Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 4. April 2008
Aktenzeichen: Verg 04/08, Verg 4/08

(OLG München: Beschluss v. 04.04.2008, Az.: Verg 04/08, Verg 4/08)

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den (fiktiven) Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 3.3.2008 und den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 14.3.2008 zu verlängern, wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin hat im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften am 18.9.2007 unter der Nr. 2007/S 179-218706 einen Auftrag zur Umsiedlung eines bestehenden P. Bau- und Gartenfachmarktes und Kauf eines Grundstückes als Baukonzession bekannt gemacht.

Die Antragstellerin betreibt in München an der W.-Straße einen Baustoff-Fachhandel und einen Baumarkt. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem vorgenannten Grundstück der Antragstellerin liegt das ausgeschriebene Grundstück S.-Straße.

Die Beigeladene gehört zur A.-Unternehmensgruppe. Die Beigeladene oder ein anderes Unternehmen der A.-Unternehmensgruppe ist Eigentümerin des Grundstücks L.-F.-Straße in M.. Auf dem Grundstück L.-F.-Straße wird auf der Basis einer langfristigen Vereinbarung mit der A. ein P.-Markt betrieben.

Die Antragsgegnerin hat in den vergangenen Jahren im Münchner Norden die baurechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung der €Parkstadt Sch.€ geschaffen. Der P.-Markt an der L.-F.-Straße, der auf dem Gebiet der geplanten €Parkstadt Sch.€ liegt, ist nach Auffassung der Antragsgegnerin mit den heutigen städtebaulichen Zielsetzungen dieses Gebiets nicht verträglich.

Die Antragsgegnerin beschreibt unter II. 1.3) der Bekanntmachung den Auftrag wie folgt:

€Der bestehende P.- Bau- und Gartenfachmarkt an der L.-F.-Straße in der Parkstadt Sch. soll zur Realisierung der im Bebauungsplan 1781 €N.-Straße€ (Parkstadt Sch.) festgesetzten stadtplanerischen Ziele auf das, vom Auftragnehmer zu erwerbende Grundstück des Auftraggebers an der S.-Straße (östlich) in M.-T. umgesiedelt werden, auf dem der neue P.-Bau- und Gartenfachmarkt zu errichten ist. Aufgrund der am Grundstück an der L.-F.-Straße langfristig bis 2037 bestehenden unkündbaren Rechte der Fa. P.-Bau- und Heimwerkermärkte AG und der A.-Unternehmensgruppe sowie der damit verbundenen notwendigen einvernehmlichen Mitwirkung bei der Umsiedlung kommt für die Auftragsdurchführung nur ein Unternehmen der A.-Unternehmensgruppe in Betracht. Der Auftraggeber beabsichtigt daher, das Grundstück an ein Unternehmen der A.-Gruppe zu verkaufen und dieses Unternehmen zur Umsiedlung und Neuerrichtung des P.-Bau- und Gartenfachmarktes einschließlich der Erschließungs- und Ausgleichsmaßnahmen zu verpflichten.€

Der Auftragswert wird in der Bekanntmachung (ohne Mehrwertsteuer) auf 20.000.000, -- € geschätzt.

Der Zuschlag wird gemäß IV. der Bekanntmachung an den Bewerber erteilt, der in der Lage ist, die Errichtung und die Inbetriebnahme des neuen P.-Bau- und Gartenfachmarktes innerhalb von maximal 3 Jahren ab der Baurechtschaffung und die dauerhafte Aufgabe des bestehenden P.-Bau- und Gartenfachmarktes an der L.-F.-Straße maximal 4 Monate ab Inbetriebnahme des neuen P.- Bau- und Gartenfachmarktes zu gewährleisten und den Grundstückskaufpreis zu entrichten.

