Verwaltungsgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 14. Januar 2003
Aktenzeichen: 20 K 7717/00

(VG Düsseldorf: Beschluss v. 14.01.2003, Az.: 20 K 7717/00)

Tenor

Dem Kläger wird für das Verfahren erster Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T aus E bewilligt, soweit er mit seiner Klage eine Kostenlastentscheidung im Widerspruchsverfahren zu seinen Gunsten und die Feststellung begehrt, dass die Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren notwendig war und soweit er mit seiner Klage die Festsetzung der Kosten des Widerspruchsverfahrens bis zu einer Höhe von 112,09 DM (= 57,31 EUR) begehrt.

Der Antrag im Óbrigen wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung der durch die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren entstandenen Kosten.

Der Beklagte gewährte dem Kläger ab Februar 1996 Sozialhilfe. Der Beklagte belehrte den Kläger wiederholt über seine Verpflichtung, sich um Arbeit zu bemühen und über die Folgen einer etwaigen Weigerung. Nachdem mehrere Versuche, den Kläger in eine Arbeit zu vermitteln, aus verschiedenen Gründen gescheitert waren, wurde der Kläger an das Job Center des Kreises O zur Vermittlung einer Erwerbstätigkeit zugewiesen. In diesem Rahmen wurde dem Kläger ein Angebot für eine Arbeitsstelle bei der Firma I in O unterbreitet. Zu dem Vorstellungstermin am 4. Februar 2000 erschien der Kläger jedoch nicht. Der Beklagte kürzte daraufhin wie zuvor schriftlich angekündigt, mit Bescheid vom 22. Februar 2000 den Regelsatz ab März 2000 um 25% und forderte den Kläger gleichzeitig auf, in Zukunft zum 15. eines jeden Monats Nachweise über eigene Arbeitsbemühungen vorzulegen. Für den Fall, dass der Kläger dieser Forderung nicht nachkomme, kündigte der Beklagte für die Zukunft eine weiter gehende Einschränkung der Hilfe zum Lebensunterhalt bis hin zur vollständigen Einstellung der Hilfe an.

Unter dem 7. März 2000 teilte das St. B Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie mit, dass sich der Kläger seit dem 6. März 2000 wegen Intoxikation bei Alkoholabhängigkeit, depressiver Reaktion und Bluthochdruck auf nicht absehbare Zeit in stationärer Behandlung befinde. Unter dem 13. März 2000 teilte das Krankenhaus mit, dass der Kläger am 9. März 2000 entlassen worden sei.

Mit Schreiben vom 14. März 2000 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er das Gesundheitsamt mit der Prüfung der Erwerbsfähigkeit beauftragt habe. Eine Einladung werde er von dort erhalten. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass der Kläger hierdurch nicht von der Pflicht zur Vorlage von Nachweisen über Arbeitsbemühungen entbunden sei. Auf die Folgen nicht ausreichend nachgewiesener Arbeitsbemühungen werde nochmals hingewiesen. In der Zeit vom 21. März bis 23. März 2000 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im K- Krankenhaus in O.

Mit Bescheid vom 23. März 2000 bewilligte der Beklagte dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat April, kürzte hierbei den Regelsatz jedoch um 40%. Der Beklagte begründete seine Entscheidung mit der andauernden Weigerung des Klägers, Nachweise über Arbeitsbemühungen vorzulegen. Die eingereichten ärztlichen Atteste seien nicht geeignet nachzuweisen, dass der Kläger außerhalb der Zeit der stationären Behandlung gehindert gewesen sei, sich um Arbeit zu bemühen.

