Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Oktober 2004
Aktenzeichen: 33 W (pat) 203/02

(BPatG: Beschluss v. 19.10.2004, Az.: 33 W (pat) 203/02)

Tenor

1. Der Widersprechenden zu 2) wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde gewährt.

2. Auf die Beschwerde der aus der Marke 2 104 447 Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 19 IR des Patentamts vom 10. April 2002 aufgehoben, soweit der Widerspruch aus dieser Marke für folgende Waren zurückgewiesen worden ist:

"Tuyaux d'ecoulement pour thermosanitaires; siphons; joints non metalliques; canaux non metalliques de recueil des eaux pluviales et de lavage; materiels pour la construction non metallique".

3. Der Schutz für die angegriffene Marke in der Bundesrepublik Deutschland wird wegen des Widerspruchs aus der Marke 2 104 447 für die vorgenannten Waren versagt.

Gründe

I Gegen die Schutzgewährung der IR Marke 653 887 in Deutschlanddie für folgende Waren 11 Chasses d'eau; tuyaux d'ecoulement pour thermosanitaires; siphons.

17 Raccords pour tuyaux non metalliques; joints non metalliques; manchons non metalliques; joints d'etancheite; tuyaux flexibles non metalliques; soupapes en caoutchouc (autres que parties machines).

19 Raccords de tuyaux non metalliques; soupapes non metalliques pour tuyaux de drainage; grilles pietonnières en matières plastiques; couvercles pietonniers en matières plastiques; grilles charretières en matières plastiques; canaux non metalliques de recueil des eaux pluviales et de lavage; materiels pour la construction non metalliques, bouchons pour tuyaux non metalliques; tuyaux rigides non metalliques.

20 Soupapes non metalliques; soupapes (autres que parties de machines) pour tuyaux d'eaux en matières plastiques; soupapes antiretour non metalliquesregistriert wurde, ist Widerspruch erhoben aufgrund der am 1. Dezember 1983 für

"Baumaterialien in Platten- oder Tafelform; Klebstoffe, Verguß- und Dichtungsmassen für die Anwendung im Baubereich"

eingetragenen Wortmarke 1 056 602 (Widerspruchsmarke 1)

Wediund der Wortmarke 2 104 447 (Widerspruchsmarke 2)

Wedidie am 30. Januar 1998 für die Waren

"Baumaterialien in Platten- oder Tafelform; Waren aus Kautschuk, Gummi oder Kunststoff in Form von Stangen, Profilen als Halbfabrikate zur Verwendung beim Fliesen- und Fußbodenverlegen sowie beim Tapezieren und bei Sanitärarbeiten; Folien aus Kautschuk, Gummi oder Kunststoff als Halbfabrikate; Formteile, nämlich Dichtungen in Strangform, aus Gummi, Kautschuk oder Kunststoff; Schläuche (nicht aus Metall)"

eingetragen ist.

Mit Schriftsatz vom 3. Juli 1998 hat die Inhaberin der am 1. Oktober 1996 mit Wirkung für Deutschland veröffentlichten IR-Marke 653 887 die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke 1 bestritten. Der Widersprechende zu 1 hat mit Eingabe vom 16. November 2000 eine Eidesstattliche Versicherung vom 26. Oktober 2000 sowie weitere Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung eingereicht.

Die Inhaberin der jüngeren IR-Marke hat die Nichtbenutzungseinrede mit Schreiben vom 2. April 2001 aufrechterhalten.

Mit Beschluss vom 10. April 2002 hat die Markenstelle für Klasse 19 des Deutschen Patent- und Markenamts durch einen Beamten des gehobenen Dienstes die Widersprüche mangels Verwechslungsgefahr zurückgewiesen und die Benutzung dahingestellt sein lassen. Die Vergleichswaren wiesen zwar zum Teil eine entfernte sowie hinsichtlich der "Baumaterialien in Platten- oder Tafelform" eine stärkere Ähnlichkeit auf. Die Gemeinsamkeiten der Markenwörter seien aber zu gering, um angesichts der Kürze der Zeichen und der abweichenden Wortanfänge eine Verwechslungsgefahr in klanglicher oder schriftbildlicher Hinsicht zu begründen.

Hiergegen richten sich die Beschwerden der Widersprechenden, für die nur eine, die Widerspruchsmarke 1 betreffende Beschwerdeschrift zu den Akten gelangt ist, aber fristgerecht zwei Beschwerdegebühren gemäß den Einzugsermächtigungen vom 17. Mai 2002 eingezahlt worden sind. Nachdem zunächst von einer Doppelzahlung ausgegangen war, hat der Vertreter der Widersprechenden zu 1 und zu 2 auf einen telefonischen Hinweis vom 25. Juli 2002 hin am selben Tage die beiden Beschwerdeschriften vom 17. Mai 2002 mit den entsprechenden Angaben in Kopie übersandt und am 28. August 2002 (vorsorglich) Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Auf die Eingabe wird Bezug genommen.

