Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. Februar 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 302/04

(BPatG: Beschluss v. 08.02.2006, Az.: 7 W (pat) 302/04)

Tenor

Das Patent 100 33 446 wird beschränkt aufrechterhalten mit den am 8. Februar 2006 überreichten Patentansprüchen 1 bis 5 nach Hilfsantrag II, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Gründe

I.

Gegen die am 21. August 2003 veröffentlichte Erteilung des Patents 100 33 446 ist am 21. November 2003 von einer Einsprechenden I und am 4. November 2003 von einer Einsprechenden II Einspruch erhoben worden. Beide Einsprüche sind mit Gründen versehen und jeweils auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei, da er nicht auf einer erfinderischen Leistung beruhe. Außerdem ist von der Einsprechenden II geltend gemacht worden, dass die Erfindung im Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Zum Stand der Technik sind dabei folgende Druckschriften genannt worden DE 198 21 146 A1 (D1)

DE 197 40 822 A1 (D2)

DE 198 36 986 A1 (D3)

DE 195 01 724 C1 (D4)

DE 35 45 683 C1 (D5)

DE 36 07 662 A1 (D6), sowie eine Druckschrift "Symposium Dichtungen", 22. bis 24. Mai 2000, Technische Akademie Esslingen - Dichtsysteme für Kurbelwellenabdichtungen, Jochen Reichert, Titelseite und Seite 8.

Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2004 hat die Einsprechende II ihren Einspruch zurückgenommen.

Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2004 hat die Einsprechende I ihren Einspruch zurückgenommen.

Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des angefochtenen Patents patentwürdig sei und beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten in der erteilten Fassung (= Hauptantrag), hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 - 7 vom 6. Februar 2006 (= Hilfsantrag I), weiterhilfsweise mit den am 8. Februar 2006 überreichten Patentansprüchen 1 - 5 nach Hilfsantrag II, Beschreibung und Zeichnungen jeweils gemäß Patentschrift.

Die Patentansprüche 1 gemäß dem erteilten Patent (Hauptantrag), dem Hilfsantrag I und dem Hilfsantrag II lauten:

- Hauptantrag -

"Wellendichtring für eine Welle (3) mit folgenden Merkmalen:

(a) der Wellendichtring hat eine Dichtlippe (1) aus einem Elastomerwerkstoff;

(b) die Dichtlippe ist biegeweich mit einer Biegeelastizität dimensioniert, welche zur abdichtenden Anpressung eines Dichtabschnittes (11) der Dichtlippe an die Oberfläche der Welle (3) gerade ausreicht;

(c) der Dichtabschnitt der Dichtlippe (1) liegt über eine vorbestimmte Länge (L) auf dem Umfang der Welle (3) auf;

(d) zumindest über die genannte Länge (L) ist die Dichtlippe (1) wellenseitig mit einem Gewinde (5) versehen, welches austretendes Medium bei drehender Welle (3) zum abzudichtenden Raum (M) hin zurückfördert;

(e) der Wellendichtring enthält keine Feder;

(f) das Gewinde (5) ist zur Umgebung (U) hin durch einen Steg abgesperrt;

(g) das Gewinde (5) hat ein Verhältnis der Tiefe (t) zur Breite (b) der Gewindenut im Bereich zwischen 0,3 und 0,7."

- Hilfsantrag I -

"Wellendichtring für eine Welle (3) mit folgenden Merkmalen:

(a) der Wellendichtring hat eine Dichtlippe (1) aus einem Elastomerwerkstoff;

(b) die Dichtlippe ist biegeweich mit einer Biegeelastizität dimensioniert, welche zur abdichtenden Anpressung eines Dichtabschnittes (11) der Dichtlippe an die Oberfläche der Welle (3) gerade ausreicht;

(c) der Dichtabschnitt der Dichtlippe (1) liegt über eine vorbestimmte Länge (L) auf dem Umfang der Welle (3) auf;

(d) zumindest über die genannte Länge (L) ist die Dichtlippe (1) wellenseitig mit einem Gewinde (5) versehen, welches austretendes Medium bei drehender Welle (3) zum abzudichtenden Raum (M) hin zurückfördert;

