Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 1. März 1999
Aktenzeichen: L 4 B 28/98 SB

(Hessisches LSG: Beschluss v. 01.03.1999, Az.: L 4 B 28/98 SB)

Tatbestand

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Der Kläger hat hierzu mit Prozeßvollmacht vom 17. Oktober 1996 den Rentenberater R H mit seiner Vertretung beauftragt. Diesem ist mit Urkunde vom 20. Februar 1984 gemäß Art. 1 § 1 des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) die "Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten unter Beschränkung auf das Gebiet der gesetzlichen Sozialversicherung einschließlich der Altershilfe für Landwirte" von dem Präsidenten des Landgerichts Darmstadt erteilt worden. In dem Begleitschreiben heißt es u. a.:

Eine Erlaubnis zur speziellen Rechtsberatung auf dem Gebiet des Arbeitslosenversicherungsgesetzes kann nicht erteilt werden. Die Erlaubnis zur Rentenberatung umfaßt nicht das Rechtsgebiet der Arbeitslosenversicherung. Zwar ist der Begriff des Rentenberaters neuen Rechtes (d. h. des Rentenberaters nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 RBerG) weiter zu verstehen, als dies bei der früheren Rechtslage der Fall war. Während der Rechtsberater alten Rechtes als Spezialist des Rentenversicherungsrechtes angesehen wurde und sein Erlaubnisumfang auf dieses Gebiet beschränkt war, wurde bei der Neuregelung des RBerG durch das 5. ÄndG zur BRAGO das Ziel verfolgt, den Begriff Rentenberater umfassend zu verstehen ... . Nach den Intensionen des Gesetzes soll eine Rentenberatererlaubnis nicht für solche Personen erteilt werden, die auf dem Gebiet der Sozialrenten beraten, sondern z. B. auch solchen, die auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung nach dem Versorgungsrecht tätig sind. Der Rentenberater neuen Rechts entspricht daher mehr dem "Rechtsbeistand für Sozialversicherungsrecht" alten Rechts und darf daher auf den Gebieten der Rentenversicherung der Angestellten, der Arbeiter, der knappschaftlichen Rentenversicherung, der Altershilfe für Landwirte, der gesetzlichen Krankenversicherung unter Einfluß der landwirtschaftlichen, der gesetzlichen Unfallversicherung, dem Recht der betrieblichen Altersversorgung und der Zusatzversorgung sowie auf dem Gebiet des Versorgungsrechts (Recht des Bundesversorgungsgesetzes und des Schwerbehindertengesetzes) rechtsberatend und rechtsbesorgend tätig werden. ... Zum Begriff des Rentenberaters gehört es jedoch nach wie vor, daß bei der Rechtsberatung immer ein Zusammenhang mit Rentenfragen gegeben sein muß und daß eine Beratung ohne diesen Zusammenhang nicht zum beruflichen Aufgabenbereich gehört bzw. den Erlaubnisumfang überschreitet. ... Aufgrund der erteilten Erlaubnis steht es Ihnen frei, sich als "Rentenberater auf dem Gebiet der gesetzlichen Sozialversicherung" zu bezeichnen. ...

Nach vorheriger Anhörung hat das Sozialgericht mit Beschluß des Kammervorsitzenden vom 12. Dezember 1997 den Rentenberater R H als Prozeßbevollmächtigten des Klägers zurückgewiesen.

Als Begründung ist ausgeführt, daß sich die erteilte Erlaubnis zur geschäftsmäßigen Rechtsberatung nach dem eindeutigen und zweifelsfreien Verfügungssatz nur auf das Gebiet der gesetzlichen Sozialversicherung einschließlich der Altershilfe für Landwirte beschränke und das Schwerbehindertenrecht nicht mit umfasse.

Gegen den am 21. Januar 1998 zugestellten Beschluß hat der Prozeßbevollmächtigte am 5. Februar 1998 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist sachlich begründet. Grundsätzlich kann das Sozialgericht zwar durch Beschluß des Kammervorsitzenden einen geschäftsmäßig tätigen Prozeßbevollmächtigten, der die nach dem RBerG notwendige Erlaubnis nicht besitzt, von dem gesamten Verfahren, auch dem schriftlichen, ausschließen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 73 Rdnr. 11 e). Sachlich ist der angefochtene Bescheid jedoch unzutreffend, denn der Rentenberater R H besitzt die notwendige Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung auch auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts. Dies ergibt eine Auslegung der Erlaubnisurkunde vom 20. Februar 1984. Die Erlaubniserteilung ist ein Verwaltungsakt, dessen Verfügungssatz in der Urkunde niedergelegt ist. Die Begründung findet sich in dem Begleitschreiben. Das Sozialgericht hat in seiner Entscheidung zunächst zutreffend ausgeführt, daß Beurteilungsmaßstab für die Auslegung eines Verwaltungsaktes ausschließlich der erklärte, d. h. der zum Ausdruck gekommene Wille der erklärenden Stelle sei. Es komme nur darauf an, wie ein Empfänger die Erklärung objektiv -- unter Berücksichtigung aller Umstände -- verstehen dürfe. Das Sozialgericht fährt dann fort, daß die Begründung eines Verwaltungsaktes zur Auslegung eines Verfügungssatzes nur dann herangezogen werden könne, soweit der Verfügungssatz zweifelhaft sei. Hier enthielte er aber eine zweifelsfreie Erklärung, weil offenbar zu erkennen sei, daß das Sachgebiet der Sozialversicherung nicht Streitigkeiten nach dem Schwerbehindertengesetz einschließe. Dem kann nicht gefolgt werden, vielmehr ist der im Streit stehende Verfügungssatz auslegungsbedürftig.

