Brandenburgisches Oberlandesgericht:
Urteil vom 19. Juli 2016
Aktenzeichen: Kart U 1/15

(Brandenburgisches OLG: Urteil v. 19.07.2016, Az.: Kart U 1/15)

Tenor

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das am 17.09.2015 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Potsdam € Az.: 51 O 38/15 € wird zurückgewiesen, wobei das angefochtene Urteil zum Zwecke der Klarstellung wie folgt neu zu fassen ist:

Der Verfügungsbeklagten wird unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten untersagt, den durch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger am € ausgeschriebenen Gaskonzessionsvertrag für das gesamte Stadtgebiet € (einschließlich Ortsteil €) mit der Nebenintervenientin abzuschließen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen;die Nebenintervenientin hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Vergabe eines Gaskonzessionsvertrages für das Stadtgebiet der Verfügungsbeklagten.

Sie streiten ferner in einem Parallelverfahren vor dem erkennenden Senat um die Vergabe eines Stromkonzessionsvertrages (Kart U 2/15).

Die Verfügungsklägerin zu 1) nimmt die Verfügungsbeklagte im Wege einstweiligen Rechtsschutzes auf Unterlassung des Neuabschlusses eines Konzessionsvertrages gemäß § 46 Abs. 2 EnWG für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes mit der Nebenintervenientin in Anspruch.

Die Verfügungsklägerin zu 1) ist Eigentümerin des Gasversorgungsnetzes und war aufgrund Vertrages mit der Verfügungsbeklagten seit 1991 die Konzessionsinhaberin. Der Konzessionsvertrag endete mit Ablauf des 31.12.2011.

Die Verfügungsklägerin zu 2), die am Berufungsrechtszug nach Rücknahme ihres Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht mehr beteiligt ist, hatte das Versorgungsnetz von der Verfügungsklägerin zu 1) gepachtet, es eigenverantwortlich betrieben und betreibt es derzeit weiter.

Die Verfügungsbeklagte hatte bereits 2009 ein Auswahlverfahren nach § 46 EnWG betreffend den Abschluss von Konzessionsverträgen für das Gaswegenetz begonnen, an dem sich als Bieter die Verfügungsklägerin zu 1., die Nebenintervenientin und die Stadtwerke €GmbH, deren Geschäftsanteil zu 100 % von der Verfügungsbeklagten gehalten wird, beteiligt hatten. Die Verfügungsbeklagte wurde in diesem Konzessionsverfahren von Rechtsanwälten der Sozietät X € ihren Verfahrensbevollmächtigten - beraten. Dieses Auswahlverfahren endete im November 2010 mit einem Zuschlag auf die Stadtwerke € GmbH (im Folgenden kurz: S€ GmbH), die sodann mit der Verfügungsbeklagten einen Konzessionsvertrag schloss.

Im Dezember 2010 wurde die N€ GmbH (im Folgenden: N€ GmbH) gegründet, deren Gesellschafter zu je 50 % die S€. GmbH und die Nebenintervenientin sind. Deren Unternehmensgegenstand ist die Planung, die Errichtung, der Betrieb, die Wartung und Instandhaltung, der Aus- und Rückbau, der Erwerb, die Vermarktung sowie die Nutzung von Netzen und sonstigen Speicherungs- und Verteilungssystemen für Energie (inbes. Strom und Gas) sowie Energieträgern und die Erbringung und Vermarktung von Dienstleistungen auf diesen Gebieten. Nach § 11 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages erhält die Gesellschafterin S€ GmbH auf ihre Geschäftsanteile einen garantierten Gewinnanteil aus dem Betrieb beider Netze (Strom- und Gasnetz) von 135.000 € jährlich. Erreicht der Jahresüberschuss den festen Gewinnanteil nicht, ist die Differenz den Rücklagen zu entnehmen. Nach § 3 Abs. 3 hat die weitere Gesellschafterin, die Nebenintervenientin, so viel Eigen- oder Fremdkapital einzubringen, wie zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität der Gesellschafter jeweils erforderlich ist.

Nach Abschluss des Konzessionsvertrages nahm die N€ GmbH aus abgetretenem Recht der S€. GmbH die Verfügungsklägerin vor dem Landgericht Potsdam auf Übereignung des Gasverteilungsnetzes und Herausgabe derselben in Anspruch.

In diesem Rechtsstreit wurde die N€. GmbH durch Rechtsanwälte der Sozietät X vertreten. Das Landgericht Potsdam wies die Klage mit Urteil vom 15.04.2014 (51 O 144/12) ab und führte zur Begründung aus, der N€ GmbH stehe kein Anspruch auf Übereignung und Herausgabe der Gasverteilungsnetze zu, weil der zwischen der Verfügungsbeklagten und der S€ GmbH geschlossene Konzessionsvertrag nichtig sei.

Daraufhin machte die Verfügungsbeklagte das Verfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte für den Betrieb eines örtlichen Gasverteilernetzes nach § 46 Abs. 3 EnWG am 22. 12.2014 erneut im Bundesanzeiger bekannt. Dieses Verfahren ist Gegenstand des vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahrens.

Die Konzeption und Gestaltung der Ausschreibung und die Durchführung des Auswahlverfahrens erfolgten wiederum unter Beteiligung der Rechtsanwälte aus der Sozietät X. In energiewirtschaftlicher Hinsicht wurde die Verfügungsbeklagte durch die X Consulting AG beraten.