In der Sache wenden sich die Widersprechenden in erster Linie gegen die Beurteilung der Ähnlichkeit der Marken durch die Markenstelle. Diese habe der alleinigen Abweichung am Wortanfang eine zu große Bedeutung beigemessen. Unter Hinweis auf im einzelnen genannte Entscheidungen berufen sich die Widersprechenden auf den Grundsatz der Rechtsprechung, dass es bei der Frage der Ähnlichkeit von Zeichen nicht so sehr auf die Unterschiede als auf die Übereinstimmungen ankomme. Für Kurzwörter gelten keine Sonderregeln. Da die beiden Markenwörter keinen die Unterscheidbarkeit stützenden Sinngehalt aufwiesen, bestehe bei der Kennzeichnung ähnlicher Waren eine erhebliche Verwechslungsgefahr.

In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Widersprechenden auf Anregung des Senats den Widerspruch aus der Marke 1 056 602 "Wedi" zurückgenommen und erklärt, dass sich der Widerspruch aus der Marke 2 104 447 "Wedi" nur mehr gegen folgende Waren richtet:

"Tuyaux d'ecoulement pour thermosanitaires; siphons; joints non metalliques; canaux non metalliques de recueil des eaux pluviales et de lavage ; materiels pour la construction non metalliques".

Die Widersprechende zu 2 beantragt, den angefochtenen Beschluss im Umfang des aufrecht erhaltenen Widerspruchs aufzuheben und der angegriffenen Marke insoweit den Schutz in Deutschland zu versagen.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Begründung des angefochtenen Beschlusses für zutreffend. Entsprechend der Ankündigung in ihrem Schreiben vom 14. Oktober 2004 hat die Markeninhaberin den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2004 nicht wahrgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II Nach der Rücknahme des Widerspruchs aus der Marke 1 065 602 ist nur mehr über die Beschwerde der Widersprechenden zu 2 zu entscheiden.

1. Es wird insoweit Wiedereinsetzung gewährt, als die Einreichung der Beschwerdeschrift innerhalb der Beschwerdefrist des § 66 Abs. 2 MarkenG versäumt worden ist. Ausweislich der Aktenlage hat die Wiedersprechende zu 2 innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist glaubhaft gemacht, dass die unmittelbar nach Wegfall des Hindernisses erneut übersandten Beschwerdeschriften dem Patentamt gleichzeitig übermittelt worden waren, was von der Bürovorsteherin des Vertreters der Widersprechenden zu 2 auch eidesstattlich versichert worden ist. Das Vorbringen steht außerdem in Einklang mit der Durchführung beider Einzugsermächtigungen durch die Zahlstelle des Patentamts, die mit der Einreichung der Beschwerdeschriften am selben Tage (17. Mai 2002) und in gleicher Weise für die beiden Beschwerden erteilt worden waren. Ungeachtet des Umstandes, dass nicht geklärt werden konnte, wo das Schriftstück zur Beschwerde aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 2 104 447 letztlich geblieben ist, wird aufgrund der aktenkundigen Tatsachen Wiedereinsetzung von Amts wegen gewährt.

2. Die gemäß § 165 Abs. 5 MarkenG statthafte, nach der Wiedereinsetzung form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Beschwerde der Widersprechenden zu 2 ist begründet. Es besteht im Umfang des beschränkten Widerspruchs Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage einer markenrechtlichen Verwechslungsgefahr unter Heranziehung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung der maßgeblichen Faktoren der Warenidentität oder -ähnlichkeit, der Markenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in dem Sinne auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren bzw. der Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken und/oder eine entsprechende Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aufgewogen wird und umgekehrt (st.Rspr. BGH GRUR 2002, 1067 - DKV/OKV; zuletzt GRUR 2004, 775 - Euro 2000; GRUR 2004, 783 - NEURO-VIBOLEX/NEURO - FIBRAFLEX).

a) Da die Benutzung der Widerspruchsmarke zu 2 nicht bestritten worden ist, ist für den Grad der Ähnlichkeit der Vergleichswaren die Registerlage zugrundezulegen. Danach ist die Widerspruchsmarke 2 unter anderem für "Baumaterialien in Platten- oder Tafelform" eingetragen, die sich mit den angegriffenen Waren der jüngeren Marke "materiels pour la construction non metalliques" (= nichtmetallische Baumaterialien) decken können, so dass insoweit von Warenidentität auszugehen ist. Soweit die Markeninhaberin Schutz für die Waren "tuyaux d'ecoulement pour thermosanitaires" (= Abflussrohre für Warmwasser-Sanitär-Anlagen) und "canaux non metalliques de recueil des eaux pluviales et de lavage" (= nichtmetallische Sammelkanäle für Regen- und Abwasser) beansprucht, ist zu berücksichtigen, dass diese üblicherweise auch aus Kunststoff bestehen können. Diese werden dann von den "Waren aus Kunststoff in Form von Stangen, Profilen als Halbfabrikate zur Verwendung bei Sanitärarbeiten" der Widerspruchsmarke 2 umfasst bzw. weisen wegen der gleichen stofflichen Beschaffenheit und des gleichen Verwendungszwecks für Sanitäranlagen so enge Berührungspunkte auf, dass die beteiligten Verkehrskreise bei unterstellter identischer Kennzeichnung der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder gegebenenfalls wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, womit Ähnlichkeit der Vergleichswaren anzunehmen ist. Entsprechendes gilt auch im Verhältnis der "Waren (der Widerspruchsmarke 2) aus Gummi oder Kunststoff zur Verwendung bei Sanitärarbeiten, der Dichtungen aus Gummi oder Kunststoff sowie der Schläuche (nicht aus Metall)" einerseits zu den angegriffenen Waren "nichtmetallische Verbindungsstücke" (der Klasse 17) und "Siphons" (der Klasse 11) andererseits. In der Rechtsprechung ist ferner die Ähnlichkeit von "Schläuchen" mit "Rohren" sowie mit "Bauteilen aus Kunststoffen in Form von Rohren" und von "Dichtungen" mit "Ventilen" festgestellt worden (vgl. Richter/Stoppel Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl., S. 292, 293, 344).

