Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. April 2006
Aktenzeichen: 9 W (pat) 343/03

(BPatG: Beschluss v. 03.04.2006, Az.: 9 W (pat) 343/03)

Tenor

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentanspruch 1, als Hilfsantrag eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2006, Patentansprüche 2 und 3, ebenfalls eingegangen am 3. April 2006, Patentansprüche 4 bis 9 eingegangen am 18. Juni 2004, Beschreibung Spalten 1 bis 3 gemäß Patentschrift, wobeiin Spalte 1 die Absätze 0002 und 0003 durch die Einfügung I, in Spalte 1 der Absatz 0005 durch die Einfügung II, jeweils eingegangen am 18. Juni 2004, ersetzt wird, undin Spalten 1 und 2 die Absätze 0007 bis 0009 durch die am 3. April 2006 eingereichte Einfügung III ersetzt wird, Zeichnungen Figuren 1 bis 9 gemäß Patentschrift.

Gründe

I.

Gegen das am 17. Oktober 2000 angemeldete und am 23. Januar 2003 veröffentlichte Patent 100 51 455 mit der Bezeichnung

"Frontsitz für ein zweitüriges Kraftfahrzeug"

ist von der A... GmbH & Co. KG Einspruch erhoben worden.

Zur Begründung ihres Einspruchs verweist die Einsprechende auf folgende Druckschriften:

- FR 2 735 081 A1,

- EP 0 970 844 A1,

- WO 99/41102 A1.

Die Patentinhaberin verteidigt das Patent in beschränktem Umfang. In Bezug auf die vorgenommene Beschränkung meint sie, der Begriff "im Crashfall" sei gegenüber dem "Normalbetrieb" so zu verstehen, dass ein über einer Betätigungsvorrichtung fixiertes Abdeckelement ausschließlich während eines Crashs durch Entriegeln einer Verriegelung die Betätigungsvorrichtung freigebe. Daher sei der Frontsitz neu und durch den in Betracht gezogenen Stand der Technik auch nicht nahegelegt.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

Frontsitz für zweitürige Kraftfahrzeuge mit einem Sitzteil (2), an dem eine Rückenlehne (4) klappbar angelenkt und das über Längsverstellschienen (5) längsverschieblich an der Karosserie (1) befestigt ist, wobei die Längsverstellschienen (5) mit der Karosserie (1) einerseits um eine vordere horizontale Klappachse (5a) verschwenkbar und andererseits mittels über eine Betätigungsvorrichtung (6) entriegelbaren Blockierelementen (5b) verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Betätigungsvorrichtung (6) für die Blockierelemente (5b) im Normalbetrieb des Fahrzeugs von einem Abdeckelement (7a) abgedeckt ist, welches mittels einer im Crashfall entriegelbaren Verriegelungsvorrichtung (7f) in seiner Abdecklage fixiert ist.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag (Unterschied zum Hauptantrag fett gedruckt):

Frontsitz für zweitürige Kraftfahrzeuge mit einem Sitzteil (2), an dem eine Rückenlehne (4) klappbar angelenkt und das über Längsverstellschienen (5) längsverschieblich an der Karosserie (1) befestigt ist, wobei die Längsverstellschienen (5) mit der Karosserie (1) einerseits um eine vordere horizontale Klappachse (5a) verschwenkbar und andererseits mittels über eine Betätigungsvorrichtung (6) entriegelbaren Blockierelementen (5b) verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Betätigungsvorrichtung (6) für die Blockierelemente (5b) im Normalbetrieb des Fahrzeugs von einem Abdeckelement (7a) abgedeckt ist, welches mittels einer nur im Crashfall entriegelbaren Verriegelungsvorrichtung (7f) in seiner Abdecklage fixiert ist.

Patentansprüche 2 bis 9 sind diesen Patentansprüchen 1 jeweils nachgeordnet.

Die Patentinhaberin stellt entsprechend den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 3, eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2006, Patentansprüche 4 bis 9 eingegangen am 18. Juni 2004, Beschreibung Spalten 1 bis 3 gemäß Patentschrift, wobeiin Spalte 1 die Absätze 0002 und 0003 durch die Einfügung I, in Spalte 1 der Absatz 0005 durch die Einfügung II, jeweils eingegangen am 18. Juni 2004, ersetzt wird, undin Spalten 1 und 2 die Absätze 0007 bis 0009 durch die am 3. April 2006 eingereichte Einfügung III ersetzt wird, Zeichnungen Figuren 1 bis 9 gemäß Patentschrift, hilfsweise, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Als Hilfsantrag am 3. April 2006 eingereichter Patentanspruch 1, im Übrigen mit Unterlagen wie Hauptantrag.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Sie vertritt die Auffassung, auch die Frontsitze nach den geltenden Patentansprüchen 1 des Haupt- und des Hilfsantrags beruhten gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften - DE 199 61 059 A1

- DE 42 38 451 A1

- US 5,370,443 A

- US 5,120,109 A wurden nicht aufgegriffen.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG § 147 Abs. 3 Satz 1 begründet. Der Einspruch ist zulässig. Er hat teilweise Erfolg durch eine das Patent beschränkende Änderung der Patentansprüche.