An diesem Auswahlverfahren beteiligten sich als Bieter wiederum die Verfügungsklägerin zu 1), die Nebenintervenientin sowie die S€ GmbH.

Mit dem Ersten Verfahrensbrief kündigte die Verfügungsbeklagte u.a. an, dass ein Konzeptwettbewerb durchgeführt werde und die Bewerberreihenfolge im Wege der relativen Bewertungsmethode ermittelt werden solle. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass die Verfügungsbeklagte durch die Sozietät X in diesem Verfahren rechtlich vertreten werde. Die Bewerber wurden außerdem aufgefordert, die verfahrensleitende Stelle unverzüglich und schriftlich auf Unklarheiten, Lücken oder Widersprüche hinzuweisen und Rügen betreffend das Verfahren oder sonstige vermeintliche Rechtsverstöße unverzüglich im laufenden Verfahren geltend zu machen.

Mit dem Zweiten Verfahrensbrief forderte die Verfügungsbeklagte die Bewerber, so auch die Verfügungsklägerin zu 1) auf, verbindliche Angebote abzugeben, wobei sie ergänzende Angaben zu der von ihr vorgesehenen relativen Bewertungsmethode mitteilte.

Die Verfügungsklägerin zu 1), die S€ GmbH und die Nebenintervenientin reichten verbindliche Angebote ein. Die Nebenintervenientin reichte zugleich eine Erklärung der N€ GmbH ein, wonach Letztgenannte versichert, im Falle der Übernahme des Netzes von der Nebenintervenientin alle erforderlichen konzessionsvertraglichen und gesetzlichen Pflichten vollumfänglich zu erfüllen.

Die Auswertung der Angebote durch die Verfügungsbeklagte, unterstützt von Rechtsanwälten der Sozietät X ergab, dass die Nebenintervenientin mit 898 von 1000 möglichen Punkten die höchste Punktzahl (Rang 1) erlangte, das Angebot der S€ GmbH mit 846 Punkten auf Rang 2 und das Angebot der Verfügungsklägerin zu 1) mit 837 Punkten auf Rang 3 landete.

Am 01.07.2015 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Verfügungsbeklagten, der Nebenintervenientin den Zuschlag für den Gaskonzessionsvertrag zu erteilen. Dies teilte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin zu 1) mit Schreiben vom 02.07.2015 mit.

Die Verfügungsbeklagte hatte vor Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe (28.04.2015) mit ihrem Stadtentwicklungskonzept vom 09.04.2015 bekannt gemacht (AnBd AST 3), dass sie die Rekommunalisierung ihrer Gas- und Stromversorgungsnetze und den Aufbau eines eigenen Netzbetreibers anstrebe.

Die Verfügungsklägerin zu 1) sowie die Verfügungsklägerin zu 2) haben mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 14.07.2015 sinngemäß begehrt, der Verfügungsbeklagten den beabsichtigten Vertragsschluss mit der Nebenintervenientin zu untersagen.

Sie haben geltend gemacht, ein wettbewerbliches Auswahlverfahren habe nicht stattgefunden.

Vielmehr seien die Nebenintervenientin und S€GmbH mit ihren Angeboten nur in einen Scheinwettbewerb zueinander getreten. Bereits zu Beginn des Auswahlverfahrens habe festgestanden, dass entweder die S€ GmbH oder die Nebenintervenientin die Konzession erhalten solle. Der Verfügungsbeklagten sei es letztlich egal gewesen, welche dieser beiden Bewerberinnen den Zuschlag erhalten werde, denn in beiden Fällen sollte im Ergebnis die N€ GmbH den Netzbetrieb im Gebiet der Verfügungsbeklagten übernehmen.

Das Auswahlverfahren verstoße aufgrund der Mehrfachbeteiligung der Rechtsanwälte der Sozietät X gegen das Gebot der Neutralität, einer Ausprägung des Diskriminierungsverbots - und des Transparenzgebots. Die Sozietät berate die Auftraggeberseite und habe zuvor in eben demselben Auswahlverfahren die N€ GmbH, ein der Bieterseite zuzurechnendes Unternehmen vertreten. Der Neubekanntmachung des Auswahlverfahrens im Dezember 2014 komme keine Zäsurwirkung zu.

Die Verfügungsklägerin zu 1) hat sich ferner gegen die Auswahlmatrix, die von der Verfügungsbeklagten herangezogene relative Bewertungsmethode sowie die Wertung ihres Angebots gewendet.

Die Verfügungsbeklagte ist dem entgegengetreten. Sie beabsichtige nicht die Konzessionierung eines kommunalen Unternehmens, sondern die Zuschlagserteilung auf die Nebenintervenientin, an welcher keine deutsche Kommune Geschäftsanteile halte. Eine Doppelberatungstätigkeit der Sozietät X liege nicht vor. Es sei nur sie, die Verfügungsbeklagte, in dem im Jahr 2014 begonnenen Auswahlverfahren beraten und vertreten worden, nicht aber einer der Bewerber oder deren Tochtergesellschaften. Die Spezialvorschrift des § 16 Vergabeverordnung sei nicht anwendbar. Ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot liege nicht vor. Die Beanstandung der Verfügungsklägerin zu 1) erschöpfe sich in Mutmaßungen und Unterstellungen. Die Rüge der Doppeltätigkeit sei zudem verspätet, da sämtliche Bewerber bereits mit Erstem Verfahrensbrief von der Beratertätigkeit der Sozietät in Kenntnis gesetzt worden seien.

Die Auswahlkriterien, deren Gewichtung und die Bestimmung seien rechtmäßig innerhalb des ihr zustehenden Gestaltungsspielraumes bestimmt worden.