Mit Beschlüssen des Stadtrats der Antragsgegnerin vom 20.11.2003 und 20.6.2007 und des Kommunalausschuss vom 14.6.2007 wurde das streitgegenständliche Projekt einschließlich des Verkaufs des Grundstücks S.-Straße an die Beigeladene beschlossen.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 13.6.2007, Verg 2/07) entschloss sich das Kommunalreferat der Antragsgegnerin laut Vergabevermerk vorsorglich, das Vorhaben im Amtsblatt der EU bekannt zu machen. Als Schlusstermin für die Einreichung von Bewerbungen wurde der 8.11.2007 festgelegt. Zum Schlusstermin lag nur die Bewerbung der Beigeladenen vor.

Mit Schreiben vom 20.9.2007 unterrichteten die Bevollmächtigten der Beigeladenen die damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin unter Angabe der Internetadresse über die Bekanntmachung der Antragsgegnerin vom 18.9.2007.

Mit Schreiben vom 20.11.2007 unterrichtete das Kommunalreferat der Antragsgegnerin die damaligen Bevollmächtigten die Antragstellerin darüber, dass die Antragsgegnerin beabsichtige, der Beigeladenen den Auftrag zu erteilen.

Daraufhin rügten die nunmehrigen Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom 22.11.2007 u.a., dass die Ausschreibung vom 18.9.2007 den Wettbewerb unzulässig einschränke und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße.

Am 13.12.2007 wurde der Kaufvertrag mit der Beigeladenen notariell beurkundet.

Mit Schreiben vom 28.01.2008 stellte die Antragstellerin bei der Vergabekammer Südbayern Nachprüfungsantrag mit dem Ziel, der Antragsgegnerin zu untersagen, mit der Beigeladenen einen Vertrag über die Umsiedlung eines bestehenden P.-Bau- und Gartenfachmarktes und den Kauf des Grundstückes S.-Straße auf der Grundlage der Bekanntmachung vom 18.9.2007 bzw. ohne vorherige neue Bekanntmachung, bei der ein echter Wettbewerb sichergestellt ist, zu schließen.

Bis zum Ablauf der 5-Wochenfrist am 3.3.2008 erging keine Entscheidung der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag.

Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin wurden am 5.3.2007 von der Vergabekammer darüber unterrichtet, dass die Frist gemäß §§ 113 Abs.1 Satz 1, 116 Abs. 2 GWB abgelaufen ist. Die Antragstellerin beantragte beim Vorsitzenden der Vergabekammer dennoch mündlich zu verhandeln und zu entscheiden.

Mit Beschluss vom 14.3.2008, der Antragstellervertreterin zugestellt am gleichen Tag, hat die Vergabekammer Südbayern den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unzulässig verworfen. Die Antragstellerin sei zwar, obwohl sie kein Angebot abgegeben habe, antragsbefugt gemäß § 107 Abs. 2 GWB. Die Antragstellerin habe, da sie ausweislich der Bekanntmachung vom 18.9.2007 für die Auftragsdurchführung nicht in Betracht gekommen sei, von der Abgabe eines Angebots absehen können. Es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, nur zur Bekundung ihres Interesses am Erwerb des Grundstücks S.-Straße eine aussichtslose Bewerbung abzugeben. Die Antragstellerin habe jedoch die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB versäumt. Sie habe erstmals mit Schreiben vom 22.11.2007 eine unzulässige Einschränkung des Wettbewerbs und einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gerügt. Diese Mängel wären jedoch, da sie sich bereits aus der Bekanntmachung vom 18.09.2007 ergeben hätten, bis spätestens 8.11.2007 zu rügen gewesen.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am gleichen Tag eingegangenen sofortigen Beschwerde vom 14.3.2008, die sie mit einem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung verbunden hatte. Mit Schriftsatz vom 2.4.2008 hat die Antragstellerin die Beschwerde ergänzend begründet. Sie sei entgegen der Auffassung der Vergabekammer mit ihren Rechten nicht gemäß § 107 Abs. 3 GWB präkludiert. Die Anwendung des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB durch die Vergabekammer widerspreche dem gemeinschaftsrechtlichen effet utile. Die Erhebung der Rüge sei der Antragstellerin praktisch unmöglich gemacht oder jedenfalls übermäßig erschwert worden. Die Notwendigkeit einer Rüge sei aus der Bekanntmachung nicht erkennbar gewesen. Vielmehr sei unter Ziffern VI. 3.2) und VI. 3.3) der Bekanntmachung jeweils irreführend €entfällt€ eingetragen gewesen. Es wäre an dieser Stelle jedoch ein Hinweis auf § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB erforderlich gewesen.

