Verwaltungsgericht Freiburg:
Beschluss vom 27. Januar 2016
Aktenzeichen: A 5 K 570/13

(VG Freiburg: Beschluss v. 27.01.2016, Az.: A 5 K 570/13)

Ein Prozessbeteiligter, der Erstattung seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Kosten verlangen kann (§ 162 Abs. 1 VwGO), hat Anspruch auf die Erstattung fiktiver Reisekosten seines Prozessbevollmächtigten ab dem vom Sitz des Verwaltungsgerichts weitest entfernten Ort im Gerichtsbezirk und nicht nur ab seinem Wohnort im Gerichtsbezirk, wenn sich sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung durch einen am Ort des Verwaltungsgerichts niedergelassenen Anwalt vertreten lässt.

Tenor

Auf die Erinnerung der Kläger wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 09.04.2015 in der Fassung des Beschlusses vom 23.06.2015 geändert. Die von der Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten werden auf weitere 13,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 20.03.2015 festgesetzt.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Erinnerungsverfahrens.

Gründe

Die Entscheidung ergeht durch den Vorsitzenden, der nach dem Ausscheiden des früheren Berichterstatters aus der Kammer für das Verfahren zuständig geworden ist. Mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter hatten sich die Beteiligten in der Hauptsache und damit auch für die hier zu treffende Kostenentscheidung einverstanden erklärt (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

Mit der Erinnerung gegen den Kostenfeststellungsbeschluss der Urkundsbeamtin machen die Kläger nicht mehr eine Gebühr für die Wahrnehmung der Termins zur mündlichen Verhandlung durch einen in Freiburg niedergelassenen Rechtsanwalt gemäß Nr. 3401 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG geltend. Sie verlangen auch nicht mehr die Erstattung fiktiver Reisekosten ab dem Sitzort ihrer Prozessbevollmächtigten in Ravensburg, sondern nur noch ab Konstanz als vom Sitz des Verwaltungsgerichts Freiburg weitest entferntem Ort im Gerichtsbezirk. Streitig sind demnach noch (nach Anwendung der Kostenquote von ¼) fiktive Reisekosten in Höhe von 13,39 EUR (vgl. die Berechnung der Urkundsbeamtin AS 187).

Die statthafte, rechtzeitig eingelegte und auch sonst zulässige Erinnerung (§ 165 i.V.m. § 151 VwGO) hat Erfolg.

Es entspricht wohl ganz überwiegender Auffassung, dass aufgrund des das gesamte Kostenrecht und damit auch § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO beherrschenden Grundsatzes der Kostenminimierung (vgl. dazu auch § 162 Abs. 1 VwGO) die Reisekosten eines Rechtsanwalts in der Regel nur dann voll zu erstatten sind, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz seines Mandaten hat. Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beauftragte Rechtsanwalt seine Kanzlei weder am Wohnsitz noch am Gerichtssitz hat (€Rechtsanwalt am dritten Ort€), werden danach nur bei Vorliegen besonderer Gründe ausnahmsweise erstattet. Ist die Notwendigkeit der Einschaltung eines Rechtsanwalts am dritten Ort zu verneinen, muss sich der Kostengläubiger mit der Erstattung der fiktiven Reisekosten eines Anwalts am Sitz des Gerichts oder am Wohnsitz des Klägers zufrieden geben (vgl., zum Ganzen, Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 162 Rdnr. 50 ff, Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 162 Rdnr. 11, jeweils m.w.N.; ferner z.B. auch Nds. OVG, Beschl. v. 20.04.2015 - 12 OA 197/14 - Rn. 9 m.w.N. im Anschluss an Bayer. VGH, Beschl. v. 24.02.2010 - 11 C 10.81 -, VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.06.2000 - 6 S 931/99 -, alle juris und m.w.N., so auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 91 ZPO, z.B. Beschl. v. 07.06.2011 - VIII ZB 102/08 - NJW 2011, 1430).

Nach diesen Grundsätzen könnten die Kläger fiktive Reisekosten ihrer Prozessbevollmächtigten nicht ab Ravensburg beanspruchen. Denn der Umstand, dass Verwandte der Kläger in oder in der Nähe von Ravensburg wohnen, begründet trotz der wohl gegebenen Schwierigkeiten der Kläger, sich in der Bundesrepublik Deutschland zurecht zu finden, noch keine Ausnahme von dem oben angeführten Grundsatz; anerkannt ist insoweit, dass in aller Regel die Reisekosten eines sogenannten auswärtigen Rechtsanwalts nur dann ausnahmsweise erstattungsfähig sind, wenn der von der Partei beauftragte Rechtsanwalt über besondere Fachkenntnisse verfügt und der Streitfall Fragen aus dem betreffenden Fachgebiet von solcher Schwierigkeit aufwirft, dass eine verständige Partei zur angemessenen Wahrnehmung ihrer Rechte die Hinzuziehung gerade eines solchen Anwalts für ratsam halten muss, oder wenn ein im Verwaltungsverfahren oder in einer Vorinstanz entstandenes Vertrauensverhältnis einen objektiven Grund für eine verständige und das Kosteninteresse des Prozessgegners berücksichtigende Partei abgeben kann, dem bereits gewählten Anwalt ihres Vertrauens, der seine Kanzlei nicht am Gerichtssitz oder an ihrem Wohnsitz hat, für die weitere Vertretung zu behalten.