Hinreichender Vortrag zur behaupteten Fehlerhaftigkeit der Angebotswertungen fehle. Sie, die Verfügungsbeklagte, sei aus Gründen des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gehindert, zur Bewertung des Angebotes der Nebenintervenientin im Vergleich mit dem Angebot der Verfügungsklägerin zu 1) näher vorzutragen.

Die Verfügungsbeklagte hat weiteren Vortrag zur Wertung des Angebots der Verfügungsklägerin zu 1) getätigt.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht unter teilweiser Abänderung des Wortlauts des Antrags eine einstweilige Verfügung des Inhalts erlassen, dass der Verfügungsbeklagten unter Androhung im einzelnen bestimmter Ordnungsmittel € bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache - untersagt wird, den durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger am € 2014 ausgeschriebenen Gaskonzessionsvertrag für das gesamte Stadtgebiet X (einschließlich Ortsteil X ) mit der Nebenintervenientin abzuschließen.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, das von der Verfügungsbeklagten durchgeführte Auswahlverfahren genüge infolge der Einbindung der Rechtsanwälte der Sozietät X nicht den Anforderungen an ein diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren, nachdem die Sozietät in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Potsdam (51 O 144/12) für die N€ GmbH anwaltlich tätig gewesen sei, welche nunmehr als Nachunternehmerin der Streithelferin mittelbar am Auswahlverfahren beteiligt sei. Es liege ein Verstoß gegen § 43 a BRAO vor.

Hiergegen wendet sich die Verfügungsbeklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingereichten Berufung, mit welcher sie die Aufhebung der einstweiligen Verfügung unter Zurückweisung des Antrags auf Erlass derselben begehrt.

Sie macht geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft abweichend vom Antrag und mit fehlerhafter Kostenentscheidung die einstweilige Verfügung erlassen. Ein Verstoß gegen § 43 a BRAO liege nicht vor, es fehle insgesamt an dem vom Landgericht problematisierten Interessengegensatz bzw. -widerstreit. Fehlerhaft folgere das Landgericht aus der Klausel betreffend Gewinnabrede im Gesellschaftsvertrag der N€ GmbH auf eine Behinderung der Verfügungsklägerin zu 1) im Auswahlverfahren. Die Auswahlentscheidung zugunsten der Nebenintervenientin sei rechtmäßig erfolgt und zudem gegenüber der Verfügungsbeklagten zu 1) als Mitbewerberin hinreichend begründet worden.

Die Verfügungsklägerin zu 1) begehrt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angefochtene Urteil.

Von einer Darstellung des weiteren Sach- und Streitstandes wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten hat in der Sache keinen Erfolg (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO). Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht der Verfügungsbeklagten im Wege vorläufigen Rechtsschutzes einstweilen untersagt, auf Grundlage des am €2014 im Bundesanzeiger bekannt gemachten Verfahrens einen Konzessionsvertrag für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes in ihrem Stadtgebiet mit der Nebenintervenientin abzuschließen.

Die einstweilige Verfügung war allerdings ihrem Wortlaut nach neu zu fassen dergestalt, dass der Halbsatz €bis zur Entscheidung in der Hauptsache€ in Wegfall kommt.

1) Die von der Berufung erhobenen Einwände gegen die vom Antrag der Verfügungsklägerin zu 1) abweichende Fassung der Untersagungsverfügung greifen nicht.

Zwar hat das Landgericht in sprachlicher Abänderung dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprochen, dabei aber die Grenzen des § 938 ZPO nicht überschritten. Die angeordnete Verfügung stellt weder ein aliud noch ein €mehr€ dar, sondern entspricht vielmehr der Begehr der Verfügungsklägerin zu 1), wie diese sich bei verständiger Würdigung der Antragsschrift darstellt.

Der vorstehend genannte Halbsatz, den das Landgericht wohl aus Gründen der für notwendig erachteten zeitlichen Begrenzung der einstweiligen Verfügung in die Anordnung aufgenommen hat, ist überflüssig.

Es obliegt der Entscheidung der Parteien, ob sie die einstweilige Verfügung als dauerhafte Regelung hinnehmen oder aber ein Hauptsacheverfahren anstrengen wollen.

2) Der Verfügungsantrag ist entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten auch nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil die Verfügungsklägerin zu 1) im Auswahlverfahren nur den 3. Rang einnimmt. Da sich der Angriff der Verfügungsklägerin zu 1) auf Verstöße des Ausschreibungsverfahrens richtet, die geeignet sind, den Vertragsschluss im streitgegenständlichen Auswahlverfahren gänzlich zu verhindern, ist ein Rechtsschutzbedürfnis ungeachtet des Ranges der Verfügungsklägerin zu 1) zu bejahen.

3) Der Verfügungsklägerin kommt ein Verfügungsanspruch im Sinne des § 935 ZPO zu. Sie hat Anspruch darauf, dass die Verfügungsbeklagte es unterlässt, auf Grundlage des am 22.12.2014 bekannt gemachten Verfahrens zum Neuabschluss der Wegenutzungsverträge für das Gasversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in ihrem Stadtgebiet einen Gaskonzessionsvertrag mit der Nebenintervenientin abzuschließen. Als Anspruchsgrundlage sind § 33 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB in der Fassung vom 26.06.2013 heranzuziehen.

