Verwaltungsgericht Stuttgart:
Urteil vom 5. November 2003
Aktenzeichen: 3 K 554/02

(VG Stuttgart: Urteil v. 05.11.2003, Az.: 3 K 554/02)

Auch nach der Privatisierung des Postwesens und der Telekommunikation entspricht eine nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BBauG 1960 im Jahr 1971 getroffene Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche "Hauptpost und Fernmeldeamt" nach wie vor der heute in § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB weitergeltenden Regelung und ist nicht funktionslos geworden. Die örtliche Grundversorgung mit Telekommunikationseinrichtungen (Telefonfestnetz) und Postdienstleistungen dient weiterhin dem Gemeinbedarf im Sinne des Bauplanungsrechts.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin, ein Unternehmen der Außenwerbung, und die Beklagte streiten um die Baugenehmigung für zwei Werbetafeln im Euro-Format für wechselnden Plakatanschlag.

Die Klägerin reichte am 21.12.2001 bei der Beklagten einen Bauantrag für die Errichtung von fünf freistehenden Plakatgroßflächen (jeweils 2,75 x 3,75 m) auf dem Grundstück A-Straße in ... zusammen mit der Zustimmungserklärung des Grundstückseigentümers - Deutsche Telekom AG - ein. Im Laufe des Baugenehmigungsverfahren nahm die Klägerin mit Schreiben vom 25.2.2002 ihr Baugesuch hinsichtlich dreier an der A-Straße geplanter Plakattafeln zurück.

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des am 3.12.1971 in Kraft getretenen Bebauungsplans ... Der Bebauungsplan enthält Festsetzungen eines Kerngebiets (für das Hochhaus der ... Bausparkasse), Mischgebiete und Festsetzungen von Gemeinbedarfsflächen mit der Kennzeichnung €Hauptpost und Fernmeldeamt€ (mit dem Planzeichen Posthorn).

Die von der Klägerin noch geplanten zwei Werbetafeln sollen innerhalb der Gemeinbedarfsfläche für die ... Hauptpost und die Ortsvermittlungsstelle der Telekom an der an der Zufahrt zu den Post- und Telekomparkplätzen von der A-Straße aus so aufgestellt werden, dass sie von der A-Straße aus von den Verkehrsteilnehmern, die in Nord-Süd-Richtung fahren, zu sehen sind. Die Klägerin stellte anlässlich der Beweisaufnahme auch klar, dass die Tafeln in der nach dem Bebauungsplan überbaubaren Grundstücksfläche stehen sollen.

Die A-Straße ist die Nord-Süd-Hauptachse in ... Westlich der geplanten Werbetafeln liegt das Gebäude der Ortsvermittlungsstelle der Telekom für das Telefonnetz Leonberg, nordöstlich die ... Hauptpost. Auf der anderen Straßenseite befindet sich das Haus der Begegnung, eine zentrale Einrichtung des evangelischen Dekanats ... An dieses wiederum schließt nach Süden ein Sportzentrum mit Hallenbad an. Auf dem Flurstück Nr. ... befindet sich noch ein älteres Wohnhaus, dann folgt an dieser Seite der A-Straße, jenseits der Einmündung der B-Straße das Hochhaus des neuen Rathauses.

Zur Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Werbetafeln vertrat die Klägerin im Baugenehmigungsverfahren unter Hinweis auf einen Widerspruchsbescheid des Bezirksamts Spandau von Berlin die Meinung, die Ausweisung einer Gemeinbedarfsfläche €Post€ sei mit der Privatisierung der Deutschen Bundespost obsolet geworden.

Mit Bescheid vom 15.7.2002 - zugestellt am 16.7.2002 - wies die Beklagte den Bauantrag ab. Sie legte zur Begründung dar, dass wenn die Gebietsausweisung €Hauptpost und Fernmeldeamt€ tatsächlich obsolet geworden sein sollte, die beiden geplanten Werbetafeln nach § 34 BauGB unzulässig seien und außerdem gegen das Verunstaltungsverbot nach § 11 Abs. 1 LBO verstießen. Sie meinte ferner, eine Ausnahme oder Befreiung könne nicht erteilt werden.

Die Klägerin erhob am 17.7.2002 Widerspruch.

Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 9.12.2002 - zugestellt am 10.12.2002 - zurück. Es verteidigte die Rechtsauffassung der Beklagten und deren Ermessensausübung bei der Ablehnung einer Befreiung mit dem Argument, die zwei großflächigen Werbetafeln wirkten sich vor Grünkulisse in bislang wenig belasteter Situation erfahrungsgemäß für das städtische Orts- und Straßenbild unvorteilhaft aus.

