Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. August 2006
Aktenzeichen: 34 W (pat) 4/03

(BPatG: Beschluss v. 31.08.2006, Az.: 34 W (pat) 4/03)

Tenor

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 65 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. November 2001 wird aufgehoben und das Patent 198 10 966 mit folgenden Unterlagen erteilt:

- Patentansprüche 1 bis 11,

- Beschreibung, Seiten 1, 1a, 2 bis 7 und - Zeichnung, Figuren 1 bis 3, sämtlich überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin ist Anmelderin der am 13. März 1998 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangenen Patentanmeldung mit der Bezeichnung

"Verpackungstasche für scheibenförmige Informationsträger mit einer Positionssicherungs-Einrichtung".

Mit dem Datum 4. November 1998 erging ein erster Prüfungsbescheid der Prüfungsstelle. Die Erwiderung darauf mit neuen Patentansprüchen ging am 11. April 1999 ein. Die Anmelderin stellte in dieser Eingabe einen Antrag auf Durchführung einer Anhörung. Nach einem Folgebescheid der Prüfungsstelle vom 23. März 2001 wurde eine Fristverlängerung auf ein entsprechendes Gesuch der Anmelderin zu dessen Beantwortung und - stillschweigend - eine Nachfrist von etwa 6 Wochen gewährt. Mit Beschluss vom 5. November 2001 hat die Prüfungsstelle die Patentanmeldung aus den Gründen des Bescheids vom 23. März 2001 gemäß § 48 des Patentgesetzes zurückgewiesen.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Sie ist der Meinung, dass der Stand der Technik die Erfindung nicht nahelege.

Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen: Patentansprüche 1 bis 11, Beschreibung S. 1, 1a, 2 bis 7, Zeichnung Figuren 1 bis 3, sämtlich überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Anmelderin beantragt ferner, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Der geltende Anspruch 1 lautet:

Individuell gestaltete mehrseitige Verpackungstasche mit einer klemmenden Positionssicherungs-Einrichtung (9) für scheibenförmige Informationsträger (5, 5'), die mit dem Zentralloch des scheibenförmigen Informationsträgers (5, 5') im Eingriff steht, wobei die auf einem Blatt (1) bestimmter Größe vorgestanzte Abwicklung der Verpackungstasche mit einem computergesteuerten Drucker individuell bedruckbar ist und mindestens eine Seite (7) der Verpackungstasche eine vorzugsweise runde Ausnehmung (4) aufweist, durch die die klemmende Positionssicherungs-Einrichtung (9) ragt, die als zylinderförmige Knopfscheibe (9,9') ausgebildet ist und aus einem nachgiebigen Material, insbesondere Moosgummi, besteht und auf einer Deckfläche eine Klebeschicht aufweist, die auf einer Seite (6, 19, 19'), die der mit der Ausnehmung (4) versehenen Seite (7) gegenüberliegt, aufgesetzt ist.

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.

Im Verfahren sind folgende Entgegenhaltungen:

D1 DE 296 05 573 U1, D2 DE 195 13 913 A1, D3 US 5 697 496, D4 DE 694 18 309 T2, D5 DE 297 09 220 U1, D6 US 4 708 285 und D7 US 5 332 089.

Die Entgegenhaltung D7 wurde vom Senat im Laufe des Beschwerdeverfahrens genannt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch Erfolg.

1. Die geltenden, in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche sind zulässig. Der geltende Anspruch 1 ist gebildet aus Merkmalen der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 2 und 9 sowie der Beschreibung, vgl. S. 3, Z. 1 bis 7, S. 5 Z. 14 bis 20 und S. 5, vorletzte Zeile bis S. 6, Z. 3 der ursprünglich eingereichten Beschreibung. Die geltenden Unteransprüche 2 bis 11 wurden mit angepassten Nummerierungen und Rückbezügen versehen und in zulässiger Weise klargestellt. Zu den geltenden Ansprüchen 2 bis 7 wird jeweils auf die entsprechenden ursprünglich eingereichten Ansprüche 3 bis 8 verwiesen, zum geltenden Anspruch 8 auf den ursprünglich eingereichten Anspruch 10, zu den geltenden Ansprüchen 9 und 10 auf die ursprünglich eingereichten Ansprüche 12 und 13 und zum geltenden Anspruch 11 auf den ursprünglich eingereichten Anspruch 11.

2. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist neu.

Wie sich aus den folgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt, zeigt keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen eine Verpackungstasche mit allen Merkmalen des Anspruchs 1.

3. Die offensichtlich gewerblich anwendbare Verpackungstasche nach Anspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus dem Stand der Technik sind Verpackungstaschen für scheibenförmige Informationsträger bekannt, bei denen als nachteilig empfunden wird, dass die scheibenförmigen Informationsträger keine sichere Position in der Verpackungstasche haben und daher aus der Verpackungstasche herausrutschen oder durch Bewegungen in der Verpackung zerkratzt werden können (Sp. 1, Z. 15 bis 21 in der OS).

Davon ausgehend hat sich die Anmelderin die Aufgabe gestellt, eine einfache und kostengünstige, individuell bedruckbare Verpackungstasche bereitzustellen, die mühelos mit einem computergesteuerten Drucker beschriftet werden kann und mit einfachen Mitteln einen Datenträger verrückungsfrei in der Verpackungstasche aufnimmt, s. S. 1a, zweiter Abs. der in der mündlichen Verhandlung überreichten Beschreibung.

Gelöst wird die Aufgabe mit einer Verpackungstasche mit den im geltenden Anspruch 1 genannten Merkmalen.

Bei allen im Verfahren befindlichen Druckschriften kann von einer individuellen Bedruckbarkeit der darin beschriebenen Verpackungen ausgegangen werden. Jedoch betreffen lediglich die DE 296 05 537 U1 (D1), DE 195 13 913 A1 (D2), DE 694 18 309 T2 (D4) und US 4 708 285 (D6) Verpackungstaschen, wogegen die anderen Druckschriften US 5 697 496 (D3), DE 297 09 220 U1 (D5) und US 5 332 089 (D7) sich mit Klapphüllen befassen. Der grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass Klapphüllen einen Deckel aufweisen, so dass die Entnahme und das Einlegen des Datenträgers von oben erfolgen kann, Verpackungstaschen dagegen nicht.

Von den Verpackungstaschen betreffenden Druckschriften D1, D2, D4 und D6 offenbart lediglich die D1 Mittel, die einen Datenträger verrückungsfrei in der Verpackungstasche zu halten vermögen. Sie beschreibt eine CD-Verpackung, s. Titel, mit einem Hüllblatt zur Umhüllung der CD, das wenigstens eine Ausnehmung aufweist, mit einer klemmenden Positionssicherungs-Einrichtung, einem sog. "Penöpel", zum Eingriff in die mittige Ausnehmung der CD und gleichzeitigem Durchgriff durch die Ausnehmung eines Hüllblattes, s. Schutzanspruch 1 und Fig. 3. Die bekannte Positionssicherungs-Einrichtung weist einen tellerartigen Körper mit den Dimensionen einer CD und beidseitig angeordneten Klemmeinrichtungen auf, die als Erhöhungen ausgebildet sein können, s. Schutzansprüche 2 und 3 und S. 5, Abs. 4. Sie besteht aus Vollmaterial und soll zur Versteifung der CD gegen Knickbelastung und Auffangen etwaiger Schockbelastungen sowie zum Halten der CD auch außerhalb ihrer Verpackung dienen, s. den von S. 2 auf S. 3 übergreifenden Absatz. Zur Herstellung der Verpackungstasche wird das Hüllblatt zunächst entlang einer Längskante gefaltet und eine CD an einem Ende zwischen zwei im Wesentlichen quadratische Abschnitte gelegt, s. Fig. 2 sowie S. 5, erster Absatz. Die CD muss dabei so in der Falte positioniert werden, dass die Ausnehmungen in dem Hüllblatt und das Loch in der CD übereinander liegen. Sodann wird die Positionssicherungs-Einrichtung passgenau in die halbfertige Tasche eingelegt, damit mittig auf ihr angeordnete Erhebungen die Ausnehmungen im Hüllblatt und im Datenträger durchgreifen können. Danach wird die Verpackungstasche fertig zusammengefaltet und verschlossen, s. Fig. 4 und 5 sowie S. 5, zweiter und vierter Absatz. Eine sichere, beschädigungsfreie Entnahme des Datenträgers ist nur möglich, wenn vorher der Verschluss an der Verpackungstasche gelöst, das Hüllblatt wieder entfaltet und die Positionssicherungs-Einrichtung entfernt wird.

