Bundespatentgericht:
Urteil vom 5. Februar 2002
Aktenzeichen: 3 Ni 7/01

(BPatG: Urteil v. 05.02.2002, Az.: 3 Ni 7/01)

Tenor

Das Patent 196 33 347 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.300,-€ vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 8. August 1996 angemeldeten Patents 196 33 347 (Streitpatent), das ein Gerät zur Dichtigkeitsprüfung von Kanalrohren betrifft und 11 Patentansprüche umfasst. Patentanspruch 1 lautet:

"Gerät zur Dichtigkeitsprüfung und Sanierung von Kanalrohren, insbesondere Hausanschlussrohren, dadurch gekennzeichnet, dass es zumindest teilweise aus einem Rohrkörper (7) und einer unter Druck aufblasbaren Blase (5) besteht, und der Rohrkörper (7) mit einem Gummibelag (3) versehen ist, wobei die eine Seite des Rohrkörpers (7) unter Druck aufblasbar ausgeführt ist."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Der Kläger macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er widerrechtlich entnommen worden sei. Zur Begründung beruft er sich auf verschiedene Unterlagen gemäß den Anlagen K 3 bis K 9 und bietet zum Beweis seiner Behauptungen die Einvernahme von Zeugen an.

Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2001 hat die Beklagte gegenüber dem Deutschen Patentund Markenamt auf das Streitpatent verzichtet und erklärt, dass sie auch für die Vergangenheit keine Rechte geltend machen werde. Sie ist der Auffassung, dass dem Kläger daher das Rechtsschutzinteresse für die Nichtigkeitsklage fehle, die Klage also unzulässig sei, und trägt im Übrigen vor, dass der Kläger sie vor Klageerhebung nicht zum Verzicht aufgefordert habe, so dass sie von der Nichtigkeitsklage überrascht worden sei. Der Kläger habe somit die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 93 ZPO zu tragen.

Demgegenüber vertritt der Kläger unter Berufung auf die "Klebemax"-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (GRUR 1963, 519) die Meinung, nur eine Nichtigerklärung könne verhindern, dass das Streitpatent seinen prioritätsjüngeren Gebrauchsmustern DE 296 21 297 U1 und DE 297 18 641 U1 gemäß § 15 Abs 1 Nr 2 GbmG als älteres Recht entgegengehalten werden könne. Der von der Beklagten erklärte Verzicht auf das Streitpatent reiche nicht aus, um die Wirkung des § 21 Abs 3 Satz 1 PatG zu erreichen, so dass es auch nicht erforderlich gewesen sei, die Beklagte vor Erhebung der Nichtigkeitsklage darüber zu informieren.

Der Kläger beantragt, das Patent 196 33 347 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Gründe

I Die Klage ist zulässig, denn der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der Nichtigerklärung des Streitpatents.

Grundsätzlich steht die Nichtigkeitsklage jedermann frei, solange das Streitpatent in Kraft ist. Daher braucht ein Kläger ein eigenes Interesse an der Nichtigerklärung nicht nachzuweisen, solange die Öffentlichkeit ein Interesse an der Vernichtung eines zu Unrecht erteilten Patents hat (BGH GRUR 1963, 253 -Bürovorsteher). Mit Erlöschen des Patents zB durch Zeitablauf oder durch Verzicht entfällt das Interesse der Allgemeinheit an einer Vernichtung des Patents, so dass der Kläger dann ein Rechtsschutzinteresse darzulegen und auch zu beweisen hat, wenn er die Nichtigerklärung des ex nunc erloschenen Patents auch für die Vergangenheit ex tunc erreichen will (Schulte, PatG, 6. Aufl § 81, Rdnr 47 ff). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nicht nur für die Zukunft gemäß § 20 PatG auf das Streitpatent verzichtet, sondern darüber hinaus erklärt, dass sie auch für die Vergangenheit hieraus keine Rechte mehr geltend machen wolle. Abgesehen davon, dass die Beklagte damit und zudem durch ausdrückliche Erklärung den Klageantrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents wegen widerrechtlicher Entnahme anerkennt, führt die auf die Vergangenheit gerichtete Erklärung der Beklagten dazu, dass der Kläger für sein Begehren nun ein (eigenes) Rechtsschutzinteresse nachzuweisen hat (BGH GRUR 1965, 231 -Zierfalten). Die Wirkung dieser auf den Zeitraum ab Patentanmeldung gerichteten Erklärung der Beklagten reicht indessen nicht soweit, dass damit die Existenz des Schutzrechts beseitigt werden könnte. Weder kann die Beklagte mit der rein schuldrechtlich wirkenden Erklärung des Verzichts ex tunc die Veröffentlichung von Druckschriften des Streitpatents, die zum Stand der Technik zählen, rückgängig machen, noch wird hierdurch die Eigenschaft des Streitpatents als älteres Recht beeinflusst (Schulte, PatG, 6. Aufl, § 21, Rdnr 117 mit Hinweisen zur Rechtsprechung; Busse, PatG, 5. Aufl, § 15 GbmG, Rdnr 10 iVm § 3 PatG, Rdnr 172). Um die Wirkung des § 21 Abs 3 Satz 1 PatG herbeizuführen, der gemäß § 22 Abs 2 Satz 1 PatG auch für das Nichtigkeitsverfahren gilt, bedarf es der Nichtigerklärung des als älteres Recht in Frage kommenden Streitpatents (vgl Busse aaO, § 21, Rdnr 135; ders § 15 GbmG, Rdnr 10; BGH GRUR 1963, 519 -Klebemax sowie Heine aaO, S 523; BGH aaO -Zierfalten).