Am 30. März 2000 sprach der Kläger persönlich im Sozialamt des Beklagten vor und legte ein Attest des Dipl.-Psychologen W vom 27. März 2000 vor. In diesem Attest wurde ausgeführt, dass sich der Kläger seit Februar des Jahres wegen einer reaktiven Depression in psychologischer Behandlung befinde. Art und Schwere der Symptomatik würden dazu führen, dass der Kläger nur mit Mühe seinen Alltagspflichten nachkommen könne. Er sei zum Teil auf Versorgung von Angehörigen angewiesen. Von einem Arbeitsversuch sei aus psychotherapeutischer Sicht dringend abzuraten. Der Beklagte beauftragte unter Beifügung dieses Attestes das Kreisgesundheitsamt mit der Untersuchung des Klägers und teilte dies dem Kläger mit. Gleichzeitig teilte der Beklagte in diesem Schreiben mit, dass eine abschließende Entscheidung bezüglich der vorzulegenden Nachweise über Arbeitsbemühungen sowie der bislang durchgeführten Regelsatzkürzungen erst nach Eingang der amtsärztlichen Stellungnahme getroffen werde. Unter dem 7. April 2000 reichte der Kläger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. W1, Facharzt für innere Medizin, für die Zeit vom 25. März 2000 bis zum 23. April 2000 ein.

Mit Schreiben vom 11. und 20. April 2000 legte der Prozessbevollmächtigte namens und im Auftrag des Klägers Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. März 2000 ein. Zur Begründung machte er geltend, der Kläger sei in den letzten Monaten arbeitsunfähig erkrankt gewesen und befinde sich seit Februar 2000 in psychiatrischer Behandlung. Die Voraussetzungen für eine Kürzung der Sozialhilfe seien nicht gegeben, weil der Kläger nicht in der Lage sei, Arbeit aufzunehmen. Der Beklagte half dem Widerspruch zunächst nicht ab und legte ihn dem Landrat des Kreises O vor. Die Hilfe für den Monat Juni 2000 wurde ebenfalls um 40% des Regelsatzes gekürzt.

Schon mit Stellungnahme vom 14. März 2000, die beim Beklagten allerdings erst im Juni 2000 einging, hatte das Gesundheitsamt des Kreises O festgestellt, dass dem suchtkranken und psychisch krankem Kläger nach seinem körperlichen und geistigen Leistungsvermögen für die Dauer von zunächst einem Jahr keine Arbeit zuzumuten sei.

Nach Eingang der amtsärztlichen Stellungnahme half der Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 2000 dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 23. März 2000 "gemäß § 72 der Verwaltungsgerichtsordnung" ab. Der Bescheid enthielt keine Kostenentscheidung.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2000 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von 3.282,00 DM eine Kostenrechnung in Höhe von 529,66 DM. Mit Bescheid vom 18. Juli 2000 lehnte der Beklagte die Kostenübernahme gemäß § 63 Abs. 2 SGB X ab. Zur Begründung führte er aus, im vorliegenden Fall sei die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht notwendig gewesen. Die rechtliche Problematik sei nicht derart komplex gewesen, dass der Kläger seine rechtlichen Interessen nicht habe ohne anwaltliche Hilfe durchsetzen können. Die gleiche Entscheidung in der Sache wäre getroffen worden, wenn der Kläger persönlich sachgerecht zu der angesprochenen rechtlichen Problematik vorgesprochen und selbst Widerspruch eingelegt hätte.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers forderte den Beklagten mit Schreiben vom 20. Juli 2000 erneut auf, die Kostenrechnung bis zum 3. August 2000 zu begleichen. Die Zuziehung anwaltlicher Hilfe durch den Kläger sei entgegen der Ansicht des Beklagten notwendig gewesen. Der Kläger habe am 30. März 2000 persönlich im Sozialamt vorgesprochen und ein Attest des Dr. W überreicht, welches die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt habe. Gleichwohl sei es unterlassen worden, diese Vorsprache des Klägers als Widerspruch zu behandeln, oder den Kläger zumindest auf die Form des Widerspruchs hinzuweisen. Bei Einlegung des Widerspruchs sei es auch nicht absehbar gewesen, ob es sich um eine einfache oder eine komplexe Angelegenheit handele. Der Kläger sei rechtsunkundig gewesen und habe von der Behörde keine Hilfestellung erhalten.

