Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 2. August 2006
Aktenzeichen: NC 9 S 76/06

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 02.08.2006, Az.: NC 9 S 76/06)

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 19. April 2006 - NC 6 K 715/05- geändert. Die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 03.01.2006 - NC 6 K 715/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

Der Senat geht davon aus, dass trotz etwas missverständlicher Formulierungen die Beschwerde ebenso wie schon die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht im eigenen Namen der jeweiligen Prozessbevollmächtigten sondern im Namen der Beteiligten erhoben worden sind (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 05.07.1997 - 1 BvR 1174/90 -, BVerfGE 96, 251; Kopp, VwGO, 14. Aufl., § 165 Rn. 4). Die nach § 146 Abs. 3 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19.04.2006, mit dem der Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.01.2006 stattgegeben worden ist, hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die der Beklagten für ihre Prozessvertretung entstandenen Rechtsanwaltskosten zu Unrecht als insgesamt nicht erstattungsfähig angesehen.

Nach § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO - wie es auch § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO für den Zivilprozess vorschreibt - sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig. Das Gesetz sieht weder nach seinem - eindeutigen - Wortlaut und seiner Systematik noch nach Sinn und Zweck der getroffenen Regelung vor, dass bei der Kostenfestsetzung die Notwendigkeit der Heranziehung eines Rechtsanwalts geprüft und zum Maßstab für die Erstattungsfähigkeit der Kosten gemacht wird. Nur für die Erstattungsfähigkeit von Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sieht § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO eine Notwendigkeitsprüfung durch das Gericht vor. Diese Sonderstellung der Rechtsanwälte - die grundsätzlich auch dem durch Rechtsanwälte vertretenen Rechtschutzsuchenden zugute kommt - liegt begründet in dem Interesse der Rechtspflege an der Vertretung der Beteiligten durch die hierzu nach § 3 Abs. 1 BRAO besonders berufenen Personen. Nach ständiger und einhelliger Rechtsprechung des beschließenden Verwaltungsgerichtshofs sowie anderer Oberverwaltungsgerichte gilt dies - auch in Hochschulzulassungsverfahren - auch dann, wenn die Behörde, die sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt, selbst über rechtskundige Beamte verfügt. Nur in restriktiv zu behandelnden Ausnahmefällen findet trotz des eindeutigen Gesetzeswortlauts eine Kostenerstattung nicht statt. Dies gilt etwa bei einem offensichtlichen Verstoß gegen den das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatz, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, und wird von dem Senat insbesondere auch für den Fall angenommen, dass die anwaltliche Vertretung für die Partei offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan ist, dem Gegner Kosten zu verursachen, etwa wenn die Vertretungsanzeige erst nach unstreitig eingetretener objektiver Erledigung der Hauptsache erfolgt, obwohl nur noch die Abgabe entsprechender prozessualer Erklärungen durch die hinsichtlich der zu erwartenden Kostenentscheidung kundigen Beteiligten aussteht (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. etwa Beschluss vom 29.11.2004 - NC 9 S 411/04 -, DÖV 2005, 91 = NVwZ 2005, 838, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Beschluss vom 20.12.2005 - NC 9 S 169/05 -; vgl. nunmehr auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.02.2006 - 1 K 72.05 -, NVwZ 2006, 713).

Hieran ist festzuhalten. Es gibt entgegen der Ansicht des Klägers auch keinen durchgreifenden rechtlichen Gesichtspunkt, der für Hochschulzulassungsverfahren eine abweichende Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lassen könnte, weil hier das Grundrecht auf freie Wahl des Ausbildungsplatzes (Art. 12 I GG) in den Blick zu nehmen ist. Der Umstand, dass der Studienbewerber ein Grundrecht einklagt, weist ihm keine Sonderstellung zu, weil es im verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzverfahren fast stets um die Durchsetzung von Grundrechten geht. Der Gesetzgeber hat sich aber nicht veranlasst gesehen, das Kostenrisiko für den Rechtschutzsuchenden in solchen Fällen zu vermindern oder ihn davon zu befreien. Auch Art. 19 Abs. 4 GG will nicht Rechtschutz ohne Kostenrisiko gewähren (vgl. schon Beschluss des Senats vom 27.10.1986 - NC 9 S 1121/86 -). Insbesondere ist gegenüber dem Erstattungsanspruch der Beklagten auch unerheblich, ob der Kläger, dessen Zulassung zum Studium im zentralen Vergabeverfahren aufgrund seiner Rangziffer, der neben dem Zulassungsanspruch ebenfalls eine wesentliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.04.1975 - 1 BvR 344/73 -, BVerfGE 39, 258; Normenkontrollurteil des Senats vom 22.02.2006 - 9 S 1840/05 -, DVBl 2006, 720 <LS>), zu Recht abgelehnt worden war, zur Chancenmaximierung neben der Beklagten zahlreiche weitere Universitäten quasi auf Verdacht wegen ungenutzter Kapazitätsreserven gerichtlich in Anspruch genommen hat und immer mehr Universitäten dazu übergehen, sich in den Gerichtsverfahren anwaltlich vertreten zu lassen. Denn diese Vorgehensweise, die einerseits die Chancen des Klägers, einen Studienplatz doch noch auf Umwegen zu erhalten, deutlich erhöht, andererseits aber dadurch insgesamt ein hohes Kostenrisiko beinhaltet, fällt allein in die freie Entscheidung und Risikosphäre des Klägers. Er nimmt zur Erreichung seines Ziels von vorneherein bewusst in Kauf, trotz eines bundesweiten €Rundumschlages€ letztlich nur gegenüber einer Universität Erfolg haben zu können und in sämtlichen anderen Verfahren, sei es streitig oder unstreitig, im gerichtlichen Verfahren auch hinsichtlich der Kostentragungslast zu unterliegen.

