Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. Januar 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 103/99

(BPatG: Beschluss v. 20.01.2000, Az.: 25 W (pat) 103/99)

Tenor

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung VIVAT ist am 14. Oktober 1996 für

"Arzneimittel, nämlich Vitamin-Präparate "

in das Markenregister eingetragen worden.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der älteren IR - Marke 543 985 VIVA, der am 25. Juni 1998 für

"Cosmetiques, à savoir preparations pour le nettoyage, le soin et l'embellissement des cheveux ainsi qu'autres produits pour le soin et le traitement des cheveux et du cuir chevelu exclusivement destines à être distribues au commerce en gros et en detail des coiffeurs"

für die Bundesrepublik Deutschland Schutz bewilligt worden ist.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentamts hat mit Beschluß vom 15. März 1999 durch einen Beamten des höheren Dienstes die Verwechslungsgefahr zwischen den Marken bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Die beiderseitigen Waren könnten auch bei Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Klassen von mittlerer Ähnlichkeit sein. Es sei zu berücksichtigen, daß beispielsweise Biotin (Vitamin H) gerade auch als Mittel zur Festigung der Haarstruktur eingesetzt werde, so daß sowohl hinsichtlich des Anwendungsziels, der Verwender, als auch hinsichtlich der Herkunftsbetriebe deutliche Berührungspunkte vorlägen. Ausgehend von normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke halte die angegriffene Marke den erforderlichen Markenabstand nach dem klanglichen Gesamteindruck nicht ein.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke mit dem Antrag, den Beschluß der Markenstelle vom 15. März 1999 aufzuheben und die Verwechslungsgefahr zu verneinen.

Eine in dem Beschwerdeschriftsatz vom 15. April 1999 bis zum 13. August 1999 angekündigte Beschwerdebegründung ist nicht eingereicht worden.

Die Widersprechende hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Markenstelle hat auf den nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobenen Widerspruch aus der älteren Marke hin die Löschung der angegriffenen Marke zu Recht gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG angeordnet. Es besteht auch nach Auffassung des Senats wegen der Ähnlichkeit der Waren und der Ähnlichkeit der Marken die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG, der hier nach §§ 152, 158 Abs 2 Satz 2, 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG Anwendung findet.