Für das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses des Klägers an der Nichtigerklärung des Streitpatents reicht es aus, wenn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents den Gegenstand des Schutzanspruchs 1 des Gebrauchsmusters voll einschließt, da dies das Gebrauchsmuster zumindest teillöschbar macht. Dies ist für das Gebrauchsmuster DE 296 21 297 U1 der Fall, wobei es nicht auf den Wortlaut der Merkmalsbezeichnungen ankommt. Die Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Gebrauchsmusters finden sich funktionsgleich in den Merkmalen der Patentansprüche 1 und 11 des Streitpatents, wie die nachfolgende Gegenüberstellung zeigt.

Streitpatent Gebrauchsmuster A) Gerät zur Dichtigkeitsprüfung und a) Sanierungsgerät zur Sanierung von Kanalrohren, insbeson-Sanierung von Kanalrohren dere Hausanschlußrohren B) das zumindest teilweise aus einem b) mit einem im Kanalrohr Rohrkörper verfahrbaren Stützkörper C) und einer unter Druck aufblasbaren c) der Stützkörper weist eine Blase besteht tubusförmige, mit ihrer Aussenkontur dem Kanalrohr angepaßte Blase auf, die durch eine Öffnung im Stützkörper in einen Kanalanschluss oder eine Kanalverzweigung einbringbar ist Die das Wesen der Erfindung ausmachenden Merkmale des Streitpatents A bis G entsprechen in Funktion und Ausgestaltung den Merkmalen a bis g des Gebrauchsmusters. Der (steife) Rohrkörper B ist nichts anderes als ein Stützkörper b. Dass auch die Blase C an dem abzudichtenden Kanalabschnitt innen anliegen muß (Merkmal c), ist funktionsnotwendig und das Gleiche gilt für die Materialbeschaffenheit (Gummibelag) der Blase, um ihre Aufblasbarkeit unter Druck zu gewährleisten. Bei den Merkmalen g und h des Gebrauchsmusters handelt es sich um aus der Ausgestaltung des Verfahrens nach Anspruch 11 des Streitpatents hervorgehende Funktionsbzw. Wirkungsangaben.

D) der Rohrkörper ist mit einem Gummi d) der Stützkörper besteht ausbelag versehen einem Versteifungskörper E) die eine Seite des Rohrkörpers ist e) und mindestens einem durchunter Druck aufblasbar. Druck aufweitbaren Teil F) durch Aufblasen des Rohrkörpers f) der Stützkörper ist mindestenswird das Gerät im Kanalrohr verankert an einem Bereich in axialerund der Weichgummibelag gegen das Richtung am gesamten Umfang Kanalrohr gedrückt des Kanalrohrs dicht anlegbar G) wobei ... ein Füllstoff zur g) durch Füllstofföffnungen wird Abdichtung des Hohlraumes einge- Füllmasse zu Schadstellen zubracht wird geführt, die vom Stützkörper abgedichtet werden.

Damit liegt zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Gebrauchsmusters und dem Gegenstand des Streitpatents Wesensgleichheit vor, was von der Beklagten auch nicht bestritten worden ist.

II Die Klage erweist sich als begründet. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der widerrechtlichen Entnahme führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents, §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 3 PatG.

1) Die Voraussetzungen des § 21 Abs 1 Nr 3 PatG liegen vor. Die Beklagte hat dem Vortrag des Klägers, er sei als Verletzter im Erfindungsbesitz des Gegenstandes des Streitpatents gewesen, und die Beklagte habe kein Recht zur Anmeldung der Erfindung zum Patent gehabt, nicht widersprochen. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, der Gegenstand des Streitpatents sei im Sinne des § 21 Abs 1 Nr 1 PatG nicht patentfähig. Zwar setzt nach (noch) herrschender Meinung der Tatbestand der widerrechtlichen Entnahme voraus, dass der umstrittene Erfindungsgegenstand patentfähig ist (vgl Busse aaO, § 21, Rdnr 76 mit Hinweisen zur Rechtsprechung). Diese Frage kann jedoch insoweit dahinstehen, da sonstige Anhaltspunkte für eine fehlende Patentfähigkeit nicht ersichtlich sind. Das Patent 196 33 347 war daher für nichtig zu erklären.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Auch wenn die Beklagte infolge der Anerkennung des vom Kläger geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes innerhalb der Widerspruchsfrist des § 82 Abs 1 PatG auf ihre Rechte am Streitpatent verzichtet und damit aus ihrer Sicht alles unternommen hat, um den Kläger klaglos zu stellen, kann bei der Frage der Kostenauferlegung aus Gründen der Billigkeit nicht unberücksichtigt bleiben, dass sie sich in die Position der Unterlegenen begeben hat. Hinzu kommt, dass die Nichtigkeitsklage im Zusammenhang mit dem Verhalten der Beklagten vor Klageerhebung und dem Problem der widerrechtlichen Entnahme des Erfindungsgegenstandes des Streitpatents steht. Insoweit kann dem Umstand, dass die Beklagte auf ihre Rechte am Streitpatent noch innerhalb der Widerspruchsfrist des § 82 Abs 1 PatG verzichtet hat, im Hinblick auf die von der Beklagten begehrten Folge, dass die Kosten nach § 84 Abs 2 PatG iVm § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen wären, keinentscheidendes Gewicht zukommen, da die Klageveranlassung durch die Wirkung des Streitpatents als älteres Recht gegenüber den Gebrauchsmusteranmeldungen weiter besteht.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Hellebrand Köhn Dr. Pösentrup Sredl Schmitz Be






BPatG:
Urteil v. 05.02.2002
Az: 3 Ni 7/01


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