Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 17. November 1998
Aktenzeichen: A 6 S 2151/97

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 17.11.1998, Az.: A 6 S 2151/97)

1. Der nach § 121 Abs 1 ZPO im Berufungsverfahren beigeordnete Rechtsanwalt hat einen Anspruch auf Vergütung einer Prozeßgebühr, wenn er nach der Beiordnung den Gebührentatbestand des § 31 Abs 1 Nr 1 BRAGO (BRAGebO) verwirklicht. Darauf, ob die Prozeßgebühr auch schon vor der Beiordnung im Berufungszulassungsverfahren angefallen ist, kommt es grundsätzlich nicht an (aA Beschluß vom 7.4.1998 - A 14 S 52/98).

Tatbestand

Die Kläger sind afghanische Staatsangehörige. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte ihren Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte und die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (mit Ausnahme eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG) ab. Die hiergegen erhobene Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart hatte überwiegend keinen Erfolg (Urteil vom 20.5.1997 - A 12 K 16677/95). Auf Antrag der Kläger vom 18.6.1997 hat der Senat mit Beschluß vom 15.7.1997 die Berufung zugelassen. Mit Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 6.8.1997 haben die Kläger die Berufung begründet und die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten beantragt. Dem hat der Senat mit Beschluß vom 12.2.1998 entsprochen. Mit weiterem Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 7.4.1998 haben die Kläger auf mündliche Verhandlung verzichtet, einer Entscheidung durch den Berichterstatter zugestimmt und ergänzend zur Sache vorgetragen. Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 17.4.1998 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen.

Am 11.5.1998 hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger beantragt, seine Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt aus der Landeskasse auf insgesamt 1.313,12 DM - darunter eine Prozeßgebühr aus 9.000,-- DM in Höhe von 546,-- DM zzgl. Mehrwertsteuer - festzusetzen. Der Urkundsbeamte lehnte mit Beschluß vom 15.5.1998 die Zuerkennung der Prozeßgebühr ab und setzte demgemäß - unter Anpassung der Mehrwertsteuer - nur einen Betrag von 679,76 DM fest. Er führte aus, die Prozeßgebühr sei bereits im Zulassungsverfahren angefallen und entstehe damit nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO nicht erneut im Berufungsverfahren.

Mit seiner am 23.6.1998 eingegangenen Erinnerung macht der Prozeßbevollmächtigte der Kläger geltend, ihm stehe die Prozeßgebühr zu. Das Berufungs- und das Zulassungsverfahren seien schon zwei getrennte Rechtszüge, so daß § 14 Abs. 2 Satz 1 BRAGO zur Anwendung komme. Jedenfalls habe er aber nach seiner Beiordnung im Wege der Prozeßkostenhilfe Tätigkeiten entfaltet, die eine Prozeßgebühr auslösten. Dies sei entscheidend. Eine dem entgegenstehende ausdrückliche Anrechnungsvorschrift gebe es nicht.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Er weist ergänzend auf § 16 BRAGO hin, wonach die im Berufungszulassungsverfahren entstandene Prozeßgebühr mit dessen Abschluß auch fällig geworden sei. Der Prozeßkostenhilfeantrag sei aber erst nach Zulassung der Berufung gestellt worden. Gewähre man eine erneute Vergütung, so stelle sich dies als unzulässige rückwirkende Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Zulassungsverfahren dar. Nach geltendem Recht entstehe schon im Zulassungsverfahren eine 13/10-Prozeßgebühr, die dann auf die Prozeßgebühr im Berufungsverfahren anzurechnen sei.

Gründe

Die Erinnerung des Prozeßbevollmächtigten der Kläger (künftig: Erinnerungsführer) ist statthaft (vgl. § 128 Abs. 3 Satz 1, 19 Abs. 3 BRAGO, 165, 151 VwGO) und auch sonst zulässig. Sie ist insbesondere noch fristgerecht eingelegt worden, da mangels der nach § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen Rechtsbehelfsbelehrung im Kostenfestsetzungsbeschluß nicht die Zweiwochenfrist des § 151 VwGO, sondern die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO zu laufen begann. Die Erinnerung ist auch begründet, weil der Erinnerungsführer gegen die Staatskasse einen Anspruch auf Festsetzung der streitigen 13/10-Prozeßgebühr (§ 11 Satz 4 BRAGO) in der geltend gemachten Höhe von 546,-- DM zzgl. Mehrwertsteuer hat (vgl. §§ 123, 11 BRAGO nebst Anlage).

