Amtsgericht Köln:
Beschluss vom 23. Januar 2004
Aktenzeichen: 71 IN 1/04

(AG Köln: Beschluss v. 23.01.2004, Az.: 71 IN 1/04)

Tenor

wird heute, am 23.01.2004, um 18:30 Uhr das Insolvenzverfahren als Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 1, 27 ff. EUInsVO eröffnet.

Gründe

I.

Die Schuldnerin ist im Handelsregister des Amtsgerichts Köln unter HRB … eingetragen. Ihr Geschäftsgegenstand besteht in der Herstellung und Zulieferung von Komponenten aus Kunststoff für die Automobilproduktion. Die Schuldnerin beschäftigt 103 Arbeitnehmer an ihrem Produktionsstandort in L. bei K. Sämtliche Geschäftsanteile der Schuldnerin werden von der M. B. Group Limited in T., England gehalten.

Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 31.12.2003, bei Gericht eingegangen am selben Tage, beantragte der alleinige Geschäftsführer der Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens . Bereits am 19.12.2003 hatte der High Court of Justice bei dem Birmingham District Registry auf der Grundlage des Abschnitts 22 der Schedule B 1 des United Kingdom Insolvency Act von 1986 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und die Herren O. U. und B. N. zu Joint Administrators (gemeinsame Verwalter) der Schuldnerin ernannt. In der administration order hatte das Gericht bestimmt, dass es sich hierbei für den Zweck von Art. 3 der Europäischen Insolvenzverordnung um ein "Hauptverfahren" handelt (".. that these are the main proceedings for the purposes of Article 3 of the EC Regulation"). Zur Unterstützung seines Insolvenzantrags vor dem englischen Gericht hatte der Geschäftsführer der Schuldnerin erklärt und im einzelnen näher begründet, dass die Schuldnerin insolvent sei und sich der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in England befände.

Die Herren O. U. und B. N. waren darüber hinaus am 18.12.2003 auch zu Joint Administrators der M. B. Group Limited einerseits und der B. Ltd. andererseits ernannt worden.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 30.12.2003 beantragten die Joint Administrators die Aussetzung der Verwertung gemäß Art. 33 EUInsVO. Durch Beschluss vom 12.1.2003 ordnete das Gericht die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte, dass Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zulässig seien. Diesen Beschluss änderte das Gericht durch weitere Beschlüsse vom 15.1.2004 ab. Am 21.1.2004 hob das Gericht den Beschluss vom 12.1.2004 insgesamt auf.

Mit Schreiben vom 20./21.1.2004 beantragten die Joint Administrators die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin und die Anordnung der Eigenverwaltung. Mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 21.1.2004 stellte der Geschäftsführer der Schuldnerin ebenfalls einen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung.

II.

Die Eröffnungsanträge der Schuldnerin und der Joint Administrators sind zulässig.

1.

a. Die Internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Köln ist gemäß Art. 3 Abs. 2 EUInsVO gegeben.

aa. Bei dem Antrag der Schuldnerin vom 31.12.2003 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen handelt es um einen Antrag auf Eröffnung eines Sekunärinsolvenzverfahrens i.S.d. Art. 3 Abs. 3 S. 1 InsVO. Als Sekundärinsolvenzverfahren werden die am Ort einer Niederlassung des Schuldners durchgeführten Insolvenzverfahren bezeichnet, die erst nach Eröffnung eines Hauptverfahrens eröffnet worden sind.

