Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. April 2000
Aktenzeichen: 10 W (pat) 56/99

(BPatG: Beschluss v. 03.04.2000, Az.: 10 W (pat) 56/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts - Patentabteilung 1.12 - vom 21. Dezember 1998 aufgehoben.

Gründe

I.

Das am 21. Februar 1986 angemeldete Patent ist durch Beschluß vom 20. Juni 1995 für

"Kupplungsscheiben für eine Flüssigkeitsreibungskupplung und Verfahren zu deren Herstellung"

mit zwölf Patentansprüchen erteilt worden. Veröffentlichungstag der Erteilung ist der 9. November 1995. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Aus einem Stahlblech bestehende, in einem abgeschlossenen, mit einer viskosen Arbeitsflüssigkeit gefüllten Gehäuse angeordnete, lamellenartige Kupplungsscheiben für eine Flüssigkeitsreibungskupplung, dadurch gekennzeichnet, daß die eingeebneten Oberflächen der vor der Einebnung eine Rauhigkeit von 2 bis 25 µm aufweisenden Kupplungsscheiben -(1, 2) eine Rauhigkeit mit einem arithmetischen Mittenrauhwert (Ra) im Bereich zwischen 0,2 und 2,0 µm und eine auf die eingeebnete Oberfläche bezogene Profiltiefe (Pt) im Bereich zwischen 2,0 und 15 µm aufweisen."

Gegen das Patent richtet sich der am 9. Februar 1996 eingegangene Einspruch, mit dem der Widerruf des Patents wegen mangelnder Erfindungshöhe begehrt wird.

Die Einsprechende trägt vor, die Erfordernisse der §§ 1, 3 und 5 - gemeint ist offenbar § 4 - PatG seien nicht erfüllt. Sie habe bereits vor dem Prioritätstag, dem 12. April 1985, Kupplungsscheiben, die die Merkmale nach Anspruch 1 aufwiesen, als Vorserie ohne Bedingung einer Geheimhaltung an die B... AG (i. F.: B...) für den "B...325 I X" geliefert. Diese Kupplungsscheiben gingen aus der Zeichnung (Anlage D1) hervor; sie seien aus dem Werkstoff ST 12.03 gemäß DIN 1623 (Anlage D2) hergestellt. Die Oberflächenausführung des Werkstoffs "matt" ergebe sich auch aus D2, ebenso wie die Oberflächenart "kaltgewalzte Oberfläche" mit einem Mittenrauhwert von 0,5 bis 1,0 µm. Die Rauheitswertbereiche lägen damit in dem des Anspruchs 1 für die eingeebnete Oberfläche. Damit sei nachgewiesen, daß die Kupplungsscheiben zum Stand der Technik gehörten.

Die beanspruchte Profiltiefe ergebe sich zwangsläufig bei dem Herstellungsprozeß durch Walzen bzw Schleifen. Auch der Zwischenzustand mit Rauheitswerten von 2 µm bis 25 µm sei für gewalzte Bleche normal. Eine gesonderte Bearbeitung sei nicht erforderlich. Auch die Auswahl des Materials lasse keine Besonderheiten erkennen. Das als Ausgangsmaterial verwendete durch Kaltwalzen hergestellte Stahlblech werde auch in D1 iVm D2 offenbart. Die Merkmale des Patentanspruchs 1 ergäben sich daher in naheliegender Weise.

Nach Auffassung der Patentinhaberin gehört die Zeichnung D1 nicht zum Stand der Technik. Sie enthalte einen Geheimhaltungsvermerk, so daß keine offenkundige Vorbenutzung vorliege. Die Lieferung der Kupplungen an B... werde bestritten. Selbst wenn sie stattgefunden habe, sei die Vorbenutzung nicht offenkundig, denn die Lamellen würden in das Kupplungsgehäuse uneinsehbar eingebaut und dieses an den Autohersteller geliefert. Dort finde keine Analyse mehr statt.

Durch Beschluß vom 21. Dezember 1998 hat die Patentabteilung 1.12 des Deutschen Patent- und Markenamts den Einspruch wegen nicht ausreichender Substantiierung des Einspruchsvortrags als unzulässig verworfen. Die Einsprechende habe nicht dargelegt, auf welche Weise beliebige sachverständige Dritte von dem Erfindungsgedanken Kenntnis erlangt haben könnten. Die eingebauten Lamellen hätten nicht offenkundig werden können, denn eine Demontage sei nicht nahegelegt gewesen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Beschluß vom 21. Dezember 1998 Bezug genommen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Nach ihrer Auffassung genügt es für die Zugänglichkeit von Informationen, wenn die Öffentlichkeit auf diese Zugriff nehmen könne. Diese Möglichkeit bestehe auch dann, wenn umfangreiche Untersuchungen erforderlich seien. Die Benennung zugriffsberechtigter Personen sei nicht erforderlich, wenn vorbehaltlos an einen gewerblichen Abnehmer geliefert worden sei.