1. Nach § 121 BRAGO erhält der im Wege der Prozeßkostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt von der Staatskasse grundsätzlich die ihm zustehende gesetzliche Vergütung, die sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 114 BRAGO i.V.m. §§ 31ff. BRAGO richtet. Einschränkungen ergeben sich dem Grunde nach vor allem aus dem (gegenständlichen und zeitlichen) Umfang der Beiordnung im zugrundeliegenden Prozeßkostenhilfebeschluß (vgl. § 122 Abs. 1 BRAGO) und der Höhe nach aus den teilweise geringeren Gebührensätzen (vgl. § 123 BRAGO), die auch hier zur Anwendung kommen.

2. Vorliegend ist allein streitig, ob dem Erinnerungsführer die Prozeßgebühr dem Grunde nach aus der Landeskasse zu erstatten ist. Dabei ist allein das Berufungsverfahren in den Blick zu nehmen. Denn nur für dieses hat der Senat im Beschluß vom 12.2.1998 Prozeßkostenhilfe gewährt und den Erinnerungsführer beigeordnet. In zeitlicher Hinsicht ist dabei ausweislich der Gründe des Beschlusses auf den Zeitraum ab der Entscheidungsreife des Prozeßkostenhilfegesuchs abzustellen. Diese ist mit Eingang des zulässigen und begründeten Prozeßkostenhilfeantrags vom 6.8.1997, dem der erforderliche Bedürftigkeitsnachweis beigefügt war, eingetreten. Die Beiordnung des Erinnerungsführers wirkt mithin auf diesen Zeitpunkt, den 7.8.1997, zurück (zu dieser Möglichkeit vgl. BGH, Beschluß vom 8.10.1991, NJW 1992, 839; OLG München, Beschluß vom 6.11.1969, MDR 1970, 519; Zöller/Philippi, ZPO, 39. Aufl., § 119 RdNr. 40; weitere Nachweise bei Riedel/Sußbauer, BRAGO, 7. Aufl., 1995, § 122 RdNr. 6 und Kopp, VwGO, 10. Aufl., § 166 RdNr. 14). Eine rückwirkende Beiordnung auch für das dem Prozeßkostenhilfeantrag vorangegangene Berufungszulassungsverfahren ist - von Zweifeln an der Zulässigkeit abgesehen (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 8.10.1991, a.a.O., sowie Zöller/Philippi, a.a.O., RdNr. 41) - hingegen weder beantragt noch bewilligt worden. Darauf weist der Urkundsbeamte zu Recht hin.

3. Um die streitige Prozeßgebühr für das Berufungsverfahren (§§ 114 Abs. 1, 31 Abs. 1 Nr. 1, 11 Satz 4 BRAGO) erstattet zu erhalten, müßte der Erinnerungsführer demnach nach dem 7.8.1997 eine diese Gebühr auslösende prozeßfördernde Handlung für die Kläger vorgenommen haben. Denn aus § 122 BRAGO folgt, daß ein Anspruch gegen die Staatskasse nur für Tätigkeiten nach dem Wirksamwerden der Beiordnung begründet wird (vgl. OLG Hamm, Beschluß vom 9.9.1974, Rpfleger 1974, 448; OLG München, a.a.O.; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 12. Aufl., § 122 RdNr. 68). Die Sache wird gebührenrechtlich so angesehen, als sei der Rechtsanwalt erst mit der Beiordnung in den Rechtsstreit eingetreten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16.2.1970, NJW 1970, 757; Beschluß vom 20.3.1974, NJW 1974, 996, OLG Karlsruhe, Beschluß vom 14.11.1984, KostRsp. BRAGO § 122 Nr. 36). Der Erinnerungsführer ist unstreitig nach dem 7.8.1997 prozeßfördernd für die Kläger tätig geworden. Mit Schriftsatz vom 7.4.1998 hat er sowohl prozessuale Erklärungen abgegeben (Verzicht auf mündliche Verhandlung, Zustimmung mit einer Berichterstatterentscheidung) als auch nochmals umfassend zur Sache (obergerichtliche Rechtsprechung zur quasi-staatlichen Verfolgung in Afghanistan) Stellung genommen.