Im Übrigen sei auch zu rügen, dass es für einen Vertragsschluss mit der Beigeladenen an einem entsprechenden Beschluss der Vollversammlung des Stadtrates der Antragsgegnerin fehle. Dem Stadtratsbeschluss vom 20.11.2003 habe keine öffentliche Ausschreibung des Vorhabens zugrunde gelegen.

Der mit der Beigeladenen vereinbarte Kaufpreis für das Grundstück S.-Straße verstoße gegen das Verbot des Verkaufs unter Wert (Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayGO) sowie gegen das EU-Beihilferecht.

Die Antragstellerin beantragt:

I. Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 14.3.2008 in dem Verfahren Z3-3-3194-1-07-01/08 wird aufgehoben.

Hilfsweise:

Die gemäß § 116 Abs. 2 Halbsatz 2 GWB mit Wirkung zum 3.3.2008 fingierte Entscheidung der Vergabekammer Südbayern in dem Verfahren Z3-3-3194-1-07-01/08 wird aufgehoben.

II. Der Antragsgegnerin wird untersagt, einen Vertrag über die Umsiedlung eines bestehenden P.-Bau- und Gartenfachmarktes und den Kauf des Grundstücks an der S.-Straße in M.-T. (Flur-Nr. 206, 206/9, 216 und 606/57 und Teilflächen 195/6) auf Grundlage der Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EU vom 18.9.2007 (2007/S 179-218706) mit der A. Grundstücksverwaltungsgesellschaft mbH & Co. Baumarkt-Vermietungs KG abzuschließen, einen bereits abgeschlossenen, aber schwebend unwirksamen Vertrag zu heilen oder sonst wie den Zuschlag diesem Unternehmen zu erteilen.

III. Der Antragsgegnerin wird weiter untersagt, einen Vertrag über den Kauf des Grundstücks an der S.-Straße M.-T. (Flur-Nr. 206, 206/9, 216 und 606/57 und Teilflächen 195/6) verbunden mit städteplanerischen Interessen oder sonstigen Vorgaben, die den Vertrag vergaberechtlich als Bauauftrag oder Baukonzession einordnen lassen, ohne vorherige neue Bekanntmachung, bei der ein echter Wettbewerb sichergestellt ist und der Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die Einhaltung der sonstigen geltenden Vergaberegeln gewahrt ist, abzuschließen.

IV. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wird bis zur Entscheidung über die Beschwerde gemäß § 118 Abs.1 S.3 GWB verlängert.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen und den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene sind der Auffassung, dass die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zutreffend als nach § 107 Abs.3 Satz 2 GWB präkludiert angesehen habe. Außerdem sei das Vergabeverfahren, da es sich nicht um einen Beschaffungsvorgang handele, nicht eröffnet beziehungsweise jedenfalls eine freihändige Vergabe zulässig gewesen.

II.

A.

1. Dem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung war nicht stattzugeben. Nach der im Verfahren nach § 118 Abs.1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 GWB gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die sofortige Beschwerde der Antragstellerin keinen Erfolg. Die Vergabekammer geht zutreffend davon aus, dass die Antragstellerin mit der Rüge, die Ausschreibung verstoße gegen den in § 97 Abs. 1 GWB festgelegten Wettbewerbsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 97 Abs. 2 GWB, nach § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB ausgeschlossen ist.