Mit Bescheid vom 28. Juli 2000, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, nahm der Beklagte seinen Abhilfebescheid vom 16. Juni 2000 zurück und lehnte den Antrag auf Kostenübernahme gemäß § 63 Abs. 1 SGB X erneut ab. Zur Begründung machte der Beklagte geltend, er habe im Anschluss an den mit dem Widerspruch angegriffenen Bescheid diesen Bescheid durch Schreiben vom 30. März 2000 modifiziert, indem er die streitige Kürzung des Regelsatzes gerade unter den Vorbehalt der amtsärztlichen Stellungnahme gestellt habe. Nach dem Ergebnis der Untersuchung halte er eine volle Zahlung der Regelsätze für die Monate März und April 2000 für rechtens und gewähre diese auch. Unter Beachtung der Modifizierung des angegriffenen Bescheides stelle sich der Widerspruch als unbegründet dar. Es könne deshalb keine Kostenentscheidung im Sinne des Klägers getroffen werden. Unter dem 31. Juli 2000 brachte der Beklagte die von April bis Juni 2000 einbehaltenen Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 656,40 DM zur Auszahlung.

Gegen die Rücknahme der Abhilfeentscheidung wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 30. August 2000 und machte geltend: Der vom Beklagten behauptete Vorbehalt, unter den die Kürzung des Regelsatzes gestellt worden sei, sei nicht ersichtlich. Zumindest sei der angebliche Vorbehalt durch den Abhilfebescheid gegenstandslos geworden. Sich erst nach dem Abhilfebescheid auf diesen Vorbehalt zu beziehen und den Abhilfebescheid zurückzunehmen, sei rechtsmissbräuchlich und diene ganz offensichtlich allein dazu, sich der drohenden Kostenlast zu entziehen. Dies sei mit dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatsgebot nicht vereinbar. Zudem sei die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig gewesen. Allein auf Grund der Depression und der Alkoholsucht sei es dem Kläger nicht zuzumuten gewesen, das Verfahren selbst zu führen. Die vom Beklagten vorgenommenen Kürzungen der Hilfe hätten den Kläger in eine Krise gestürzt, die er ohne fremde Hilfe nicht habe bewältigen können.

Nach weiteren fruchtlosen Zahlungserinnerungen hat der Kläger am 10. November 2000 einen Klageentwurf eingereicht und zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz beantragt. Mit der beabsichtigten Klage erstrebt im Ergebnis die Übernahme von Rechtsanwaltskosten.

Er wiederholt sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor: Der Beklagte habe in seinem Abhilfebescheid vom 16. Juni 2000 keine Kostenlastentscheidung getroffen, obwohl diese gesetzlich vorgeschrieben sei. Den daraufhin gestellten Ergänzungsantrag habe der Beklagte zu Unrecht abgelehnt. Zu Unrecht stehe der Beklagte auf dem Standpunkt, dass der Widerspruch unbegründet gewesen sei, weil die vorgenommenen Regelsatzkürzungen unter dem Vorbehalt der abschließenden amtsärztlichen Untersuchung gestanden hätten. Der angebliche Vorbehalt sei nicht hinreichend bestimmt gewesen und daher unwirksam. Im Übrigen seien vorläufige Verwaltungsakte nur im Falle von Begünstigungen zulässig. Bei der Regelsatzkürzung handele es sich hingegen um den Kläger belastende Verwaltungsakte, die nicht vorläufig erlassen werden könnten. Da die Bescheide des Beklagten rechtswidrig gewesen seien, sei der Widerspruch des Klägers zulässig und begründet gewesen. Der Beklagte habe daher eine Kostenlastentscheidung zu Gunsten des Klägers treffen müssen.