Das Patentbegehren ist unbestritten der Patentschrift zu entnehmen, welcher die ursprünglichen Unterlagen mit Angabe des Standes der Technik zugrunde gelegt worden sind. Der geltende Patentanspruch 1 fasst die erteilten Patentansprüche 1, 3 und 4 zusammen und nimmt noch eine Beschränkung durch Hinzunehmen einer Angabe aus Absatz 0027 der Streitpatentschrift vor. Die Unteransprüche 2 bis 9 entsprechen inhaltlich den erteilten Unteransprüchen 6 bis 12 und 2 mit geänderter Reihenfolge. Die geänderten Beschreibungsteile beruhen auf einer weiteren Angabe des Standes der Technik, einer neuen Aufgabenstellung sowie einer Anpassung an die geltende Anspruchsfassung.

Der beanspruchte Fahrzeugsitz ist unbestritten gewerblich anwendbar.

Durchschnittsfachmann ist ein Maschinenbauingenieur, der bei einem Fahrzeughersteller oder -zulieferer mit der Entwicklung und Konstruktion von Sitzen befasst ist und am Prioritätstag des Streitpatents über eine mehrjährige Berufserfahrung verfügt.

Die beanspruchten Frontsitze für ein Kraftfahrzeug gemäß Haupt- und Hilfsantrag sind neu. Der beanspruchte Frontsitz nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ergibt sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Der beanspruchte Frontsitz nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Unbestritten zeigen weder die von der Einsprechenden genannten Druckschriften noch die im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften einen Frontsitz, bei dem eine Betätigungsvorrichtung für entriegelbare Blockierelemente, die die Längsverstellschienen des Sitzes mit der Karosserie des Fahrzeugs verbinden, von einem Abdeckelement abgedeckt ist, welches mittels einer im Crashfall entriegelbaren Verriegelungsvorrichtung in seiner Abdecklage fixiert ist.

Unstreitig ist aus der FR 2 735 081 A1 (vgl. Fig. 1 bis 4, Sitzteil 2, Lehne 3, Längsverstellschiene 26, vordere horizontale Klappachse 15, Betätigungsvorrichtung 23, Blockierelement 22) ein Fahrzeugsitz bekannt, mit einem Sitzteil, an dem eine Rückenlehne klappbar oder einstellbar angelenkt und das über Längsverstellschienen längsverschieblich an der Karosserie befestigt ist, wobei die Längsverstellschienen mit der Karosserie einerseits um eine vordere horizontale Klappachse verschwenkbar und andererseits mittels über eine Betätigungsvorrichtung entriegelbaren Blockierelementen verbunden sind.

Aus der WO 99/41102 A1 (vgl. Fig. 1A, 1B , Sitzteil 12, Lehne 24, Schiene 22, 38, vordere horizontale Klappachse 46, Betätigungsvorrichtung 60, 54, Blockierelement 50) ist ein Fahrzeugsitz bekannt, mit einem Sitzteil, an dem eine Rückenlehne klappbar oder einstellbar angelenkt und das über Schienen an der Karosserie befestigt ist, wobei der Sitz mit der Karosserie einerseits um eine vordere horizontale Klappachse verschwenkbar und andererseits mittels über eine Betätigungsvorrichtung entriegelbaren Blockierelementen verbunden ist. Darüber hinaus soll dieser Sitz das Einsteigen in den Fondbereich eines Fahrzeugs erleichtern (vgl. Seite 3, Zeilen 19-22). Des Weiteren ist eine Sperre 30, 104 vorgesehen, die eine unbeabsichtigte oder missbräuchliche Bedienung der Betätigungsvorrichtung für die Blockierelemente verhindert (vgl. Seite 8, Zeilen 9 - 14).

Unwidersprochen trägt die Einsprechende vor, dass dem Fachmann - und nicht nur ihm - aus dem Automobilbau bekannt sei, Bedienelemente oder Betätigungsvorrichtungen durch verriegelbare Abdeckelemente vor missbräuchlicher oder fehlerhafter Bedienung zu schützen. Als Beispiele nennt sie Tankdeckel, zu denen der Zugang durch entriegelbare Verriegelungsvorrichtungen an Tankklappen verhindert wird, oder die Anordnung eines Funktionsschalters für den Beifahrerairbag in das verriegelbare oder abschließbare Handschuhfach.

