Kammergericht:
Urteil vom 6. Februar 2003
Aktenzeichen: 2 U 187/01

(KG: Urteil v. 06.02.2003, Az.: 2 U 187/01)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 24. Juli 2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung in der Hauptsache durch Sicherheitsleistung in Höhe von 60.000,00 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1-fachen des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung

Sicherheit in Höhe des 1,1-fachen des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe

Der Kläger ist ein gerichtlich anerkannter Wettbewerbsverband im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, zu dessen Mitgliedern auch eine Vielzahl von Gewerbetreibenden gehört, die pharmazeutische Produkte und Lebensmittel in Deutschland vertreiben. Die in den Niederlanden geschäftsansässige Beklagte vertreibt im Fernabsatz € über eine Postfachanschrift in G € das in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassene Mittel "Ribose HP". In der illustrierten Zeitschrift "Sport revue" Heft 8/2000 warb sie auf Seite 29 mit folgender Anzeige:

An dieser Stelle folgt im Original eine Zeitungskopie, die hier nicht abgebildet wird.

Bei Ribose handelt es sich um ein Monosaccharid und einen Zuckerbestandteil von Ribonukleinsäure.

Der Kläger hat unter anderem geltend gemacht, bei "Ribose HP" handele es sich um ein Arzneimittel, das ohne Zulassung nicht beworben werden dürfe. Er hat beantragt,

die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel "Ribose HP" zu werben:

a)"Der Muskelaufbaustoff des 21. Jahrhunderts",b)"Extremer Kraftzuwachs. Schneller Muskelaufbau",c)"Extremer KraftzuwachsDurch eine adäquate Zufuhr an Ribose lässt sich der ATP-Spiegel in der Muskelzelle um das 3-4fache erhöhen. Die einzelnen Muskelfasern sind somit in der Lage, nicht stärker, sondern auch länger zu kontrahieren. Für das Bodybuilding bedeutet dies, dass die Muskelzellen mehr Gewicht über einen längeren Zeitraum bewegen können. Sowohl Studien wie auch empirische Daten sprechen von einem 10-15 %igen Kraftzuwachs nach nur zwei Einnahmewochen",

d)"Schneller MuskelaufbauRibose bewirkt eine rasche Wiederherstellung verbrauchter ATP-Vorräte. Je schneller der Körper ATP regenerieren kann, desto zügiger werden muskelaufbauende Prozesse eingeleitet. Studien haben gezeigt, dass die Dauer des körperlichen Erholungsvorgangs nach schweren Trainingseinheiten durch Ribose um ca. 30 Prozent verkürzt wird. Dies resultiert in einem deutlich besseren Muskelaufbau. Die Proteinsynthese wird schneller aktiviert und der Körper hat Gelegenheit, zusätzliches Muskelgewebe aufzubauen",

e)"D-Ribose: Der Antriebsstoff für die Muskelzellen überhaupt",f)"Extremer Kraftzuwachs durch vermehrte ATP-Bildung",g)"Schneller Muskelaufbau durch verkürzte Regenerationszeit",h)"HP Transportsystem Matrix für maximale Wirkung".Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat Klageabweisung beantragt.

Durch das am 24. Juli 2001 verkündete Urteil hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Dagegen wendet die Beklagte sich mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, zu deren Begründung sie vorträgt:

Das Landgericht habe verkannt, dass es Präsentationsarzneimittel im Sinne der Richtlinie 65/65/EWG (jetzt: RL 2001/83/EG) im nationalen Arzneimittelrecht nicht gebe und dass der Verwendungszweck von Ribose keinesfalls derjenige eines Präsentationsarzneimittels im Sinne des EU-Rechts sei. Abgesehen davon sei fraglich, ob die Aufmachung eines Erzeugnisses oder die Werbung dafür schon ein "Bezeichnen" im Sinne der Legaldefinition dieser Richtlinie sei.