(e) der Wellendichtring enthält keine Feder;

(f) das Gewinde (5) ist zur Umgebung (U) hin durch einen Steg abgesperrt;

(g) das Gewinde (5) hat ein Verhältnis der Tiefe (t) zur Breite (b) der Gewindenut im Bereich zwischen 0,3 und 0,7;

(h) das Gewinde hat eine Steigung (l) zwischen 0,6 und 0,8;

(i) das Verhältnis L/l aus der aufliegenden Länge (L) des Dichtabschnittes zur Steigung (l) des Gewindes (5) beträgt mindestens 2,0;

(j) die wirksame Dicke (h) der Dichtlippe (1), gemessen vom Grund der Gewindenut, liegt im Gebiet des Gewindes (5) im Bereich 0,25 bis 1 mm."

- Hilfsantrag II -

"Wellendichtring für eine Welle (3) mit folgenden Merkmalen:

(a) der Wellendichtring hat eine Dichtlippe (1) aus einem Elastomerwerkstoff;

(b) die Dichtlippe ist biegeweich mit einer Biegeelastizität dimensioniert, welche zur abdichtenden Anpressung eines Dichtabschnittes (11) der Dichtlippe an die Oberfläche der Welle (3) gerade ausreicht;

(c) der Dichtabschnitt der Dichtlippe (1) liegt über eine vorbestimmte Länge (L) auf dem Umfang der Welle (3) auf;

(d) zumindest über die genannte Länge (L) ist die Dichtlippe (1) wellenseitig mit einem Gewinde (5) versehen, welches austretendes Medium bei drehender Welle (3) zum abzudichtenden Raum (M) hin zurückfördert;

(e) der Wellendichtring enthält keine Feder;

(f) das Gewinde (5) ist zur Umgebung (U) hin durch einen Steg abgesperrt;

(g) das Gewinde (5) hat ein Verhältnis der Tiefe (t) zur Breite (b) der Gewindenut im Bereich zwischen 0,3 und 0,7;

(h) das eingängige Gewinde hat eine Steigung (l) zwischen 0,6 und 0,8;

(i) das Verhältnis L/l aus der aufliegenden Länge (L) des Dichtabschnittes zur Steigung (l) des Gewindes (5) beträgt mindestens 2,0;

(j) die wirksame Dicke (h) der Dichtlippe (1), gemessen vom Grund der Gewindenut, liegt im Gebiet des Gewindes (5) im Bereich 0,25 bis 1 mm,

(k) das Gewinde (5) weist eine längs einer der Umgebungsseite (U) zugewandten Flanke (12) konisch sich verjüngende Auslauffläche (8) auf;

(l) das Verhältnis der Breite (c) der Auslauffläche (8) zur Steigung (l) des Gewindes liegt im Bereich 0,2 bis 0,5;

(m) der Neigungswinkel () der Auslauffläche liegt im Bereich 3¡ bis 30¡."

Laut Beschreibung (Abs. [0006] der Patentschrift) soll die Aufgabe gelöst werden, einen Wellendichtring mit elastomerer Dichtlippe zu schaffen, der hohe Umfangsgeschwindigkeiten und Schwingungsbelastungen der Welle aushält, erhöhte Lebensdauer gegenüber den bekannten Wellendichtringen mit elastomerer Dichtlippe aufweist, statische Dichtheit gewährleistet und Frühausfälle vermeidet, wobei außerdem einfache und damit billige Herstellung gewährleistet sein soll.

Die Patentansprüche 2 bis 7 nach Hauptantrag bzw. nach Hilfsantrag I und die Patentansprüche 2 bis 5 nach Hilfsantrag II sind auf Merkmale gerichtet, mit denen der Gegenstand des Patentanspruchs 1 weiter ausgebildet werden soll.

II.