Das von der Verfügungsbeklagten geführte Auswahlverfahren genügt den durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes konkretisierten Anforderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Konzessionsvergabeverfahren nicht und führt zu einer unbilligen Behinderung der Verfügungsklägerin zu 1).

a) Die Verfügungsbeklagte ist Adressatin der Unterlassungsverpflichtung nach § 33 GWB. Als Gemeinde handelt sie beim Abschluss von Konzessionsverträgen als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts. Ihr kommt dabei eine marktbeherrschende Stellung i.S.d. § 18 GWB zu. Sachlich relevanter Markt ist das Angebot von Wegenutzungsrechten zur Verlegung und zum Betrieb von Leitungen, die zum Netz der allgemeinen Versorgung mit Energie gehören. Der relevante Markt ist örtlich auf das Gemeindegebiet der Verfügungsbeklagten beschränkt. Er umfasst sämtliche Wege, die sich für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet eignen. Dieser Markt ist gleichartigen Unternehmen auch üblicherweise zugänglich. Denn der Zugang zum Wegenutzungsrecht ist dadurch eröffnet, dass die Verfügungsbeklagte aufgrund der Bekanntmachungspflichten nach § 46 Abs. 3 EnWG fremde Unternehmen dazu aufzufordern hat, sich im Wettbewerb um die Konzession zu bewerben.

Als Normadressat ist die Verfügungsbeklagte gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB verpflichtet, im Auswahlverfahren keinen Bewerber um die Konzession unbillig zu behindern oder zu diskriminieren. Die Auswahl muss in einem transparenten Verfahren erfolgen und ist vorrangig an Kriterien auszurichten, die das Ziel des § 1 EnWG (Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen örtlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas) konkretisieren. Genügt die Konzessionsvergabe diesen Anforderungen nicht, liegt eine unbillige Behinderung derjenigen Bewerber vor, deren Chancen auf die Konzession dadurch benachteiligt worden sind. Diese Verpflichtung zur diskriminierungsfreien Auswahl des Konzessionärs steht mit den Regelungen des Energiewirtschaftsrechts und dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) in Einklang (s. hierzu BGH, Urteil vom 17.12.2013 € KZR 66/12 - Stromnetz Berkenthin, zit. nach juris Rn 25; Urteil vom 17.12.2013 € KZR 65/12 - Stromnetz Heiligenhafen, zit. nach juris Rn 24).

b) Das Auswahlverfahren der Verfügungsbeklagten unterliegt bestimmten formellen und materiellen Anforderungen, insbesondere dem Gebot der Transparenz bei Gestaltung des Verfahrens sowie dem Gebot der Diskriminierungsfreiheit bei der Auswahlentscheidung selbst, wie sich im Einzelnen aus den vorstehend zitierten Urteilen des Bundesgerichtshofes vom 17.12.2013 ergibt.

c) Die Verfügungsbeklagte unterliegt weiter dem Gebot der Neutralität bei der Gestaltung des Auswahlverfahrens und dessen Entscheidung.

Das Neutralitätsgebot ist als allgemeiner Rechtsgedanke aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dem Diskriminierungsverbot sowie dem Transparenzgebot abzuleiten. Es fußt auf dem allgemeinen, allen Verfahrensordnungen immanenten Grundsatz, dass niemand als Richter in eigener Sache urteilen darf, weil niemand unbefangen gegen sich selbst sein kann. Für staatliches Handeln in Verwaltungsverfahren regelt § 20 VwVfG explizit den Ausschluss bestimmter Personen wegen Befangenheit bzw. Besorgnis der Befangenheit zur Sicherstellung der Neutralität. § 20 VwVfG schreibt den Neutralitätsgrundsatz als Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip fest (BVerwG, B. v. 19.10.2015 € 5 P 11/14, zit. nach juris Rn 19; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 20 Rn 6.). Zwar handelt die Kommune bei der verfahrensgegenständlichen Konzessionsvergabe wie auch den Vergabeverfahren nach den Vorschriften des 4. Teils des GWB in privat-rechtlicher Form. Das Neutralitätsgebot gilt hier in gleicher Weise, insbesondere deshalb, weil das Angebot von Wegerechten im öffentlichen Wegenetz der Kommune nur wegen der mit ihren straßenrechtlichen hoheitlichen Aufgaben einhergehenden Eigentümerstellung über die öffentlichen Straßen und Wege möglich ist (s. hierzu den Gemeinsamen Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers vom 21.05.2015, Rn 22).

Der Gesetzgeber hat für das förmliche Vergabeverfahren nach den Vorschriften des 4. Teils des GWB in § 16 VgV (a.F.) bzw. § 6 VgV in der seit 18.04.2016 geltenden Fassung eine Spezialvorschrift zur Sicherung des Neutralitätsgebotes geschaffen, wonach keine Personen für den Auftraggeber tätig werden dürfen, deren Interessen mit denen eines Bieters oder eines Beauftragten eines Bieters verknüpft sind. Das Mitwirkungsverbot erstreckt sich auch auf Beauftragte des Auftraggebers.

Zwar findet § 16 VgV a.F. bzw. § 6 VgV n.F., wie § 1 Abs. 2 Nr. 3 VgV n.F. klarstellt, auf das kartellrechtliche Auswahlverfahren zur Vergabe von Wegenutzungsrechten keine Anwendung. Als Ausprägung des allgemeinen Rechtsstaatlichkeitsgrundsatzes der Neutralität gilt ein Mitwirkungsverbot von Personen, die dem Bieter nahe stehen, auf Seiten der vergabeleitenden Stelle aber auch über das förmliche Vergabeverfahren hinaus für Auswahlentscheidungen zur Vergabe von Wegenutzungsrechten (LG Berlin, ZNER 2015, 158, zit. nach juris Rn 55; LG Dortmund, Urt. v. 03.06.2015 - 10 O 63/15 EnW, zit. nach juris Rn 50; Gemeinsamer Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmer, a.a.O., Rn 25).