Es komme für die Beurteilung des Rechtsstreits zum einen darauf an, was Ribose stofflich sei. Als Kohlenhydrat diene es der Energiegewinnung und dem Aufbau von Zellkernen und von Körpermasse sowie der Befriedigung der energetischen und stofflichen Bedürfnisse des Menschen. Damit handele es sich um ein Lebensmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 LMBG; dass es auf Grund seiner stofflichen Zusammensetzung überwiegend anderen Zwecken diene als dem der Ernährung, habe der Kläger bisher nicht vorgetragen und das Landgericht auf Grund eigener Sachkunde nicht feststellen können. Zum anderen sei zu fragen, ob das Erzeugnis seiner objektiven Zweckbestimmung nach anderen als Ernährungszwecken diene. Dies habe das Landgericht zu Unrecht bejaht. Es habe dabei nicht geprüft, ob das streitige Produkt als diätetisches Lebensmittel im Sinne von § 1 Abs. 2 DiätVO in Verbindung mit Anlage 8 Gliederungsziffer 7 zu § 4 a Abs. 1 DiätVO angesehen werden könne, wobei zu berücksichtigen sei, dass die DiätVO der Umsetzung der Richtlinie 89/398/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, diene. Das streitige Produkt "Ribose HB" erfülle sämtliche Voraussetzungen von Artikel 1 Abs. 2 lit. a) dieser Richtlinie. Keine Frage sei auch, dass diätetische Lebensmittel Nahrungsergänzungsmittel sein könnten. Dieser Begriff sei einer des europäischen Rechts und deshalb auch nach Gemeinschaftsrecht auszulegen.

Das Vorkommen eines Mangels, in welcher Form auch immer, sei nicht Voraussetzung dafür, dass ein Erzeugnis als diätetisches Nahrungsergänzungsmittel verkehrsfähig sei. Die DiätVO kenne ausdrücklich diätetische Lebensmittel für intensive Muskelanstrengung, vor allem für Sportler. Damit werde eindeutig auf einen begrenzten, sogar eng begrenzten Verbraucherkreis hingewiesen. Für derartige Verbrauchergruppen gebe es auch Spezialnahrungen. Diese könnten auch Nahrungsergänzungsmittel sein, wobei unbeachtlich sei, ob ein solches Erzeugnis ausdrücklich als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnet werde oder für die angesprochenen Verbraucherkreise nur als ein solches Mittel erkennbar sei.

Bei der Frage, ob das Erzeugnis der Beklagten etwa nicht als Lebensmittel (diätetisches Lebensmittel, diätetisches Nahrungsergänzungsmittel) erscheine, komme es nicht auf die allgemeinen Verbraucherkreise an, sondern auf die durch die Produktwerbung angesprochenen. Dabei handle es sich insbesondere um aktive Leistungssportler, die ein ganz anderes Ernährungswissen hätten, als die Gesamtheit der Verbraucher. Diese Verbraucherkreise wüssten, dass es einen trainingsunabhängigen Muskelzuwachs nicht gebe und, dass bei einem starken, leistungsorientierten Training eine Spezialernährung wie durch das Produkt der Beklagten sinnvoll sein könne. Danach könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Werbeanzeige dem Erzeugnis der Beklagten die objektive Zweckbestimmung eines Arzneimittels verleihe.

