Bundespatentgericht:
Urteil vom 29. April 2008
Aktenzeichen: 3 Ni 48/06

(BPatG: Urteil v. 29.04.2008, Az.: 3 Ni 48/06)

Tenor

1. Das europäische Patent EP 1 098 706 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise dadurch für nichtig erklärt, dass - die erteilten Patentansprüche 1 bis 3 durch folgenden Patentanspruch 1 ersetzt werden:

"Verfahren zum Überführen eines rieselfähigen, schwachsauren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form, wobei das Ionenaustauschermaterial mit einer wässrigen, gesättigten Calziumhydroxid Ca(OH)2-Lösung in Kontakt gebracht wird, wobei die Calziumhydroxid-Lösung mit noch ungelöstem Calziumhydroxid in Kontakt steht, und wobei die Calziumhydroxid-Lösung während des Kontaktes mit dem Ionenaustauschermaterial in Bewegung gehalten wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Ionenaustauschermaterial in einen Behälter für die Calziumhydroxid-Lösung eingefüllt wird, wobei das ungelöste Calziumhydroxid als Bodensatz bereitgestellt wird, und dass das Ionenaustauschermaterial und die gesättigte Calziumhydroxid-Lösung in diesem gemeinsamen Behälter mittels eines Rührwerks in Bewegung gehalten wird, wobei während der Konvertierung über pH-Wert- und Leitfähigkeitssensoren der pH-Wert und die Leitfähigkeit der Calziumhydroxid-Lösung und damit der Beladungszustand des Ionenaustauschermaterials gemessen werden."

- sich die Patentansprüche 4 und 5 auf den neuen Patentanspruch 1 zurückbeziehen.

- die erteilten Patentansprüche 7, soweit er sich nicht auf Patentanspruch 6 zurückbezieht, und Patentanspruch 9, soweit er sich nicht auf Patentanspruch 6 oder 8 zurückbezieht, durch folgenden neuen Patentanspruch 7 ersetzt werden:

"Verwendung einer Vorrichtung enthaltend einen Konvertierungsbehälter (5), der einen Wasserzulauf (9), eine Einfüllöffnung für das Ionenaustauschermaterial und eine Einfüllöffnung für Calziumhydroxid Ca(OH)2 oder Calziumoxid CaO, sowie eine Entnahmeöffnung aufweist, sowie ein Rührwerk (11) im Konvertierungsbehälter und pH-Wert- und Leitfähigkeitssensoren zur Messung des pH-Werts und der Leitfähigkeit der Calziumhydroxid-Lösung und damit des Beladungszustands des Ionenaustauschermaterials, zum Überführen eines rieselfähigen, schwachsauren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form gemäß dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6."

- sich Patentanspruch 10 mit Ausnahme seines Rückbezugs auf Patentanspruch 6 oder 8 auf den neuen Patentanspruch 7 zurückbezieht.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 8. Juli 1999 angemeldeten u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in deutscher Sprache erteilten europäischen Patents 1 098 706 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 599 08 590 geführt wird und die Bezeichnung trägt "Verfahren zum Überführen eines vorzugsweise schwachsauren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form". Das Streitpatent beansprucht die österreichische Priorität AT 117898 vom 8. Juli 1998 und umfasst 10 Patentansprüche, die wie folgt lauten:

"1. Verfahren zum Überführen eines vorzugsweise schwachsauren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form, dadurch gekennzeichnet, dass das Ionenaustauschermaterial mit einer wässrigen, gesättigten Calziumhydroxid Ca(OH)2-Lösung in Kontakt gebracht wird, wobei die Calziumhydroxid-Lösung mit noch ungelöstem Calziumhydroxid in Kontakt steht.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Ionenaustauschermaterial in einen Behälter für die Calziumhydroxid-Lösung eingefüllt wird, wobei das ungelöste Calziumhydroxid als Bodensatz bereitgestellt wird.

3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Calziumhydroxid-Lösung während des Kontaktes mit dem Ionenaustauschermaterial - vorzugsweise mittels eines Rührers - in Bewegung gehalten wird.

4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Calziumhydroxid-Lösung auf eine erhöhte Temperatur, vorzugsweise über 40 ¡C gebracht wird.

5. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass das konvertierte Ionenaustauschermaterial - vorzugsweise in einem Rotationstrockenofen oder Wirbelschichttrockenofen - getrocknet wird.

6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Ionenaustauschermaterial nach der Konvertierung mit Spülwasser gespült wird und das ablaufende Spülwasser durch Einblasen von Luft oder CO2 und/oder Säurezugabe in seinem pH-Wert abgesenkt wird, sodass dieses in die Kanalisation eingeleitet werden kann, oder das in seinem pH-Wert abgesenkte Wasser wird nach Absedimentation von Ca(OH)2 oder Kalkkolloiden in einem Abklärbecken oder deren Abtrennung in einem Hydrozyklon als Spülwasser wiederverwendet und in den Konvertierungstank zum Spülen zurückgepumpt.

7. Verwendung einer Vorrichtung enthaltend einen Konvertierungsbehälter (5), der einen Wasserzulauf (9), eine Einfüllöffnung für das Ionenaustauschermaterial und eine Einfüllöffnung für Calziumhydroxid Ca(OH)2 oder Calziumoxid CaO, sowie eine Entnahmeöffnung aufweist, zum Überführen eines vorzugsweise schwachsaueren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form gemäß dem Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6.