Geboten ist deshalb eine ausreichende personelle und organisatorische Trennung zwischen verfahrensleitender Stelle und Bieter (LG Berlin, Urt. v. 09.12.2014 - 16 O 224/14 Kart, ZNER 2015, 158 Rn. 55; LG Dortmund, Urt. v. 03.06.2015 - 10 O 63/15 EnW, zit. nach juris, Rn. 50).

d) Das von der Verfügungsbeklagten durchgeführte Auswahlverfahren genügt den Anforderungen der Neutralität nicht.

Die Einbindung der Rechtsanwälte der Sozietät X im laufenden Auswahlverfahren ist unter Berücksichtigung der erkennbaren Interessenlage von Auftraggeber und Bieter sowie der Art der Ausschreibung und der gewählten Bewertungsmethode geeignet, hinreichende, auf glaubhafte Anknüpfungstatsachen gestützte Zweifel an einer unparteiischen Entscheidungsfindung zu wecken. Das Vorliegen hinreichender Zweifel ist im gegebenen Kontext ausreichend, weil angesichts des weitgehend hinter verschlossenen Türen ablaufenden Verfahrens eine Zweifel weitgehend beseitigende Gewissheit nicht erzielbar ist. Deshalb muss, um die Verfügungsklägerin zu 1) nicht rechtsschutzlos zu stellen, der Zuschlag im angegriffenen Auswahlverfahren untersagt werden.

Dem Neutralitätsgebot kommt im Auswahlverfahren zur Konzessionsvergabe wegen der besonderen Schutzwürdigkeit der Bieter große Bedeutung zu.

Das kartellrechtliche Auswahlverfahren zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zeichnet sich dadurch aus, dass der Kenntnisgrad der Bieter betreffend die Modalitäten der Angebotsbewertung nur gering ist. Der Grundsatz des Geheimwettbewerbs, nachdem jeder Bieter sein Angebot in Unkenntnis der konkurrierenden Angebote abzugeben hat, und der notwendige Schutz von Geschäftsgeheimnissen gebieten es, dass den Bietern weder die Angebote der Mitbewerber noch die auf diese entfallenden Bewertungen bekannt gemacht werden. Anders als in dem Vergabenachprüfungsverfahren nach dem 4. Teil des GWB erlangt der in einem Konzessionsverfahren unterlegene Bieter Rechtsschutz aber nur nach den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung, die ihm für die anspruchsbegründenden Tatsachen die Beibringungslast auferlegen. Ohne Akteneinsicht, dh ohne Kenntnis von den Vergleichsangeboten und den darauf entfallenden Wertungen, wird es dem Bieter erheblich erschwert, den Nachweis der Verletzung von Verfahrensvorschriften zu führen.

In dem förmlichen Vergabenachprüfungsverfahren besteht eine vergleichbare Situation nicht, denn dort gilt in gewissem Umfang der Amtsermittlungsgrundsatz und den Nachprüfungsinstanzen sind die Angebote sämtlicher Bieter und deren Bewertung bekannt. Bei der gerichtlichen Überprüfung von Konzessionsvergaben ist es hingegen mangels Aktenkenntnis bzw. mangels Vorlage aller Angebote auch dem entscheidenden Gericht nicht möglich, im Einzelnen zu prüfen, ob eine rechtmäßige Beurteilung der Angebote anhand sachlicher Kriterien stattgefunden hat.

Hinzu kommt die Besonderheit, dass die konzessionsvergebende Kommune zulässigerweise als Bieterin auftreten darf. Gemeinden sind weder durch die Regelungen des GWB noch des EnWG gehindert, sich mit einem eigenen Unternehmen oder einem Eigenbetrieb an dem Wettbewerb um die Vergabe von Wegenutzungsrechten zu beteiligen, um auf dieser Grundlage gegebenenfalls den Netzbetrieb selbst zu übernehmen (BGHZ, Urteil vom 17.12.2013 -KZR 66/12, Rn. 33; Correll, DVBl. 2016, 338, 341). Deshalb stellt sich bei der Beteiligung von Unternehmen am Auswahlverfahren, mit denen die ausschreibende Gemeinde gesellschaftsrechtlich verflochten ist, in besonderen Maße die Frage nach der Unabhängigkeit der gemeindlichen Zuschlagsentscheidung (vgl. Pippke/Gaßner, RdE 2006, 33, 36).