Mit Blick auf das In-Kraft-Treten mehrerer gemeinschaftsrechtlicher Regelungswerke (RL 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel; VO 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts u. a.; RL 2001/46 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel) hält die Beklagte die Herbeiführung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs u. a. zu der Frage für geboten, ob Stoffe, die als Nahrungsergänzungsmittel i. S. v. Art. 2 lit. a) der RL 2002/46/EG eine physiologische Wirkung entfalten und damit die Funktionsbedingungen des Menschen und dessen Stoffwechsel nennenswert beeinflussen, allein deshalb Arzneimittel i. S. der RL 2001/83/EG sind oder ob es zur Feststellung der Arzneimitteleigenschaft zusätzlich erforderlich ist, dass im Wege einer Risikoanalyse festgestellt wird, dass diese Stoffe in der konkreten Dosierung und Modalität ihrer Anwendung ein ernsthaftes Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen können. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten wird auf die Berufungsbegründung und ihren Schriftsatz vom 21. Januar 2003 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht gemäß den §§ 1, 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, 3 a HWG und 2, 21 AMG zur Unterlassung verurteilt. Auf Grund der im Klageantrag bezeichneten Werbeaussagen stellt sich "Ribose HP" nicht als Lebensmittel, sondern als Arzneimittel dar. Arzneimittel dürfen jedoch nur dann beworben werden, wenn die Voraussetzungen der §§ 2 und 21 AMG erfüllt sind, was vorliegend nicht der Fall ist.

Für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel oder Lebensmittel ist generell die Zweckbestimmung maßgebend, die der Verkehr dem Produkt bzw. den darin enthaltenen Stoffen beilegt (vgl. BGH WRP 2000, 510, 512 € L-Carnitin; WRP 2002, 1141, 1144 f. € Muskelaufbaupräparate). Nach dem Vorbringen des Klägers bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme, in Bezug auf das Produkt "Ribose HP" oder den Stoff Ribose hätte sich im Verkehr allgemein, unabhängig von der streitgegenständlichen Werbung, die Auffassung durchgesetzt, dass es sich hierbei um ein Arzneimittel handelt. Der Kläger leitet die Arzneimitteleigenschaft vielmehr allein aus den konkret angegriffenen Werbeaussagen her und erstrebt dementsprechend auch kein umfassendes arzneimittelrechtlich begründetes Vertriebs- und Werbeverbot, sondern beschränkt seinen Unterlassungsantrag auf das Verbot, für "Ribose HP" mit den konkreten, der streitgegenständlichen Werbung in der "Sport revue" entnommenen Aussagen zu werben (vgl. zur Feststellung der Verkehrsauffassung losgelöst von der individuellen Bewerbung des streitigen Produkts im Einzelfall Doepner, ZLR 2002, 788, 790).

Dass sich keine gefestigte, "Ribose HP" dem Arzneimittelbereich zuordnende allgemeine Verkehrsauffassung feststellen lässt, hat indes nicht zur Folge, dass die angegriffene Werbung nicht nach § 3 a HWG untersagt werden kann. Eine "Werbung für Arzneimittel" im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn sich ein beworbenes, nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften nicht zugelassenes oder als zugelassen geltendes Produktauf Grund der Werbungals Arzneimittel darstellt. Es reicht insoweit aus, dass die jeweils konkret mit der Werbung konfrontierten Verbraucher das Erzeugnis auf Grund dieser Werbung bzw. seiner Aufmachung als Arzneimittel ansehen. Es wäre nämlich weder sachgerecht noch nach den einschlägigen Vorschriften (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG, § 1 LMBG) zwingend erforderlich, ein von diesem konkreten Verkehrskreis einheitlich oder jedenfalls überwiegend als Arzneimittel eingestuftes Produkt als Lebensmittel einzuordnen, bloß weil sich eine allgemeine Verkehrsauffassung noch nicht durchgesetzt hat.