1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 1 PatG durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

Eine Einstellung des Verfahrens nach Rücknahme der beiden Einsprüche war nicht möglich. Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG, der gemäß § 147 Abs. 3 Satz 2 PatG auch für Einspruchsverfahren vor dem Bundespatentgericht gilt, ist ebenso wie bei Einspruchsverfahren vor dem DPMA das Einspruchsverfahren von Amts wegen fortzusetzen. Insofern besteht im ebenfalls schriftlichen Verfahren vor dem BPatG keine Schlechterstellung gegenüber dem Einspruchverfahren vor dem DPMA.

2. Die frist- und formgerecht erhobenen Einsprüche sind zulässig. Die Einsprechenden sind nach Rücknahme ihrer Einsprüche nicht mehr am Verfahren beteiligt.

3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents in der Fassung gemäß Hilfsantrag II stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne des Patentgesetzes § 1 bis § 5 dar. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag I hingegen sind nicht patentfähig, da sie nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

3.1 Zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag:

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag I ist gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu. Dabei sind die in den Merkmalen (a) bis (f) genannten Vorrichtungseigenschaften aus der D1 bekannt. Ein darauf gerichteter Hinweis ist auch in der Patentschrift zu finden (Sp. 1 Abs. [0005]). Zwar wird in der Druckschrift D1 in der Spalte 2, Zeile 17 sowie im Unteranspruch 11 ein Hinweis auf ein bevorzugtes Material für die Dichtscheibe 11 des bekannten Wellendichtrings, nämlich Polytetrafluorethylen (Kurzzeichen: PTFE), gegeben, während bei dem beanspruchten Wellendichtung Elastomerwerkstoff vorgesehen ist; an anderer Stelle der D1 wird aber ebenso deutlich auf andere dafür geeignete Materialien hingewiesen (Sp. 2, Z. 17,18, Unteranspruch 11). Als solche sind Elastomerwerkstoffe fachnotorisch bekannt. Die aus der D1 bekannte Dichtlippe 11 weist überdies eine einstückig mit dieser verbundene Mikroschutzlippe 14 auf (siehe Fig. 1, 2, 6, 7, 11, 12), die nach Sp. 2, Z. 38, 39 auch aus Elastomer-Werkstoff bestehen kann. Mit diesen Hinweisen sind in der Gesamtoffenbarung der D1 Elastomerwerkstoffe als geeignete Materialien für die gesamte Dichtscheibe und damit für den Wellendichtring mit offenbart.

Als unterschiedlich beim Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der Offenbarung der D1 verbleibt nur das Merkmal (g). Die geeignete Dimensionierung der Gewindenut entspricht jedoch normalen und üblichen Auslegungsüberlegungen des zuständigen Fachmanns, hier ein Fachschul-Ingenieur mit langjähriger Erfahrung bei der Auslegung von Wellendichtringen. Eine erfinderische Leistung kann darin nicht erkannt werden, diese einfache und rein bauliche Maßnahme bei dem bekannten Gegenstand der D1 vorzusehen.

Somit ergibt sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Der Hauptantrag konnte daher nicht zum Erfolg führen.

3.2 Zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I Der Patentanspruch 1 laut Hilfsantrag I enthält zusätzlich zum Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag die Merkmale:

(h) das Gewinde hat eine Steigung (l) zwischen 0,6 und 0,8;

(i) das Verhältnis L/l aus der aufliegenden Länge (L) des Dichtabschnittes zur Steigung (l) des Gewindes beträgt mindestens 2,0;

(j) die wirksame Dicke (h) der Dichtlippe (1), gemessen vom Grund der Gewindenut, liegt im Gebiet des Gewindes im Bereich 0,25 bis 1 mm.

Der so beanspruchte Gegenstand ist neu, da er sich von dem Gegenstand der D1 in den Merkmalen (g) bis (j) unterscheidet.