Die Klägerin hat am 13.12.2002 Klage erhoben. Sie bringt im Anschluss an ihre Argumentation im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und in Abstimmung mit der Deutschen Telekom AG vor, alle Grundstücke der ehemaligen Deutschen Bundespost seien durch bundesrechtliche Vertragsregelungen von jeglichen öffentlich-rechtlichen Bindungen befreit zu vollen eigenständigen wirtschaftlichen Verwertbarkeit an die Deutsche Post AG und die Deutsche Telekom AG übertragen worden. Sie meint aus zwei Entscheidungen des OVG Lüneburg vom 26.7.1998 (BRS 60 Nr. 149) und 11.7.1996 (BRS 58 Nr. 130) folgern zu können, dass auch unabhängig von dem Übernahmevertrag ein Zurückgreifen auf die Ausweisung €Gemeinbedarfsfläche für die Post€ aus Rechtsgründen nicht mehr möglich sei. Man könne in die rein wettbewerbsrechtliche und nicht gemeinverträgliche Tätigkeit der Post- und Telekommunikationsunternehmen kein erloschenes Planziel hineinlegen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 15.7.2002 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 9.12.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung von zwei freistehenden Plakatgroßflächen im Euroformat auf dem Grundstück A-Straße in ... zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt ihre bisherige Rechtsauffassung, dass die Festsetzung der Gemeinbedarfsfläche nach wie vor gültig sei und die Werbetafeln als selbständige Hauptnutzung ohne Bezug zum Dienstleistungsangebot der Post nicht zulasse. Sie führt dafür ein neues Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25.3.2003 (DVBl 2003, 818) an. Eine Befreiung könne nicht erteilt werden, weil die Werbetafeln am fraglichen Standort als isoliert stehende Anlagen zu einer Beeinträchtigung des Straßenbildes führen würden.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 7.3.2003 den Rechtstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Der Berichterstatter hat am 5.8.2003 das Baugrundstück und seine Umgebung in Augenschein genommen. Die Beteiligten haben sich dabei mit der Auffassung des Einzelrichters, dass der Straßenzug der A-Straße von Post bis Rathaus - ungeachtet der Festsetzungen der Bebauungspläne - kerngebietstypisch ist, einig erklärt. Wegen des weiteren Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf das Protokoll Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 14.8.2003 hat der Einzelrichter den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten und dem Regierungspräsidium Stuttgart vorgelegten Behördenakten und Bebauungsplanakten verwiesen.

Gründe

Die Kammer konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Der nachgereichte Schriftsatz der Klägerin vom 19.11.2003 gibt keinen Anlass, nochmals in die Beratung einzutreten, da er keine neue entscheidungserhebliche tatsächliche und rechtliche Aspekte enthält.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin kann die begehrte Baugenehmigung nicht erhalten, denn ihrem Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne von § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO entgegen.

22Allerdings lässt sich die Auffassung der Beklagten im angefochtenen Bescheid, die Werbetafeln würden gegen das Verunstaltungsverbot nach § 11 Abs. 1 LBO verstoßen, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht halten. Der geplante Aufstellungsort befindet sich in einer Umgebung, die nach ihrer tatsächlichen Bebauung als Kerngebiet einzustufen ist, wie auch die Vertreterin der Beklagten die Beteiligten vor Ort eingeräumt hat. Die Werbetafeln sollen an einer zentralen Verkehrsachse einer Stadt von über 45.000 Einwohnern stehen - also dort wo in Innenbereichen derartige Werbung typischerweise zu finden ist. Dass sie ein einen Parkplatz einrahmendes Gebüsch teilweise verdecken, führt nicht zur Verunstaltung des Ortsbilds, denn damit entsteht an dieser Stelle noch kein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Durchschnittsbetrachters nicht bloß beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand (zum Begriff der Verunstaltung vgl. Sauter, LBO, Stand September 2002, § 11 Rn. 21 - 23). Denn der Eindruck einer städtischen Umgebung, in der Großflächenwerbung ihren Platz haben muss und auch zum Ortsbild gehört, überwiegt auch angesichts dessen, dass sich bisher in der näheren Umgebung noch keine solchen Werbeanlagen befinden.