Die angesprochenen Verkehrskreise legen "Ribose HP" auf Grund der angegriffenen Werbeaussagen die Zweckbestimmung eines Arzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG bzw. eines Funktionsarzneimittels im Sinne von Artikel 1 Nr. 2, 2. Alt. RL 2001/83/EG dar. Die streitgegenständliche Werbung ist in einer illustrierten Sportzeitschrift veröffentlicht, die zum Sortiment zahlreicher Zeitschriftenverkaufsstellen gehört. Sie richtet sich an ein am Kraftsport/Bodybuilding interessiertes Publikum sowohl männlichen, als auch weiblichen Geschlechts vornehmlich jüngeren bis mittleren Alters. Zur Zielgruppe der Zeitschrift gehören insbesondere die Besucher von so genannten Fitness-Studios, wozu jugendliche Schüler und Auszubildende ebenso zu zählen sind, wie Studenten und Berufstätige und weitere Bevölkerungsgruppen, insgesamt € und in erster Linie € Freizeitsportler. Daneben mögen auch Leistungssportler (Kraftsportler) zu den Adressaten der Werbung zu zählen sein (vgl. KG ZLR 2001, 576, 587), wobei sich dem Vorbringen der Beklagten allerdings nicht entnehmen lässt, wie im Zusammenhang mit Bodybuilding der Begriff des Leistungssportlers oder der Hochleistungsbereich und die angesprochenen sportlichen Disziplinen näher zu bestimmen und einzugrenzen sein sollen. Jedenfalls beschränken sich die angesprochenen Verkehrskreise entgegen der Behauptungen der Beklagten keinesfalls "insbesondere" (vgl. Berufungsbegründung S. 6 f.) auf aktive Leistungssportler.

Dass die angesprochenen Verkehrskreise "Ribose HP" als Funktionsarzneimittel einordnen, kann der Senat auf Grund des Erfahrungswissens seiner Mitglieder beurteilen (vgl. dazu Bornkamm, Teplitzky-Festgabe, WRP 2000, 830, 832 f.).

Bei der Einordnung eines mit Kraftzuwachs und Muskelaufbau in Verbindung gebrachten Präparats kommt es darauf an, ob die angesprochenen Verkehrskreise diesem auf Grund der Werbung die Zweckbestimmung eines Lebensmittels oder eines (Funktions-)Arzneimittels beilegen. Auch Lebensmittel dienen, wie die Beklagte zutreffend geltend macht, in einem weiteren Sinne der Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen (Art. 1 Nr. 2, 2. Alt. RL 2001/83/EG) bzw. der Beeinflussung der Beschaffenheit, des Zustands oder der Funktionen des Körpers (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 AMG). Bei Lebensmitteln beschränkt sich diese Beeinflussung allerdings bestimmungsgemäß darauf, den für die Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen notwendigen Bedarf an Energie und allen sonst notwendigen Nährstoffen zu liefern. Um ein Arzneimittel handelt es sich dagegen, wenn mit dem Produkt nicht mehr lebensmitteltypische ernährungsphysiologische, sondern pharmakologische Wirkungen erzielt werden sollen.

Der Begriff der "pharmakologischen Wirkung" ist zwar weder € wie sich aus dem eingereichten Gutachten von Dr. S ergibt € in den einschlägigen wissenschaftlichen Disziplinen abschließend geklärt, noch in der Rechtsprechung. Einer solchen Klärung bedarf es aber auch im vorliegenden Fall nicht. Ein Produkt hat jedenfalls dann pharmakologische Wirkung und ist deshalb als Arzneimittel einzuordnen, wenn ihm die Zweckbestimmung und Wirkung beigelegt wird, unmittelbar die Muskelbildung zu beeinflussen. Diese Indikation kommt einem Lebensmittel nämlich bei Weitem nicht mehr zu. Mit sämtlichen angegriffenen Werbeaussagen hebt sich das Produkt "Ribose HP" vom Lebensmittelbereich deutlich ab. Das beginnt bereits mit der Überschrift: "Ribose: Der Muskelaufbaustoff des 21. Jahrhunderts!". Der Begriff "Muskelaufbaustoff" impliziert eindeutig die Zweckbestimmung einer körperlichen Funktions- und Beschaffenheitsbeeinflussung, nicht aber die der Ernährung. Die superlativistische Präsentation ("Der Muskelaufbaustoff ...") und die Bezugnahme auf das 21. Jahrhundert vermitteln überdies den Eindruck, als handele es sich um ein neu entwickeltes Präparat, nicht aber um einen Nährstoff. Die in großen Lettern und in Fettdruck gehaltene Ankündigung "Extremer Kraftzuwachs. Schneller Muskelaufbau." betont die Funktionsbeeinflussung ebenso wie die Werbezeile: "Der Antriebsstoff für die Muskelzellen überhaupt". Letztere lässt im Übrigen die Möglichkeit von Leistungssteigerungen anklingen, wie sie für Doping-Mittel charakteristisch sind.