Sekundärinsolvenzverfahren sind gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUInsVO nur zulässig, wenn es sich bei ihnen um Liquidationsverfahren i.S. der Legaldefinition in Art. 2 lit c EUInsVO handelt. Sie dürfen also nicht die Sanierung, sondern müssen die Liquidation des Schuldnervermögens zum Ziel haben (Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 549). Als Sekundärinsolvenzverfahren kommen in Deutschland nur das Konkurs- , Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren in Betracht (vgl. Anhang B der EUInsVO). Sowohl die Schuldnerin als auch die Joint Aminsitrators haben einen entsprechenden Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt.

bb. In Deutschland befindet sich auch eine Niederlassung der Schuldnerin i.S.d. Art. 2 lit h EUInsVO. Nach dieser Vorschrift ist eine "Niederlassung" jeder Tätigkeitsort, "an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt". Vorliegend kann dahinstehen, ob ein Sekundärinsolvenzverfahren nur über unselbständige Niederlassungen durchgeführt werden darf oder auch über selbständige (siehe dazu Paulus, NZI 2003, 1725, 1728; Ehricke, EWS 2002, 111 ff.; Virgos/Schmidt, Erläuternder Bericht Rdn. 43 a). Denn das in Deutschland belegene Vermögen der Schuldnerin - und nur darum geht es nach der Eröffnung des Hauptverfahrens in England - erfüllt die Definition des Niederlassungsbegriffs aus Art. 2 lit h EUInsVO. Die in L. belegenen Mittel dienen ohne Zweifel wirtschaftlichen Aktivitäten. Dort wird produziert und es werden 103 Mitarbeiter zur der Herstellung und Zulieferung von Komponenten aus Kunststoff für die Automobilproduktion eingesetzt.

cc. Dem Antrag der Schuldnerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens vorausgegangen. Durch administration order vom 19.12.2003 hat der High Court of Justice bei dem Birmingham District Registry auf der Grundlage des Abschnitts 22 der Schedule B 1 des United Kingdom Insolvency Act von 1986 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Das englische Gericht hat bei seiner Entscheidung ausdrücklich auf Art. 3 EUInsVO Bezug genommen. Damit hat das Gericht zum Ausdruck gebracht, dass es die europäische Dimension seiner Entscheidung erkannt hat und gerade nicht ein rein nationales Verfahren zu eröffnen beabsichtigte. Das durch den High Court of Justice bei dem Birmingham District Registry eröffnete Verfahren ist demnach das Hauptverfahren i.S. der Europäischen Insolvenzverordnung.

dd. Die Eröffnung dieses Verfahrens ist in allen übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft anzuerkennen, sobald die Entscheidung im Eröffnungsstaat wirksam geworden ist (Art. 16 Abs. 1 EUInsVO). Die Anerkennung erfolgt nach dem Erwägungsgrund Nr. 22 S. 2, Nr. 24 S. 1 ipso iure, d.h. automatisch. Diese Feststellung kann im Rahmen der Europäischen Insovenzordnung nur dann eingeschränkt werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 26 EUInsVO vorliegen. Für einen Verstoß gegen den ordre public liegen keine Anhaltspunkte vor. Abgesehen davon soll sich nach Erwägungsgrund Nr. 22 die Anerkennung der Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens stützen. Die Entscheidung des zuerst eröffnenden Gerichts sollte einer Überprüfung nicht unterzogen werden dürfen.

b. Das Amtsgericht Köln ist für das Sekundärinsolvenzverfahren auch örtlich zuständig.

Nach § 1 Abs. 2 Art. 102 EGInsO Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren ist bei Bestehen einer Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 3 Abs. 2 EUInsVO ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Niederlassung des Schuldners liegt. Wie bereits oben festgestellt wurde, sind die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 EUInsVO erfüllt. Die Niederlassung der Schuldnerin befindet sich in L. und damit im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Köln.

2.

a. Nach Art. 29 lit a EUInsVO bzw. § 356 Abs. 2 InsO sind die Joint Administrators befugt, als Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens einen Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen. Dieses Recht haben sie mit Schreiben vom 20. bzw. 21.1.2004 wahrgenommen.

b. Darüber hinaus steht auch der Schuldnerin ein solches Antragsrecht zu. Hiervon hat sie durch Antrag ihres Geschäftsführers vom 31.12.2003 Gebrauch gemacht.