4. Der Erstattungsanspruch entfällt nicht deswegen, weil der Erinnerungsführer schon im Zulassungsverfahren (und damit vor Wirksamkeit der Beiordnung) für den Kläger in einer die Prozeßgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO auslösenden Weise tätig geworden ist.

4.1 Dies ergibt sich entgegen der Auffassung des Erinnerungsführers allerdings nicht schon daraus, daß das Zulassungsverfahren und das Berufungsverfahren eigenständige Rechtszüge bildeten mit der Folge, daß für jedes Verfahren eine gesonderte 13/10-Prozeßgebühr nach §§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 11 Abs. 1 Satz 4 bzw. Satz 6 BRAGO entstanden wäre. Denn nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO gehören alle einem Rechtsmittel vorgeschalteten Zulassungsverfahren - mit Ausnahme des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BRAGO) - zum Rechtszug des Rechtsmittels. Dies gilt auch für Asylverfahren. Die frühere Sonderregelung des § 78 Abs. 6 AsylVfG, wonach das Verfahren auf Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3ff. AsylVfG der Nichtzulassungsbeschwerde gleichstand und damit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BRAGO gebührenrechtlich einen eigenständigen Rechtszug bildete (vgl. dazu auch Beschluß des Senats vom 7.3.1997 - A 16 S 3449/96; Hess. VGH, Beschluß vom 8.8.1997 - 12 UZ 4496/96.A), ist durch das 6. VwGOÄndG vom 1.11.1996 (BGBl. I, 1626, 1629) mit Wirkung vom 1.1.1997 ersatzlos weggefallen.

Damit hat sich seit Inkrafttreten des im Wortlaut eindeutigen § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO die Rechtslage in gebührenrechtlicher Hinsicht entgegen der Auffassung des Erinnerungsführers sehr wohl geändert (vgl. Senatsbeschluß vom 7.3.1997, a.a.O., sowie unten). Dies verkennt der vom Erinnerungsführer zitierte Beschluß des Hess. VGH vom 8.8.1997 (a.a.O.). Dessen Hinweis auf § 114 Abs. 4 BRAGO n.F. als Beleg für die gegenteilige Auffassung kann nach Überzeugung des Senats nicht durchgreifen. § 114 Abs. 4 BRAGO schreibt die gebührenrechtliche Rechtslage des § 78 Abs. 6 AsylVfG a.F./§ 14 Abs. 2 Satz 1 BRAGO (getrennte Rechtszüge mit kumulativ anfallenden Gebühren) für das Zulassungsverfahren nicht fort, sondern bestimmt - in Klarstellung der Rechtsfolgen der §§ 14 Abs. 2 Satz 2, 11 Satz 6 BRAGO - lediglich, daß der Rechtsanwalt die vollen Berufungsgebühren in Höhe von 13/10 auch dann erhält, wenn die Berufung nicht zugelassen wird. Am Grundsatz der gebührenrechtlichen Einheit beider Verfahren ändert sich dadurch nichts; dieser wird vielmehr vorausgesetzt. Im übrigen lag der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs aber auch kein Streit um den Begriff des "Rechtszugs" nach der BRAGO, sondern eine Auseinandersetzung um die Merkmale des "Rechtszugs" nach § 166 VwGO i.V.m. § 119 ZPO zugrunde. Bei letzterem steht aber die Frage der Reichweite der Prozeßkostenhilfe im Vordergrund. Daher kommt es bei § 119 ZPO für die Frage, ob unterschiedliche Verfahrensabschnitte einen einheitlichen Rechtszug bilden, nicht nur auf kostenrechtliche Aspekte, sondern auch auf den notwendigen inneren Zusammenhang der Verfahrensabschnitte an (vgl. dazu BVerwG, Beschluß vom 29.11.1994 - BVerwG 11 Kst 1.94 -, Buchholz 310 § 139 Abs. 2 VwGO Nr. 2 = DÖV 1985, 384). Diesen inneren Zusammenhang verneint der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die prozessuale Eigenständigkeit des Berufungszulassungsverfahrens und der Berufung. Wegen der in beiden Verfahren häufig unterschiedlichen Erfolgskriterien sei eine einheitliche prognostische Beurteilung i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (hinreichende Erfolgsaussicht) nicht möglich. Ob dem zu folgen ist (anders wohl BVerwG, a.a.O.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