Auch die Erläuterungen in den Textblöcken mit der Überschrift "Extremer Kraftzuwachs" und "Schneller Muskelaufbau" weisen das Produkt als ein Arzneimittel aus. Im ersteren Block ist davon die Rede, dass der ATP-Spiegel in der Muskelzelle sich "um das 3 bis 4 fache" erhöhen lässt, dass in der Folge die Muskelzellen beim Bodybuilding mehr Gewicht über einen längeren Zeitraum bewegen können und Studien und empirische Daten von einem 10 bis 15 %-igen Kraftzuwachs nach nur zwei Einnahmewochen sprächen. Auch diese Werbeaussagen beschreiben eine Beeinflussung der Körperfunktionen, wie sie nicht mehr für Lebensmittel typisch ist, wohl aber für Arzneimittel. Der Arzneimittelcharakter wird im Übrigen dadurch unterstrichen, dass ein Kraftzuwachs prozentual beziffert und in Beziehung zu einem kurzen zeitlichen Einnahmezyklus (zwei Wochen) gesetzt wird. Damit wartet die Werbung mit Ergebnissen auf, die durch rein ernährungsgestütztes Bodybuilding nicht erzielt werden könnten, wobei der arzneiliche Charakter von "Ribose HP" sprachlich durch Verwendung des Begriffs "Einnahmewochen" unterstrichen wird; "eingenommen" werden nämlich typischerweise Arzneimittel, nicht aber Lebensmittel.

Auch im zweiten Textblock werden keine lebensmitteltypischen Funktionsbeeinflussungen beschrieben. Aus der Einnahme von "Ribose HP" soll danach ein deutlich besserer Muskelaufbau resultieren, die Proteinsynthese soll schneller aktiviert werden und der Körper Gelegenheit haben, zusätzliches Muskelgewebe aufzubauen.

Schließlich ordnen auch die im Klageantrag unter lit. f) bis h) bezeichneten Werbeaussagen "Ribose HP" eindeutig dem Arzneimittelbereich zu.

Die vom Kläger nicht angegriffenen Ausführungen im Textblock der Werbeanzeigen mit der Überschrift "Maximale ATP-Produktion" und die werbemäßige Präsentation des Produkts im Übrigen sind nicht dazu angetan, den den Adressaten der Werbung vermittelten Eindruck zu korrigieren, ein Arzneimittel angeboten zu bekommen. Es handelt sich dabei um Ausführungen, die die Wirkung von "Ribose HP" schildern und dabei den Eindruck der Wissenschaftlichkeit vermitteln sollen. Zweifel an der Arzneimitteleigenschaft des Produkts zu wecken könnten sie allenfalls insoweit geeignet sein, als darin erläutert wird, bei Ribose handle es sich um ein spezielles Monosaccharid. Das setzt aber voraus, dass den angesprochenen Verkehrskreisen durchweg geläufig ist, dass Saccharide Zucker, also Kohlehydrate sind. Über ein so weit gefächertes Allgemeinwissen verfügen die € oben umgrenzten € Verkehrskreise in ihrer Allgemeinheit aber erfahrungsgemäß nicht. Zwar mögen aktiven Wettkampfsportlern zum Teil ernährungswissenschaftliche und lebensmittelchemische Zusammenhänge geläufig sein; es ist, wie bereits ausgeführt, jedoch nicht ersichtlich, dass diese einen maßgeblichen Anteil der insgesamt angesprochenen Verkehrskreise ausmachen. Im Übrigen kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Einsicht, Monosaccharide seien lebensmittelchemisch Kohlehydrate, die angesprochenen Verkehrskreise zwangsläufig zu der Einschätzung veranlasst, "Ribose HP" könne nichts anderes sein als ein Lebensmittel. Insoweit ist zu bedenken, dass die Werbung in ihrer Gesamtheit auf die Leser wirkt und dass deshalb diesem einen, eventuell in die Richtung eines Lebensmittels weisenden Aspekt eine Vielzahl von arzneimittelspezifischen Inhalten gegenübersteht.