Im Rahmen von Auswahlverfahren zur Vergabe von Konzessionen nach § 46 EnWG trifft deshalb den Auftraggeber in besonders hohem Maße die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Ausschreibung und das Bewertungsverfahren dem Gebot der neutralen Verfahrensdurchführung und -entscheidung genügen (s. LG Berlin ZNER 2015, 158, zit. nach juris Rn 57 für das Transparenzgebot). Andernfalls können weder der Bieter noch das Gericht in eine unbefangene Auswahlentscheidung der vergabeleitenden Stelle vertrauen.

e) Nach diesen Maßstäben und unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Streitfalls ist die Beteiligung von Rechtsanwälten der Sozietät X an der Gestaltung der Ausschreibungsbedingungen, der Abwicklung des Auswahlverfahrens und schließlich auch an der Auswertung und Bewertung der Angebote auf Seiten der Verfügungsbeklagte geeignet, Zweifel im vorstehend definierten Sinne zu begründen.

aa) Diese ergeben sich aus der personellen Verflechtung, die durch die Beteiligung der Sozietät X am Auswahlverfahren entstanden ist, nachdem diese zuvor die N€ GmbH im Rechtsstreit um die Herausgabe des Netzes vor dem Landgericht Potsdam vertreten hatte. Die N€ GmbH ist auch am verfahrensgegenständlichen Auswahlverfahren mittelbar dadurch beteiligt, dass sie als Nachunternehmerin der Nebenintervenientin vorgesehen ist. Damit verfolgt die N€ GmbH weiterhin das Ziel, den Netzbetrieb letztlich zu übernehmen. Mit diesem Ziel ist sie gegründet worden, § 2 ihres Gesellschaftsvertrages bezeichnet den Netzbetrieb als ihren Unternehmensgegenstand.

Das wirtschaftliche Interesse der N€ GmbH am Ausgang des vorliegenden Auswahlverfahrens ist somit identisch mit demjenigen, welches sie in dem Zivilrechtsstreit, vertreten durch Rechtsanwälte der Sozietät X, vor dem Landgericht Potsdam verfolgt hat.

Auch die Verfügungsbeklagte und die Nebenintervenientin verfolgen in dem Auswahlverfahren erkennbar die Zielsetzung, eine Übertragung des Netzbetriebs auf die N€ GmbH zu erreichen. Die Nebenintervenientin verfügt auf dem Gebiet der Stadt X (noch) nicht über die für den Betrieb eines Gasversorgungsnetzes notwendige Infrastruktur. Sie hat die N€ GmbH im Rahmen des von ihr abgegebenen Angebots als Nachunternehmerin vorgesehen, ist zu 50 % an der N€ GmbH als Gesellschafterin beteiligt und trägt die unternehmerische Verantwortung für die Leitung der Gesellschaft. Da die Nebenintervenientin nach § 3 Abs. 3 S. 3 des Gesellschaftsvertrages bereits verpflichtet ist, das für die Stabilität der N€ GmbH notwendige Kapital einzubringen, aus dem sich letztlich auch der jährlich an die S€ GmbH zu zahlende Gewinnanteil von 135.000 € speist, hat die Nebenintervenientin ein gesteigertes Interesse an dem Zuschlag.

Die Verfügungsbeklagte ihrerseits ist erkennbar an einem Betrieb des Energieversorgungsnetzes durch die N€ GmbH interessiert. Wie ihrem bekannt gemachten Stadtentwicklungskonzept zu entnehmen ist, strebt sie eine Rekommunalisierung der Strom- und Gasversorgungsnetze an. Mit dem Zuschlag auf das Angebot der Nebenintervenientin ist dieses Ziel zu erreichen, denn die Verfügungsbeklagte ist über ihre 100%ige Tochter, die S€ GmbH, zu 50 % an der N€ GmbH beteiligt. Eine politische Vorfestlegung dieser Art kann relevante Auswirkungen auf die spätere Vergabeentscheidung haben, auch wenn eine unmittelbar Einflussnahme zugunsten des entsprechenden Bewerbers später nicht konkret feststellbar sein sollte (LG Berlin ZNER 2015, 158 Rn 55).

Über das politische Interesse hinaus besteht auch ein wirtschaftliches Interesse der Verfügungsbeklagten an einer Einbindung der N€ GmbH in den Betrieb der Energienetze. Denn aufgrund der Regelung in § 11 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages der N€ wird der 100%igen Tochter der Verfügungsbeklagten, der S€ GmbH, ein jährlicher Gewinnanteil in Höhe von 135.000 € auf ihre Geschäftsanteile garantiert. Die Einräumung eines solchen garantierten Gewinnanteils mag zwar bei gesellschaftsrechtlicher oder auch betriebswirtschaftlicher Betrachtung keine Bedenken zeitigen. Im Kontext der Bewertung des Konzessionsvergabeverfahrens ist aber auch diese Regelung geeignet, zu Zweifeln an der Unparteilichkeit der Auswahlentscheidung beizutragen. Denn nach den insoweit maßgebenden Regelungen in § 3 des Gesellschaftsvertrages der N€ GmbH obliegt es der Nebenintervenientin, den Finanzbedarf der N€ GmbH zu speisen, also gerade der Gesellschafterin, welche die ausgewählte Bieterin in der vorliegenden Ausschreibung ist, wohingegen der Gewinnanteil letztlich der 100%igen Tochter der den Konzessionsvertrag vergebenden Stelle zugute kommt.