In bauplanungsrechtlicher Hinsicht vermag der Kammer der Ansicht der Beklagten, die geplanten Werbetafeln würden sich ohnehin nicht im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in die Umgebung einfügen, weswegen offen bleiben könne, ob der Bebauungsplan wirksam sei, auch nicht zu folgen. Denn gerade weil die maßgebliche Umgebung eindeutig als Kerngebiet einzustufen ist, müssten die Werbetafeln nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 7 BauNVO zugelassen werden (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 7 Rn. 8).

Die Klägerin hat aber deswegen keinen Anspruch auf die Baugenehmigung für die geplanten Werbetafeln, weil sie gegen die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche mit der Kennzeichnung €Hauptpost und Fernmeldeamt€ des am 3.12.1971 in Kraft getretenen Bebauungsplans ... verstößt.

25Eine als bauliche Anlage im Sinne von § 29 BauGB einzustufende Werbeanlage, welche Fremdwerbung zum Gegenstand hat, stellt bauplanerisch eine eigenständige €Hauptnutzung€ dar (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 4 Rn. 9.31 im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 3.12.1992 - 4 C 27.91, BVerwGE 91, 234; ferner BVerwG, Urteil vom 7.6.2001 - 4 C 1/01 -, NVwZ 2002, 90 = BRS 64 Nr. 79). Auch dann, wenn sie gegenüber der nach der Art der baulichen Nutzung überwiegenden Hauptnutzung des Grundstücks nur geringfügig in Erscheinung tritt, kann sie weder als Nebenanlage nach § 14 Abs. 1 BauNVO noch sonst als deren Ergänzung, Nebenzweck oder dergleichen im Rahmen der Festsetzung der Gemeinbedarfsfläche zugelassen werden.

Im vorliegenden Fall ist evident, dass die Klägerin die Werbetafeln nicht wegen der Nachbarschaft zu einem Gebäude mit der Ortsvermittlungsstelle des lokalen Telefonnetzes aufstellen will, sondern weil sie auf den Aufmerksamkeitswert der Lage an einer stark befahrenen innerörtlichen Verkehrsachse setzt. Es gibt auch keinen relevanten Zusammenhang mit dem benachbarten Grundstück, auf dem das Postgebäude steht. Der Verweis der Klägerin auf die möglicherweise von der Festsetzung der Gemeinbedarfsfläche noch mit abgedeckte Möglichkeit der Zulassung von ergänzendem Gewerbe in einem Postgebäude führt deswegen nicht weiter. Bei den Werbetafeln für Fremdwerbung handelt es sich nicht um eine weitere gewerbliche Nutzung, die neben den prägende Nutzung bleibenden Postdienstleistungen zulässig sein könnte, wie z.B. die Nutzung einzelner Räume in einem Rathaus durch ein Einzelhandelsgeschäft, die mit der Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche nicht ausgeschlossen wird (vgl. BayVGH, Urteile vom 25.3.2003 - 1 N 00.359 -, UPR 2003, 277, und vom 11.4.2003 - 1 B 01.2220 -).

Die Kammer ist der Auffassung, dass die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche mit der Kennzeichnung €Hauptpost und Fernmeldeamt€ des Bebauungsplans im vorliegenden Fall weiterhin gültig und zu beachten ist. Sie ist nicht mit der Privatisierung der Post unwirksam geworden. Die Klägerin kann mit ihrem Argument, die Festsetzung sei funktionslos geworden, weil Telekommunikations- und Postdienstleistungen nunmehr rein privatwirtschaftlich und nicht mehr zur Deckung eines Gemeinbedarfs erbracht würden, nicht überzeugen.

28Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Eine Festsetzung, die überhaupt keinen denkbaren Adressaten hat oder eine schlechthin unmögliche Regelung trifft, kann schon nicht in Kraft treten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.1993 - 4 C 7.91 -, NVwZ 94, 281, und Beschluss vom 17.2.1997 - 4 B 16.97 -, NVwZ-RR 1997, 512). Eine Ergänzung dieser Rechtsfigur der Funktionslosigkeit mag auch für die Fälle möglich sein, in denen eine Festsetzung wegen geänderter rechtlicher Rahmenbedingungen nicht mehr Grundlage für die bauplanungsrechtliche Beurteilung von bodenrechtlich relevanten Vorgängen, insbesondere Bauvorhaben, sein kann und damit wegen mangelnder Vollzugsfähigkeit nachträglich obsolet geworden ist, wie etwa eine Festsetzung, die wegen der Verschärfung von immissionsschutzrechtlichen Vorgaben nicht mehr verwirklicht werden kann.

