Oberlandesgericht München:
Urteil vom 31. März 2010
Aktenzeichen: 20 U 4194/09

(OLG München: Urteil v. 31.03.2010, Az.: 20 U 4194/09)

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Landgerichts München I vom 17.07.2009, Az.: 27 O 1175/06 dahingehend abgeändert, dass der Beklagte zu 2) verurteilt wird, an den Kläger 20.500,00 € nebst Zinsen vom 19.12.2001 bis 12.02.2006 in Höhe von 4,30 % und ab dem 13.02.2006 in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

II. Der Beklagte zu 2) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte zu 2) kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt vom Beklagten zu 2) (künftig: Beklagter) Schadensersatz im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers als atypisch stiller Gesellschafter an der ursprünglichen Beklagten zu 1), der R+W AG, über deren Vermögen am 21.02.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Bl. 84/85 d. A.).

Am 17.12.2001 (Anlage K 12) gab der Kläger ein Angebot zum Beitritt als atypisch stiller Gesellschafter an der Beklagten zu 1) ab. Dieses Angebot wurde angenommen. Der Kläger leistete die vereinbarte Einmalzahlung in Höhe von 25.000,00 € zuzüglich 1.250,00 € Agio bei einer Mindestvertragslaufzeit von 10 Jahren. Ab Februar 2002 erhielt der Kläger Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 5.750,00 €. Die Beteiligung wurde dem Kläger von Mario M., Büro Mario M., vermittelt. Vor der Zeichnung erhielt der Kläger den Emissionsprospekt 10/2000 (Anlage K 9). Mit Schreiben vom 22.11.2009 erhielt er vom Vermittler M. das Schreiben vom 19.10.2001 (Anlage K 3), welches u. a. vom Beklagten unterzeichnet worden war.

Die gegen den Beklagten erhobene Anklage wegen Betruges vom 19.02.2006 wurde nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb erfolglos.

Der Kläger hat vorgetragen, die Anlagegelder seien nicht wie prospektiert angelegt worden und der Prospekt 10/2000 sei unrichtig. Er sei vorsätzlich über die tatsächlichen Chancen und die geplante Mittelverwendung getäuscht worden. Die Anlagegelder seien im Wesentlichen durch Kosten und Provisionen aufgezehrt worden. Der Beklagte hafte, da er durch das Schreiben vom 19.10.2001 persönliches Vertrauen in Anspruch genommen habe.

Der Kläger beantragte,

den Beklagten zur Zahlung von 20.500,00 € nebst Zinsen zu verurteilen und festzustellen, dass keine Ansprüche mehr seitens der Beklagten zu 1) gegen den Kläger bestehen.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und die übrigen Behauptungen des Klägers bestritten. Der Prospekt habe über die Möglichkeiten des Verlusts ausreichend aufgeklärt.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Ersturteils wird ergänzend Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Ziffer 1ZPO.

Das Landgericht hat die Klage gegen den Beklagten durch das angefochtene Teilurteil abgewiesen.

Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinne seien verjährt. Auch Ansprüche wegen c. i. c. bestünden nicht, da der Beklagte weder Vertragspartner des Klägers geworden sei, noch persönliches Vertrauen in Anspruch genommen habe. Insbesondere rechtfertige das Schreiben vom 19.10.2001 diese Annahme nicht, denn es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dieses Schreiben die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss besonders beeinflusst hätte. Außerdem reiche dieses Schreiben schon nicht aus, um die Eigenhaftung des Beklagten zu begründen. Eine Haftung wegen fehlerhafter Anlageberatung oder -vermittlung scheitere an einem fehlenden Vertragsverhältnis.

Deliktische Ansprüche schieden aus, da dem Beklagten das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen nicht nachgewiesen werden könne. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V .m. § 264 a, 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG oder § 331 HGB seien ebenfalls nicht begründet, da insbesondere der Prospekt nicht fehlerhaft sei.

Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird ergänzend verwiesen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er nur noch den Zahlungsantrag weiter verfolgt. Er stützt sich insbesondere darauf, dass das Landgericht das Schreiben vom 22.11.2001 und insbesondere das diesem Schreiben beigefügte Schreiben vom 19.10.2001 falsch gewürdigt habe. Bereits zum 31.10.2001 habe festgestanden, dass das Anlagekonzept nicht mehr realisierbar war, da das erforderliche Kapital nicht eingeworben werden konnte. Außerdem habe das Landgericht die Kausalitätsvermutung verkannt.