4.2 Daß eine im Zulassungsverfahren angefallene Prozeßgebühr keinen Einfluß auf den öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch des erst im Berufungsverfahren beigeordneten Rechtsanwalts hat, folgt aber aus Systematik und Zweck der §§ 14 Abs. 2 Satz 2, 13 Abs. 2 Satz 2 BRAGO und § 122 BRAGO sowie dem besonderen Charakter der Prozeßgebühr.

§ 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO fingiert, daß das Zulassungsverfahren und das Berufungsverfahren - ungeachtet ihrer prozessualen Selbständigkeit und abweichend von der Legaldefinition in § 37 Nr. 1 BRAGO - gebührenrechtlich einen einheitlichen Rechtszug bilden. Durch diese Verbindung sind beide Verfahren in ihrer Gesamtheit gebührenrechtlich herkömmlichen prozessualen Rechtszügen gleichgestellt. § 114 Abs. 4 BRAGO steht dem, wie dargelegt, nicht entgegen. Er hat Bedeutung nur für den Fall, daß das Berufungszulassungsverfahren negativ abgeschlossen wird, es zum Berufungsverfahren also gar nicht kommt (vgl. § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG). Ansonsten gelten für die Entstehung und Erstattungsfähigkeit der Gebühren uneingeschränkt die allgemeinen Regelungen. Die jeweilige Gebühr kann im Zulassungs- und Berufungsverfahren nur einmal gefordert werden (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 BRAGO). Dies gilt für die normalerweise auf singuläre Ereignisse bezogenen Gebühren (Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisgebühr) ebenso wie für die Prozeßgebühr, die sich als "Dauergebühr" darstellt, die dem Grunde nach durch den Prozeßbetrieb ständig anfällt, jedoch - pauschal - nur einmal abgegolten werden soll (so zutreffend OLG Hamm, Beschluß vom 9.9.1974, Rpfleger 1977, 448). Für das Entstehen des Vergütungsanspruchs nach §§ 121, 122 Abs. 1 BRAGO kommt es damit nur darauf an, ob der Rechtsanwalt nach dem Wirksamwerden der Beiordnung den jeweiligen Gebührentatbestand erstmals oder erneut verwirklicht hat (vgl. BGH, Beschluß vom 13.11.1991, NJW 1992, 840; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, a.a.O., § 121 RdNr. 16; Riedel/Sußbauer, BRAGO, 7. Aufl., § 122 RdNr. 7). Dies kann bei der Beweisgebühr etwa aufgrund einer nach der Beiordnung durchgeführten nochmaligen Beweisaufnahme und bei der Verhandlungsgebühr etwa aufgrund einer nach der Beiordnung anberaumten Fortsetzung der mündlichen Verhandlung der Fall sein (vgl. Beispiele bei Gerold/Schmidt u.a., a.a.O., § 122 RdNr. 78). Bei der Prozeßgebühr reicht es aus, wenn der Rechtsanwalt - wie hier - nach der Beiordnung eine gebührenauslösende Tätigkeit (gewissermaßen als "Teilakt" dieser Pauschgebühr) entfaltet. Daß der Gebührentatbestand (durch einen ebenfalls gebührenauslösenden "Teilakt") auch schon vor der Beiordnung verwirklicht wurde, ist unschädlich (vgl. Gerold/Schmidt u.a., a.a.O., § 122 RdNr. 69; ebenso BGH, Beschluß vom 16.2.1970, NJW 1970, 757, und in der Sache auch OLG München, Beschluß vom 6.11.1969, NJW 1970, MDR 1970, 519; a.A. VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 7.4.1998 - A 14 S 52/98). Nach § 122 BRAGO bemißt sich die zu erstattende Prozeßgebühr - wie auch sonst - ausschließlich nach der Sach- und Prozeßlage nach der Beiordnung. Dies hat für den erstattungsberechtigten Rechtsanwalt nicht nur Vorteile. Vielmehr sind auch alle für seine Forderung nachteilige Umstände zu berücksichtigen, wie etwa Einschränkungen des Streitgegenstands oder eine vorzeitige Beendigung des Auftrags nach § 32 BRAGO (zu letzterem vgl. BGH, Beschluß vom 16.12.1970, a.a.O. und vom 20.3.1974, NJW 1974, 996; OLG Hamm, Beschluß vom 9.9.1974, Rpfleger 1974, 448). Die Zuerkennung eines Erstattungsanspruchs nach diesen Grundsätzen hat daher entgegen der Auffassung des Urkundsbeamten mit einer unzulässigen "rückwirkenden" Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nichts zu tun. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der im Berufungsverfahren beigeordnete Rechtsanwalt einen Gebührentatbestand ausschließlich vor der Beiordnung verwirklicht hätte, gleichwohl aber die Gebühr zugesprochen erhielte.