Nach ihrem Wortlaut in der Urkunde vom 20. Februar 1984 ist unter Bezugnahme auf Art. 1 § 1 RBerG die "Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten unter Beschränkung auf das Gebiet der gesetzlichen Sozialversicherung ..." erteilt. Eine so weit gehende und unbegrenzte Erlaubnis kennt das RBerG jedoch nicht. Nach ganz allgemeiner und völlig herrschender Meinung folgt sowohl aus dem Begriff "Rentenberater" als auch aus dessen traditionellen Berufsbild, daß bei der erlaubten Rechtsbesorgung und Rechtsberatung jedenfalls ein Bezug zu Renten bestehen muß (BSG, Urteil vom 6. März 1997 -- 7 RAr 20/96, BVerfG, Beschluß vom 5. Mai 1987 -- 1 BvR 981/81 -- obiter dictum -- in E 75, 284 ff.; vgl. auch Casselmann, Rentenberatung und mögliches Verhandeln vor den Sozialgerichten, 4. Auflage, S. 64 ff.). Da sich der Verfügungssatz nicht eindeutig auf Rentenberatung bezieht, ist er schon insoweit auslegungsbedürftig. Ebenfalls auslegungsbedürftig ist der Begriff des "Sozialversicherungsrechts". Im engen, juristisch-systematischen Sinne könnte darunter allein das Recht der ehemaligen Reichsversicherungsordnung (RVO) verstanden werden; im weiteren, wörtlichen Sinne könnte dazu auch das Arbeitsförderungsrecht gehören, dessen Kernbereich die (soziale) Arbeitslosenversicherung betrifft. Nach der weitest möglichen Auslegung schließlich, die sich an dem herkömmlichen Berufsbild des Rentenberaters orientiert, könnten auch noch all die Rechtsgebiete dazugehören, die einen Bezug zur Rentenversicherung haben, ohne selbst Rentengesetze oder Sozialversicherungsgesetze zu sein.

Die Erlaubniserteilung zur Rechtsberatung fällt allein in die Zuständigkeit der Justizverwaltung. Die Gerichte können ihre eigene Rechtsansicht nicht an die Stelle der Verwaltung setzen. Sie haben allerdings zu prüfen, ob eine vom Rentenberater vorgenommene Tätigkeit sich noch im Rahmen der erteilten Erlaubnis hält, insoweit haben sie auch bei Unklarheiten die Grenzen der Erlaubnis im Wege der Auslegung des Verwaltungsaktes festzustellen, wenn -- wie hier -- wegen der Vieldeutigkeit der Erlaubnisurkunde deren objektiver Erklärungsgehalt nicht auf der Hand liegt.

Die so hier notwendige Auslegung der Erlaubnisurkunde ist zweistufig vorzunehmen. Zunächst muß festgestellt werden, von welchem grundsätzlich möglichen Inhalt des gesetzlich nicht definierten Begriffes "Rentenberatung" die Verwaltung ausgeht und danach, wie hier, die konkrete Tätigkeit im Einzelfall begrenzt ist. In der Literatur werden drei Modelle für den Begriff "Rentenberater" diskutiert (vgl. Casselmann, a.a.O.). Die weite Lösung will dem Rentenberater mit einem "argumentum e contrario" aus § 209 Abs. 1 BRAGO das gesamte Sozialrecht zugänglich machen. Die enge Lösung geht von dem traditionellen Berufsbild des Rentenberaters als einem Fachmann für die Rentenberechnung der Alters- und Invalidenrenten aus und beschränkt die Tätigkeit auf Sozialrenten. Die erweiterte Lösung schließlich sieht im Sinne einer teleologisch-historischen Auslegung neben der gesetzlichen Rentenversicherung als Kernbereich auch die anderen Sozialrenten (einschließlich des Krankenversicherungsrechts, ausschließlich des Arbeitsförderungsgesetzes), die betriebliche Altersversorgung und das Versorgungsrecht als Tätigkeitsfeld des Rentenberaters. Sie beruft sich dabei auf die Motive des Gesetzgebers, in dessen Gesetzesbegründung zur Neufassung des RBerG vom 18. August 1980 (BGBl. I, S. 1503) ausgeführt ist (BT-Drucks. 8/4277 S. 220 zu Art. 2 Abs. 6 Nr. 1):

"Die Rentenberater (Nr. 1) haben sich bei der Unübersichtlichkeit und zunehmenden Bedeutung des Sozialversicherungsrechtes im Rechtsleben -- insbesondere auch bei der Kontrolle der Versicherungsanstalten -- als unentbehrlich erwiesen, insbesondere gerade auch im Zusammenhang mit der Anwaltschaft. Der Begriff Rentenberater in Nr. 1 ist umfassend zu verstehen. Eine Erlaubnis soll nicht nur solchen Personen erteilt werden, die auf dem Gebiet der Sozialrenten beraten, sondern z. B. auch solchen, die auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung oder dem Versorgungsrecht tätig sind."