Für die im vorliegenden Fall festgesetzte Gemeinbedarfsfläche vermag die Kammer aber eine Funktionslosigkeit unter keinem dieser Aspekte festzustellen.

Zunächst ist festzuhalten, dass die Festsetzung tatsächlich verwirklicht worden ist. Das Postgebäude und insbesondere die Ortsvermittlungsstelle für das Telefonortsnetz auf der hier fraglichen Teilfläche sind gebaut und werden entsprechend genutzt. Dass die Grundstückseigentümerin die tatsächlich vorhandene Ortsvermittlungsstelle im vorliegenden Fall technisch nicht mehr braucht und aufgeben will, hat die Klägerin nicht dargetan. Die Festsetzung ist deswegen auch immer noch als Prüfungsmaßstab dafür geeignet, was auf der Fläche an Baubestand bauplanungsrechtlich zulässig ist und welche Neubauten, Umbauten und Nutzungsänderungen den planerischen Vorgaben der normsetzenden Gemeinde entsprechen (siehe das Beispiel der Nutzungsänderung einer Betriebswerkstatt der Bundespost in eine gewerbliche Kfz-Werkstatt: OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.7.1996 - 1 M 3191/96 -, DÖV 1997, 40). Von einer tatsächlichen Entwicklung, die die fragliche Festsetzung obsolet machen könnte, kann deswegen keine Rede sein.

Im Ergebnis lässt sich auch nicht begründen, dass es rechtlich geboten sei, die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche "Post" nicht mehr als Grundlage der bauplanungsrechtlichen Prüfung der zulässigen Art der baulichen Nutzung heranzuziehen.

32Soweit die Klägerin anführt, alle Grundstücke der ehemaligen Deutschen Bundespost seien durch bundesrechtliche Vertragsregelungen von jeglichen öffentlich-rechtlichen Bindungen befreit zu vollen eigenständigen wirtschaftlichen Verwertbarkeit an die Deutsche Post AG und die Deutsche Telekom AG übertragen worden, erläutert sie nicht, wie diese Verträge kommunale Rechtsnormen außer Kraft setzen könnten. Die praktische Umsetzung der Privatisierung des Post- und Telekommunikationswesens durch Verträge des Bundes mit den Privatunternehmen Deutsche Post AG und Deutsche Telekom AG ändert an der Planungshoheit der Gemeinden aus Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz nichts und kann deswegen den an dem Vertragswerk unbeteiligten Gemeinden keineswegs eine Verpflichtung auferlegen, diese beiden Unternehmen aus den Bindungen von bauplanerischen Festsetzungen für die früher hoheitlichen Postdienste zu entlassen.

Eine andere Frage ist, ob sich aus den zur Privatisierung von Post und Telefonnetz getroffenen gesetzlichen Regelungen diese Konsequenz ergibt. Die Kammer verneint dies.

Die nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BBauG 1960 im Jahr 1971 getroffene Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche €Hauptpost und Fernmeldeamt€ entspricht nach wie vor der heute in § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB weitergeltenden Regelung und ist nicht funktionslos geworden. Die örtliche Grundversorgung mit Telekommunikationseinrichtungen (Telefonfestnetz) und Postdienstleistungen dient dem Gemeinbedarf im Sinne des Bauplanungsrechts. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt dazu mit Urteil vom 25.3.2003 - 1 N 00.359 - (DVBl 2003, 818) aus:

€Der Begriff "bauliche Anlagen und Einrichtungen des Gemeinbedarfs", für die Gemeinbedarfsflächen festgesetzt werden können, wird in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erläutert. Diese Begriffsbestimmung ist auch für § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB und die übrigen bauplanungsrechtlichen Vorschriften, in denen der Begriff verwendet wird (§ 32 Satz 1, § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB), maßgeblich (BVerwG vom 18.5.1994 NVwZ 1994, 1004). Kennzeichen von Gemeinbedarfsanlagen ist danach, dass sie "der Allgemeinheit dienen". Als Beispiele werden Schulen und Kirchen sowie sonstige kirchlichen oder sozialen, gesundheitlichen oder kulturellen Zwecken dienende Gebäude und Einrichtungen genannt. § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauGB ist weiter zu entnehmen, dass die Anlagen des Gemeinbedarfs zu den Infrastruktureinrichtungen gehören, mit denen das Gemeindegebiet zur Versorgung der Bürger mit Gütern und Dienstleistungen des öffentlichen und privaten Bereichs ausgestattet sein muss. Eine Anlage dient somit dann im Sinn dieser Begriffsbestimmung der Allgemeinheit, wenn sie als Infrastruktureinrichtung für die Nutzung durch einen nicht genau festgelegten, wechselnden Teil der Bevölkerung bestimmt ist (BVerwG vom 23.12.1997 NVwZ-RR 1998,538).