33Zwar ist der Beschluss der Vergabekammer vom 14.3.2008 rechtswidrig und folglich aufzuheben. Die Vergabekammer hatte den Nachprüfungsantrag gemäß § 116 Abs.2 letzter Hs. GWB bereits mit Beschluss vom 3.3.2008 (fiktiv) abgelehnt. Da die Vergabekammer nicht über einen Streitgegenstand mehrere Entscheidungen treffen darf, war mit dem Beschluss vom 3.3.2008 das Verfahren vor der Vergabekammer abgeschlossen (Hunger in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Rdnr.44 zu §116 GWB). Die Aufhebung des Beschlusses vom 14.3.2008 führt jedoch, da der Nachprüfungsantrag wegen des Beschlusses vom 3.3.2008 abgelehnt ist und (voraussichtlich) bleibt, nicht zu einem Erfolg der Antragstellerin in der Sache.

Die Antragstellerin stellt nicht in Abrede, dass sie die Ausschreibung kannte. Sie wurde überdies von der Beigeladenen mit Schreiben vom 20.9.2007 ausdrücklich auf diese hingewiesen.

Es war nicht nur erkennbar sondern geradezu unübersehbar, dass die Bekanntmachung vom 18.9.2007, da diese ausschließlich und einzig und allein auf die Beigeladene zugeschnitten ist, gegen die vorgenannten Grundsätze des Vergaberechts, deren von der Antragstellerin behauptete Anwendbarkeit unterstellt, verstößt. Folglich hätte die Rüge spätestens am 8.11.2007 erfolgen müssen. Die erstmals mit Schriftsatz vom 22.11.2007 erhobene Rüge ist verspätet und präkludiert.

Entgegen der Einschätzung der Antragstellerin war die Erhebung der Rüge nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert. Der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 27.2.2003 € Rs. C-327/00) stellt bei der Bewertung der Frage, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Wahrnehmung von Bieterrechten unmöglich macht oder übermäßig erschwert ausdrücklich auf die Besonderheiten und konkreten Umstände des zur Entscheidung stehenden Falles ab (Rdnr. 56 u. 57). Die Erhebung der Rüge war im streitgegenständlichen Fall nicht unmöglich oder schwierig, sondern, wie erwähnt, da der Mangel schon für einen Laien und erst recht für die anwaltlich vertretene Antragstellerin unübersehbar war, denkbar einfach. Es kann und muss vom Bieter verlangt werden, dass er derartig offenkundige Mängel fristgerecht rügt und damit für die Vergabestelle innerhalb der Frist des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB erkennbar macht, dass er das gewählte Procedere nicht akzeptieren will.

37Ein Hinweis in der Bekanntmachung auf die Präklusion gemäß § 107 Abs. 3 GWB ist weder erforderlich noch in der Praxis üblich. Das Vergabeverfahren ist in Anbetracht der erheblichen Schwellenwerte von hoher Professionalität geprägt. Deshalb kann und muss vom Bieter ausreichende Fachkenntnis oder die Beiziehung eines Rechtsanwalts erwartet werden. Auch der Europäische Gerichtshof verlangt im Urteil vom 11.10.2007 (Rs C-241/06 € €Lämmerzahl€), welches sich mit § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB beschäftigt, keine diesbezügliche Rechtsbehelfsbelehrung.

Die Antragstellerin wurde durch die Eintragungen €entfällt€ unter VI. 3.2) und VI. 3.3) der Bekanntmachung weder irregeführt noch gar von der Erhebung der Rüge abgehalten. Vielmehr ist die Bekanntmachung völlig korrekt gefasst. Es geht an den vorgenannten Fundstellen ersichtlich um Rechtsbehelfe gegen die (beabsichtigte) Entscheidung der Vergabestelle. Insofern entfallen nach deutschem Vergaberecht Rechtsbehelfsfristen. Die Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB ist kein Rechtsbehelf im vorgenannten Sinne, sondern eine der Effektivität und Rechtssicherheit des Vergabeverfahrens dienende Obliegenheit des Bieters.