Beim Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist die Positionssicherungs-Einrichtung dagegen als zylinderförmige Knopfscheibe aus einem nachgiebigen Material, insbesondere Moosgummi, ausgebildet, die auf eine Seite der Verpackungstasche aufgeklebt werden kann. So ist nicht nur eine sichere Festlegung des Datenträgers in der Umhüllung, sondern außerdem auch ein schonendes seitliches Einstecken in die Verpackungstasche, ein leichtes Lösen und letztlich ein die empfindliche Oberfläche des Datenträgers schonendes Entnehmen durch die seitliche Öffnung möglich, ohne die Positionssicherungs-Einrichtung entfernen zu müssen oder die Verpackungstasche wieder aufzufalten. Es genügt, die nachgiebige Knopfscheibe durch die Ausnehmung in der Seite der Verpackungstasche und gegebenenfalls auch durch die Zentralöffnung des in der Tasche befindlichen Datenträgers hindurch zu komprimieren, so dass der Datenträger an der Positionssicherungs-Einrichtung vorbei seitlich in die Tasche hineingesteckt oder vor der Entnahme aus der Verpackungstasche zunächst seine Arretierung gelöst und der Datenträger wieder seitlich aus der Tasche herausgezogen werden kann.

Die außer der Druckschrift D1 ebenfalls noch Verpackungstaschen betreffenden Druckschriften D2, D4 und D6 können keine Anregung zu der von der Anmelderin aufgefundenen Lösung geben, denn in ihnen kommt lediglich das Problem der individuellen Bedruckbarkeit der Umhüllung zur Sprache; die daraus entnehmbaren Verpackungstaschen weisen keinerlei Positionssicherungs- Einrichtungen auf.

Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften D3, D5 und D7 beschreiben zwar Positionssicherungs-Einrichtungen, jedoch im Zusammenhang mit Klapphüllen, bei denen der Datenträger nicht seitlich an dem Positionssicherungs- Element vorbei manipuliert werden muss.

Sollte ein Fachmann - ein Meister aus der Mustermacherei der Verpackungstechnik - trotz der Gattungsfremdheit dieses Standes der Technik ausgehend von der Druckschrift D1 gedanklich eine Übertragung von aus den Druckschriften D3, D5 oder D7 zu entnehmenden Positionssicherungs-Einrichtungen vornehmen, gelangte er nicht ohne erfinderisches Zutun zu einer Verpackungstasche mit den in dem geltenden Anspruch 1 angegebenen Merkmalen.

Bei der aus der Druckschrift D3 bekannten Klapphülle ist der Datenträger auf einer Positionssicherungs-Einrichtung festgelegt, die aus einem aus Wellpappe ausgestanzten und gefalteten, den Datenträger vollumfänglich umgreifenden Einsatz besteht, s. Sp. 6, Z. 5 bis 64, auf den ein üblicher CD-Halter mit Klemmzungen aus hochfestem Polystyrol aufgeklebt ist, s. Sp. 6, Z. 65 bis Sp. 7, Z. 10. Die Teile bilden zusammen einen Verbund aus nicht nachgiebigen Materialien. Aus diesem Grunde würde bei dem Einsatz dieser Positionssicherungs-Einrichtung der Nachteil der Verpackungstasche fortbestehen, wonach ein schonendes seitliches Einschieben und Entnehmen des Datenträgers in die zusammengefaltete bzw. aus der zusammengefalteten Verpackungstasche nicht möglich ist.

Gemäß der D5 sind zur Positionssicherung insb. von CDs keine den Datenträger durchgreifenden Befestigungsmittel sondern Schlitze in den Falzkanten der Umhüllung vorgesehen, in die der Rand der CD eingeführt ist, s. Fig. 3 und S. 7, Z. 15 bis 28. Positionssicherungs-Einrichtungen, die wie bei dem Anmeldungsgegenstand zur Fixierung eines Informationsträgers mit dessen Zentralloch in Eingriff stehen, können diesem Stand der Technik nicht entnommen werden.