8. Verwendung nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung einen Vorratsbehälter (2) für das rieselfähige Ionenaustauschermaterial und einen Vorratsbehälter (1) für Ca(OH)2 oder CaO aufweist, wobei zwischen Vorratsbehältern (1, 2) und den entsprechenden Einfüllöffnungen am Konvertierungsbehälter (5) jeweils Dosiereinrichtungen, vorzugsweise Förderschnecken (3, 4) angeordnet sind.

9. Verwendung nach Anspruch 7 oder 8, gekennzeichnet durch ein Rührwerk (11) im Konvertierungsbehälter.

10. Verwendung nach einem der Ansprüche 7 bis 9, gekennzeichnet durch eine Heizeinrichtung (12) im bzw. am Konvertierungsbehälter."

Die Klägerinnen 1 bis 3, die das Streitpatent nur teilweise hinsichtlich der Patentansprüche 1 bis 5, 7, 9 und 10 angreifen, machen den Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit infolge fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit der unter Schutz gestellten Patentgegenstände geltend und stützen ihre Klagebegründung auf den in den folgenden Entgegenhaltungen beschriebenen Stand der Technik E1 US 5 371 110 E2 "Lewatit-Selektivaustauscher", Eigenschaften und Anwendung von Lewatit TP 207, technische Information der Bayer AG, Bestell-Nr. OC/1 20 806, Ausgabe 3.98 sowie auf das allgemeine Fachwissen des angesprochenen Fachmanns. Sie vertreten die Auffassung, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 sei gegenüber der E2 nicht neu und beruhe im Übrigen auch gegenüber der E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, sondern sei für den Fachmann nahegelegt. Die übrigen angegriffenen Ansprüche seien schließlich auf selbstverständliche bzw. nahe liegende Maßnahmen gerichtet und könnten somit die Patentfähigkeit auch nicht begründen.

Die Klägerinnen, deren Verfahrensbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2008 ausdrücklich erklärt hat, die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 25. April 2008 eingereichte Fassung des Streitpatents gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 nicht angreifen zu wollen, stellen den Antrag, das europäische Patent 1 098 706 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 sowie der Ansprüche 7, 9 und 10 soweit diese nicht unmittelbar oder mittelbar auf die Patentansprüche 6 und 8 rückbezogen sind, mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent mit den mit Schriftsatz vom 25. April 2008 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 9 gemäß Hauptantrag; hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 mit neuen Patentansprüchen 1 und 7, an die sich jeweils die erteilten Patentansprüche 4 und 5 sowie 10 anschließen und beantragt, die Klage insoweit abzuweisen.

Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

1. Verfahren zum Überführen eines rieselfähigen, schwachsauren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form, wobei das Ionenaustauschermaterial mit einer wässrigen, gesättigten Calziumhydroxid Ca(OH)2-Lösung in Kontakt gebracht wird, wobei die Calziumhydroxid-Lösung mit noch ungelöstem Calziumhydroxid in Kontakt steht, und wobei die Calziumhydroxid-Lösung während des Kontaktes mit dem Ionenaustauschermaterial in Bewegung gehalten wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Ionenaustauschermaterial in einen Behälter für die Calziumhydroxid-Lösung eingefüllt wird, wobei das ungelöste Calziumhydroxid als Bodensatz bereitgestellt wird, und dass das Ionenaustauschermaterial und die gesättigte Calziumhydroxid-Lösung in diesem gemeinsamen Behälter mittels eines Rührwerks in Bewegung gehalten wird.

Wegen des Wortlauts der neuen Patentansprüche 1 und 7 gemäß Hilfsantrag 1 wird auf die Urteilsformel Bezug genommen.

Zur Begründung stützt sich die Beklagte auf die nachfolgenden Dokumente und Unterlagen:

B2 Produktinformation "Lewatit S 8528", WATERCRYST, Erstellungsdatum 18. August 2000 B3 Römpp Chemie-Lexikon, 9. erw. und neubea. Auflage 1990, Bd. 9, S. 2026 bis 2028 B4 HELFFERICH, F. G. und HWANG, Y.-L.: "6.2 Ion Exchange Kinetics" in: DORFNER, K. [ed.]: "Ion Exchangers", 1991, Walter de Gruyter, Berlin, New York, S. 1277 bis 1309 B6 Funktionsschema zu E2 Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Gegenstände der verteidigten Patentansprüche neu sind und auf erfinderischer Tätigkeit beruhen. Es handele sich um ein großtechnisch einsetzbares Verfahren, das sich durch eine sehr kurze Konvertierungsdauer auszeichne. Außerdem sei es möglich, das Verfahren quasi stöchiometrisch zu betreiben, was bedeute, dass man im Wesentlichen nur soviel Ca(OH)2 benötige, wie es die Stöchiometrie erfordere, sodass der Verbrauch an Calziumhydroxid wesentlich eingeschränkt werden könne (Schriftsatz vom 20. November 2006, S. 3 Abs. 3). Ein schwachsaurer Ionenaustauscher bestehe aus einer vernetzten Matrix mit chemisch festgebundenen negativ geladenen funktionellen Gruppen, beispielsweise einer Carboxylatgruppe wie bei Lewatit S 8528 (S. 4 le. Abs.). Ein solches Material liege typischerweise als kugelförmiges Granulat vor (S. 5 mittl. Abs). Die von den Klägerinnen in Betracht gezogene E1 betreffe dagegen einen Ionenaustauscher, bei dem die funktionellen Gruppen in einem wasserunlöslichen Polymer eingelagert, jedoch nicht chemisch gebunden seien. Deshalb handele es sich dort um ein ganz anderes Ionenaustauschermaterial als beim Patent. Im Übrigen liege in der E1 der Ionentauscher als dünner Film oder Faden, nicht jedoch als rieselförmiges Granulat vor (S. 6, die unteren drei Abs.). Schließlich stelle das Verfahren gemäß E1 kein großtechnisches Verfahren dar, sondern sei lediglich ein reines Laborverfahren, wohingegen das patentgemäße Verfahren für den großtechnischen Einsatz ausgelegt und bestens geeignet sei, weil es eine schnelle und Chemikalien sparende Konvertierung erlaube (S. 7 le. Abs.). Auch das Verfahren nach E2 lege dem Fachmann die hiervon abweichende Lehre des Streitpatents nicht nahe, da dort die Calziumhydroxid-Lösung in einem gesonderten Vorratsbehälter angerührt und über eine Pumpe in den Konvertierungsbehälter geführt werde, und nicht wie nach der Lehre des Streitpatents gemeinsam im Konvertierungsbehälter abgesetzt und mittels eines Rührwerks vermischt werde.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

I.

Die auf Teilvernichtung des Streitpatents gerichtete Klage, die sich gegen die Patentansprüche 1 bis 5, 7, 9 und 10 des erteilten Streitpatent richtet und zuletzt von der Beklagten gemäß Haupt- und Hilfsanträgen 1 und 2 nur in einer beschränkten Fassung verteidigt wird, ist zulässig und begründet. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang.

Soweit die geltende Fassung der angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents über die von der Beklagten nur noch gemäß Hauptantrag verteidigte beschränkte Fassung hinausgehen, waren diese ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (vgl. Schulte, PatG, 7. Aufl., § 81 Rdn. 132 m. w. H.).

1. Das Streitpatent betrifft nach der Streitpatentschrift [0001] ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Überführen eines vorzugsweise schwachsauren lonenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form.

In der Streitpatentschrift ([0002]) wird ferner ausgeführt, dass schwachsaure lonenaustauschermaterialien in der Ca-Form in der Lage sind, auf katalytischem Wege Kalk aus kalkhaltigen Wässern zu fällen. Damit dieser katalytische Effekt deutlich zum Tragen kommt, ist es notwendig, das lonenaustauschermaterial möglichst vollständig in die Ca-Form zu überführen: Eine Restbeladung des Materials mit H+-lonen (H-Form) würde im Einsatz im Wasser infolge stattfindenden lonenaustausches den pH-Wert des Wassers absenken und auf diese Weise der katalytischen Wirkung der mit Ca2+-lonen beladenen funktionellen Gruppen entgegenwirken.

Die Streitpatentschrift weist ferner darauf hin, dass Ca(OH)2 in Wasser eine relativ geringe Löslichkeit hat, was zunächst für den Fachmann ein Hindernis darstelle, Ca(OH)2 als geeignetes Konvertierungsmittel anzusehen [0007].

2. Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet es die Streitpatentschrift in [0002] als zu lösendes technisches Problem, schwachsaure Ionenaustauschermaterialien möglichst vollständig in die Ca-Form überzuführen.

Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, nach Merkmalen gegliedert, ein M1 Verfahren zum Überführen eines rieselfähigen, schwachsauren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form, M2 wobei das Ionenaustauschermaterial mit einer wässrigen, gesättigten Calziumhydroxid Ca(OH)2-Lösung in Kontakt gebracht wird, M3 wobei die Calziumhydroxid-Lösung mit noch ungelöstem Calziumhydroxid in Kontakt steht, M4 und wobei die Calziumhydroxid-Lösung während des Kontaktes mit dem Ionenaustauschermaterial in Bewegung gehalten wird, dadurch gekennzeichnet, dass M5 das Ionenaustauschermaterial in einen Behälter für die Calziumhydroxid-Lösung eingefüllt wird, M6 wobei das ungelöste Calziumhydroxid als Bodensatz bereitgestellt wird, M7 und dass das Ionenaustauschermaterial und die gesättigte Calziumhydroxid-Lösung in diesem gemeinsamen Behälter mittels eines Rührwerks in Bewegung gehalten wird.

3. Hierzu wird in der Streitpatentschrift in [0007] ferner ausgeführt, dass die erfindungsgemäße Lösung vorschlage, dass das lonenaustauschermaterial mit in einer beispielsweise wässrigen, vorzugsweise gesättigten Calziumhydroxid Ca(OH)2-Lösung in Kontakt gebracht wird, wobei die wässrige Lösung mit einem ausreichenden Bodensatz an Ca(OH)2 ein Nachlösen immer dann ermögliche, wenn durch irgendwelche Vorgänge in der Lösung Ca2+-lonen bzw. OH--lonen verbraucht würden und das Löslichkeitsprodukt unterschritten werde. Dieses Nachlösen von Ca2+- bzw. OH--lonen gehe besonders schnell, wenn durch Umrühren der Bodensatz aufgewirbelt werde und sich Ca(OH)2-Kolloide bildeten [0007]. Diese Lösung habe den Vorteil, dass es sich bei Ca(OH)2 um eine billige Chemikalie handele, die ohne besondere Sicherheitseinrichtungen einfach handhabbar sei, und für die Konvertierung nur so viel Ca(OH)2 notwendig sei, als es die Stöchiometrie erfordere [0009-0011].