Der Kläger beantragt,

ihm für das Verfahren erster Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt T beizuordnen.

Der Beklagte äußert sich zum Prozesskostenhilfeantrag nicht, ist aber weiterhin der Ansicht, dass der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme von Rechtsanwaltskosten habe. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 27. Juni 2001 (Bl. 30 - 32 d. GA) Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung mit dem Begehren,

1. eine Kostenlastentscheidung zu Gunsten des Klägers zu treffen,

2.

3. in dieser Kostenentscheidung auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwaltes oder sonstigen Bevollmächtigten notwendig war,

4.

5. die zu erstattenden Aufwendungen gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwVfG festzusetzen,

6.

7. die Beklagte zu verurteilen, den nach Ziffer 3 festzusetzenden Betrag an den Kläger auszuzahlen,

8.

nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinsichtlich des Antrags zu 4. ist bereits unzulässig, weil das erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht gegeben ist.

Voraussetzung für den mit dem Antrag zu 4. geltend gemachten Zahlungsanspruch ist zunächst, dass drei in Form eines Verwaltungsakts ergehende - und ggf. zunächst durch Verpflichtungsklage zu erstreitende - Entscheidungen des Beklagten ergangen sind, nämlich erstens eine Kostenlastentscheidung zu Gunsten des Klägers, zweitens ein in dieser Entscheidung enthaltener Ausspruch, dass die Zuziehung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren notwendig war und schließlich drittens die Feststellung der zu erstattenden Aufwendungen. Voraussetzung für den Zahlungsanspruch ist, dass diese drei in Form eines Verwaltungsaktes ergehenden Entscheidungen der Behörde ergangen sind,

vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1987 - 7 C 83.84 - BVerwGE 77, 268 und unter Bezugnahme auf diese Entscheidung VG Düsseldorf, Urteil vom 22. September 1998 - 22 K 3207/97 - info also 1999, 208.

Solange diesbezügliche Verwaltungsakte nicht ergangen - oder ggf. wie vom Kläger beantragt gemäß § 113 Abs. 2 S. 1 VwGO durch das Gericht ersetzt worden sind - kommt ein Zahlungsanspruch des Klägers nicht in Betracht,

a. A. offenbar BayVGH, Urteil vom 12. August 1982 - Nr. 22 B 81 A.1930 - BayVBl. 1982, 692.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Übrigen hat hingegen hinreichende Aussicht auf Erfolg, mit der Maßgabe, dass der Kläger lediglich eine Festsetzung der erstattungsfähigen Kosten in Höhe von 112,09 DM und nicht, wie bislang begehrt, in Höhe von 529,66 DM beanspruchen kann.

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Unterlässt die Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde bei Stattgabe des Widerspruchs eine ihr gebotene Kostenentscheidung, kann der Bürger im Wege der Verpflichtungsklage eine "isolierte" Kostengrundentscheidung verlangen. Folglich ist sowohl hinsichtlich der Kostenentscheidung als auch hinsichtlich der Feststellung zu den erstattungsfähigen Kosten und der Festsetzung ihrer Höhe die Verpflichtungsklage statthaft, die entweder auf Ergänzung des Abhilfebescheides oder auf Erlass eines neuen Bescheides zu richten ist,

vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 4 C 6/95 - NVwZ 1997, 272 und Urteil vom 20. Mai 1987 a.a.O.

Ob das Gericht, wie vom Kläger begehrt, in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 2 VwGO selbst zur Feststellung der Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten und zur Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen befugt ist,

vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 12. August 1982 a.a.O.,

bedarf im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens keiner abschließenden Beurteilung, da eine Umstellung des gewählten Klageantrags auf einen die Behörde zur Vornahme dieser Handlungen verpflichtenden Antrag jederzeit möglich ist und deshalb die Erfolgsaussichten der Klage von der gewählten Antragsform nicht abhängig sind.