Nicht erforderlich ist, dass die Aufgabe von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erfüllt wird. Träger kann auch eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts sein (BVerwG vom 6.12.2000 NVwZ-RR 2001, 217). Aus der Bindung an das Allgemeinwohl folgt aber auch bei einer privaten Trägerschaft, dass es sich um eine "dem bloßen privatwirtschaftlichen Gewinnstreben entzogene" Aufgabe zu handeln hat (BVerwG vom 18.5.1994 NVwZ 1994, 1004). Die unternehmerische Freiheit des Trägers ist insoweit eingeschränkt.

Einen diesen Vorgaben entsprechenden "Gemeinbedarf Post" gibt es auch noch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost im Zuge der Postreform II (Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation - Postneuordnungsgesetz - vom 14.9.1994, BGBl I S. 2325). Durch die zur Grundversorgung erforderlichen Postdienstleistungen (sog. Universaldienst) wird noch eine Aufgabe des Gemeinbedarfs erfüllt. Bei einer Postfiliale, in der diese Postdienstleistungen erbracht werden, handelt es sich weiterhin um eine der Allgemeinheit dienende Einrichtung. Ihre bauplanungsrechtliche Zulässigkeit kann somit noch durch Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) mit der Zweckbestimmung "Post" geregelt werden. Das hierfür vorgesehene, von der Antragstellerin verwendete Planzeichen (Nr. 4.1 der Anlage zur Planzeichenverordnung 1990 - PlanzV 90) ist nicht "funktionslos" geworden.

Zwar werden die Dienstleistungen im Bereich des Postwesens (und der Telekommunikation) nach dem durch Gesetz vom 30. August 1994 (BGBl I S. 2245) in das Grundgesetz eingefügten Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG als privatwirtschaftliche Tätigkeiten durch die aus dem Sondervermögen Deutsche Bundespost hervorgegangenen Unternehmen und durch andere private Anbieter erbracht. Das Postwesen wurde im Zuge dieser Privatisierung aber nicht vollständig dem nur durch die allgemeinen Gesetze geregelten "freien Spiel der Kräfte" überlassen. Vielmehr muss der Staat in diesem Bereich von Verfassungs wegen weiterhin mit hoheitlichen Mitteln für die Sicherung der Infrastruktur sorgen. Nach Art. 87 f Abs. 1 GG gewährleistet der Bund nämlich nach Maßgabe eines Bundesgesetzes im Bereich des Postwesens (und der Telekommunikation) flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen.

Hierzu enthalten das Postgesetz (PostG) vom 22. Dezember 1997 und die auf § 11 Abs. 2 PostG beruhende Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15. Dezember 1999 (BGBl I S. 2418) im Wesentlichen folgende Vorschriften: § 1 PostG wiederholt als Zweck der staatlichen Regulierung des Postwesens die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Nach § 2 Abs. 1 PostG ist die Regulierung eine hoheitliche Aufgabe des Bundes, die unter anderem eine flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen zu erschwinglichen Preisen (Universaldienst) sicherstellen soll (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 PostG). Die §§ 5 ff. PostG normieren für das gewerbsmäßige Befördern von Briefen mit einem Einzelgewicht von nicht mehr als 1000 Gramm eine Lizenzpflicht. Für die in § 1 PUDLV näher bestimmte Grundversorgung gelten die Vorschriften über den Universaldienst (§§ 11 ff. PostG). Die Anforderungen sind durch Qualitätsmerkmale für die einzelnen Leistungen (§§ 2 ff. PUDLV) festgelegt. Für den Vollzug wurde auf der Grundlage der §§ 71 ff. des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 25.Juli 1996 (BGBl I S. 1120) die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation (RegPT) geschaffen. Die §§ 12 ff. PostG bestimmen die Instrumentarien, mit denen die Regulierungsbehörde in den liberalisierten Markt eingreift, wenn eine Universaldienstleistung nicht ausreichend oder nicht angemessen erbracht wird.