Bei der aus der D7 bekannten Klapphülle ist zwar eine mit dem Datenträger durch dessen Mittelöffnung in Eingriff zu bringende Positionssicherungs-Einrichtung vorgesehen, wobei diese wie bei dem Anmeldungsgegenstand als zylinderförmige Knopfscheibe ausgebildet ist, zudem aus einem nachgiebigem Material besteht, s. Sp. 4, Z. 14 bis 17, und darüber hinaus auf einer Deckfläche eine Klebeschicht aufweist, s. Sp. 4, Z. 25 bis 31. Ein einfacher Austausch der gemäß der D1 eingesetzten Positionssicherungs-Einrichtung gegen eine zylinderförmige Knopfscheibe gemäß der D7 würde jedoch nicht unmittelbar zu dem Gegenstand der Anmeldung führen, denn die aus D1 bekannte Verpackungstasche weist an den Stellen, wo die zylinderförmige Knopfscheibe angeordnet werden müsste, Ausnehmungen auf.

Nach der Lehre der D7 sind solche Ausnehmungen aber gerade nicht vorgesehen. Die Positionssicherungs-Einrichtung (holder 20) erstreckt sich in ihrer Höhe von einem Klappdeckel 12 zum anderen Klappdeckel 14 in deren geschlossenen Position, s. Sp. 7, Z. 16 bis 19 sowie Fig. 2. In bevorzugter Ausgestaltung soll die sog. freie Oberfläche des Halters 20 mit einer Haftschicht versehen sein, die die beiden Klappdeckel in geschlossener Position hält, s. Sp. 4, Z. 41 bis 63. Insofern führt die Lehre der D7 wieder weg vom Gegenstand der Anmeldung mit einer Ausnehmung in einer Seite der Verpackungstasche, durch die die Positionssicherungs-Einrichtung ragt.

Das gilt entsprechend für das Ergebnis einer Zusammenschau der Druckschrift D7 mit den Druckschriften D2, D4 und D6. Fügte man trotz unterschiedlicher Verpackungsgattungen die gemäß der Druckschrift D7 eigentlich für eine Klapphülle vorgesehene Positionssicherungs-Einrichtung den aus den Druckschriften D2, D4 oder D6 bekannten Verpackungstaschen einfach hinzu, wäre das Merkmal des geltenden Anspruchs 1 nicht erfüllt, wonach mindestens eine Seite der Verpackungstasche eine Ausnehmung aufweist, durch die die klemmende Positionssicherungs-Einrichtung ragt und durch die sie zum Befestigen und Lösen des Datenträgers komprimiert werden kann. Weder für das Merkmal an sich noch die damit verbundene Funktion vermag die Druckschrift D7 eine Anregung zu geben.

Aus diesen Gründen kann der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nicht naheliegen.

Der Patentanspruch 1 ist daher gewährbar.

4. Die Unteransprüche 2 bis 11 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen der Verpackungstasche nach Anspruch 1 und sind daher ebenfalls gewährbar.

III.

Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr hat Erfolg.

Weder der Folgebescheid vom 23. März 2001, auf den in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen wurde, noch der Zurückweisungsbeschluss selbst enthielten eine Begründung für die Ablehnung des Antrags auf Durchführung einer Anhörung, so dass davon ausgegangen werden muss, dass der Antrag von der Prüfungsstelle entweder übersehen oder ignoriert wurde.

Triftige Gründe für eine Ablehnung des Antrags vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr sieht er die Durchführung einer Anhörung in jedem Verfahren grundsätzlich als sachdienlich an.

Die Entscheidung ohne vorherige Durchführung der beantragten Anhörung stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und damit einen Verfahrensfehler dar, der im vorliegenden Fall ursächlich für die Beschwerdeeinlegung war, denn aus der Sicht der Beschwerdeführerin war nicht auszuschließen, dass die Entscheidung ohne den Fehler anders ausgefallen wäre und sie deshalb die Beschwerde für notwendig halten durfte (Schulte PatG, 7. Aufl., § 73 Rdn. 129 - m. w. N.).

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist somit gerechtfertigt.






BPatG:
Beschluss v. 31.08.2006
Az: 34 W (pat) 4/03


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