Der Zulässigkeit der angekündigten Klage steht auch nicht entgegen, dass vor ihrer Erhebung ein förmliches Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Denn die Frage, wer die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat und ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, ist inhaltlich Bestandteil der Abhilfeentscheidung. Eines erneuten Vorverfahrens gegen eine solche für den Widerspruchsführer negative Entscheidung in dem bereits durchgeführten Widerspruchsverfahren bedarf es nicht,

vgl. BayVGH, Urteil vom 2. August 1988 - 5 B 88.1024 - BayVBl. 1989, 757.

Dass der Abhilfebescheid vom 16. Juni 2000 vom Beklagten zurückgenommen wurde und das Widerspruchsverfahren, in dessen Rahmen auch die Kostenfrage zu klären war, infolgedessen keinen förmlichen Abschluss gefunden hat, steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass sich der Beklagte mit der Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten des Vorverfahrens (mehrmals) befasst hat. Im Übrigen hätte das Widerspruchsverfahren bei Wirksamkeit der Aufhebung des Abhilfebescheides infolge der Nachbewilligung der Sozialhilfeleistungen seine Erledigung gefunden, sodass aus prozessökonomischen Gründen ein nochmaliges Widerspruchsverfahren, diesmal hinsichtlich der Kosten des erledigten Widerspruchsverfahrens, entbehrlich wäre. Ob auch hinsichtlich der Kostenfestsetzung (Klageantrag zu 3) ein Widerspruchsverfahren entbehrlich war, bedarf keiner Entscheidung. Denn die Klage ist jedenfalls als Untätigkeitsklage nach § 75 S. 2 VwGO zulässig. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte nämlich mit Schreiben vom 27. Juni 2000 die Kostenfestsetzung beantragt, was der Beklagte mit Bescheid vom 18. Juli 2000 abgelehnt hatte. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt dieser Bescheid nicht. Daraufhin hatte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 20. Juli 2000 ausdrücklich gegen den Bescheid und die darin geäußerte Rechtsauffassung des Beklagten gewandt. Dieses Schreiben ließ eindeutig erkennen, dass der Prozessbevollmächtigte nicht gewillt war, die Entscheidung zu akzeptieren und dass eine nochmalige Überprüfung der vom Beklagten getroffenen Entscheidung gewollt war. Ein Widerspruchsverfahren hat der Beklagte dennoch nicht eingeleitet, sondern stattdessen einen zweiten Ablehnungsbescheid erlassen, gegen den sich der Prozessbevollmächtigte mit weiterem Schriftsatz ebenfalls ausdrücklich gewandt hat. Ein Widerspruchsbescheid ist bis heute nicht ergangen, sodass eine Klage jedenfalls als Untätigkeitsklage zulässig wäre.

Die Klageanträge zu 1 und 2 sind aller Voraussicht nach auch begründet, weil der Kläger voraussichtlich einen Anspruch auf den Erlass der begehrten Verwaltungsakte hat. Hinsichtlich des Klageantrags zu 3 besteht der Anspruch hingegen nur in dem oben bereits genannten Umfang.

Der Anspruch des Klägers auf eine für ihn günstige Kostenlastentscheidung folgt aus § 72 VwGO i.V.m. § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X. Die erstgenannte Vorschrift bestimmt, dass die Behörde, wenn sie den Widerspruch für begründet hält, ihm abhilft und über die Kosten entscheidet. Nach § 63 Abs. 1 S. 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.

Bei der Frage, ob ein Widerspruch erfolgreich war, ist allein auf den äußeren Erfolg eines Widerspruchs abzustellen. Ob der Widerspruch nach objektiver Rechtslage den Erfolg hätte haben dürfen, ist kostenrechtlich unerheblich. Ein Widerspruch ist deshalb immer erfolgreich, wenn die Ausgangsbehörde ihm abhilft,

vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 a.a.O.; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 15. Mai 1991 - 22 A 1809/90 - DÖV 1992, 122.