Die Dimensionierungsvorgaben (h) bis (j) bei einem Wellendichtring mit den Merkmalen (a) bis (g) vorzusehen, ist allerdings naheliegend. Der Fachmann kennt nämlich Wellendichtringe, die zur Unterstützung ihres Dichtverhaltens und zu Erzielung ausreichender Lebensdauer solch einer Auslegung folgen. So finden sich in der in der Beschreibungseinleitung der Patentschrift genannten Druckschrift H.K. Müller, "Abdichtung bewegter Maschinenteile", 1990, Medienverlag Ursula Müller, Seiten 42,43 ebendiese Bemessungsvorgaben für eine Dichtlippe. In der rechten Spalte der Seite 42 sind Hinweise zur Steigung des Gewindes gegeben. Dort ist die Steigung mit 0,7 mm angeführt und liegt damit innerhalb des beanspruchten Bereiches. Die aufliegende Länge des Dichtabschnittes (zylindrische Lauffläche) wird in der Druckschrift mit 2 bis 3 mm angegeben. Daraus ergibt sich nach Bildung der Relation von Auflagelänge zu Steigung des Gewindes ein Wert von größer als 2, wie es im Merkmal (i) des Patentanspruchs 1 zum Ausdruck kommt. Weiter sind in der Druckschrift die Gesamtdicke der Dichtscheibe mit 1 mm und die Tiefe der Schnittkerbe für das Gewinde mit 0,5 mm angegeben. Daraus ergibt sich eine wirksame Dicke der Dichtlippe innerhalb des Bereiches, den das Merkmal (j) mit 0,25 bis 1 mm anbietet.

Mithin folgt der Fachmann, wenn er bei einem Wellendichtring mit den Merkmalen (a) bis (g) auch noch die Merkmale (h) bis (j) vorsieht, bekannten Vorbildern. Erfinderisch tätig zu werden braucht er dabei nicht.

Mit Anspruch 1 kann das Patent daher nicht bestehen bleiben. Deshalb konnte auch der Hilfsantrag I nicht zum Erfolg führen.

3.3 Zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II Dieser Anspruch enthält zusätzlich zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I die weiteren Merkmale

(k) das Gewinde (5) weist eine längs einer der Umgebungsseite (U) zugewandten Flanke (12) konisch sich verjüngende Auslauffläche (8) auf;

(l) das Verhältnis der Breite (c) der Auslauffläche (8) zur Steigung (l) des Gewindes liegt im Bereich 0,2 bis 0,5;

(m) der Neigungswinkel () der Auslauffläche liegt im Bereich 3¡ bis 30¡.

Weiter zusätzlich ist im Merkmal (h) ergänzt, dass das Gewinde (5) eingängig sein soll.

Der Gegenstand des zulässigen Patentanspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht in Zweifel steht, ist neu und auch das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.

Nach der Patentschrift Abs. [0008] wird beim Patentgegenstand durch die biegeweiche oder biegeschlaffe Ausgestaltung der aus einem Elastomerwerkstoff bestehenden Dichtlippe ermöglicht, dass sich die Dichtlippe wie bei bekannten PTFE-Dichtungen in montiertem Zustand mit einem Dichtabschnitt über eine vorbestimmte Länge tangential an einen Oberflächenbereich der Welle anschmiegt, wobei die Biegeelastizität durch sorgfältige Dimensionierung gerade so bemessen werden soll, dass sie eine dynamische Abdichtung gewährleistet. Hierzu lehrt das Patent, vgl. Patentschrift Abs. [0026], dass die an dieser Stelle genannten Verhältnisse und Abmessungsbereiche in ihrer Gesamtheit zu beachten sind, um das gewünschte Biegeverhalten der Dichtlippe zu erhalten und so die gestellte Aufgabe zu lösen.

Die für den technischen Erfolg der Erfindung ursächliche Zusammenfallung aller Merkmale (a) bis (m) lässt sich aus den im Prüfungsverfahren und im Einspruchsverfahren entgegen gehaltenen Druckschriften nicht als nahegelegt herleiten, und zwar auch nicht bei der gebotenen Zusammenschau aller Schriften.

Mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II und den darauf rückbezogenen nicht zu beanstandenden Patentansprüchen 2 bis 5, die auf Merkmale zur Weiterbildung des Gegenstands des Anspruchs 1 gerichtet sind, konnte das Patent daher bestehen bleiben.






BPatG:
Beschluss v. 08.02.2006
Az: 7 W (pat) 302/04


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