Der Kläger beantragt,

der Berufungsbeklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.07.2009, Az: 27 O 1175/06, verurteilt, an den Kläger € 20.500 nebst 5 % über Basiszins seit 19.12.2001, hilfsweise 4,30 % vom 19.12.2001 bis zur Klagezustellung und ab dann in Höhe von 5 % über Basiszins zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil. Das Schreiben vom 19.10.2001 sei an keinen bestimmten Adressaten gerichtet, es trage lediglich oben den handschriftlichen Zusatz: €z. Info von M.€. Das Schreiben sei nicht an den Kläger im Besonderen und im Übrigen auch nicht an künftige Anleger gerichtet. Eine Haftung des Beklagten über § 311 Abs. 3 BGB komme nicht in Betracht. Der Beklagte habe kein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst. Eine arglistige Täuschung seitens des Beklagten liege nicht vor. Zum Zeitpunkt der Beteiligung des Klägers habe sich die Gesellschaft prospektgemäß in der Verlustphase befunden, ein Scheitern des Konzepts noch nicht festgestanden und sei für den Beklagten auch nicht erkennbar gewesen. Eine Aufklärungspflicht habe nicht bestanden. Die im Schreiben vom 19.10.2001 erwähnten geplanten Umstrukturierungen seien tatsächlich erfolgt.

Das Schreiben sei im Hinblick auf die veränderte Investitionsstrategie verfasst worden und nehme lediglich die Ausführungen des drei Wochen später herausgegebenen Emissionsprospekts vorweg. Der Kläger hätte auch das Erscheinen des Emissionsprospekts 2001 abwarten können.

Es fehle dem Beklagten auch am erforderlichen Vorsatz. Der Beklagte habe in bester Absicht gehandelt, das geplante Einlagekapital auch im Interesse der bereits vorhandenen Gesellschafter zu erreichen. Der Vorsatz könne nicht aus einer €ex post€- Betrachtung heraus festgestellt werden.

Die Entscheidung des Strafgerichts sei in wesentlichen Punkten auch hier zu berücksichtigen.

Auf die Hinweise des Senats, die Sitzungsniederschriften und die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Gegenüber dem Beklagten scheiden Prospekthaftungsansprüche im engeren und im weiteren Sinne aus, jedoch haftet er dem Kläger aus Delikt gem. § 826 BGB.

1. Prospekthaftungsansprüche im engeren Sinn sind verjährt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verjähren Prospekthaftungsansprüche im engeren Sinne bei einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung in analoger Anwendung der in den gesetzlich geregelten Fällen der Prospekthaftung geltenden kurzen Verjährung, § 20 Abs. 5 KAGG, in der bis zum 30.06.2002 geltenden Fassung, in einer Zeit von einem Jahr ab Kenntnis des Prospektmangels, spätestens jedoch in drei Jahren nach dem Beitritt (BGH NJW 2001, 1203; BGH NJW 2004, 3420, BGH Urteil vom 06.03.2008, III ZR 298/05).

Der Kläger hat die Beteiligung am 17.12.2001 gezeichnet. Bei Klageerhebung am 23. Januar 2006 war die absolute Verjährungsfrist zweifelsfrei verstrichen.

2. Prospekthaftungsansprüche im weiteren Sinne, die ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten bei Vertragsschluss erfordern, § 311 Abs. 2 und 3 BGB, scheitern bereits tatbestandlich daran, dass der Beklagte in keinerlei vertraglicher Beziehung zum Kläger steht und er kein persönliches Vertrauen des Klägers in Anspruch genommen hat. Aus culpa in contrahendo haftet, wer bei den Vertragsverhandlungen als künftiger Vertragspartner, Vertreter, Sachwalter oder Garant gegenüber einem Anleger persönliches Vertrauen in Anspruch genommen hat (Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., 2010, § 311, Rdnr. 71).