Da Benutzungsfragen im vorliegenden Verfahren nicht aufgeworfen sind, ist bei den Waren von der Registerlage auszugehen. Die sich danach gegenüberstehenden Waren "Arzneimittel, nämlich Vitamin-Präparate" der angegriffenen Marke und die "Kosmetika, nämlich Präparate für die Reinigung, Pflege und Verschönerung der Haare sowie Produkte für die Pflege und Behandlung der Haare und der Kopfhaut, ausschließlich bestimmt für den Groß- und Kleinhandel der Friseure" auf Seiten der Widerspruchsmarke sind ohne weiteres ähnlich iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG. Bei dem Begriff der Warenähnlichkeit nach dem MarkenG handelt es sich gegenüber dem Warengleichartigkeitsbegriff nach dem WZG prinzipiell um einen neuen, eigenständigen Rechtsbegriff. Nach der dazu bereits ergangenen Rechtsprechung des EuGH und BGH ist der 10. Erwägungsgrund zur Markenrechtsrichtlinie heranzuziehen, wonach Zweck des Markenschutzes insbesondere die Gewährleistung der Herkunftsfunktion der Marke und der Begriff der Ähnlichkeit im Hinblick auf die Verwechslungsgefahr auszulegen ist. Anders als nach der früheren Rechtsprechung wird das entscheidende Gewicht nicht mehr auf die Vorstellung (vermeintlich) gleicher örtlicher Herstellungsstätten gelegt, wenngleich eine solche Feststellung natürlich nach wie vor große Bedeutung hat. Vielmehr wird die Frage der Warenähnlichkeit nunmehr im Sinne einer umfassenderen "betrieblichen Zuordnung" gesehen, die auch durch die Erwartung des Verkehrs von einer Verantwortlichkeit desselben Unternehmens für die Qualität der Waren begründet sein kann (EuGH MarkenR 1999, 22, 24, Zi. 28, 29 - CANON; BGH MarkenR 1999, 242, 245 - Canon II mwN). Bezüglich eines solchen Verständnisses kann an Kriterien angeknüpft werden, wie sie auch bereits zur Warengleichartigkeit entwickelt wurden, zB die stoffliche Beschaffenheit, die regelmäßige Vertriebs- und Erbringungsart, der Verwendungszweck, die wirtschaftliche Bedeutung oder die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen (vgl BGH GRUR 1999, 158, 159 - GARIBALDI; MarkenR 1999, 61, 63 - LIBERO; MarkenR 1999, 93 ff "TIFFANY"; GRUR 1998, 925, 926 - Bisotherm-Stein; GRUR 1999, 164, 166 - JOHN LOBB jeweils mwN).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze können Vitamin-Präparate als Arzneimittel und die speziellen Kosmetika für die Pflege und Behandlung der Haare und der Kopfhaut Überschneidungen und Berührungspunkte insbesondere hinsichtlich der stofflichen Beschaffenheit und Zusammensetzung sowie des Verwendungszwecks aufweisen, so daß die angesprochenen Verkehrskreise glauben können, die betreffenden Waren stammen aus demselben Unternehmen. So hat bereits die Markenstelle in dem angefochtenen Beschluß ausgeführt, daß beispielsweise Biotin (Vitamin H) gerade auch als Mittel zur Festigung der Haarstruktur eingesetzt wird. Allgemein ist anerkannt, daß die meisten der bekannten Vitamine auch bei äußerlicher Anwendung eine günstige Wirkung auf die Gesundheit der Haut und der Haare ausüben und deshalb vielen kosmetischen Präparaten zugesetzt werden (vgl Fey/Otte, Wörterbuch der Kosmetik, 3. Aufl, Seite 280 f). Danach wirkt etwa Vitamin A einem Glanzverlust der Haare und Haarausfall entgegen und wird -Carotin auch in Kombination mit Vitamin E ua in Haarpflegemitteln eingearbeitet. B-Vitamine, zB B6 oder Pantothensäure, werden ua in vitaminisierten Haarwässern verwendet (vgl Fey/Otte, aaO; Hugo Janistyn, Taschenbuch der modernen Parfümerie und Kosmetik, 4. Aufl, Seite 405), während Vitamin C in Kombination mit -Tocopherol die Wirkung von Antischuppenmitteln verstärken soll. Die insoweit gegebenen Überschneidungen hinsichtlich der Zusammensetzung und des Verwendungszwecks zeigen sich weiterhin darin, daß etwa bei Biotinmangel vor allem die Symptome Dermatitis (entzündliche Hautkrankheit) und Haarausfall auftreten (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, Seite 186). Dabei hat die Form der "Dermatitis exfoliativa generalisata" oft den Verlust der Haare zur Folge (vgl Pschyrembel aaO, Seite 312) und betrifft somit unmittelbar auch die Kopfhaut. Daß sich Biotinmangelzustände ua in der Haut, den Haaren und Nägeln äußern, ergibt sich schließlich auch aus dem Anwendungsbereich der in der Roten Liste aufgeführten entsprechenden biotinhaltigen Vitamin-Präparate (vgl zB Nr 84 168 bis Nr 84 171 und Nr 84 198). Im übrigen hat der Senat schon in einer früheren Entscheidung "Vitaminpräparate als Arzneimittel" und "Haarpflegemittel" grundsätzlich als ähnlich iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG angesehen (vgl Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 11. Aufl, Seite 343 mit Hinweis auf 25 W (pat) 99/93).

Der im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke enthaltene Zusatz, daß die dort genannten Kosmetika "ausschließlich für den Groß- und Kleinhandel der Friseure bestimmt" sind, hat auf die Frage der festgestellten Warenähnlichkeit und den Warenabstand keinen Einfluß. Insoweit sind derartige einschränkenden Vermerke nur dann von Bedeutung, wenn sie die allgemeinen und objektiven Eigenschaften und Zweckbestimmungen sowie die Art der Waren selbst in einer wirtschaftlich nachvollziehbaren und rechtlich abgrenzbaren Weise betreffen (vgl BPatGE 22, 75, 79 f "LETRALINE"; BPatGE 30, 196, 200 "ORTHOTECH"). Dies ist bei - wie hier - bloßen Vertriebswegbeschränkungen nicht der Fall (vgl auch BPatGE 27, 137, 139 - MAGTOXIN). Diese Einschränkung des ausschließlichen Vertriebs der Widerspruchswaren über den Friseurhandel folgt ersichtlich nicht aus der Art der betroffenen Kosmetika, sondern betrifft allenfalls Gesichtspunkte der individuellen Vertriebspolitik der Widersprechenden. Als solche sind sie nicht geeignet, eine Vergrößerung des Warenabstands herbeizuführen.

Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus, da Anhaltspunkte, die in eine andere Richtung weisen, nicht ersichtlich sind.

Auch wenn man von einem nur mittleren Grad der Warenähnlichkeit ausgeht, sind die an den Markenabstand zur Vermeidung der Kollisionsgefahr angesichts der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt. Die Vergleichsmarken sind nach Auffassung des Senats jedenfalls im klanglichen Gesamteindruck so stark angenähert, daß eine hinreichend sichere Unterscheidung nicht gewährleistet und die Verwechslungsgefahr iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu bejahen ist.

Der insoweit maßgebliche klangliche Gesamteindruck der sich somit gegenüberstehenden Bezeichnungen "VIVAT" und "VIVA" wird dadurch hochgradig verwechselbar ähnlich gestaltet, daß die einzige Abweichung der im übrigen identischen Wörter im zusätzlichen Endkonsonanten "T" der angegriffenen Marke besteht, der unter diesen Umständen allein kein ausreichendes Gegengewicht darstellt. Vielfach wird der Endungslaut "T" nur schwach artikuliert werden. Aber selbst bei einer deutlicheren Aussprache vermag dies angesichts des ansonsten identischen Klangbildes keinen ausreichenden Klangunterschied herbeizuführen. Berücksichtigt man schließlich, daß sich die Verkehrsauffassung meist nur aufgrund eines eher undeutlichen Erinnerungseindrucks bildet, kann eine klangliche Verwechslungsgefahr unter den hier vorliegenden Gesamtumständen nicht ausgeschossen werden.

Auch wenn aufgrund der Vertriebsbeschränkung im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke einerseits und der Art der Waren der angegriffenen Marke als Arzneimittel andererseits eine Begegnung der entsprechend gekennzeichneten Produkte in denselben Verkaufsorten und Vertriebsstätten eher unwahrscheinlich ist, sind Verwechslungen gerade im Hinblick auf die hochgradige Klängnähe der Marken doch insoweit zu befürchten, als vor allem Endverbraucher irrtümlich etwa beim Kontakt mit der angegriffenen Marke in der Apotheke oder Drogerie annehmen können, dieser bereits in einem Friseur-Salon begegnet zu sein, bzw umgekehrt meinen, die angegriffene Marke auf den mit der Widerspruchsmarke gekennzeichneten Kosmetika in einem Friseurgeschäft wiederzuerkennen. Dabei ist der Tatbestand der Verwechslungsgefahr auch dann erfüllt, wenn die irrtümliche Zuordnung noch bemerkt wird und es nicht zu einem darauf beruhenden irrtümlichen Kauf kommt (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 20).

Ein in der angegriffenen Marke "VIVAT" etwa enthaltener Bedeutungsgehalt im Sinne des lateinischen Ausrufs "Er/sie/es lebe (hoch)" vermag sich nicht entscheidend verwechslungsmindernd auszuwirken. Wegen der hochgradigen Ähnlichkeit der Gesamtklangbilder besteht vielmehr die Gefahr, daß selbst den Verkehrskreisen, denen dieser Bedeutungsinhalt bekannt ist - wovon bei der überwiegenden Mehrheit der Endverbraucher allerdings nicht ohne weiteres ausgegangen werden kann - beim Verhören der Sinngehalt überhaupt nicht oder aber der falsche Begriff zum Bewußtsein kommt.

Bei diesem Ergebnis kann dahinstehen, ob sich die Marken auch im Schriftbild verwechselbar nahe kommen.

Nach alledem war die Beschwerde der Inhaberin der angemeldeten Marke zurückzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Engels Brandt Hu






BPatG:
Beschluss v. 20.01.2000
Az: 25 W (pat) 103/99


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