aa. Die Befugnis der Schuldnerin, einen Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens über ihr Verfahren zu stellen, folgt aus Art. 29 lit b EUInsVO. Danach kann jede andere Person oder Stelle, der das Antragsrecht nach dem Recht des Mitgliedsstaats zusteht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll, die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beantragen. Das Antragsrecht der Schuldnerin folgt aus § 13 InsO (so auch Kemper, ZIP 2001, 1609, 1613; Lüke, ZZP 111 (1998), 302; Paulus, NZI 2001, 505, 514; Duursma-Kepplinger/Duursma, Chalupsky, EUInsVO, Kommentar, Art. 29 Rdn. 8). § 354 InsO steht dem nicht entgegen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist bei Partikularverfahren nur auf Antrag eines Gläubigers die Eröffnung eines besonderes Insolvenzverfahrens über das inländische Vermögen des Schuldners zulässig. Die ausschließliche Erwähnung des Gläubigerantrags soll klarstellen, dass der Schuldner nicht berechtigt ist, ein unabhängiges Insolvenzverfahren zu beantragen. Er soll nicht versuchen, ohne Beantragung eines Hauptinsolvenzverfahrens die Unternehmung von ihren Rändern her zu liquidieren (so die Begründung zu § 354 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, Bundesrat-Drucks. 715/02, S. 30/31). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Schuldnerin hat bereits in England die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens beantragt, weil sich dort der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen befindet.

bb. Der Umstand, dass durch administration order vom 19.12.2003 das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf die joint administrator übergegangen ist (Abschnitt 14 und Schedule (1) des United Kingdom Insolvency Act von 1986 in Verbindung mit den Regelungen der Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 2, 17 und 19 Abs. 1 der EUInsVO), steht der Befugnis des Geschäftsführers der Schuldnerin, in Deutschland einen Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen, nicht entgegen. Zwar sprechen aus diesem Grunde zahlreiche Stimmen in der Literatur dem Schuldner das Antragsrecht ab (Duursma-Kepplinger/Duursma, Chalupsky, EUInsVO, Kommentar, Art. 29 Rdn. 8; FK-InsO/Wimmer Anhang I Art. 102 EGInsO Rdn. 387, Uhlenbruck/Lüer, Art. 102 EGInsO, Rdn. 200). Diese Auffassung läßt indes unberücksichtigt, dass grundsätzlich auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gesellschaftsorgane mit ihren Aufgaben bestehen bleiben (näher dazu Gutsche, Die Organkompetenzen im Insolvenzverfahren, 2003, S. 94 ff.). Die Wirkung der Insolvenzeröffnung nach deutschen Recht beschränkt sich auf den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Insolvenzmasse gehörende Vermögen nach § 80 Abs. 1 InsO und die Auflösung der Gesellschaft gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Wenn auch dieser Übergang einen Kompetenzverlust der nach dem Gesellschaftsrecht zuständigen Organe zur Folge hat, stehen der insolventen Gesellschaft im Insolvenzverfahren gleichwohl zahreiche Mitwirkungs- und Verfahrensrechte zu (z.B. §§ 34, 156, 158 Abs. 2, 161, 219, 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Zu deren Wahrnehmung bedarf es grundsätzlich einer Organstruktur. Diese Befugnisse gehören zum Zuständigkeitsbereich der vertretungsberechtigten Organe und wirken insoweit kompetenzzuweisend.

Wäre die Schuldnerin tatsächlich nicht antragsberechtigt, liefe die Vorschrift des Art. 29 lit b., die jeder anderen Person oder Stelle, der das Antragsrecht nach dem Staat des Mitgliedsstaats zusteht, ein Antragsrecht zubilligt, leilweise ins Leere.

Das Gericht hat nicht unberücksichtigt gelassen, dass nach Art. 4 Abs. 1 für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats gilt, in dem das Verfahren eröffnet wird. Selbst wenn nach englischem Recht mit der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens sämtliche Antragsbefugnisse der organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin auf die Joint Administrators übergegangen sein sollten, läge ein zulässiger Eröffnungsantrag gleichwohl vor, weil die Joint Administrators mit Schreiben vom 20./21.1.2004 in - zulässiger Weise - einen Insolvenzantrag gestellt haben.