Die atypisch stille Gesellschaft beruht auf einem Gesellschaftsvertrag zwischen dem Kläger und der R + W AG, den der Kläger mit seiner Beitrittserklärung vom 17.12.2001 akzeptiert hat. Der Beklagte war am Vertragsschluss in keiner Form persönlich beteiligt. Der Beklagte hat mit dem Kläger nicht verhandelt. Die Vermittlung erfolgte unstreitig durch den Vermittler Mario M. Der Beklagte hat auch gegenüber dem Kläger nicht die persönliche Gewähr für Seriosität und die Erfüllung des Vertrages übernommen. Das allgemeine Interesse des Vorstandsvorsitzenden am Erfolg des Unternehmens genügt für eine Eigenhaftung nicht. Ein anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des Schreibens vom 19.11.2001. Dort wird eine Investitionsstrategie dargestellt, die Lücken oder Unrichtigkeiten nicht erkennen lässt.

3. Dem Kläger steht jedoch gem. § 826, § 249 BGB ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus unerlaubter Handlung zu.

a) Dem Kläger ist durch die Beteiligung als stiller Gesellschafter an der R+W Vermögensmanagement AG ein Schaden entstanden.

§ 826 BGB stellt, anders als § 823 Abs. 1 BGB, hinsichtlich des Schadens schon begrifflich nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter ab. Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (vgl. Palandt, BGB, 69. Auflage 2010, Rdnr. 3 zu § 826 BGB). Der Schaden liegt bereits darin, dass sich der Beklagte als atypisch stiller Gesellschafter an der Beklagten zu 1) beteiligte. Im Rahmen dieses Beitritts verpflichtete er sich zu einer Einmalzahlung in Höhe von 25.000 € sowie einem Agio von 1.250,00 € bei einer Mindestvertragslaufzeit von 10 Jahren. Die Ausschüttungen ergaben lediglich einen Betrag in Höhe von 5.750,00 €. Über das Vermögen der R+W AG wurde mit Beschluss vom 21.02.2007 durch das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat somit einen Schaden erlitten.

b) Der Beklagte hat zu der schadenstiftenden Beteiligung des Klägers als atypisch stiller Gesellschafter einen wesentlichen Beitrag geleistet:

35Der Beklagte hat durch das Schreiben vom 19.10.2001 den Eindruck erweckt, der Beitritt als stiller Gesellschafter sei mindestens eine kapitalerhaltende Anlagemöglichkeit. Dem Kläger wurde vom Vermittler M. das Schreiben der Beklagten zu 1) vom 19.10.2001 (Anlage K3) vor Abschluss des Beitritts vorgelegt. Darin heißt es u. a.:

€...in Zeiten, in denen die Märkte labil und eher rückläufige Anlageergebnisse zu verzeichnen sind, muss eine Geldanlage insbesondere unter dem Gesichtspunkt €Kapitalerhalt€ kritisch geprüft und entschieden werden. In diesen Zeiten sollte die Anlagestrategie nicht auf hoch spekulative Erträge abzielen."

...

€Um im Rahmen der bestehenden Steuergesetze ein Maximum an Sicherheit für den Erhalt des eingesetzten Kapitals bei gleichzeitiger vernünftiger Renditeerwartung zu halten, werden mindestens 40 % des zur Verfügung stehenden Investitionskapitals in einer gemischten Anlagestrategie in namhaften Anlagegesellschaften investiert, bis die Nominaleinlage des Anlegers, d. h. der vollständige Kapitalerhalt allein aus diesem Segment des Anlagesplittes erreicht worden ist."

...

€Bei vorsichtiger Ertragsrechnung kann der Kapitalerhalt allein aus dieser Anlage voraussichtlich innerhalb von 12 Jahren sichergestellt werden.€