4. Als zuständiger Durchschnittsfachmann ist vorliegend ein in der Entwicklung von Ionenaustauschern tätiger Diplom-Chemiker mit langjähriger Berufserfahrung anzusehen sein, der aufgrund der regelmäßig in großtechnischen Maßstäben zum Einsatz kommenden Ionenaustauschermaterialien auch über Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Verfahrenstechnik verfügt.

II.

1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag erweist sich als nicht patentfähig. Die zur Lösung der Problemstellung beanspruchte technische Lehre der verteidigten Ansprüche war dem Fachmann durch den Stand der Technik und seines allgemeinen Fachwissens am Prioritätstag nahegelegt. Denn es bedurfte keiner erfinderischen Tätigkeit, um von dem sich aus der E2 ergebenden Stand der Technik zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen.

Hinsichtlich des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents offenbart die E2 einen Selektivaustauscher mit schwachsauren, chelatbildenden Gruppen, wobei Schwermetalle in Form ihrer Kationen gebunden werden (Titel und S. 2 Abs. 1 und 2). Somit handelt es sich um ein schwachsaures Ionenaustauschermaterial. Auf S. 3 Abs. 1 ist angegeben, dass dieses Ionenaustauschermaterial zur selektiven Bindung von Metallionen konditioniert, d. h. u. a. mit Alkaliionen zumindest partiell vorbeladen werden muss. Dabei ist die H+-Form als Ausgangsform für die Konditionierung angegeben (S. 3 Abschnitt "Wasserstoff-Form"). Übergeführt wird diese H+-Form u. a. in die Ca2++-Form, wie auf S. 4 unter dem zweiten Gliederungspunkt beschrieben ist. Hierzu werden alternativ zwei "Verfahrensweisen" angegeben, wobei sich aus der "Fahrweise" zur ersten Konditionierungsform, wonach die verwendete Kalksuspension durch eine Filtersäule gepumpt wird, ergibt, dass die Filtersäule mit einem Hohlräume freilassenden, teilchenartigen Material befüllt ist, das zu diesem Zweck üblicherweise rieselfähig ist. Dies folgt im Übrigen auch aus dem ersten Abschnitt auf S. 4 zur Überführung der H+-Form in die Di-Na+-Form, denn dort ist der "Fahrweise" entnehmbar, dass Harzkugeln verwendet werden. Im Übrigen hat auch die Patentinhaberin selbst eingeräumt, dass ein solches Material typischerweise als kugelförmiges Granulat, und somit rieselfähig, vorliege. Insgesamt heißt das nichts anderes, als dass die E2 ein Verfahren zum Überführen eines rieselfähigen, schwachsauren Ionenaustauschermaterials von der H-Form in die Ca-Form beschreibt, wie es im Oberbegriff (Gliederungspunkt M1) des Patentanspruchs 1 angegeben ist.

Wie aus der bereits zitierten Verfahrensweise bei der Überführung der H-Form in die Ca-Form (S. 4) des Weiteren hervorgeht, wird die in einem Vorlagebehälter angerührte Kalksuspension (Ca(OH)2-Suspension) im Aufstrom durch die - das in der H-Form vorliegende Ionenaustauschermaterial enthaltende - Filtersäule gepumpt und solange im Kreislauf geführt - somit in Bewegung gehalten -, bis die Trübung weitgehend verschwunden ist. Dabei wird empfohlen, Weißkalkhydratsuspensionen zu verwenden, die in besonders feindisperser Form vorliegen. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Ionenaustauschermaterial mit einer wässrigen, gesättigten Calziumhydroxid-Lösung in Kontakt gebracht wird, wobei die Calziumhydroxid-Lösung - bis zum Verschwinden der Trübung durch die suspendierten Kalkpartikel - mit noch ungelöstem Calziumhydroxid in Kontakt steht, sodass auch M2 bis M4 in der E2 verwirklicht sind.

Somit ist aus der E2 ein Verfahren bekannt, das sämtliche, im Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 angegebene Merkmale umfasst. Insoweit ist die E2 gattungsbildend.

Darüber hinaus ist aus dem in der E2 beschriebenen Verfahren bekannt (S. 4), eine trübe Kalksuspension zu verwenden, bei der sich je nach eingesetzter Kalkmenge und Strömungsgeschwindigkeit im Aufstrom naturgemäß ein Bodensatz aus ungelöstem Calziumhydroxid bildet, so dass das ungelöste Calziumhydroxid als Bodensatz bereitgestellt wird, wie es in M6 angegeben ist.

Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich das im geltenden Patentanspruch 1 beschriebene Verfahren lediglich dadurch, dass das Ionenaustauschermaterial in einen Behälter für die Calziumhydroxid-Lösung eingefüllt wird (M5) und dass das Ionenaustauschermaterial und die gesättigte Calziumhydroxid-Lösung in diesem gemeinsamen Behälter mittels eines Rührwerks in Bewegung gehalten wird (M7).

Diese Unterschiede können jedoch keine Grundlage für die Patentfähigkeit des beanspruchten Verfahrens bilden, denn es gehört zum Wissen und Können des verfahrenstechnisch versierten Fachmanns, dass ein Ionenaustausch grundsätzlich auf zwei Weisen vorgenommen werden kann, nämlich in einem kontinuierlichen Prozess, wie er sich in der in E2 beschriebenen Säulentechnik darstellt, oder in einem genauso geläufigen "Batch"-Betrieb, also chargen- bzw. ansatzweise, wie es aus der von der Beklagten selbst gutachtlich genannten Druckschrift DORFNER, K., ed.: "Ion Exchanges", 1991, Walter de Gruyter, Berlin, New York, S. 1277 bis 1309 (Anlage B4) bekannt ist. Insoweit wird sich der Fachmann nicht auf das Säulenverfahren in der E2 festlegen, sondern wird, je nach Anwendungsziel, etwa für orientierende Vorversuche mit dem Ziel eines Scale-Up in großtechnische Maßstäbe, wie sie beispielsweise in der Entfernung von Metallionen bzw. Schwermetallen aus Abwässern oder Prozesslösungen der metallverarbeitenden Industrie oder bei der Grundwassersanierung von Nöten sind (E2, S. 7 bis 12), im einfachsten Fall einen apparativen Aufbau wählen, wie er in der B4, S. 1278, Figur 6.20 schematisch dargestellt ist. Dort befindet sich offensichtlich das mit Ionen "A" beladene kugelförmige Austauschermaterial ("exchanger beads") in ein und demselben Behälter mit den Gegenionen "B" in einer gut gerührten Flüssigphase ("wellstirred liquid phase"), zu deren Bewegung in der Zeichnung ein Rührorgan vorgesehen ist. Bei der Übertragung der in E2 beschriebenen Verhältnisse, insbesondere unter Beibehaltung der für den Ionenaustausch ohne Weiteres als vorteilhaft ins Auge springenden gesättigten Calziumhydroxid-Lösung ("Kalksuspension") (M6), ergibt sich dann nichts anderes, als eine Verfahrensweise, bei der das Ionenaustauschermaterial in einen Behälter für die Calziumhydroxid-Lösung eingefüllt (M5) und das Ionenaustauschermaterial und die gesättigten Calziumhydroxid-Lösung in diesem gemeinsamen Behälter mittels eines Rührwerks in Bewegung gehalten wird (M7).

Der Darstellung der Beklagten, das patentgemäße Vorgehensweise stelle ein großtechnisches Verfahren mit kurzer Konvertierungsdauer dar, das die Einsparung von Chemikalien ermögliche, gelingt es schließlich auch nicht, die Patentfähigkeit herzustellen. Denn selbst wenn man annimmt, in dem auf S. 4 der E2 beschriebenen Verfahren handele es sich aufgrund fehlender Mengenangaben in der patentgemäßen Größenordnung von 100 l und mehr nicht um ein großtechnisches Verfahren, ist es für den Fachmann selbstverständlich, im Hinblick auf die in der E2 auf S. 7 bis 13 beschriebenen typischen Einsatzgebiete der Behandlung von Prozesslösungen und der Grundwassersanierung ausgehend von einem Labormaßstab durch ein fachübliches Scaleup - auch im Batch-Betrieb - einen großtechnischen Bereich anzustreben. Die Auslegung und Optimierung eines solchen Verfahrens unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, wie die Minimierung des Zeitfaktors und der Rohstoffkosten, ist dabei ohnehin stets im Blickfeld des Fachmanns.

Insgesamt gelangt der Fachmann somit - entgegen der Auffassung der Beklagten - zu dem im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Verfahren, ohne dass hierzu eine erfinderische Leistung erforderlich wäre.

2. Die übrigen angegriffenen Patentansprüche in der gemäß Hauptantrag verteidigten Fassung bedürfen keiner weiteren isolierten Prüfung, weil die Beklagte das Streitpatent hilfsweise mit dem gewährbaren zulässig geänderten Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 1 verteidigt hat und sich der Senat mit einer hiervon abweichenden teilweisen Aufrechterhaltung einzelner weiterer Patentansprüche gemäß Hauptantrag in Widerspruch zu dem maßgeblichen Willen der Patentinhaberin setzen würde.

aa. Es kann vorliegend dahinstehen, ob im Nichtigkeitsverfahren eine Teilvernichtung des Streitpatents (zur Rechtslage im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren vgl. zuletzt BGH Urteil v. 27. Februar 2008 - X ZB 10/07 - Installiereinrichtung; BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II) abweichend von einer zumindest hilfsweise durch den Patentinhaber verteidigten entsprechend eingeschränkten Fassung zu erfolgen hat (vgl. Rogge in Benkard PatG, 10. Aufl., § 22 Rdn. 67 und Rdn. 77).