Hier vertritt der Beklagte zwar den Standpunkt, der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid über die Regelsatzkürzung sei unabhängig vom Widerspruch aufgehoben worden. Dem steht aber die ausdrückliche Bezeichnung des Bescheides vom 16. April 2000 als "Bescheid über die Abhilfe gemäß § 72 Verwaltungsgerichtsordnung" entgegen. Zwar hat der Beklagte diesen Abhilfebescheid nachfolgend durch den Bescheid vom 28. Juli 2000 aufgehoben. Indessen dürfte dieser Bescheid und damit die darin getroffene Regelung nichtig sein. Gemäß § 40 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwer wiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. So liegt es hier. Der Beklagte hat bei der "Rücknahme" seines Abhilfebescheides vermieden, eine gesetzliche Vorschrift zu benennen, auf die sich seine Rücknahmeentscheidung stützen ließe. Eine derartige Rechtsgrundlage könnte zwar die Vorschrift des § 45 SGB X geboten haben. Nach dieser Vorschrift kann ein Verwaltungsakt (auch eine Abhilfeentscheidung nach § 72 VwGO ist ein solcher Verwaltungsakt), der ein Recht oder einen rechtlichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit unter bestimmten Einschränkungen zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig ist. Indessen hat sich der Beklagte an den Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte offensichtlich nicht orientieren wollen. Nach dem vorausgegangenen Schriftwechsel war und ist es offensichtlich, dass der Beklagte mit der Aufhebung der Abhilfeentscheidung ohne Rücksicht auf das zur Verfügung stehende gesetzliche Instrumentarium für eine Rücknahme der Abhilfeentscheidung versuchte, sich der drohenden Kostenlast zu entziehen. Es ist offensichtlich, dass die Rücknahme der Abhilfeentscheidung allein den Zweck verfolgte, die gesetzlichen Folgen der Abhilfeentscheidung zu umgehen.

Aber auch wenn man auf Grund des schwer wiegenden Fehlers keine Nichtigkeit, sondern bloß eine (offensichtliche) Rechtswidrigkeit des Rücknahmebescheides annehmen wollte, führt dies letztlich nicht zu einem anderen Ergebnis. Eine Berufung auf die Rücknahme dieser Abhilfeentscheidung - gegen die zudem durch das Schreiben vom 30. August 2000 Widerspruch eingelegt worden ist, dem aufschiebende Wirkung zukommen dürfte - ist dem Beklagten verwehrt, weil sie rechtsmissbräuchlich wäre. Die Ausgangsbehörde darf nämlich einen Widerspruchsführer nicht ohne tragfähigen Grund um den zu erwartenden Kostenanspruch bringen,

vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 a.a.O.