39Das vorbezeichnete Schreiben war vom Beklagten als Vorstandsvorsitzendem, vom Vorstand Marketing und Vertrieb und den Mitgliedern des Aufsichtsrates unterzeichnet. Dieses Schreiben erweckt beim unvoreingenommenen Anlageinteressenten, der mit den Vermögensverhältnissen der Beklagten zu 1) nicht vertraut ist, den Eindruck, dass es sich bei der beworbenen Anlage um eine eher konservative, kapitalerhaltende handelt. Das gesamte Schreiben enthält keinerlei Hinweise darauf, dass für die neuen Anleger ein erhebliches, über das prospektierte Verlustrisiko hinausgehendes Risiko bestand, ja nicht einmal den Hinweis, dass das im geplanten Anlagezeitraum vom 23.07.1999 (Gründung der AG) bis zum 31.10.2001 eingeworbene Einlagekapital nicht einmal 7,66 % betragen hatte. Es kann dahinstehen, ob insoweit eine Aufklärungspflicht bestand, die der Beklagte verletzt hat. Die Verletzung einer Aufklärungspflicht ist nicht die maßgebliche Schädigungshandlung. Vielmehr hat der Beklagte mit dem Schreiben vom 19.10.2001 aktiv bei den Anlegern den Eindruck erweckt, dass die Beklagte zu 1) eine kapitalerhaltende Anlagestrategie verfolge. Das Schreiben war naturgemäß nicht unmittelbar an künftige Anleger gerichtet, dafür aber an die Vermittler, mindestens an das Vermittlungsbüro M., welches den Kläger und seine Ehefrau geworben hat. Damit handelt es sich nicht lediglich um ein rein internes Schreiben, sondern diente dem Zweck, neue Anleger zu gewinnen.

Tatsächlich waren, wie sich aus dem Gutachten des Landeskriminalamts vom 13.05.2004 (Anlage K 10, Seite 16, 17) ergibt, zum 31.10.2001 nur 5.748.237,00 € eingeworben worden. Das beabsichtigte Einlagekapital zum 31.12.2001 sollte jedoch 75 Millionen betragen. In Anbetracht der geringen Einlagen wurde das Ende des Anlagezeitraums bis zum 31.12.2002 verlängert. Die Liquidität der Beklagten zu 1) betrug zum 31.10.2001 11.588,00 € (Gutachten des LKA Seite 17).

Die Entscheidung des Strafgerichts entfaltet schon deshalb keine €Bindungswirkung€ oder zu berücksichtigende Tatsachen, da hier die schadenstiftende Handlung die Abfassung und Hinausgabe des Schreibens vom 19.10.2001 ist, und nicht die der Anklage der Staatsanwaltschaft zugrundeliegenden Prospektfehler. Es geht auch nicht um die Frage, ob und wann der Beklagte auf die finanzielle Situation oder ein mögliches Scheitern des Konzepts hätte hinweisen müssen.

c) Das Schreiben vom 19.10.2001 war für die Beteiligung des Klägers als stiller Gesellschafter und die damit verbundene Einlageverpflichtung bei der Beklagten zu 1) auch ursächlich. Der Kläger hat vorgetragen, dass er sich in Kenntnis der wahren Situation an der Beklagten zu 1) nicht beteiligt hätte. Gerade auch das Schreiben vom 19.10.2001 sei für seinen Beitritt maßgeblich gewesen.

Der Senat hält die Angaben des Klägers für glaubwürdig. Konkrete Anhaltspunkte, diese in Frage zustellen, liegen nicht vor. Sie sind vielmehr naheliegend und schlüssig. Dass der Kläger das Schreiben vom 19.10.2001 tatsächlich erhalten hat, ergibt sich aus Sicht des Senats schon daraus, dass er es hat vorlegen können.

Der Einwand des Beklagten, der Kläger hätte, für den Fall, dass das Schreiben vom 19.10.2001 für ihn von Bedeutung gewesen sein sollte, auf das Erscheinen des Emissionsprospekts 2001 warten müssen, vermag nicht zu überzeugen. Der Kläger wurde mit dem Prospekt 2000 angeworben. Das Schreiben vom 19.10.2001 schaffte zusätzliches Vertrauen für die Werthaltigkeit der Anlage. In dieser Situation kann von keinem Anleger erwartet werden, abzuwarten, ob ein neuer Emissionsprospekt andere Hinweise enthält.

d) Die Abfassung und Weiterleitung des Schreibens vom 19.10.2001 an den Vermittler ist als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen.

Sittenwidrig ist ein Verhalten dann, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten Moralvorstellungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen (Palandt/Ellenberger, BGB, § 138, Rdn. 2). Entscheidend und maßgeblich ist das Gesamtbild des Verhaltens (NJW 1981, 2184). Sowohl das vom Schädiger verwandte Mittel, als auch der von ihm verfolgte Zweck können je für sich bereits die Sittenwidrigkeit begründen.