Grundlegende Bedenken gegen die Wirksamkeit von § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB bestehen nicht (vgl. auch Summa in juris PK-VergR, Rdnr. 113-116 zu § 107 GWB; Wiese in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Rdnr 60 u. 61 zu § 107 GWB jeweils m.w.N.). Der Europäische Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen durch den nationalen Gesetzgeber zulässig ist (Urteil vom 27.2.2003 Rdnr. 49 bis 52). Im Urteil vom 11.10.2007 (Rdnr. 58) hat der Europäische Gerichtshof § 107 Abs.3 Satz 2 GWB, vorbehaltlich von Besonderheiten des Einzelfalles, als in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehend angesehen.

Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kommt nicht in Betracht. Letztinstanzliche Gerichte sind, wenn sich eine entscheidungserhebliche Frage der Auslegung von Gemeinschaftsrecht stellt, zur Vorlage verpflichtet (Art. 234 Abs.3 EGV). Nur die Auslegung des Gemeinschaftsrechtes, nicht die Anwendung auf den Einzelfall steht zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Zöller, 26.Auflage, Rdnr 3b zu § 148 ZPO). Der Europäische Gerichtshof hat unter anderem im vorgenannten Urteil vom 27.2.2003 bereits entschieden, dass die Rechtsmittelrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass einem Bieter die Ausübung seiner Rechte durch das nationale Recht und das Verhalten des Auftraggebers nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden dürfen. Die Entscheidung der (zu verneinenden) Frage, ob dies hier der Fall ist, obliegt dem Senat (vgl. auch EuGH, Urteil vom 11.10.2007, Rdnr. 62 u. 63).

2. Der Einwand der Antragstellerin, dass der Zuschlag mangels Entscheidung der Vollversammlung des Stadtrats der Antragsgegnerin aus kommunalverfassungsrechtlichen Gründen fehlerhaft sei, ist jedenfalls unbegründet. Die Antragstellerin hätte selbst bei Wiederholung der Wertung des Zuschlags, da sie sich selbst nicht beworben hat, keine Chance, diesen zu erhalten. Deshalb könnte die Antragstellerin nur mit (nicht präkludierten) Rügen Erfolg haben, die zur Aufhebung der gesamten Ausschreibung führen.

3. Die Antragstellerin kann mit dem Einwand, der Ausschreibung fehle die Ermächtigung durch den Stadtrat der Antragsgegnerin, nicht durchdringen. Der Stadtrat hat mit Beschlüssen vom 20.11.2003 und 20.6.2007 das streitgegenständliche Projekt einschließlich des Verkaufs des Grundstücks S.-Straße an die Beigeladene beschlossen. Es ist Aufgabe der Verwaltung der Antragsgegnerin zu prüfen und zu entscheiden, wie die Entscheidung des Stadtrats am zweckmäßigsten umzusetzen ist. Das Kommunalreferat der Antragsgegnerin hat sich im Hinblick auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vorsorglich für eine vergaberechtliche Ausschreibung entschieden. Dafür bedurfte es ohnehin keiner Entscheidung des Stadtrates. Die Ausschreibung dient nur der Einholung von Angeboten. Diese konnte die Verwaltung, da die Entscheidung über den Zuschlag per Stadtratsbeschluss erfolgt, aus eigener Kompetenz veranlassen.

4. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin das Grundstück S.-Straße unter Wert an die Beigeladene veräußert, haben sich nicht ergeben. Die Antragstellerin hat diesbezüglich auch keine konkreten Anhaltspunkte genannt.

