandsmitglied profitiert (vgl. Zöllner, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 1985, § 131 Rn. 6).

b) Auch die angegriffene Entscheidung selbst ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Auslegung und Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften ist Sache der zuständigen Zivilgerichte. Sie müssen dabei aber bei Vorschriften, die das Eigentum in verfassungsrechtlich zulässiger Weise ausgestalten und einschränken, dem eingeschränkten Grundrecht Rechnung tragen, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfG, DB 1999, S. 1693 <1694 f.>). Im Zusammenhang mit § 131 AktG verlangt Art. 14 Abs. 1 GG, daß die Gerichte einer mißbräuchlichen Handhabung des Auskunftsverweigerungsrechts durch den Vorstand einerseits und des Fragerechts durch die Aktionäre andererseits entgegentreten.

Mit Blick auf unzureichende oder verweigerte Antworten des Vorstands ist das Schutzbedürfnis gegen Mißbrauch für die Verwirklichung des Grundrechts evident. Es besteht aber auch mit Blick auf eine mißbräuchliche Handhabung des Fragerechts durch (einzelne) Aktionäre. Eine Hauptversammlung muß in einer angemessenen und zumutbaren Zeit abgewickelt werden (vgl. Hüffer, a.a.O., § 121 Rn. 17). Darüber hinaus muß sie nach einer nicht unerheblichen Auffassung im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum spätestens um Mitternacht des Einberufungstages beendet sein (vgl. Zöllner, a.a.O., § 119 Rn. 70). Im Licht dieser Erfordernisse kann eine Hauptversammlung ihre Aufgabe als Entscheidungsforum und "Sitz der Aktionärsdemokratie" (vgl. Karsten Schmidt, a.a.O., S. 844) nur erfüllen, wenn der Versammlungsleiter dafür Sorge trägt, daß die zur Verfügung stehende Zeit möglichst gerecht verteilt und nicht durch Beiträge oder Fragen einzelner Aktionäre, die ersichtlich nicht auf Erkenntnisgewinn in bezug auf einen zur Entscheidung anstehenden Tagesordnungspunkt gerichtet sind, verbraucht wird. Denn übermäßig lange oder erkennbar vom Thema abweichende Beiträge gehen stets zu Lasten der Rede- und Fragezeit anderer Hauptversammlungsteilnehmer. Gerade um des grundrechtlichen Schutzes der mitgliedschaftlichen Aktionärsrechte, insbesondere des Fragerechts, willen ist es deshalb erforderlich, daß die Zivilgerichte im Rahmen einer Anfechtungsklage oder eines Auskunftserzwingungsverfahrens auch einer mißbräuchlichen Handhabung des Rede- und Fragerechts durch einzelne Aktionäre entgegentreten.

bb) Gemessen daran ist das angegriffene Urteil nicht zu beanstanden.

Das Oberlandesgericht ist in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, daß der Aufsichtsrat nach § 131 Abs. 1 AktG nicht auskunftsverpflichtet ist. Der Auskunftsanspruch richtet sich gegen die Gesellschaft, für die der Vorstand organschaftlich tätig ist. Der Aufsichtsrat ist gegenüber der Hauptversammlung nur gemäß § 171 Abs. 2 AktG berichtspflichtig; dieser Bericht bildet für die Aktionäre die Grundlage für den Entlastungsbeschluß (§ 120 AktG). Das Gericht hat aber nicht allein formal argumentiert. Es hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Vertraulichkeit, auf die der Aufsichtsrat für eine effektive Aufgabenwahrnehmung angewiesen ist, es nicht erlaubt, Auffassungen, Überlegungen und Motive einzelner Aufsichtsratsmitglieder als "Angelegenheiten der Gesellschaft" einzustufen.

Soweit der Beschwerdeführer einen Verfassungsverstoß darin sieht, daß das Oberlandesgericht die Kontrollbefugnisse der Aktionäre nicht hinreichend zur Geltung gebracht habe, verkennt er bereits, daß die Hauptversammlung nach der zwingenden Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft keine allumfassende Kontrollbefugnis über die Verwaltung hat. Ebensowenig ist es ersichtlich, daß das Gericht in seinen Ausführungen zu den Kausalitätserfordernissen einer Anfechtungsklage die Grundrechte grundsätzlich verkannt oder gar mißbräuchlich mißachtet habe. Schließlich ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Gericht die Frage nach der Rechtmäßigkeit der gegen den Beschwerdeführer ergriffenen Ordnungsmaßnahmen offen gelassen hat. Ordnungsmaßnahmen, zu denen auch allgemeine Redezeitbeschränkungen und unter Umständen sogar Wortentzug und Saalverweisung gehören, sind, wenn sie im Dienst einer ordnungsgemäßen Versammlungsdurchführung stehen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Daß sie im vorliegenden Fall vom Aufsichtsratsvorsitzenden in willkürlicher und mißbräuchlicher Weise eingesetzt worden wären, um dem Beschwerdeführer das Fragerecht zu entziehen, ist weder vom Oberlandesgericht festgestellt worden noch nach dem Vortrag des Beschwerdeführers ersichtlich.

2. Soweit sich der Beschwerdeführer darüber hinaus noch in anderen Grundrechten als Art. 14 Abs. 1 GG beschwert fühlt, ist eine Grundrechtsverletzung weder hinreichend dargetan noch ersichtlich. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 20.09.1999
Az: 1 BvR 636/95


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