5. Nach alldem hat der Erinnerungsführer damit einen Anspruch auf Vergütung der geltend gemachten Prozeßgebühr. Er hat den Gebührentatbestand nach der Beiordnung im Berufungsverfahren verwirklicht. Daß der Erinnerungsführer die Prozeßgebühr bereits im Zulassungsverfahren - also vor der Beiordnung - verdient hat, ist nach § 122 BRAGO rechtlich unerheblich. Ein im Zulassungsverfahren entstandener Anspruch wäre - sofern er hier überhaupt geltend gemacht werden könnte (vgl. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) - ausschließlich zivilrechtlicher Natur und dem Rechtsverhältnis des Erinnerungsführers als Wahlanwalt zu den Klägern zuzuordnen. Vom - hier allein maßgeblichen - öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch wäre er streng zu trennen. Eine Verbindung zwischen beiden Ansprüchen bestünde nur dann, wenn die Kläger die im Zulassungsverfahren entstandene Prozeßgebühr vor der Beiordnung an den Erinnerungsführer bezahlt hätten. Nach § 129 BRAGO müßte sich der Erinnerungsführer dann die geleisteten Zahlungen - zunächst auf die Differenz zwischen der gesetzlichen und der PKH-Vergütung, sodann auf den Erstattungsanspruch selbst - anrechnen lassen (vgl. dazu Gerold/Schmidt u.a., a.a.O., § 129 RdNr. 2). Derartige Zahlungen haben die Kläger indessen nicht geleistet. Sie wären im übrigen auch nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 2 BRAGO und voraussichtlich auch nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BRAGO fällig gewesen. Denn unter "Angelegenheit" i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 BRAGO wird ein innerlich zusammengehörender, auf einem einheitlichen Auftrag beruhender Lebenssachverhalt verstanden, der sich im gerichtlichen Verfahren jedenfalls in der Regel (d.h. bei entsprechendem Willen des Auftraggebers) auf den gesamten Rechtszug erstreckt, der hier nach positivem Abschluß des Zulassungsverfahrens aber gerade nicht beendet war (vgl. dazu auch Gerold/Schmidt u.a., a.a.O., § 6 RdNr. 6, § 13 RdNr. 5). Andere Anrechnungsvorschriften außer § 129 BRAGO gibt es für den hier maßgeblichen Geschehensverlauf nicht. Das Prinzip der einmaligen Abgeltung der Prozeßgebühr oder anderer Pauschgebühren je Rechtszug (§§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 2 BRAGO) hat mit einer Anrechnung im Rechtssinn nichts zu tun. Denn eine Anrechnung setzt voraus, daß zunächst eigenständige - d.h. auch innerhalb eines Rechtszuges grundsätzlich kumulativ geltend zu machende - Gebühren entstanden sind, die dann in einer zweiten Stufe aus Billigkeitsgründen ineinander aufgehen. Derartige Anrechnungssachverhalte werden in der BRAGO zudem ausdrücklich als solche bezeichnet (vgl. etwa §§ 13 Abs. 2, 20 Abs. 1 Satz 4, 21 a Satz 2, 38 Abs. 1, 43 Abs. 2, 65 Abs. 1 Satz 2, 89 Abs. 2, 101 Abs. 1, 118 Abs. 2 BRAGO).

Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 128 Abs. 5 BRAGO).

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 17.11.1998
Az: A 6 S 2151/97


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