Soweit darüber hinaus die Auffassung vertreten wird, das Gericht sei auch an die von dem Patentinhaber mittels Haupt- und Hilfsanträgen zur Verteidigung vorgegebenen Anspruchssätze jedenfalls insoweit nicht gebunden, als auch ohne dessen ausdrücklich oder konkludent erklärte Billigung ein eingeschränkter Anspruchssatz gewährt werden könne, der im Bereich zwischen den Fassungen nach Haupt- und Hilfsanträgen liege (vgl. zum Diskussionsstand Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren 3. Aufl., S. 95 Rdn. 153; zur Bindung jedenfalls an die gewählten Fassungen des Patentanspruchs BGH GRUR 2007, 309 - Schussfädentransport; siehe auch unter IV), teilt der Senat diese Auffassung nicht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - der Patentinhaber mittels Haupt- und Hilfsanträgen vollständige Anspruchssätze der angegriffenen Patentansprüche einreicht und nicht zugleich hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, dass er seine eingereichten Anspruchssätze nur als unverbindliche Anregungen möglicher Beschränkungen verstanden wissen will. Denn durch Vorgabe vorformulierter und in ein Rangverhältnis gestellter Anspruchssätze bringt der Patentinhaber seinen Willen zum Ausdruck, in welcher Reihenfolge und Fassung er die angegriffenen Patentansprüche in ihrer Gesamtheit beschränkt verteidigen will und eine Prüfung wünscht. Es besteht deshalb kein Anlass davon auszugehen, dass der Patentinhaber die angegriffenen Patentansprüche auch in der Weise verteidigen will, dass er nur einzelne Patentansprüche gemäß Hauptantrag vorrangig vor dem Hilfsantrag verteidigen will (vgl. eine ausdrückliche Erklärung fordernd: BPatG 2 Ni 37/04 Urteil vom 28. September 2006).

bb. Eine hiervon abweichende Teilnichtigerklärung würde - auch soweit sie sich nicht nur auf den Wortlaut eines Patentanspruchs, sondern auf den gesamten Anspruchssatz bezieht - damit dem erklärten Willen des Patentinhabers widersprechen, der auch im Nichtigkeitsverfahren zu beachten ist (vgl. BGH GRUR 97, 272, 273 - Schwenkhebelverschluss; Rogge in Benkard PatG, 10. Aufl., § 22 Rdn. 65; Keukenschrijver in Busse, PatG, 6. Aufl., § 83 Rdn. 26; BPatG GRUR 1996, 44 - Tetrafluoräthan).

Insoweit besteht ebenso wenig wie im Einspruchs- oder Einspruchsbeschwerdeverfahren Veranlassung zu der Annahme, der Patentinhaber sei nicht in der Lage, seinen vorrangigen Willen durch entsprechend formulierte und auf seine Interessen abstellende Patentansprüche wie auch Anspruchssätze zu artikulieren, zumal es zur Annahme eines gegenteiligen Willens ausreichen würde, dass der Patentinhaber diesen erkennen lässt. Ob der Patentinhaber eine von ihm vorformulierte Fassung in Verkennung der rechtlichen Bewertung der Patentfähigkeit der angegriffenen Ansprüche wählt und insoweit die nach § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 139 Abs. 2 ZPO gebotenen rechtlichen Hinweise zu erteilen sind, ist eine andere, vorliegend nicht maßgebliche Frage, da die mittels Hauptantrag verteidigte Fassung des angegriffenen Patentanspruchs in der mündlichen Verhandlung ausführlich im Hinblick auf die fehlende Patentfähigkeit erörtert worden ist.

III.

1. Soweit die Beklagte gemäß Hilfsantrag 1 die angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents beschränkt verteidigt, waren diese der Teilnichtigerklärung ohne weitere Sachprüfung zugrunde zu legen (vgl. Schulte, PatG, 7. Aufl., § 81 Rdn. 133; Keukenschrijver in Busse PatG, 6. Aufl., § 83 Rdn. 47 - m. w. H.), da sie von den Klägerinnen nicht mehr angegriffen worden sind und sich die Änderung als zulässig erweist.

a. Da Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag seine Grundlage in den erteilten Patentansprüchen 1 bis 3 i. V. m. der Beschreibung S. 3 Zn. 13 bis 19 und Figur 1 findet und Patentanspruch 7 durch Patentanspruch 9 ebenfalls i. V. m. der Beschreibung S. 3 Z. 19 gestützt ist, bestehen gegen die Zulässigkeit der Beschränkung keine Bedenken.

b. Nach einhelliger Meinung wird im Falle der zulässigen Selbstbeschränkung und Rücknahme der weitergehenden Klage (vgl. BGH Bausch 1999-2001, 467, 469 - Druckentlastungspaneel; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren 3. Aufl., S. 111 Rdn. 164; BPatG 2 Ni 29/95 in Bausch 1994-1998, 673, 674), welche auch ohne ausdrückliche Erklärung in dem erklärten Einvernehmen des Klägers liegen kann (vgl. BPatG 2 Ni 45/93 in Bausch 1994-1998, 25, 27-28), der Streitstoff bindend begrenzt und auf die Prüfung der Zulässigkeit der nicht angegriffenen Beschränkung reduziert. Eine Sachprüfung der Patentfähigkeit ist dem Gericht verwehrt, da dieses nur im Rahmen der von den Streitparteien gesetzten Grenzen über den Bestand des bisher geschützten Rechts zu entscheiden hat (st. Rspr., vgl. BGH 1964, 308 - Dosier- und Mischanlage unter Hinweis auf BGH GRUR 1956, 409, 410 - Spritzgussmaschine; GRUR 1962, 294, 296 - Hafendrehkran; BGH Bausch 1999-2001, 467, 469 - Druckentlastungspaneel).