Die Kammer folgt der dargelegten herrschenden Rechtsauffassung nicht. Denn zu Recht weisen die Kläger sinngemäß darauf hin, dass der €das Kostenrecht beherrschende€, u.a. § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu entnehmende Grundsatz der Kostenminimierung aufgrund der seit dem Jahr 2007 geltenden Fassung von § 121 Abs. 3 ZPO eine andere, großzügigere Bedeutung erfahren hat. Demzufolge haben die Kläger Anspruch auf die Erstattung fiktiver Reisekosten ihrer Prozessbevollmächtigten ab dem vom Sitz des Verwaltungsgerichts weitest entfernten Ort im Gerichtsbezirk und nicht nur ab ihrem Wohnort im Gerichtsbezirk. Das ergibt sich im Einzelnen am Folgendem (vgl. Reichling, in: Beck´scher Online-Kommentar ZPO, Vorwerk/Wolf, § 91 ZPO Rdnr. 32, 33):

Nach § 18 Abs. 1 BRAO a.F. musste jeder Rechtsanwalt bei einem bestimmten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugelassen sein. Ferner regelte § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, dass Mehrkosten, die dadurch entstanden, dass ein Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hatte, an dem sich das Prozessgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befand, nicht zu vergüten waren. § 121 Abs. 3 ZPO bestimmte, dass ein nicht bei dem Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe nur beigeordnet werden durfte, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstanden. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass die Erstattung von Auslagen und Reisekosten des Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren vermieden werden konnte. § 18 Abs. 1 BRAO ist aber durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.3.2007 (BGBl. I 358) mit Wirkung zum 01.06.2007 aufgehoben worden. Seither ist die Anwaltszulassung nicht mehr an ein bestimmtes Gericht gebunden. Zugleich mit der Streichung des § 18 BRAO wurde auch § 121 Abs. 3 ZPO neu gefasst. Seither kann ein nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen. Zwar lässt sich auch dadurch die Erstattung von Auslagen und Reisekosten des Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren einschränken. Der Umfang der Einschränkung ist aber weniger weit reichend als der nach altem Recht, weil die an die Stelle der BRAGO getretenen Regelungen des § 46 RVG i.V.m. Nr. 7003 ff. Vergütungsverzeichnis RVG hinsichtlich der Erstattung von Fahrtkosten, Abwesenheitsgeldern und sonstigen Auslagen keine dem § 126 Abs. 1 Satz 2 BRAGO entsprechende Einschränkung der Vergütungspflicht mehr enthalten. Vielmehr ist gemäß der Vorbemerkung 7 Abs. 2 vor Vergütungsverzeichnis Nr. 7000 Vergütungsverzeichnis zum RVG eine Geschäftsreise immer dann gegeben, wenn das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet. Reisekosten, die dadurch entstehen, dass der im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassene Rechtsanwalt seine Kanzlei oder Wohnung nicht am Gerichtsort unterhält, sind dem beigeordneten Rechtsanwalt deshalb immer zu erstatten, wenn er nicht ausdrücklich darauf verzichtet.

Dementsprechend erfolgt eine Beiordnung eines außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalts im Allgemeinen nur zu den Bedingungen eines im Bezirk des Gerichts ansässigen Rechtsanwalts und erhält dieser Reisekosten nur, aber immerhin, ab der am weitesten vom Gerichtsort entfernten Gemeinde (weitergehend, für eine Beiordnung auch des nicht im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts am oder in der Nähe des außerhalb des Gerichtsbezirks gelegenen Wohnorts des Klägers, VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.04.2015 - 11 S 124/15 -, NVwZ-RR 2015, 839). § 121 Abs. 3 ZPO n.F. hat zur Folge, dass dem beigeordneten, außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalt in deutlich größerem Umfang, eben gerechnet ab dem vom Sitz des Gerichts am weitesten entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks, Reisekosten aus der Staatskasse erstattet werden als früher, als noch auf die Zulassung am Prozessgericht abgestellt wurde (OLG Oldenburg, Beschl. v. 16.02.2010 - 11 WF 33/10 - JurBüro 2010, 433). Ohne die oben dargestellte Beschränkung der Beiordnung besteht sogar ein Anspruch auf volle Erstattung der Reisekosten ab dem Ort der Niederlassung des Anwalts.

Ist aber, im Interesse einer freieren Anwaltswahl, sogar im Prozesskostenhilferecht die Möglichkeit eröffnet, Reisekosten des außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalts in dem dargestellten Umfang abzurechnen, können der der Grundsatz der Kostenminimierung und damit auch § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht mehr enger verstanden werden; für die Erstattungsfähigkeit fiktiver Reisekosten gilt nichts Anderes.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei (Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 151 Rn. 4).

Eine Beschwerde ist ausgeschlossen (allgemein nach § 80 AsylVfG, hier auch nach § 146 Abs. 3 VwGO).






VG Freiburg:
Beschluss v. 27.01.2016
Az: A 5 K 570/13


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