III.

Die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind auch begründet.

Es kann dahinstehen, ob bei Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens die nationalen Eröffnungsvoraussetzungen nicht gegeben sein müssen (so

Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht zur EUInsVO, 32 (106); dagegen Balz, ZIP 1996, 948, 953; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 231). Jedenfalls steht nach den Feststellungen des vom Gericht gemäß Beweisbeschluss vom 12.1.2004 beauftragten Sachverständigen Dr. S. in seinem Sachverständigengutachten vom 21.1.2004 , denen sich das Gericht vollinhaltlich anschließt, fest, dass die Kosten des Verfahrens gedeckt sind. Eine erneute Überprüfung der Insolvenz findet dagegen nach Art. 27 Abs. 1 S. 1 EUInsVO nicht statt.

IV.

Die Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung ist zulässig und begründet.

1.

Zunächst bestehen aus Sicht der EUInsVO keine Bedenken gegen die Anordnung der Eigenverwaltung in einem Sekundärinsolvenzverfahren. Unbestritten fällt auch die Eigenverwaltung nach deutschem Recht unter den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO, weil sich aus Art. 2 Ziff. b) EuInsVO ergibt, dass Verwalter im Sinne des Gesetzes auch derjenige ist, der nur überwacht, wie beispielsweise der Sachwalter im Rahmen der Eigenverwaltung (MünchnerKommentar-Reinhart, InsO, EuInsVO Art. 1, Rz. 4 m.w.N.). Auch das Gebot der EuInsVO, dass es sich bei dem Sekundärverfahren um ein Liquidationsverfahren handeln muss, steht der Anordnung der Eigenverwaltung nicht entgegen, da diese nicht zwangsläufig auf eine Sanierung des Schuldners gerichtet ist.

2.

Ebensowenig stehen die Wirkungen des Hauptverfahrens der Anordnung der Eigenverwaltung entgegen. Durch die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens bleiben grundsätzlich die Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens bestehen, es werden lediglich einzelne Wirkungen des ausländischen Verfahrens durch die spezielleren Wirkungen des hiesigen Sekundärverfahrens verdrängt. Dies gilt freilich nur insoweit, als die Wirkungen des ausländischen Verfahrens mit den Wirkungen des deutschen Verfahrens kollidieren. Durch die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens wird aus der Masse des Hauptinsolvenzverfahrens quasi ein Teil herausgelöst. Die in Deutschland belegenen Vermögenswerte verlieren nicht den Insolvenzbeschlag des Hauptverfahrens; vielmehr tritt ein spezieller Insolvenzbeschlag hinzu, der den ersten Beschlag nur überdeckt. Die Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens bestehen auch nach Eröffnung des Sekundärverfahrens in Deutschland fort, soweit sie nicht mit den spezielleren Wirkungen des deutschen Verfahrens kollidieren (Kübler/Prütting-Kemper, Art. 102 EGInsO, Rz. 247; Thieme, in: Stoll, Stellungnahmen, S. 212, 247; vgl. auch MünchnerKommentar-Reinhart, InsO, EuInsVO Art. 18, Rz. 1).

Mittelbar läßt sich dies auch aus Art. 18 Abs. 2 EuInsVO entnehmen: wenn sogar der Verwalter des Partikularinsolvenzverfahrens im Ausland seine Befugnisse bezüglich der von dem Partikularinsolvenzverfahren beschlagenen Masse ausüben kann - was freilich nur dann möglich ist, wenn auch das Ausland die Eröffnungswirkungen des Partikularverfahrens anerkennt -, gilt dies erst Recht für den Verwalter des Hauptverfahrens (vgl. Huber, EuZW 2002, 490, 495).