Einer jener ganz besonderen Ausnahmefälle, in denen danach die in § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO gesetzlich vorgesehene Kostenerstattung nicht stattfindet, liegt aber hier entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vor. Ein solcher kann - jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang - insbesondere nicht darin gesehen werden, dass der Berichtserstatter nach Eingang der Klage die Beklagte mit der Eingangsverfügung vom 15.11.2005 darauf hingewiesen hat, dass das Gerichtes bis auf Weiteres nicht für erforderlich halte, dass sich die Hochschule anwaltlich zum Verfahren melde und insbesondere einstweilen weder ein Sachvortrag noch eine Antragstellung erforderlich sei. Zwar bestimmt allein das Gericht nach § 85 Satz 2 VwGO den weiteren Fortgang des Verfahrens. Aber abgesehen davon, ob dieser Hinweis mit der verpflichtenden und kein Ermessen einräumenden Vorschrift des § 85 Satz 2 VwGO (vgl. Kopp, VwGO, 14. Aufl., § 85 Rn. 4) in Einklang steht, bezieht sich die Befugnis des Gerichts nicht auf die allein dem Klagegegner vorbehaltene Entscheidung, ob er sich bereits zu Beginn des Klageverfahrens durch einen Rechtsanwalt vertreten lässt oder nicht. Es lag auch keine Fallgestaltung vor, nach der die Beklagte auf eine ersichtlich unzulässige oder aus sonstigen Gründen offensichtlich aussichtlose Klage mit anwaltlicher Hilfe reagiert hätte. Insbesondere sollte die Klage trotz des alleinigen Abstellens auf die Fristwahrung ersichtlich nicht - in dann nämlich unzulässig bedingter Weise - nur für den Fall erhoben sein, dass der Kläger im Eilverfahren Erfolg hätte (vgl. dazu schon Beschluss des Senats vom 29.08.1989 - NC 9 S 69/89 -, NVwZ-RR 1989, 672 = VBlBW 1990, 136).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der dem Senat durchaus bekannten und bereits in seinem Beschluss vom 29.11.2004 - NC 9 S 411/04 - (a.a.O.) zutreffend gewürdigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 17.12.2002 - X ZB 27/02 -, NJW 2003, 1324; Beschluss vom 03.06.2003 - VIII ZB 19/03 -, NJW 2003, 2992; Beschluss vom 09.10.2003 - VII ZB 17/03 -, NJW 2004, 73) und des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Beschluss vom 16.07.2003 - 2 AZB 50/02 -, NJW 2003, 3796) zu § 91 ZPO. Es ist der Kläger, der verkennt, dass der Bundesgerichtshof und das Bundesarbeitsgericht in diesen Entscheidungen unter grundsätzlicher Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts ebenfalls davon ausgehen, dass jeder Rechtsmittelbeklagte einen Rechtsanwalt für die Rechtsmittelinstanz beauftragen und dieser seine Vertretung gegenüber dem Rechtsmittelgericht anzeigen darf, sobald das Rechtsmittel eingelegt ist, und dadurch jedenfalls eine halbe Gebühr nach den damals noch geltenden Vorschriften der §§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 BRAGO erstattungsfähig war (vgl. auch BGH, Beschluss vom 17.12.2002 - X ZB 9/02 -, NJW 2003, 756). Allenfalls eine Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO wurde verneint, weil die Stellung eines Sachantrages im dortigen Verfahrensstadium als noch nicht notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO angesehen wurde. Um die Erstattung der jetzigen vollen 1,3-Verfahrensgebühr für das Klageverfahren geht es im vorliegenden Beschwerdeverfahren aber nicht. Der Beklagten wurde nach dem von ihr selbst nicht angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.01.2006 vielmehr nur die nach Nr. 3101 Ziffer 1 der Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2) zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) in der ab 01.07.2004 geltenden Fassung von Art. 3 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts - Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - vom 05.05.2004 (BGBl I S. 718), die der früheren Regelung des § 32 Abs. 1 BRAGO nachgebildet ist, auf 0,8 ermäßigte Gebühr Nr. 3100 zugesprochen und ihr weitergehender Kostenerstattungsantrag gerade deshalb abgelehnt, weil die Stellung eines Sachantrages nach dem bereits genannten Hinweis des Gerichts nicht notwendig gewesen sei.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 02.08.2006
Az: NC 9 S 76/06


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