c. Dieser Grundsatz muss nach Auffassung des Senats unabhängig davon gelten, ob das Streitpatent durch eine von dem Kläger nicht (mehr) angegriffene zulässige Selbsteinschränkung unbedingt oder nur hilfsweise verteidigt wird. Zwar wird zwischen einer unbedingten Selbstbeschränkung und einer hilfsweisen Beschränkung im Hinblick auf die Frage einer Bindungswirkung für das Gericht unterschieden (vgl. Rogge in Benkard PatG, 10. Aufl., § 22 Rdn. 50 m. w. H.; Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren 3. Aufl., S. 110 Rdn. 162). Nach dieser Auffassung soll eine hilfsweise erklärte Selbstbeschränkung nicht zu einer Bindung des Gerichts führen können, sondern lediglich eine Anregung für eine andere Fassung der Ansprüche darstellen (vgl. Rogge in Benkard PatG, 10. Aufl., § 22 Rdn. 50 m. w. H.). Mangels der Bindung an die gewählte Anspruchsfassung des Patentinhabers bleibe eine abweichende Teilnichtigerklärung möglich, die insbesondere auch im Zwischenbereich der nach Haupt- und Hilfsantrag verteidigten Fassungen der Patentgegenstände liegen könne. Die nur hilfsweise erklärte Selbstbeschränkung binde danach nicht, auch wenn sie vom Kläger nicht mehr angegriffen werde. Dieser Auffassung ist aber aus den unter II 3 genannten Gründen in Fällen wie dem vorliegenden nicht zu folgen, wenn der Patentinhaber mittels Haupt- und Hilfsantrag durch Vorlage von zulässigen Anspruchsfassungen der verteidigten Patentansprüche den Prüfungsgegenstand abschließend bestimmt und deshalb eine im Zwischenbereich von Haupt- und Hilfsantrag liegende Teilnichtigkeit des Streitpatents seinem Willen widersprechen würde.

Die aufgrund des Hilfsantrags 1 von der Beklagten vorgegebene, zulässig beschränkte Fassung der angegriffenen Patentansprüche des erteilten Patents, welche die Klägerinnen nicht angreifen, ist deshalb für den Senat ebenso bindend wie eine unbedingt erklärte Selbstbeschränkung. Damit unterliegt in dem vorliegenden Fall nur die von der Beklagten gemäß Hauptantrag beschränkt verteidigte Fassung des Streitpatents der Sachprüfung durch den Senat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

1. Bei der ergänzend unter Billigkeitsgesichtspunkten nach § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. PatG zu treffenden Kostenentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Klägerinnen die gemäß Hilfsantrag 1 von der Beklagten verteidigte Fassung des Streitpatents nicht (mehr) angegriffen haben. Der Senat teilt die in der Entscheidung "Schwenkhebelverschluss" (BGH GRUR 1997, 272) geäußerten Bedenken, wonach es dem Kläger im Patentnichtigkeitsverfahren verwehrt ist, einen Patentanspruch in der Weise beschränkt anzugreifen, dass der Inhaber des Streitpatents durch eine in den Klageantrag aufgenommene Neufassung des angegriffenen Patentanspruchs festgelegt wird.

Gegenstand der Sachprüfung und damit der Klage kann auch im Falle einer zulässigen Selbstbeschränkung nur das erteilte Patent in seiner geltenden Fassung sein (vgl. z. B. Rogge in Benkard, PatG, 10. Aufl., § 22 Rdn. 48; zum Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren BGH GRUR 1998, 910, 911 - Scherbeneis; BPatGE 45, 53, 55; Keukenschrijver in Busse PatG, 6. Aufl., § 16 GebrMG Rdn. 10), wobei es ausschließlich Sache des Patentinhabers ist, den erteilten Patentanspruch in einer von ihm neu gefassten eingeschränkten Fassung zulässig zu verteidigen, wenn er dessen vollständige Nichtigerklärung vermeiden will (BGH GRUR 2007, 309 - Schussfädentransport). Änderungen der Fassung des erteilten Patentanspruchs gegen den Willen des Patentinhabers dürfen nicht erfolgen (vgl. zum Einspruchs- und Einspruchsverfahren BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II m. w. H.). Der Kläger im Nichtigkeitsverfahren muss deshalb ebenso wenig wie das Gericht (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 309 - Schussfädentransport) von sich aus in eine Prüfung darüber eintreten, inwieweit in dem insgesamt als nicht schutzfähig angegriffenen Patentanspruch ein bestandsfähiges Minus enthalten ist.