bb) Die Art der Ausschreibung, wie sie von der Verfügungsbeklagten unter Beratung und Mitwirkung der Sozietät X bestimmt worden ist, ist unter den aufgezeigten Umständen zusätzlich geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der verfahrensleitenden Stelle zu befördern. Wie sich aus dem Ersten Verfahrensbrief ergibt, hat die Verfügungsbeklagte einen Konzeptwettbewerb ausgeschrieben, in dem sie von den Bietern die Entwicklung eines Netzbewirtschaftungskonzeptes erwartet und ihnen zugleich eröffnet, alternative Vorschläge zu dem vorgegebenen Mustervertragsentwurf zu unterbreiten. Dies stellt eine im Vergaberecht grundsätzlich zulässige funktionale Ausschreibung dar (OLG Düsseldorf, B. v. 17.04.2014, VI-2 Kart 2/13 (V)), gegen die auch im Verfahren zur Auswahl von Wegenutzungsberechtigten nichts zu erinnern ist (LG Kiel, Urteil vom 13. Februar 2015 € 14 O 111/14 Kart, RdE 2016, 45, zit. nach juris Rn 27). Die Vergleichbarkeit der Angebote in einem solchen Ideenwettbewerb, der sich dadurch auszeichnet, dass der Auftraggeber nicht ein festes Leistungsspektrum, sondern nur ein bestimmtes Leistungsziel oder bestimme Anforderungen vorgibt, ist allerdings deutlich erschwert, weil die von den Bietern entwickelten Lösungen sich maßgeblich voneinander unterscheiden können. Funktionale Leistungsbeschreibungen sind daher anfällig, ergebnisorientierte Entscheidungen herbeizuführen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bewerber, wie hier, dazu aufgefordert werden, in ihrem Angebot Prognosen für die 20jährige Laufzeit des Konzessionsvertrages abzugeben und den diesbezüglichen Angaben in der Wertung eine Gewichtung von 14 % der insgesamt zu erzielenden Punktzahl zukommt.

Schließlich eröffnet auch die von der Verfügungsbeklagten vorgesehene relative Bewertungsmethode der vergabeleitenden Stelle weite Spielräume, die geeignet sind, den in der hier zu beurteilenden Konstellation bestehenden Zweifel an der Unparteilichkeit zu befördern. Diese Methode ist zwar für sich genommen nicht zu beanstanden (vgl. OLG Celle Urt. v. 17.03.2016 - 13 U 141/15, UA Bl. 38; OLG Düsseldorf, B. v. 03.03.2010 - VII Verg 48/09; a.A. OLG Stuttgart, Urt. v. 19.11.2015 - 2 U 60/15, EnWZ 2016, 89, zit. nach juris Rn. 70). Die relative Bewertungsmethode korrespondiert zudem mit der Ausschreibung eines Ideenwettbewerbs, weil sie die Möglichkeit eröffnet, die Qualität von Angeboten, die über die Vorgaben des Auftraggebers hinausgehen, hinreichend würdigen zu können.

Allerdings eröffnet die relative Bewertungsmethode, eher als eine Beurteilung aufgrund absoluter Kriterien, die Möglichkeit ergebnisorientierter Entscheidungen, weil die Bemessung der Abstufungen der Angebote, die im Vergleich zu dem Bestplatzierten schlechter abschneiden, nur beschränkt nachvollziehbar ist.

cc) Für die Feststellung einer Verletzung des Neutralitätsgebots kommt es nicht darauf an, ob die Auswahlentscheidung tatsächlich durch unsachliche Erwägungen beeinflusst worden ist. Vielmehr genügt insoweit eine Konstellation, die geeignet ist, das Fehlen der notwendigen Unparteilichkeit der vergabeleitenden Stelle zu begründen (vgl. für das förmliche Vergabeverfahren § 16 VgV a.F.: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl., § 16 Rn 7). Das Rechtsstaatsgebot und der Grundsatz des freien Wettbewerbs gebieten es, alles zu vermeiden, was den Anschein von Parteilichkeit erwecken könnte. Das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transparenz und Diskriminierungsfreiheit des Auswahlverfahrens fordern eine strenge Sichtweise. Der Beweis für eine Kausalität von personellen Verflechtungen für eine ihm nachteilige Entscheidung ist für den Bieter, der im Wege einstweiliger Verfügung den Zuschlag auf einen Mitkonkurrenten zu verhindern sucht, regelmäßig nicht zu führen.

dd) Entgegen der Ansicht der Berufung steht nach dem Vorgesagten der Annahme einer Verletzung des Neutralitätsgebots infolge der Beteiligung der Sozietät X auch nicht entgegen, dass der Rechtsstreit vor dem Landgericht Potsdam, in dem die Rechtsanwälte der Sozietät X die N€ GmbH vertreten haben, vor Bekanntmachung des neuen Auswahlverfahrens am €2014 rechtskräftig abgeschlossen war und weitere Mandate der N€ GmbH mit der Sozietät derzeit nicht bestehen. Dass die inkriminierte Vertretung von Bieterseite und Auftraggeber vorliegend nicht gleichzeitig erfolgt ist, beseitigt die Besorgnis, das Verfahren könne nicht unparteilich geführt worden sein, nicht.

Maßgebend für den Beginn des Mitwirkungsverbots ist nämlich nicht die förmliche Einleitung des Auswahlverfahrens, abzustellen ist mithin nicht auf das Datum der Veröffentlichung im Bundesanzeiger am 22.12.2014. Vielmehr ist, gerade in Fällen, in denen ein erstes Ausschreibungsverfahren wiederholt werden muss, ein materielles Verständnis des Beginns eines Ausschreibungsverfahrens notwendig, um effektiven Rechtschutz gegen Manipulationen gewährleisten zu können. Diese im förmlichen Vergabeverfahren entwickelte Rechtsansicht (s. z.B. OLG Schleswig, Beschluss vom 4.11.2002 - 1 Verg 3/02, VergabeR 2003, 40, 42f) gilt auch hier. Maßgebend für die Beurteilung, wann ein Ausschreibungsverfahren beginnt, sind danach sämtliche Vorgänge mit dem ins Auge gefassten Ziel, dass am Ende der organisatorischen Schritte ein Vertragsschluss steht.