Wegen der Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen.

Die Einsprechende beantragt, den Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts aufzuheben.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, daß entsprechend den Gepflogenheiten in der Automobilindustrie zwischen B... und der Einsprechenden hinsichtlich des Entwicklungsgegenstandes absolute Vertraulichkeit vereinbart worden sei. Die durch die Einsprechende dokumentierten Liefermengen deuteten nicht auf Vorseriennummern, sondern eher auf Prototypenlieferungen hin. Deshalb sei davon auszugehen, daß derartige G...-Lamellenkupplungen den Bereich der B... nicht verlassen hätten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Einspruch gegen das Patent ist zulässig, da er innerhalb der Einspruchsfrist in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise begründet worden ist.

Nach § 59 Abs 1 Satz 4 PatG sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen sollen, "im einzelnen" anzugeben. Es müssen die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände so vollständig dargelegt werden, daß das Patentamt und die Patentinhaberin daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Widerrufsgrundes ziehen können (vgl BGH GRUR 1997, 740 f "Tabakdose"; 1995, 333 "Aluminium-Trihydroxid"; 1993, 651, 653 "Tetraploide Kamille").

Diesen Anforderungen wird der Einspruch gerecht.

Als Stand der Technik beruft sich die Einsprechende auf eine offenkundige Vorbenutzung durch vorbehaltlose Lieferung einer Vorserie von Kupplungsscheiben an B... vor dem Prioritätstag, - gemäß ihrer Darstellung - die die Merkmale nach Patentanspruch 1 aufweisen. Beruft sich der Einsprechende auf fehlende Patentfähigkeit des patentierten Gegenstandes infolge offenkundiger Vorbenutzung, sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 1997, 740 "Tabakdose") bestimmte Angaben in dreierlei Hinsicht erforderlich. Es muß ein bestimmter Gegenstand der Benutzung bezeichnet werden, bestimmte Umstände der Benutzung sind anzugeben, damit überprüft werden kann, ob er der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und es sind Angaben erforderlich, wann der Gegenstand in dieser Weise benutzt worden ist.

Die Einsprechende trägt vor, daß sie Kupplungsscheiben, wie in der Zeichnung vom 13. 11. 84 (D1) dargestellt, hergestellt und an B... geliefert habe.

Die Einsprechende hat auch substantiiert dargelegt, daß diese Lieferung vor dem Prioritätstag und vorbehaltlos erfolgt sei. Beruft sich ein Einsprechender auf offenkundige Vorbenutzung durch die der Patentgegenstand nahegelegt sei, sind weitergehende Ausführungen über die Öffentlichkeit der Benutzungshandlung dann entbehrlich, wenn die Benutzung in einer vorbehaltlosen Lieferung an einen gewerblichen Abnehmer besteht, der den Gegenstand selbst bestimmungsgemäß benutzt oder weiterveräußert (BPatGE 31, 174, 175 mwN). Dem steht nicht entgegen, daß die im vorbenutzten Gegenstand verkörperte technische Lehre durch bloßen Augenschein nicht zu erkennen ist, da die nicht zu fern liegende Möglichkeit besteht, daß die fachkundigen Mitarbeiter von B... eine die technische Lehre enthüllende nähere Untersuchung des vorbenutzten Gegenstandes vornehmen (vgl Busse, PatG, § 59 Rdn 56, 58 mwNachw).

Für B... bestand durchaus Anlaß und die Möglichkeit, die von G... gelieferten Kupplungsscheiben zu untersuchen. Kein Unternehmen mit dem entsprechenden Knowhow wird Kupplungsscheiben in Fahrzeuge einer Serie einbauen, ohne den eingebauten Gegenstand auf seine Funktionsweise und -fähigkeit zu untersuchen. Denn ohne eine derartige Untersuchung wäre die Gefahr von Fehlfunktionen und dadurch entstehenden Schäden zu groß.

Im übrigen hat die Einsprechende in der Einspruchsbegründung zu den kennzeichnenden Merkmalen (Rauhigkeit der Oberfläche, Profiltiefe) des Patentanspruchs 1 unter Bezugnahme auf D1 und D2 im einzelnen vorgetragen. Ob dieser Vortrag zutrifft bzw überhaupt zutreffen kann, ist eine Frage der Begründetheit des Einspruchs.

Für eine Kostenentscheidung nach Billigkeit besteht kein Anlaß.

Bühring Winkler Schuster Mü/Ju






BPatG:
Beschluss v. 03.04.2000
Az: 10 W (pat) 56/99


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