Auch die weiteren Ausführungen in dem Textblock "Maximale ATP-Produktion" weisen das Produkt nicht dem Lebensmittelbereich zu. Entsprechendes gilt für die Präsentation der das Produkt enthaltenden, abgebildeten Dose. Sie ist mit drei stilisierten Düsen dargestellt, aus denen Flammen schlagen und gleicht damit dem Bild der Antriebsstufe einer Trägerrakete. Dies lenkt die Vorstellungen des Betrachters jedenfalls eher in die Richtung eines Dopingmittels, als eines Lebensmittels.

Der Anregung der Beklagten, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen, war nicht zu entsprechen. Sie beruht auf der Prämisse, dass es sich bei "Ribose HP" um ein Nahrungsergänzungsmittel im Sinne der Richtlinie 2002/46/EG handelt. Für die Richtigkeit dieser Prämisse bestehen jedoch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Diese Richtlinie gilt gemäß ihrem Art. 1 für Nahrungsergänzungsmittel, die als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden und als solche aufgemacht sind. Wie vorstehend dargelegt, weist die Werbung für "Ribose HP" in der Sport revue dieses Produkt nicht als Lebensmittel aus, sondern als Arzneimittel. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, auf Grund welcher sonstigen Umstände die Annahme gerechtfertigt sein soll, dass die angesprochenen Verkehrskreise "Ribose HP" als ein als Lebensmittel in den Verkehr gebrachtes Erzeugnis einordnen. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten beruht, wie ausgeführt, auf einer unzulässigen Verengung der angesprochenen Verkehrskreise auf Leistungssportler und der gleichzeitigen Unterstellung, dass diesen insgesamt bekannt ist, dass es sich bei "Ribose HP" um ein der Spezialernährung dienendes energiereiches Substrat handelt (Berufungsbegründung S. 8). Zum Bekanntheitsgrad von "Ribose HP" im Kreis der Leistungssportler ist nichts vorgetragen; erst recht nicht zu der Bekanntheit dieses Produkts bei den tatsächlich angesprochenen Verkehrskreisen. Wie ebenfalls vorstehend ausgeführt, weist die Aufmachung des Produkts in der streitgegenständlichen Werbung als stilisierte Raketenantriebsstufe nicht in die Richtung eines Lebensmittels. Auch die Erläuterung der Abkürzung "HP" mit "High Performance Ribose Transportsystem" trägt nicht dazu bei, das Erzeugnis in den Lebensmittelbereich zu rücken.

Zu Unrecht bezweifelt die Berufung, dass die Aufmachung eines Produkts und die Werbung dafür ein "Bezeichnen" i. S. v. Art. 1 Nr. 2, 2. Alt. RL 2001/83/EG darstellt. Ein solches Bezeichnen liegt nach der Rechtsprechung des EuGH bereits dann vor, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis € in Anbetracht seiner Aufmachung € die Wirkung eines Arzneimittels haben müsse. Der Gerichtshof hat dies ausdrücklich zwar nur in Bezug auf die Mittel zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten entschieden (EuGH, Urt. v. 30.11.1983 € Rs. 227/82, LRE 16, 242, 245 € Van Bennekom; Urt. v. 21.3.1991 € Rs. C-60/89, Slg. 1991, I, 1561, 1566 f. Rn. 23 € Monteil und Samanni). Es bestehen jedoch keine vernünftigen Zweifel daran, dass diese Rechtsprechung auch für Funktionsarzneimittel zu gelten hat. Das ergibt sich daraus, dass der Schutzzweck insoweit deckungsgleich ist. Die Verbraucher sollen generell davor geschützt werden, nicht zugelassene aber wirksame oder gänzlich unwirksame Arzneimittel einzunehmen. Das gilt auch für Funktionsarzneimittel, die, ohne Krankheitsbezug, als Mittel zur Veränderung der Körperfunktionen angeboten werden, die diese angekündigte Wirkung aber gerade nicht haben (EuGH, Urt. v. 16.4.1991 € Rs. C-112/89, LRE 28, 19, 22 f. € Upjohn).