2. Ausgehend hiervon wäre es dem Kläger allenfalls möglich, im Rahmen der Klage erkennen zu lassen, ob und inwieweit er das Patent beschränkt angreifen will, wozu aber insbesondere deshalb keine Veranlassung besteht, weil - anders als in Gebrauchsmusterverfahren bei bereits zu den Registerakten gereichten beschränkenden Unterlagen (vgl. hierzu BGH GRUR 1998, 910, 912 - Scherbeneis; zur Möglichkeit der Kenntlichmachung eines eingeschränkten Löschungsbegehrens bei der Gebrauchsmuster-Löschungsklage vgl. Bühring GbmG 7. Aufl., § 15 Rdn. 77 und 86, BPatGE 22, 57, 58; 22, 114, 116; 22, 126, 128) - keine vorformulierten Fassungen des Rechteinhabers existieren. Unabhängig davon würde durch die Angabe solcher, die Beschränkung des Klageziels deutlich machender Fassungen des Patentanspruchs der Gegenstand der Klage, welche nur gegen den geltenden Patentanspruch gerichtet sein kann, nicht von vorneherein begrenzt und ein überschießender Klageantrag nicht vermieden. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass ausschließlich den Patentinhaber Rechte und Pflichten aus dem Patent treffen und es deshalb auch nicht Aufgabe des Klägers ist, zur Begrenzung des Streitgegenstands und Kostenrisikos seinerseits Beschränkungen zu weitgefasster Patentansprüche gegenüber dem Patentinhaber vorzuschlagen.

Die dem Patentinhaber nach der ständigen Rechtsprechung gewährte Gunst, zur Beschränkung seines Patents nicht stets auf ein isoliertes Beschränkungsverfahren i. S. v. § 64 PatG ausweichen zu müssen, sondern auch im Verlauf des Nichtigkeitsverfahrens eine Beschränkung herbeiführen zu können, würde ansonsten im Falle einer zu keinem Zeitpunkt von der Klägerin angegriffenen Beschränkung durch Neufassung der Patentansprüche - anders als in den Fällen der nur gegen einzelne Patentansprüche oder abgrenzbare Teile gerichteten Nichtigkeitsklage - zu einer unbilligen kostenmäßigen Verschiebung des isolierten Beschränkungsverfahrens in das Nichtigkeitsverfahren zu Lasten des Klägers führen, obwohl das Patentrecht - anders als das Gebrauchsmusterrecht - für den Patentinhaber mit dem isolierten Verfahren i. S. v. § 64 PatG gerade die Möglichkeit geschaffen hat, einer Beschränkung erst im kosten- und zeitaufwändigen Nichtigkeitsverfahren vorzubeugen (vgl. hierzu auch BGH GRUR 1998, 911, 912 - Scherbeneis 1999, 833, 834; Goebel GRUR 1999, 833, 834).

3. Hiervon ausgehend ist aufgrund der ergänzend heranzuziehenden Billigkeitsgründe gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG abweichend vom Unterliegensprinzip und den entsprechend geltenden Kostengrundsätzen der §§ 91 ff., 269 Abs. 3 ZPO nicht dem Kläger, sondern dem Patentinhaber das mit der Möglichkeit einer zulässigen Beschränkung durch Neufassung des Patentanspruchs verbundene Kostenrisiko aufzubürden, welches hinsichtlich des überschießenden ursprünglichen Klageantrags entsteht, wenn dieser nicht angegriffen wird (vgl auch zur Kritik an einer Aufteilung des Kostenrisikos zu weit gefasster Anträge im Falle nicht abgrenzbarer Teile des Patents Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren 3. Aufl., S. 124 Rdn. 198 zu Fußn. 791; aA BGH Bausch 1999-2001, 467, 469 - Druckentlastungspaneel; BPatG Bausch 1994-1998, 673, 674 - Keder für Polsterwarennähte; vgl. aber auch BPatG Bausch 1994-1998, 25, 27 - Drahtseele; zum Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren: Bühring GbmG, 7. Aufl., § 17 Rdn. 54 m. w. H.). Dies gilt unabhängig davon, ob die Beschränkung unbedingt oder wie hier hilfsweise erklärt wird - sofern diese erstmals im Verlauf des Rechtsstreits erfolgt und der Kläger sich mit der beschränkten Fassung sofort einverstanden erklärt.

Dabei kann die weitere Frage dahinstehen, ob es überhaupt einer Korrektur der infolge der teilweisen Klagerücknahme ausgelösten Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO durch Heranziehen von Billigkeitserwägungen nach § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. PatG bedarf oder ob sich nicht eine entsprechende Anwendung bereits deshalb verbietet, weil sich der mit der Nichtigkeitsklage erfolgte Angriff gegen die Fassung der geltenden Patentansprüche als erfolgreich erwiesen hat und die beschränkte Neufassung der Patentansprüche weder von dem ursprünglichen Klagebegehren ausgenommen werden konnte noch isoliert angegriffenen worden ist.

Danach war auch vorliegend insoweit keine anteilige Kostenauferlegung zu Lasten der Klägerinnen geboten als das Streitpatent im ausgeurteilten Umfang der neugefassten zulässig beschränkten Patentansprüche Bestand hat.

Dr. Schermer Engels Richter Dr. Egerer kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben Dr. Schermer Dr. Maksymiw Richterin Zettler kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben Dr. Schermer Be






BPatG:
Urteil v. 29.04.2008
Az: 3 Ni 48/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/60572a0eb2de/BPatG_Urteil_vom_29-April-2008_Az_3-Ni-48-06




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