Zwar hat die Behörde grds. freie Wahl (nach pflichtgemäßem Ermessen), ob sie einen Verwaltungsakt außerhalb des Widerspruchsverfahrens zurücknehmen bzw. widerrufen möchte oder ob sie den Weg geht, ihre Entscheidung formell über den Weg des § 72 VwGO abzuändern. Eine Verwaltungspraxis, welche zielgerichtet nur zur Vermeidung der Kostenlast in eine bestimmte Verfahrensweise ausweicht, ist jedoch mit dem Gleichheitssatz und dem Rechtsstaatsgebot nicht zu vereinbaren. Wenn die Behörde erkennt, dass der eingelegte Widerspruch zulässig und begründet ist, von einer Abhilfe jedoch absehen möchte, hat sie besonders zu prüfen, ob sachliche Gründe für diese Vorgehensweise sprechen. Ein besonderer sachlicher Grund dafür, den Bescheid über die Kürzung des Regelsatzes außerhalb des Widerspruchsverfahrens zurückzunehmen, ist hier allerdings schon im Ansatz nicht ersichtlich. Insbesondere vermochte der vom Beklagten behauptete "Vorbehalt", der dem Kürzungsbescheid nachträglich beigegeben worden sein soll, einen solchen sachlichen Grund nicht herbeizuführen. Zum einen fehlte es an einer gesetzlichen Ermächtigung für einen derartigen nachträglichen Vorbehalt und zum anderen war es ganz offensichtlich rechtswidrig, den Regelsatz des Klägers in Kenntnis seiner psychischen Erkrankung und seiner Suchtkrankheit vorläufig, d.h. "vorbehaltlich" einer Stellungnahme des Gesundheitsamtes, weiterhin um 40% zu kürzen. §§ 18, 25 BSHG stellen Hilfenormen dar und sollen den Hilfe Suchenden in seinem Selbsthilfestreben stärken. Dieser Zweck kann aber nur erreicht werden, wenn dem Hilfe Suchenden eindeutig und ohne "Vorbehalt" seine Obliegenheiten und die Folgen bei einer Verletzung dieser Obliegenheiten vor Augen geführt werden. Nur dann kann der Betroffene sein Verhalten danach ausrichten. Wird die Frage, ob und in welchem Umfang ihm Arbeitsbemühungen obliegen, von einer nachfolgenden Untersuchung abhängig gemacht, wird ihm diese Möglichkeit gerade verwehrt. Von dem Betroffenen darf zudem nichts Unzumutbares gefordert werden. Diesem Erfordernis würde man nicht gerecht, wenn der Sozialhilfeträger berechtigt wäre, von einem Hilfe Suchenden "vorbehaltlich" einer ärztlichen Untersuchung Nachweise über (letztlich dann doch unzumutbare) Arbeitsbemühungen zu verlangen. Damit war der Bescheid über die Regelsatzkürzung ungeachtet der Frage, ob die Kürzung unter Vorbehalt gestellt war oder nicht, rechtswidrig. Ob es angesichts der schwer wiegenden Erkrankung des Klägers und der vorgelegten privatärztlichen Atteste im vorliegenden Fall überhaupt einer Einschaltung des Gesundheitsamtes bedurft hätte, ist zweifelhaft, kann hier allerdings dahinstehen. Denn jedenfalls hätte der Beklagte nicht "auf Verdacht" nach § 25 BSHG vorgehen dürfen, solange die Zumutbarkeit von Arbeitsbemühungen auch aus seiner Sicht nicht feststand. Der Widerspruch war mithin unabhängig vom Ergebnis der Stellungnahme des Gesundheitsamtes offensichtlich begründet. Fehlt nach alledem ein sachlicher Grund für die Aufhebung des Kürzungsbescheides außerhalb des Widerspruchsverfahrens, so hat der Kläger Anspruch auf Abhilfe nach § 72 VwGO mit der entsprechenden Kostenfolge des § 63 Abs. 1 SGB X.

Der Kläger hat auch, wie mit dem angekündigten Klageantrag zu 2. begehrt, gemäß § 63 Abs. 2 SGB X einen Anspruch auf die Feststellung seitens des Beklagten, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.

Notwendig war die Zuziehung dann, wenn sie aus Sicht einer verständigen Partei vernünftig gewesen ist, d.h. es darf der Partei nicht zumutbar gewesen sein, das Verfahren selbst zu führen. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalles und die persönlichen Verhältnisse des Klägers an. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte,

vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1993 - 8 C 68/91 - BayVBl. 1994, 285 und Beschluss vom 14. Januar 1999 - 6 B 118/98 - NVwZ-RR 1999, 611,

wobei an die Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit der Partei nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürfen,

OVG NRW, Beschluss vom 31. August 1993 - 24 E 390/93 -.