Dies führt dazu, dass für die Bewertung der Beteiligung der Sozietät X auf den Beginn des Auswahlverfahrens nach § 46 EnWG im Jahre 2009 abzustellen ist.

f) Es kommt hier nicht auf die vom Landgericht entschiedene Frage an, ob die Beteiligung der von der Verfügungsbeklagten beauftragten Rechtsanwälte dem Regelungsgehalt des § 43 a BRAO unterfällt. Diese Vorschrift dient dem Gemeinwohlinteresse an der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Voraussetzung dafür ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Zuverlässigkeit der Anwaltschaft. Geschützt wird ferner das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, nicht aber der Vertragspartner des Mandanten (vgl. Hensler/Prütting, BRAO 4. Aufl. 2014 Rn 161). Prüfungsmaßstab des § 43 a BRAO ist deshalb, ob ein Interessenwiderstreit zu Lasten des Mandanten besteht mit der Folge, dass der Anwaltsvertrag nichtig ist. Liegt eine Vertretung widerstreitender Interessen vor, hat dies allerdings keine Auswirkungen auf die vom Anwalt namens seiner Partei vorgenommenen Rechtshandlungen. Deshalb kann die Verfügungsklägerin zu 1) aus § 43 a BRAO nichts zu ihren Gunsten bei der Verfolgung ihrer Untersagungsbegehr herleiten.

g) Der festgestellte Verstoß gegen das Neutralitätsgebot stellt schließlich auch eine unbillige Behinderung der Verfügungsklägerin dar. Ob ein den Vorgaben des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht genügendes Auswahlverfahren Mitbewerber unbillig behindert, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu bestimmen, die auf die Sicherung des Leistungswettbewerbs und insbesondere die Offenheit der Marktzugänge gerichtet ist. Das berechtigte Interesse der aktuellen und potentiellen Bewerber um die Konzession ist darauf gerichtet, dass ihre Chancen auf Erteilung der Konzession durch ein gesetzmäßiges Auswahlverfahren gewahrt werden. Gemeinden als bei der Vergabe der Konzession marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihre eigenen Interessen bei der Auswahlentscheidung nur im gesetzlich zulässigen Rahmen verfolgen (BGH, Urteil vom 17.12.2013 € KZR 66/12).

Wie gezeigt, entspricht das von der Verfügungsbeklagten durchgeführte Auswahlverfahren diesen Anforderungen nicht.

Das Neutralitätsgebot bestimmt den Kernbereich des gesetzlichen Auswahlverfahrens. Ein Verstoß hiergegen ist nicht heilbar. Ein mit diesem Makel behaftetes Auswahlverfahren kann nicht mit einem wirksamen Konzessionsvertrag abgeschlossen werden.

4) Die Verfügungsklägerin zu 1) ist mit ihren Beanstandungen im vorliegenden Verfahren nicht ausgeschlossen, wie die Verfügungsbeklagte meint. Die Verfügungsklägerin zu 1) war nicht gehalten, die Beteiligung der Sozietät X im laufenden Auswahlverfahren zu rügen.

Zwar war zu Beginn des Auswahlverfahrens den Bewerbern bekannt gemacht worden, dass sich die Verfügungsbeklagte von der Sozietät X beraten lässt. Auch haben Rechtsanwälte der Sozietät an den Bietergesprächen teilgenommen. Ausschlussfristen für die Rüge von Verfahrensfehlern in Auswahlverfahren zur Vergabe von Konzessionsverträgen sieht das Gesetz aber nicht vor. Die vergaberechtliche Präklusionsvorschrift des § 107 Abs. 3 GWB, die auf das förmliche Vergabeverfahren zur Anwendung kommt, ist im Konzessionsverfahren weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar (BGH, Urteil vom 17.12.2013 -KZR 66/12 Rn 112; Urt. v. 18.11.2014 € EnZR 33/13 - Stromnetz Schierke, RdE 2015, 130, zit. nach juris Rn 24).

Die Verfügungsklägerin war auch nicht aufgrund eines durch die Anforderung der Vergabeunterlagen begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnisses nach § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB verpflichtet, die Verfügungsbeklagte unverzüglich oder jedenfalls noch während des laufenden Auswahlverfahrens auf den Rechtsverstoß hinzuweisen. Den Konzessionsbewerber, der im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Konzessionsvergabe an einen Mitbewerber zu verhindern sucht, treffen grundsätzlich keine vorvertraglichen Rügepflichten, dies selbst dann nicht, wenn die Gemeinde, wie vorliegend die Verfügungsbeklagte in den Verfahrensbriefen unter Fristsetzung darum gebeten hatte, die Verfahrensstelle auf etwaige Unklarheiten, Fehler oder Unzulänglichkeiten hinzuweisen.

5) Ob das Auswahlverfahren und/oder die -entscheidung an weiteren Fehlern leiden, braucht hier nicht entschieden zu werden.

6) Es liegt auch ein Verfügungsgrund vor. Nachdem die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin zu 1) mit Schreiben vom 02.07.2015 mitgeteilt hat, sie beabsichtige nach Prüfung und Wertung der Angebote, den Zuschlag an die Nebenintervenientin zu erteilen, ist die Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Verfügungsklägerin zu 1) vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, hinreichend glaubhaft gemacht. Bereits am 14.07.2015 hat sie ihren Eilantrag bei Gericht angebracht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 ZPO.






Brandenburgisches OLG:
Urteil v. 19.07.2016
Az: Kart U 1/15


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/67a4cb870f73/Brandenburgisches-OLG_Urteil_vom_19-Juli-2016_Az_Kart-U-1-15




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