Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Dezember 2001
Aktenzeichen: 20 W (pat) 57/00

(BPatG: Beschluss v. 11.12.2001, Az.: 20 W (pat) 57/00)

Tenor

Der Beschluß des Patentamts vom 4. August 2000 wird aufgehoben. Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Das von der Beschwerdeführerin mit Einspruch angegriffene Patent 44 43 575 wurde vom Patentamt in vollem Umfang aufrechterhalten.

Die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit den überreichten Patentansprüchen 1 bis 4.

Der erteilte Anspruch 1 lautet:

"1. Verfahren zur Übertragung von codierten Sprachsignalen in mindestens einem Telekommunikationsnetz, bei dem die Sprachsignale über erste Kanäle niedriger Datenrate mit einem datenreduzierenden Code und über zweite Kanäle höherer Datenrate übertragen werden, dadurch gekennzeichnet, daß auch die Übertragung der Sprachsignale über die zweiten Kanäle höherer Datenrate mit dem datenreduzierenden Code erfolgt und daß über die Kanäle höherer Datenrate eine Inband-Signalisierung übertragen wird, die den datenreduzierenden Code kennzeichnet und zum Umschalten von Encodern und Decodern dient."

Im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag ist noch zusätzlich aufgenommen,

"daß geprüft wird, ob die datenreduzierenden Codes an den Enden der zweiten Kanäle höherer Datenrate gleich sind und daß die Übertragung über die zweiten Kanäle höherer Datenrate bei Gleichheit mit dem datenreduzierenden Code und bei Ungleichheit in decodierter Form erfolgt."

Folgende Entgegenhaltungen spielen für die Entscheidung eine Rolle:

(1) WO 93/00 778 und das im Beschwerdeverfahren eingeführte Dokument

(3) ETSI-GSM Technical Specification GSM 08.60, Version 3.3.1, February 1992 (30 Seiten)

II.

Der Gegenstand des Patents ist nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig.

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand dem Fachmann durch (1) und (3) nahegelegt.

Die Druckschrift (1) stellt es als nachteilig hin, wenn man in einem Sprachübertragungsnetzwerk, bei dem eine Mobilfunkstation und eine Basisstation im GSM- oder DECT-Standard über Kanäle niedriger Datenrate kommunizieren, für die Übertragung der Sprachsignale zur Mobilfunkvermittlungsstelle oder zum öffentlichen Netz die datenkomprimierten Sprachsignale einer weiteren Decodierung und Codierung unterwirft (S 2 Abs 2 und 3 iVm S 3 letzter Abs bis S 4 Abs 2). (1) schlägt vor, die Konvertierung nur dann vorzunehmen, wenn dies unbedingt erforderlich ist, den datenreduzierenden Code also nach Möglichkeit auch auf den Kanälen höherer Datenrate beizubehalten.

Wenn dabei, einem angeführten Ausführungsbeispiel gemäß (S 4 letzter Abs bis S 5 Abs 1 Satz 1), Mobilfunkstationen über mehrere Mobilfunkvermittlungsstellen, mithin über das Mobilfunknetz verbunden sind: so werden die sprachkomprimierten Signale im datenreduzierenden GSM- oder DECT-Standard auch über die zwischen den Vermittlungsstellen bestehenden Kanäle höherer Datenrate übertragen, ohne daß dabei eine automatische Konversion in das 64 kb/s/-Format vorgenommen wird, wie dies üblicherweise zwischen Mobilfunkvermittlungsstellen der Fall ist. Nur wenn empfangsseitig aus der empfangenen Datenfolge nicht unmittelbar die Sprachsignale wieder hergestellt werden können, findet eine automatische Konversion in den vorherbestimmten Telefonstandard statt (S 2 letzter Abs bis S 3 Abs 2).

Das gegenseitige Verstehen der Sprachsignale in den Mobilstationen setzt, wie der Fachmann erkennt, voraus, daß ihre Basisstationen nach denselben Codiervorschriften arbeiten. Sind die Algorithmen für die datenreduzierenden Codes einander gleich, so kann unmittelbar aus der empfangenen komprimierten Datenfolge das Sprachsignal wieder hergestellt werden: Ein Transcodieren erübrigt sich, über die Kanäle höherer Datenrate kann mit datenreduzierendem Code übertragen werden.

Es liegt nahe, es nicht erst auf den Versuch ankommen zu lassen, ob eine Basisstation mit den empfangenen datenreduzierten Sprachsignalen etwas anfangen kann oder nicht. Denn der Vorschlag, nach Möglichkeit unnötige Konvertierung zu vermeiden, erweist sich bereits zur Zeit des Verbindungsaufbaus zwischen zwei Mobilstationen als vorteilhaft (S 5 Abs 1). Das bedeutet, daß bereits zu diesem Zeitpunkt die jeweilen Basisstationen wissen müssen, ob ihre beiderseitigen Codierungsvorschriften übereinstimmen. Als Mitteilung hierfür eignet sich die Inband-Signalisierung; denn der auch mit (3) vertraute Fachmann, ein Ingenieur der Nachrichtentechnik mit praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Übertragung codierter Sprachsignale, kennt aus dieser Norm die Maßnahme, Codemerkmale über eine Inband-Signalisierung zu kennzeichnen. Nach dieser Vorschrift dient die Inband-Signalisierung zur Steuerung eines von der Basisstation entfernt angeordneten Transcoders, wobei ein Steuerbit C5 angibt, ob die Sprachsignale nach der Vollratencodierung oder nach der Halbratencodierung datenreduziert sind (S 11, 14). Dieses Wissen bringt der Fachmann in Anschlag, wenn es gilt, einer empfangenden Basisstation den datenreduzierenden Code der mit ihr über mehrere Mobilfunkvermittlungsstellen verbundenen sendenden Basisstation mitzuteilen: Hierzu bedient er sich gleichfalls einer Inband-Signalisierung.

2. Auf den Hauptantrag braucht nicht gesondert eingegangen zu werden, weil sein allgemeinerer Anspruch 1 den Anspruch 1 nach Hilfsantrag mitumfaßt.

Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Dr. van Radenist in Urlaub und daher verhindert zu unterschreiben.

Dr. Anders 7.2.2002 br/Na






BPatG:
Beschluss v. 11.12.2001
Az: 20 W (pat) 57/00


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