In dogmatischer Hinsicht wird durch das Sekundärinsolvenzverfahren also weder der räumlichen noch der sachlichen Universalität des Hauptverfahrens die Anerkennung verweigert, lediglich in sachlicher Hinsicht wird eine speziellere Regelung getroffen. Trifft das deutsche Insolvenzrecht keine eigenständige Regelung über die Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners, greift die entsprechende Regelung des englischen Hauptverfahrens auch hier wieder ein. Nach Abschnitt 14 und Schedule (1) des United Kingdom Insolvency Act von 1986 in Verbindung mit den Regelungen der Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 2, 17 und 19 Abs. 1 der EUInsVO geht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners auf die vom Gericht bestellten Joint Administrators über.

Die Anordnung der Eigenverwaltung ändert hieran nichts. Zwar ist die Auslegung der §§ 270 ff. InsO im Bezug auf den Übergang bzw. die Belassung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht umstritten (umfassend zum Streitstand: Huhn, Die Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren, Rz. 579 ff. je m.w.N.). Nach zutreffender Ansicht verzichten die §§ 270 ff. InsO im Gegensatz zu einem "normalen" Regelinsolvenzverfahren auf den Übergang der Verfügungsbefugnis und belassen es bei dem status quo. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers.

Nicht argumentieren lässt sich allerdings mit dem Wortlaut der Vorschriften, weil sich aus diesem auch die Auffassung rechtfertigen läßt, dass dem Schuldner mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zunächst entzogen und dann an diesen originär (zurück)übertragen wird.

Auch mit dem Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber bei Schaffung der Eigenverwaltung verfolgt hat, lassen sich beide Auslegungen begründen: Eigenverwaltung soll angeordnet werden, wenn der Betrieb durch den Schuldner aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten für die konkrete Betriebsführung besser durch ihn, als durch einen Verwalter geführt werden kann. Dies müsste dann aber auch der Schuldner selbst, nicht ein anderer Verwalter sein. Allerdings kann im vorliegenden Fall der Verwalter des Hauptverfahrens den Betrieb unter Umständen besser führen, als ein neuer Verwalter, da er durch die bisherige Betriebsfortführung bereits eingearbeitet ist und für Kontinuität bei der Betriebsfortführung sorgt.

Eine Argumentation mit den Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens ist ebenfalls indifferent: Vertreten ließe sich, dass es einen Widerspruch darstellen würde, wenn das Hauptinsolvenzverfahren, das den Schuldner von der Verfügungsbefugnis entbunden hat, hier anerkannt wird, um dann aber mit der Eigenverwaltung durch die Rückgabe der Verfügungsbefugnis dessen Wirkungen wieder außer Kraft zu setzen. Dagegen spricht jedoch, dass die Wirkungen des deutschen Verfahrens für das hiesige Vermögen spezieller sind. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass diese Wirkungen hier (zufällig) zu einem dem Hauptinsolvenzverfahren gegenteiligen Ergebnis führen.

Gegen die Auslegung, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zunächst entzogen und dann an den Schuldner originär (zurück)übertragen wird, spricht aber die Begründung des Gesetzentwurfes des Bundestages. Dort heißt es in der Einleitung des Kapitels zur Eigenverwaltung, dem Schuldner sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis "zu lassen", BT-Drucks. 12/2443. Ergänzt wird dieses Argument indiziell dadurch, dass die zitierte Formulierung in Zusammenhang mit einem Verweis auf das Vergleichsverfahren gebraucht wird, wo anerkannt ist, dass der Schuldner aufgrund seiner eigenen ursprünglichen Rechtsmacht handelt (Huhn, a.a.O. Rz. 591; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 2. Aufl., Rz. 8.13.).

In diese Richtung deutet auch ein Vergleich mit der Vorschrift des § 150b ZVG. Dort können die Rechte des Zwangsverwalters unter bestimmten Umständen ebenfalls auf den Schuldner übertragen werden. Im Gegensatz zu den §§ 270 ff. InsO spricht § 150b ZVG aber ausdrücklich davon, dass "der Schuldner zum Verwalter zu bestellen ist", woraus deutlich wird, dass der Schuldner die Befugnisse des Verwalters nicht behält, sondern originär verliehen bekommt. Wäre das bei der Eigenverwaltung auch gewollt gewesen, hätte sich eine entsprechende Formulierung angeboten.