Es ist für einen Fachmann daher naheliegend, auch andere Bedienungs- oder Betätigungsvorrichtungen in einem Fahrzeug vor Missbrauch oder Fehlbedienung zu schützen, zumal die Notwendigkeit bezüglich der Betätigungsvorrichtung von entriegelbaren Blockierelementen bei um eine vordere horizontale Klappachse verschwenkbaren Sitzen von Kraftfahrzeugen bekannt ist (vgl. WO 99/41102 A1, Seite 1, Zeilen 11 und 12). Er braucht daher eine allgemein bekannte Lösung, d. h. das verriegelbare Abdeckelement, nur auf einen anderen vor Fehlbedienung oder Missbrauch zu schützenden Gegenstand, nämlich die Betätigungsvorrichtung für die Blockierelemente eines Fahrzeugsitzes, zu übertragen, um zu einem Frontsitz mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag zu gelangen. Die Angabe im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, dass die Verriegelung im Crashfall, d. h. während und nach einem solchen, entriegelbar sein solle, schließt den Fall nicht aus, dass dies jederzeit erfolgen kann. Dadurch wird - wie vorstehend ausgeführt - das naheliegende Abdeckelement bei einem Kraftfahrzeugsitz nicht weiter ausgestaltet.

Insoweit konnten die Argumente der Patentinhaberin den Senat nicht davon überzeugen, dass sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag des beschränkt verteidigten Patents nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Demgegenüber ergibt sich der dem geltenden Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag zugrundeliegende Gegenstand nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Durch die Wortfolge "nur im Crashfall" wird ausgeschlossen, dass das verriegelbare Abdeckelement der Betätigungsvorrichtung für die Blockierelemente im Normalfall entriegelt werden kann. Eine Anregung dahingehend, das verriegelbare Abdeckelement so zu gestalten, dass es nur im Crashfall entriegelt werden kann, liefert der in Betracht gezogene Stand der Technik nicht.

Die von der Einsprechenden genannten Beispiele erlauben jederzeit die gezielte Entriegelung der Abdeckelemente und entsprechend den Zugang zu einer Betätigungsvorrichtung (z. B. Schalter für Beifahrerairbag). Das Entriegeln kann unabhängig von einem Crashfall erfolgen. Dies trifft auch auf alle von der Einsprechenden und im Prüfungsverfahren genannten Druckschriften zu. Sofern es sich um eine vordere horizontale Klappachse verschwenkbare Sitze handelt (FR 2 735 081 A1, EP 0 970 844 A1, WO 99/41102 A1, DE 199 61 059 A1) sind die Betätigungsvorrichtungen für die entriegelbaren Blockierelemente frei zugänglich. Ein Fachmann hätte zwar Veranlassung, Missbrauch und Fehlbedienung dieser Betätigungsvorrichtung mittels eines verriegelbaren Abdeckelements - wie zum Hauptantrag dargelegt - zu verhindern, jedoch nicht, die Verriegelung des Abdeckelements nur im Crashfall entriegelbar zu gestalten. Vielmehr soll bei den bekannten Sitzen ein Verschwenken um die horizontale Klappachse bei Bedarf jederzeit möglich sein. Beispielsweise kann dadurch die Ladefläche erhöht werden, das Einsteigen erleichtert oder die Querverstellung der Sitze vorgenommen werden (vgl. FR 2 735 081 A1, Seite 1, Zeilen 16 bis 20; WO 99/41102 A1, Seite 3, Zeilen 17 bis 23; EP 0 970 844 A1, Zusammenfassung; DE 199 61 059 A1, Fig. 5).

Bei den weiteren im Prüfungsverfahren genannten Druckschriften DE 42 38 451 A1, US 5,370,443 A und US 5,120,109 A stellt sich das Problem des Missbrauchs oder der Fehlbedienung einer Betätigungsvorrichtung für entriegelbare Blockierelemente eines um eine vordere horizontale Klappachse verschwenkbaren Fahrzeugsitzes nicht. Sie betreffen Sitze, die keine entsprechende Verriegelungsvorrichtung aufweisen und bei denen es um eine Unterteilung der Rückenlehne in gegeneinander verschwenkbare Rückenlehnenabschnitte geht. Einen Hinweis auf eine nur im Crashfall deaktivierbare Verriegelungsvorrichtung eines Abdeckelements liefern sie jedenfalls nicht, was auch von der Einsprechenden nicht reklamiert wird.

Die Patentansprüche 2 bis 9 betreffen zweckmäßige weitere Ausbildungen des Gegenstandes des Patentanspruchs 1, die nicht selbstverständlich sind, und können daher ebenfalls der beschränkten Aufrechterhaltung des Patents zugrundegelegt werden.






BPatG:
Beschluss v. 03.04.2006
Az: 9 W (pat) 343/03


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