Hier war es dem Kläger nicht zuzumuten, das Verfahren eigenständig zu führen. Der Kläger war in der damaligen Zeit suchtkrank, depressiv und kaum in der Lage, seinen Alltagsverpflichtungen nachzukommen. Dem Kläger in einer derartigen Situation zumuten zu wollen, ein Verfahren, in dem es um existentielle Fragen (Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt!) ging, ohne fachkundige Hilfe eines Rechtsanwaltes zu führen, ist nicht sachgerecht. Hinzu kommt, dass der Kläger sich sogar zunächst nach eigenen Kräften bemüht hat, das Verfahren ohne anwaltliche Hilfe zu führen. Hierbei hat er allerdings seitens des Beklagten wenig bis keine Unterstützung erhalten. Denn sogar die persönliche Vorsprache des Klägers am 30. März 2000, bei der dem Beklagten das Attest des Dipl.-Psychologen W vom 27. März 2000 vorgelegt wurde und die ersichtlich dem Zweck diente, sich gegen die Kürzung der Sozialhilfezahlungen zu wenden, wurde vom Beklagten nicht als Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 23. März 2000 gewertet.

Die vom Beklagten festzusetzenden erstattungsfähigen Aufwendungen des Klägers belaufen sich allerdings nur auf insgesamt 57,31 EUR (= 112,09 DM). Der hier maßgebliche Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit (Gegenstandswert) - vgl. §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 S. 2 BRAGO - betrug 656,40 DM (= 335,61 EUR). Dies entspricht dem Betrag, den der Beklagte in Anwendung der §§ 18, 25 BSHG zunächst einbehalten und später nachbewilligt hat. Unter Zugrundelegung dieses Wertes betrug gemäß § 11 Abs. 1 BRAGO i.d.F. vom 24.06.1994 eine volle Gebühr 90 DM (= 46,01 EUR). Nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO erhält der Rechtsanwalt in anderen als den im Abschnitt drei bis elf geregelten Angelegenheiten 5/10 bis 10/10 der vollen Gebühr. Insoweit ist der Ansatz einer 7,5/10 Gebühr (Mittelgebühr) für das Betreiben des Geschäfts (Geschäftsgebühr, vgl. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht zu beanstanden. Ein Fall des § 120 Abs. 1 BRAGO war hier nicht gegeben. Denn das Widerspruchsschreiben des Rechtsanwaltes vom 11. April 2000 enthielt immerhin Ausführungen zum Gesundheitszustand des Klägers und zur Unzumutbarkeit von Arbeitsbemühungen und kann nicht als Schreiben einfacher Art, vergleichbar mit einem Mahn- oder einem Kündigungsschreiben, aufgefasst werden. Für eine Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO, wie sie vom Prozessbevollmächtigten in Ansatz gebracht wurde, ist vorliegend hingegen kein Raum. Den Verwaltungsakten lässt sich nicht entnehmen, dass eine Besprechung im Sinne dieser Vorschrift stattgefunden hätte. Schließlich hat der Bevollmächtigte noch Anspruch auf die Erstattung von Postgebühren (§ 26 BRAGO) und Schreibauslagen (§ 27 BRAGO), wobei hinsichtlich der Postgebühren nach § 26 Abs. 1 S. 2 BRAGO ein Pauschsatz von 15% gefordert werden konnte, maximal ein Betrag von 40,00 DM. Im vorliegenden Fall sind 15% von 67,50 DM (Geschäftsgebühr), mithin 10,13 DM erstattungsfähig, sodass sich hinsichtlich der Anwaltskosten der Fall wie folgt darstellt:

7,5/10 Geschäftsgebühr: 67,50 DM

1 Postgebühr: 10,13 DM

Schreibauslagen: 19,00 DM

netto: 96,63 DM

+ 16% MWSt.: 15,46 DM

= gesamt 112,09 DM (= 57,31 EUR)

Nur in diesem Umfang dürfte voraussichtlich ein Vergütungsanspruch des bevollmächtigten Rechtsanwaltes bestehen.






VG Düsseldorf:
Beschluss v. 14.01.2003
Az: 20 K 7717/00


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