Auch aus § 270 Abs. 1 Nr. 3 InsO lässt sich ein Indiz für die bloße Erhaltung des status quo herleiten: Der Insolvenzrichter soll bei der Überlegung, ob einem Antrag auf Eigenverwaltung statt zu geben ist, die Prognose treffen, ob durch die Eigenverwaltung Nachteile zu befürchten sind. Als Grundlage für diese Entscheidung kann er nur auf die aktuelle Geschäftsleitung blicken, kaum auf die Geschäftsführung anderer Personen in der Vergangenheit. Dann müssen es aber auch diese Personen sein, die bei Anordnung der Eigenverwaltung ihre Befugnisse behalten.

Da das Sekundärverfahren bei Anordnung der Eigenverwaltung keinen Anspruch auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erhebt, sondern diese dort belässt, wo es sie vorfindet, kommt es vorliegend nicht zu einer Kollision mit den Wirkungen des Hauptverfahrens. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis richtet sich weiterhin nach englischem Recht und steht dem dortigen administrator zu.

3.

Auch die formellen und materiellen Anordnungsvoraussetzungen gemäß § 270 Abs. 2 InsO sind gegeben.

Der Geschäftsführer der Schuldnerin hat gemäß Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 21.1.2004 Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung gestellt (§ 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Die Anordnung wirkt auch nicht verfahrensverzögernd oder gläubigerbenachteiligend (§ 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO).

a. Der Umstand, dass durch die administration order des High Court of Justice bei dem Birmingham District Registry vom 19.12.2003 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und nach Abschnitt 14 und Schedule (1) des United Kingdom Insolvency Act von 1986 in Verbindung mit den Regelungen der Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 2, 17 und 19 Abs. 1 der EUInsVO das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das Vermögen der Vermögen der Schuldnerin auf die Joint Administrators übergegangen ist, ändert nichts daran, dass die Schuldnerin befugt ist, einen Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung zu stellen.

aa. Wenn die Schuldnerin berechtigt ist, einen Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zu stellen, steht ihr auch das Recht zu, die Anordnung der Eigenverwaltung zu beantragen. Dieses Befugnis ist von dem Insolvenzeröffnungsantragsrecht umfaßt. Für die Antragsbefugnis spricht im Übrigen der Umstand, dass einem Schuldner auch nach dem Verlust des Verwaltungs- und Verfügungsrechts auf Grund Anordnung einer sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwaltung nicht die Möglichkeit genommen ist, die Anordnung der Eigenverwaltung zu erreichen (vgl. FK-InsO/Jaffe, § 270 Rdn. 9).

bb. Selbst wenn durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die organschaftlichen Vertreter der Schuldnerin durch die englischen Insolvenzverwalter ersetzt würden und diese die verfahrensrechtlichen Befugnisse der organschaftlichen Vertreter der GmbH ausüben würden, bestünden keine rechtlichen Bedenken gegen die Anordnung der Eigenverwaltung, weil die Joint Administrators mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 21./22.1.2004 ebenfalls Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung gestellt haben.

b. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Anordnung der Eigenverwaltung zu einer Verfahrensverzögerung und zu sonstigen Nachteilen für die Gläubiger führt (§ 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Das Gesetz fordert vom Insolvenzrichter insoweit eine Prognoseentscheidung. Nach Würdigung aller Gesichtspunkte ist davon auszugehen, dass sich die Anordnung der Eigenverwaltung nicht nur nicht verfahrensverzögernd und gläubigerbenachteiligend auswirkt, sondern zu einer schnelleren Verfahrensbeendigung und zu einer höheren Befriedigungsquote der Gläubiger führen dürfte.