b) Die Widerspruchsmarke 2 "Wedi", die keinerlei erkennbar beschreibende Anklänge enthält, besitzt bereits von Haus aus normale Kennzeichnungskraft, die durch den anhand der eingereichten Unterlagen vermittelten Auftritt im Markt eher noch gestärkt erscheint.

c) Zwischen den Markenwörtern "REDI" und "Wedi" besteht wegen des hohen Maßes an Übereinstimmungen jedenfalls in klanglicher Hinsicht eine erhebliche Zeichenähnlichkeit in ihrem maßgeblichen Gesamteindruck. Zwar gilt der Erfahrungssatz, dass der Verkehr Wortanfänge im allgemeinen stärker beachtet als die übrigen Markenteile. Auch kann die Abweichung in einem Laut bzw. Buchstaben den Gesamteindruck eines Kurzwortes im Verhältnis stärker beeinflussen als den eines längeren Markenwortes. Diese Erfahrungssätze sind aber weder isoliert zu betrachten noch verallgemeinernd oder schematisch anzuwenden, sondern im Hinblick auf die klangliche (bzw. bildliche) Auswirkung der Abweichung auf den Gesamteindruck zu prüfen und entsprechend zu gewichten (vgl. Ströbele/Hacker MarkenG, 7. Aufl., § 9 Rdn. 184, 192 f; BGH GRUR 2004, 783 = WRP 2004, 1043, 1046 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX m.w.N.). Bei weitgehenden Übereinstimmungen im übrigen kann eine alleinige Abweichung am Wortanfang die Verwechslungsgefahr in der Regel nicht ausschließen (vgl. BGH GRUR 1974, 30, 31 - Erotex/Protex; GRUR 1982, 611, 613 - Prodont; BPatGE 6, 247 - Kawoti/Sarotti; GRUR 1996, 496, 499 - PARK/LARK; GRUR 1997, 287, 289 - INTECTA/tecta; Mitt. 1970, 193 - REA/ZEA; Ströbele aaO § 9 FN 267 zu Wortanfängen). Denn bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr ist grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen der zu vergleichenden Zeichen als auf die Unterschiede abzustellen (st.Rspr. BGH GRUR 1998, 924, 925 - salvent/Salventerol m.w.N.; GRUR 2003, 1044, 1046 - Kelly; WRP 2004 1043, 1045 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist festzustellen, dass der klangliche Gesamteindruck der Vergleichszeichen entgegen den Ausführungen der Markenstelle von der identischen Lautfolge EDI/edi geprägt wird. Die Zeichen stimmen damit in den den Klang bestimmenden Merkmalen der klangtragenden Vokalfolge, der Silbengliederung, der Wortlänge und des Sprechrhythmuses überein. Demgegenüber ist die alleinige Abweichung der Konsonanten R/W trotz ihrer Stellung am Wortanfang der beiden Kurzwörter "REDI" und "Wedi" in ihrer Klangwirkung zu gering, um ein ausreichend unterschiedliches Gesamtklangbild zu bewirken, da die Betonung nicht auf ihnen, sondern auf dem jeweils identischen Vokal e liegt. Hinzu kommt, dass der überwiegende Teil des Verkehrs das "R" eher klangschwach und nicht rollend ausspricht.

Unter Berücksichtigung der bereits von Haus aus normalen Kennzeichnungskraft, der Warenidentität bzw. großen Warennähe sowie der Markenähnlichkeit im Klang ist die Verwechslungsgefahr im Umfang der angegriffenen Waren zu bejahen und deren Teillöschung anzuordnen.

3. Für ein Abweichen vom Grundsatz der eigenen Kostentragung besteht kein Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).

Winkler Kätker Pagenberg Cl






BPatG:
Beschluss v. 19.10.2004
Az: 33 W (pat) 203/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/67b991c35315/BPatG_Beschluss_vom_19-Oktober-2004_Az_33-W-pat-203-02




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share