47Die Verwerflichkeit wird hier bereits durch das Verhalten des Beklagten indiziert. Das Schreiben vom 19.10.2001 weckte, wie bereits ausgeführt, den Eindruck, es handle sich um eine kapitalsichernde Anlagemöglichkeit. Genau dies war jedoch, wie sich aus dem Gutachten des Landeskriminalamts ergibt, zum Zeitpunkt Oktober 2001 nicht mehr der Fall. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob tatsächlich keine Erfolgschance für die Anlagestrategie mehr gegeben war. Ausreichend ist es, dass zu diesem Zeitpunkt das gegenüber den Prospektangaben deutlich erhöhte Risiko eines erheblichen Verlustes bestand, da die erforderliche Einlagesumme nicht einmal ansatzweise erreicht worden war. In dieser Situation die künftigen Anleger auf die besondere Werthaltigkeit als Anlageziel hinzuweisen, verstößt gegen die Mindestanforderungen im Rechtsverkehr auf dem Kapitalmarkt. Der tatsächliche Grund für die beabsichtigte Änderung der Investitionsstrategie wird nicht nur verschwiegen, sondern der Anlageinteressent wird darüber hinaus durch den Inhalt des Schreibens vom 10.10.2001 aktiv über die wahre Situation getäuscht.

Der Einwand des Beklagten, dass der Anlage ein immanentes Verlustrisiko anhaftete und sich zum Zeitpunkt der Beteiligung des Klägers die Gesellschaft prospektgemäß in der Verlustphase befand, ist ohne Bedeutung, da dies nicht die die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände darstellen.

49Das Handeln des Beklagten kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt, er habe im Schreiben vom 19.10.2001 lediglich vorweg genommen, was in dem aktualisierten Emissionsprospekt 2001 ohnehin übernommen worden wäre, in einem milderen Licht gesehen werden. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegen den Beklagten ist nicht die Änderung der ursprünglichen Investitionsstrategie, sondern, dass er die künftigen Anleger im Glauben ließ, alles sei und werde €gut€.

Das Handeln des Beklagten verliert auch nicht dadurch den Makel der Sittenwidrigkeit, dass er im Interesse der bereits vorhandenen stillen Gesellschafter handeln wollte. Aufgrund des Gutachtens des Landeskriminalamts stand am 31.10.2001 bereits fest, dass das ursprünglich umsetzbare Konzept nunmehr nicht realisierbar war. Selbst wenn zugunsten des Beklagten angenommen wird, dass noch eine gewisse Erfolgschance bestand, ändert dies nichts an der Sittenwidrigkeit. Es entspricht nicht dem Vorstellungsbild aller billig und gerecht Denkenden, Anlageinteressenten bewusst einer konkreten und erheblichen Gefahr eines Schadenseintritts auszusetzen, um den Schaden für die bereits bestehenden Gesellschafter zu verringern. Zwischen den mit der Beklagten zu 1) als stille Gesellschafter verbundenen Personen und den neuen Anlegern bestand keinerlei Beziehung, die eine gemeinsame Haftung rechtfertigen würde. Der Beklagte musste, in Anbetracht der bis zum Beitritt des Klägers erfolgten Einlagen damit rechnen, dass auch die neue Investitionsstrategie nicht von Erfolg sein könnte.

e) Der Beklagte handelte auch mit dem erforderlichen Schädigungsvorsatz:

52Hierzu gehört insbesondere das Bewusstsein, dass das eigene Handeln den schädlichen Erfolg herbeiführen wird (BGH NJW-RR 2002, 1309). Eine Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich. Es genügt bedingter Vorsatz als billigende Inkaufnahme des Schadens beim Geschädigten (BGH NJW 2004, 2971). Dabei braucht der Täter nicht im Einzelnen zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht es aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens voraussehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (BGH NJW 2004, 2971 m. w. N.).