Neben dieser Gesetzesbegründung dient dem erweiterten Lösungsvorschlag als zusätzliches Kriterium der aus dem Begriff "Rentenberater" abgeleitete notwendige Rentenbezug der erlaubten Tätigkeit.

In dem Begleitschreiben zur Erlaubnisurkunde wird das soeben dargelegte erweiterte Auslegungsmodell vertreten. Neben einem sehr weitgezogenem Bereich des Sozialversicherungsrechtes wird auch die betriebliche Altersversorgung, die Zusatzversorgung und das Versorgungsrecht grundsätzlich akzeptiert. Der Begriff des Versorgungsrechts beschränkt sich dabei nicht auf das Bundesversorgungsgesetz (BVG), sondern die Justizverwaltung geht ausdrücklich davon aus, daß auch das Schwerbehindertenrecht Tätigkeitsfeld der Rentenberater sein kann.

Diese grundsätzliche Einbeziehung des Schwerbehindertenrechts ist nicht unproblematisch, es erscheint durchaus zweifelhaft, ob sie aus dem Wortlaut der Gesetzesbegründung abgeleitet werden kann. Die Gemeinsamkeiten mit dem Versorgungsrecht beschränken sich auf die gleiche Zuständigkeit der Versorgungsämter und auf die Bewertungskriterien von Gesundheitsstörungen (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG). Im übrigen ist der Gesetzeszweck des BVG die Entschädigung -- vor allem in Form von Rente -- von Sonderopfern, während Zweck des SchwbG die Eingliederung von Behinderten in Beruf und Gesellschaft ist. Das SchwbG kennt keine Versorgungsleistungen oder gar Renten. Ein direkter Rentenbezug fehlt. Die von der hessischen Justizverwaltung -- hier der Landgerichtspräsident in Darmstadt -- vertretene Ansicht der Zugehörigkeit des Schwerbehindertenrechts zum Tätigkeitsbereich der Rentenberater läßt sich gesetzeskonform deshalb nur so verstehen, daß dem indirekten Rentenbezug des Schwerbehindertenrechts eine besondere Bedeutung zukommt. Auch in der Literatur wird vertreten (vgl. Casselmann, a.a.O.), daß die Tätigkeit des Rentenberaters auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts nur aus dem Gesichtspunkt gerechtfertigt ist, daß die Schwerbehinderteneigenschaft Voraussetzung für eine vorzeitige Altersrente (§ 37 des 6. Buches des Sozialgesetzbuchs -- SGB 6 --) sein kann. Das Schwerbehindertenrecht ist also weder ein zulässiges eigenes Sachgebiet der Rentenberatung, noch hat es einen rentenrelevanten Bezug zum Versorgungsrecht. Es kann wegen seiner Bedeutung für die vorgezogene Altersrente im Sinne des RBerG nur als ein Teilsachgebiet des Sozialversicherungsrechts angesehen werden. Der Begriff des "Sozialversicherungsrechts" in der Erlaubnisurkunde ist deshalb so auszulegen, daß er das Schwerbehindertenrecht als vorgreifliches Teilgebiet mit umfaßt. Einer gesonderten Benennung oder Aufzählung bedarf es nicht.

Hätte die Justizverwaltung die Tätigkeit auf dem Gebiet des Schwerbehindertenrechts ausschließen wollen, so hätte sie dies in gleicher Weise tun müssen, wie sie dies in dem Begleitschreiben zur Erlaubnisurkunde für das Arbeitsförderungsrecht getan hat. Für dieses Rechtsgebiet, das bei weiter Auslegung sogar als Teilbereich des Sozialversicherungsrechtes gesehen werden kann, hat die Justizverwaltung eine allgemeine Rechtsberatung nicht erlaubt, sondern nur eine Annex-Kompetenz festgestellt. Sie wäre nicht gehindert gewesen, eine entsprechende Regelung auch für das Schwerbehindertenrecht zu treffen.

Die Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschluß vom 2. August 1989 -- L 10 S 7/89 --) teilt der Senat nicht. In dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt geht es, soweit ersichtlich, vor allem um die Tätigkeit eines Rentenberaters für Sozialversicherungsrecht in einem versorgungsrechtlichen Rechtsstreit. Es kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß die Erlaubnis zur Rentenberatung auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts nicht die Erlaubnis für eine Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht mit umfasse. Anders als der Senat hat das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen eine Differenzierung zwischen Versorgungsrecht im engeren Sinne und Schwerbehindertenrecht sowie dessen Bedeutung für die Sachgebiete eines Rentenberaters nicht vorgenommen.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht angefochten werden (§ 177 SGG).






Hessisches LSG:
Beschluss v. 01.03.1999
Az: L 4 B 28/98 SB


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