In diesem Zusammenhang war vor allem zu berücksichtigen, dass die Zulässigkeit von parallelen, in ihrer Wirkung territorial begrenzten Verfahren häufig zu einer ganz erheblichen Verkomplizierung transnationaler Insolvenzen führt (so mit Recht Lüke, ZZP 111 (1998), 303; a.A. Hanisch, ZIP 1994, 1 fff.; Wimmer, ZIP 1998, 982, 985). Die besondere Schwierigkeit liegt darin, die Insolvenzen in Verwaltung und Wirkung aufeinander abzustimmen. Zwar verpflichten Art. 31 Abs. 1 und Abs. 2 EUInsVO bzw. § 357 InsO die Verwalter von Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren zur gegenseitigen Unterrichtung und Zusammenarbeit. Hierunter fällt die Verpflichtung, sich bei der Durchführung der jeweiligen Insolvenzverfahren abzustimmen und zu koordinieren. Ziel der Abstimmung ist stets die effiziente Verfahrensabwicklung, damit keine Verzögerungen zu Lasten der Gläubiger zu befürchten sind. Zu solchen Verzögerungen kann es aber vor allem in den Fällen kommen, in denen der Verwalter des Hauptverfahrens eine Sanierung des schuldnerischen Unternehmens anstrebt bzw. nach dem gesetzlichen Auftrag anzustreben hat, während der Verwalter des Sekundärinsolvenzverfahrens zur Liquidation verpflichtet ist (vgl. Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUInsVO). Die unterschiedliche Ausrichtung solcher Verfahren und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Interessen der Insolvenzverwalter können die Zusammenarbeit erheblich erschweren.

Die Anordnung der Eigenverwaltung im Sekundärinsolvenzverfahren, bei der das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das (gesamte) schuldnerische Vermögen beim Hauptinsolvenzverwalter verbleibt, kann dagegen in besonderem Maße dazu beitragen, diese Schwierigkeiten zu reduzieren bzw. zu beseitigen. Dies kann sich wiederum vorteilhaft auf die Befriedigungschancen der Gläubiger auswirken.

Hierfür spricht vorliegend vor allem der Umstand, dass die Joint Administrators beabsichtigen, sämtliche Vermögenswerte der M. -Gruppe einheitlich als ein am Wirtschaftsverkehr teilnehmendes Unternehmen zu veräußern. Die Hauptinsolvenzverwalter haben schlüssig dargetan, dass hierdurch mit hoher Wahrscheinlichkeit ein höherer Erlös für die in Frage stehenden Vermögenswerte erzielt werden kann, als wenn die Teilunternehmen der drei Gesellschaften getrennt, bzw. im Falle einer Zerschlagung zu Liquidationswerten verwertet würden. So würden bei isolierter Verwertung der schuldnerischen Vermögenswerte eingespielte Organisations- und Finanzierungsstrukturen innerhalb der M. Gruppe aufgebrochen. Dies dürfte wiederum den aus dem Verkauf des Unternehmens erzielbaren Erlös zu Lasten der Gläubiger schmälern.

Darüber hinaus spricht vieles dafür, dass die Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens den schuldnerischen Betrieb bis zur beabsichtigten Unternehmensveräußerung besser führen können als ein neuer Verwalter, weil sie durch die bisherige Betriebsfortführung bereits eingearbeitet sind und für Kontinuität bei der Betriebsfortführung sorgen. Zweifel an der Zuverlässigkeit der Joint Administrators bestehen nicht. Sie sind von gerichtlich bestellte Verwalter, deren Aufgabe es unter anderem ist, eine vorteilhaftere Verwertung des Unternehmensvermögens im Sanierungsverfahren als im Liquidationsverfahren durchzuführen (Abschnitt 8 des United Kingdom Insolvency Act von 1986). Nur dann, wenn das englische Gericht auch von dieser Voraussetzung überzeugt ist, darf es das (Sanierungs-)Verfahren eröffnen. Hinzu kommt, dass auch die Joint Adminstrators den Gläubigern verantwortlich sind (vgl. Abschnitt 27 des United Kingdom Insolvency Act von 1986).

Köln, 23.01.2004

Amtsgericht

Richter am Amtsgericht






AG Köln:
Beschluss v. 23.01.2004
Az: 71 IN 1/04


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