Wegen dieser Gewährleistungs- und Überwachungsverantwortung (Gersdorf in von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz III, Art. 87 f, RdNr. 21) des Bundes haben die Belange des Postwesens (§ 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 BauGB) im Bereich des Universaldienstes noch einen Allgemeinwohlbezug, der die Darstellung und Festsetzung von Flächen für einen entsprechend konkretisierten Gemeinbedarf rechtfertigt (so auch Gaentzsch in Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., § 1 RdNr. 71; Löhr in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 9 RdNr. 26 und das Arbeitspapier "Bahn und Post im Städtebaurecht" der "Fachkommission Städtebau" der ARGEBAU vom 25.2.1999, S. 14). Die auf dem Gebiet des Postwesens tätigen Unternehmen handeln zwar privatwirtschaftlich, d.h. gewinnorientiert. Ihre Tätigkeit ist aber insofern dem "bloßen Gewinnstreben entzogen", als sie ihre Dienstleistungen nach Maßgabe der genannten, ihre unternehmerische Freiheit einschränkenden postrechtlichen Vorschriften anbieten müssen. Für die Antragstellerin gilt dies in besonderem Maße, denn ihr steht gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG das ausschließliche Recht zur Beförderung bestimmter Briefsendungen und adressierter Kataloge zu (sog. befristete gesetzliche Exklusivlizenz, die durch Gesetz vom 2.9.2001, BGBl I S. 2271, bis zum 31.12.2007 verlängert wurde).€

Die Kammer schließt sich dieser Argumentation für den vorliegenden Fall an (siehe auch BayVGH, Urteil vom 11.4.2003 - 1 B 01.2220 -).

Dass die Grundstücke der Gemeinbedarfsfläche hier inzwischen auf die Deutsche Post AG und die Deutsche Telekom AG aufgeteilt sind und die geplanten Werbetafeln auf Grundeigentum der Deutschen Telekom AG stehen sollen, ist unwesentlich, denn die Ausführungen zum Universaldienst der Post treffen entsprechend auch auf die Verpflichtung der Anbieter zur Sicherstellung des Telefonfestnetzes zu. Nach §§ 17, 19 Telekommunikationsgesetz (TKG) in Verbindung mit § 1 der Telekommunikations-Universaldienstleistungsverordnung (TUDLV) ist die Deutsche Telekom AG als beherrschendes Unternehmen im Bereich des Telefonfestnetzes verpflichtet, die in § 1 TUDLV aufgezählten Dienste zu erbringen. Da dies dem Gesetzeszweck nach § 1 TKG dient, €flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten€, ist in diesem Teilbereich der Unternehmenstätigkeit weder die Bindung der Deutschen Telekom AG an das Gemeinwohl noch das Bedürfnis weggefallen, mit dem Mitteln kommunaler Bauleitplanung auf örtlicher Ebene die nötigen Flächen für die Daseinsvorsorge eines Telefonortsnetzes vorzusehen.

Die Festsetzung der Gemeinbedarfsfläche €Hauptpost und Fernmeldeamt€ bleibt deswegen in vollem Umfang wirksam. Die sprachlich überholte Bezeichnung €Amt€ berührt den rechtlichen Gehalt der Festsetzung nicht (siehe BayVGH, Urteil vom 25.3.2003 - 1 N 00.359 -, DVBl 2003, 818).

Die Klägerin hat schließlich keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Befreiung von dieser Festsetzung. Auch wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass die Voraussetzungen dafür nach § 31 Abs. 2 BauGB vorliegen, so haben Beklagte und Widerspruchsbehörde die Erteilung der Befreiung jedenfalls ermessensfehlerfrei abgelehnt. Der im Widerspruchsbescheid angeführten Gesichtspunkt, die zwei großflächigen Werbetafeln mit zusammen über 20 m² Fläche vor Grünkulisse in bislang wenig belasteter Situation wirke sich für das städtische Orts- und Straßenbild unvorteilhaft aus, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nachzuvollziehen. Es liegt im behördlichen Ermessenspielraum dem bauplanerischen Belang des Ortsbilds größeres Gewicht zu geben als dem Bauinteresse der Klägerin.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung war nach §§ 124 a Abs. 1 und 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die in der Rechtssprechung bislang noch nicht eindeutig geklärte Rechtsfrage, ob die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche mit der Kennzeichnung €Hauptpost und Fernmeldeamt€ in einem Bebauungsplan mit der Privatisierung der Post und des Telefonnetzes unwirksam geworden ist, grundsätzliche Bedeutung hat.






VG Stuttgart:
Urteil v. 05.11.2003
Az: 3 K 554/02


Link zum Urteil:
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