53Angesichts der Gesamtumstände besteht hier an einer vorsätzlichen Handlungsweise des Beklagten im Hinblick auf die Mitteilung vom 19.10.2001 kein Zweifel. Der Beklagte kannte als Vorstandsvorsitzender die finanzielle Situation, insbesondere die Einlagekapitalsituation der Beklagten zu 1). Dies war der Grund für ihn und die weiteren Verantwortlichen, die Investitionsstrategie neu auszurichten. Dem Beklagten war auch bewusst, dass das Schreiben vom 19.10.2001 geeignet war, künftige Anleger in Sorglosigkeit zu wiegen. Der Beklagte gab im Rahmen der mündlichen Verhandlung an, dass er vom Vermittler M. dringend aufgefordert worden war, ein derartiges Schreiben zu verfassen. Hintergrund kann also nur gewesen sein, dass dieses Schreiben vom Vermittler M. auch gegenüber Anlegern eingesetzt werden würde. Insoweit ist die Einlassung des Beklagten, das Schreiben sei nicht an die Anleger gerichtet gewesen, lediglich als Schutzbehauptung zu werten. Einen anderen Zweck, als das Vertrauen der künftigen stillen Gesellschafter in die Anlagemöglichkeit zu stärken, konnte das Schreiben nicht haben. Da der Beklagte im Hinblick auf die finanzielle Situation der Beklagten zu 1) ernsthaft damit rechnen musste, dass das Unternehmenskonzept nicht umsetzbar sein werde, nahm er zumindest die Schäden der künftigen Anleger durch die Beteiligung an der Beklagten zu 1) billigend in Kauf. Der Umstand, dass sich der Beklagte, wie er im Termin erklärte, in einer Aufbruchsstimmung im Jahr 2000 im Hinblick auf die €neuen Märkte€ befand, vermag dessen bedingten Vorsatz nicht in bloße Fahrlässigkeit umzuqualifizieren. Soweit der Beklagte annahm, das Unternehmenskonzept sei durch die Veränderung der Investitionsstrategie und die Verlängerung des Einlagezeitraums um ein Jahr noch zu realisieren, stellt dies lediglich eine Hoffnung auf den Eintritt eines zukünftigen Ereignisses dar. Dies ändert nichts daran, dass der Beklagte durch das Schreiben vom 19.10.2001 wider besseres Wissen gegenüber den noch unbekannten künftigen Anlegern den Eindruck vermitteln wollte, es handle sich um eine stabile Kapitalanlage.

f) Dem Kläger ist auch ein Schaden gem. § 249 BGB entstanden. Wie bereits ausgeführt, stellt der Schaden im Rahmen des § 826 BGB jede Beeinträchtigung bzw. Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung dar. Damit hat der Kläger einen Anspruch gem. § 249 BGB auf Naturalrestitution, d. h. er ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er sich nicht an der Gesellschaft beteiligt hätte. Unstreitig hat der Kläger 26.250,00 € Einmalanlage und Agio bezahlt und Ausschüttungen in Höhe von 5.750,00 € zurückerhalten. Sein Schaden beträgt daher 20.500,00 €.

Eine Kürzung des Ersatzanspruches im Rahmen des § 254 BGB ist nicht vorzunehmen. Gegenüber der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung tritt ein fahrlässiges Mitverschulden des Geschädigten regelmäßig völlig zurück (NJW-RR 1991, 1312). Darüber hinaus sieht der Senat auch keinerlei Hinweis für ein schuldhaftes Verhalten seitens des Klägers.

Der Kläger hat weiter einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4,30 % aus 20.500,- € seit 19.12.2001 bis 12.02.2006 gem. § 249 Abs. 1 BGB.

Ein Vermögensschaden des Klägers, der sich bei zutreffender Unterrichtung nicht an dem Anlagemodell beteiligt hätte, ist auch hinsichtlich des Zinsverlustes zu bejahen. Unbestritten trägt der Kläger vor, dass er den Geldbetrag anderweitig angelegt hätte und der Durchschnittszins im Dezember 2001 4,30 % betrug.

Soweit der Kläger beantragte, ihm Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins zuzusprechen, ist die Klage abzuweisen, da eine solche Zinshöhe völlig unrealistisch ist.

4. Der Beklagte schuldet dem Kläger Verzugszinsen seit Klageerhebung gem. § 288, § 291 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 i. V. m. § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen dafür liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat wendet gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf den Einzelfall an.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 3 ZPO, 47 GKG.






OLG München:
Urteil v. 31.03.2010
Az: 20 U 4194/09


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