Einer Vorlage an den Gerichtshof stehen auch folgende Erwägungen entgegen: Gemäß Artikel 2 der Richtlinie 2002/46/EG sind Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel, die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden, d. h. in Form von zum Beispiel Kapseln, Pastillen, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen. Auch hieran fehlt es. Es ist nicht ersichtlich, dass "Ribose HP" in abgemessenen kleinen Mengen dargereicht würde. Vielmehr ist der Werbung lediglich zu entnehmen, dass das Erzeugnis in Gebinden von 700 g, 1400 g oder 2100 g zu Preisen zwischen 99,00 DM und 267,00 DM bestellt werden kann. "Ribose HP" wird nicht als Nahrungsergänzungsmittel gekennzeichnet und der Senat nimmt an, dass dies deshalb nicht geschieht, weil es den Absatzerwartungen abträglich sein könnte, wenn das Mittel von vornherein auf der Ebene eines Nahrungsergänzungsmittels angeboten wird. Die Beklagte muss befürchten, dass die angesprochenen Verkehrskreise sich von einem als Nahrungsergänzungsmittel klassifizierten Produkt nicht die Wirkungen versprechen würden, die die Werbung hier für das Erzeugnis in Anspruch nimmt.

Es bestehen auch keine zureichenden tatsächlichen Anknüpfungspunkte dafür, dass der von der Werbung angesprochene Verkehr "Ribose HP" € wie die Berufung außerdem meint € als diätetisches Lebensmittel oder diätetisches Nahrungsergänzungsmittel ansehen könnte. Die Personen, die von der Werbung für "Ribose HP" angesprochen werden, kommen zwar als Zielgruppe für diätetische Lebensmittel in Betracht (Lebensmittel für intensive Muskelanstrengungen, vor allem für Sportler, Anlage 8 Nr. 7 zu § 4 a Abs. 1 DiätVO). Produkte können aber unter anderem nur dann als diätetische Lebensmittel eingeordnet werden, wenn sie sich für einen diätetischen Ernährungszweck eignen und mit dem Hinweis darauf in den Verkehr gebracht werden, dass sie für diesen Zweck geeignet sind. Ansonsten liegt kein diätetisches Lebensmittel vor. Der Hinweis muss die in § 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DiätVO vorgeschriebenen Angaben enthalten (vgl. Zipfel/Rathke, Kommentar zum Lebensmittelrecht, § 1 DiätVO Rdnr. 28 a). Dass bei "Ribose HP" dementsprechende Angaben gemacht würden, trägt die Berufung selbst nicht vor. Sie will offenbar die Eigenschaft als diätetisches Lebensmittel allein aus den konkreten Werbeaussagen in der streitgegenständlichen Anzeige herleiten. Das reicht nicht nur nicht aus, vielmehr weisen diese Angaben, wie ausgeführt, im Gegenteil in den Arzneimittelbereich.