Im Übrigen hätte eine Veräußerung unter Wert auch keinen wettbewerbsrechtlichen Einschlag (§§ 97 Abs. 1 GWB, 25 a Nr. 2 VOB/A). Es ginge nämlich nicht darum, worauf sich die Antragstellerin im Vergabenachprüfungsverfahren berufen könnte, ob ein Wettbewerber aufgrund von Beihilfen so günstig kalkulieren kann, dass es ihm möglich wird, die anderen Bieter aus dem Wettbewerb zu drängen. Die Verpflichtung der Gemeinde (Art. 75 BayGO), Vermögensgegenstände zu ihrem vollen Wert zu veräußern, ist dagegen nicht Prüfungsmaßstab im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren.

B.

Sofern das Vergaberecht nicht anwendbar wäre, wäre der Antrag, da das Vergabenachprüfungsverfahren in diesem Fall nicht beschritten werden könnte, von vorneherein unzulässig.

Die Frage, ob das Vergaberecht und damit auch das Vergabenachprüfungsverfahren auf den streitgegenständlichen Sachverhalt anwendbar ist, kann, da dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin, wie unter A. ausgeführt, auch bei Anwendung des Vergaberechts kein Erfolg beschieden ist, dahingestellt bleiben.

Ohne Bedeutung für die Anwendbarkeit des Vergaberechts wäre der Umstand, dass die Antragsgegnerin das Vorhaben (vorsorglich) vergaberechtlich ausgeschrieben hat. Eine die Anwendbarkeit des Vergaberechts präjudizierende Selbstbindung ist damit nicht verbunden. Vielmehr hängt die Anwendbarkeit des Vergaberechts von objektiven rechtlichen Kriterien ab.

Allerdings hätte der Senat Zweifel daran, ob sich der streitgegenständliche Sachverhalt als Beschaffungsmaßnahme der öffentlichen Hand (§ 99 Abs. 3 GWB) verstehen lässt. Die Antragsgegnerin will aus städtebaulichen Gründen einen P.- Baumarkt verlegen . Das städtebauliche Interesse der Antragsgegnerin besteht entgegen der Einschätzung der Antragstellerin ersichtlich nicht primär in der Versorgung des Münchener-Südostens mit Bau- und Gartenfachmärkten. Das vorgenannte Vorhaben kann nur im Zusammenwirken mit der Beigeladenen und der Firma P. realisiert werden. Eine wettbewerbliche Komponente, wie sie sich bei der Entwicklung oder Umgestaltung von Grundstücken der öffentlichen Hand durch Einen aus einer ex ante Mehr- oder gar Vielzahl in Betracht kommender Investoren dem Grunde nach ergeben mag, scheidet von vorneherein aus. Es ist das auch verfassungsrechtlich (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 Bayerische Verfassung) verbürgte Recht der Antragsgegnerin, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Die Städteplanung gehört zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Wenn das Vergaberecht im streitgegenständlichen Fall anwendbar wäre, müsste sich die Antragsgegnerin mit dem abfinden, was der Wettbewerb von ihren städteplanerischen Vorstellungen übrig lässt.

Bei dieser Sachlage sieht der Senat entgegen dem Dafürhalten der Antragstellerin weder die Gefahr einer Umgehung des Vergaberechts unter einem städtebaulichen Vorwand noch einen Verstoß gegen das UWG.

Das planerische Ziel der Antragstellerin, die Verlagerung des P.-Marktes, ist dem Vergabeverfahren vorgegeben und dort nicht inzident zu prüfen. Insoweit wäre vielmehr gegebenenfalls der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten

Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin den Auftrag bei Anwendbarkeit des Vergaberechtsregimes freihändig gemäß §§ 32a Nr.1, 3 Nr.4 Buchst. a VOB/A vergeben konnte.

C.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.






OLG München:
Beschluss v. 04.04.2008
Az: Verg 04/08, Verg 4/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/5e99dc3d3a46/OLG-Muenchen_Beschluss_vom_4-April-2008_Az_Verg-04-08-Verg-4-08




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share