Auch sonst, insbesondere auch unter Berücksichtigung der inzwischen in Kraft getretenen VO 178/2002 (EG) gibt der Fall keinen Anlass zu einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof. Es ist zwar richtig, dass mit dieser Verordnung ein eigenständiger, neuer Lebensmittelbegriff eingeführt wird, der auch unmittelbar in Deutschland gilt. Ob er aber, wie die Berufung meint, die Anwendung des § 1 Abs. 1 LMBG ausschließt, erscheint in dieser Allgemeinheit durchaus fraglich. Zwar verzichtet die Legaldefinition der Verordnung darauf, die Lebensmitteleigenschaft ausdrücklich mit Ernährungs- oder Genusszwecken zu verknüpfen, wie dies im deutschen Recht der Fall ist. Gleichwohl werden sich allenfalls höchst ausnahmsweise Produkte finden lassen, die von Menschen "aufgenommen" (Art. 2 VO 178/2002 (EG) werden und die dabei nicht dem Ausnahmekatalog in dieser Vorschrift (lit. a) € h) unterfallen, die aber dennoch nicht zur Ernährung, oder zum Genuss aufgenommen werden. In der Praxis liegt es also nahe, dass die Aufnahme von Lebensmitteln im Sinne der VO 178/2002 (EG) im Wesentlichen ebenfalls zum Zwecke der Ernährung oder des Genusses im weiteren Sinne (Konsum) geschieht. Einer Klärung dieser Frage durch den EuGH bedarf es indes nicht, weil nach dem Regel-Ausnahme-System in Artikel 2 der VO 178/2002/EG der Arzneimitteltatbestand der speziellere Tatbestand gegenüber demjenigen des Lebensmittels ist (vgl. Köhler, GRUR 2002, 844, 845). Der Arzneimittelbegriff, der seine Konturen durch die Rechtsprechung des EuGH erhalten hat, ist nicht nur unverändert geblieben, sondern € in der Auslegung durch den EuGH € nunmehr mittelbar in den Rang einer EG-Verordnung erhoben. Es unterliegt keinem Zweifel, dass "Ribose HP", so wie es hier beworben wird, als Funktionsarzneimittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist. Darunter fallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nämlich auch Mittel, die die Körperfunktionen verändern, ohne dass eine Krankheit vorliegt (EuGH LRE Bd. 28, 19, 22 € Upjohn). Der EuGH ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat zu den Funktionsarzneimitteln auch solche Mittel gezählt, die € ohne Krankheitsbezug €, als Mittel zur Veränderung der Körperfunktionen angeboten werden, die diese angekündigte Wirkung aber gerade nicht haben (EuGH a. a. O.). Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass "Ribose HP" den in der Werbung näher beschriebenen Muskelaufbau in Verbindung mit einem gleich bleibenden Krafttraining hervorrufen kann. Dann aber ist es unweigerlich ein Funktionsarzneimittel im Sinne des Gemeinschaftsrechts. Aber selbst wenn mit der Einnahme des Mittels nicht die von der Werbung versprochenen Effekte einhergingen, so würde gleichwohl ein Mittel zur Veränderung der Körperfunktionen angeboten, welches die angekündigte Wirkung gerade nicht hat und deshalb ebenfalls als Arzneimittel anzusehen wäre.

Eine Vorlage an den EuGH kam schließlich auch nicht unter dem von der Berufung angeführten Moment der Gesundheitsgefährdung von Arzneimitteln in Betracht. Der EuGH macht das Vorliegen von gesundheitlichen Gefahren nicht zur unabdingbaren Voraussetzung für die Bejahung der Arzneimitteleigenschaft (vgl. KG, Urt. v. 15.11.2002 € 5 U 207/02 mwN).

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor, nachdem der Bundesgerichtshof sich erst in seinem Urteil vom 11. Juli 2002 € Muskelaufbaupräparate € zum Verhältnis der VO (EG) 178/2002 zum nationalen Arzneimittelrecht geäußert hat. Der vorliegende Fall bietet auf Grund der Eindeutigkeit, mit der das streitgegenständliche Produkt "Ribose HP" als Funktionsarzneimittel angeboten wird, auch vom tatsächlichen her keinen Anlass, die Revision zuzulassen.






KG:
Urteil v. 06.02.2003
Az: 2 U 187/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/64c29ea1d45e/KG_Urteil_vom_6-Februar-2003_Az_2-U-187-01




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share