Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 30. November 2006
Aktenzeichen: 2 Not 1/06

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 30.11.2006, Az.: 2 Not 1/06)

Zur Auswahlentscheidung bei der Besetzung einer Notarstelle (Punktesystem)

Tenor

Auf Antrag des Antragstellers wird der Bescheid des Antragsgegners vom 27. März 2006, Az. €, insoweit aufgehoben, als beabsichtigt ist, den Beteiligten zu 3. bei der Bewerberauswahl vor dem Antragsteller zu berücksichtigen.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben.

Der Geschäftswert wird auf 50.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der 51 € jährige Antragsteller ist seit 1983 als Rechtsanwalt tätig. Mit Schreiben vom 11.11.2004 bewarb er sich um eine der am 1.10.2004 ausgeschriebenen Notarstellen in der Stadt .... Mit Schreiben vom 27. März 2006 teilte ihm die Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt mit, dass seiner Bewerbung nicht entsprochen werden könne. Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2006, eingegangen am selben Tag, hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung eingelegt mit dem Ziel der Aufhebung des ablehnenden Bescheids sowie der Verpflichtung des Antragsgegners, ihn zum Notar zu bestellen, wobei er seinen Antrag auf entsprechende Nachfrage hin gegen die im Rubrum bezeichneten Beteiligten gerichtet wissen will, die mit 209,6, 208,55, 202,55 bzw. 199,55 Punkten bei der Auswahl berücksichtigt werden sollen; dem Antragsteller selbst wurden 178,4 Punkte zuerkannt. Der Antragsteller hält die Auswahlentscheidung für rechtswidrig, weil die in dem zugrunde liegenden Runderlass in der Fassung vom 10.8.2004 aufgeführten Bewertungskriterien nicht mit Art. 3, 12 und 20 GG vereinbar seien. Er rügt insbesondere die Abstufung der Punkte für Fortbildungsveranstaltungen in zeitlicher Hinsicht, eine zu geringe Gewichtung der Urkundstätigkeit gegenüber der Fortbildung sowie das Fehlen einer Übergangsregelung.

Der Antragsgegner verteidigt ebenso wie die Beteiligten zu 3. und 4. die getroffene Bewerberauswahl.

II.

Der Antrag nach § 111 Abs. 1 BNotO ist zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 111 Abs. 2 S. 1 BNotO gestellt worden. Insoweit ergibt sich aus der von dem Antragsteller eingereichten Kopie des angefochtenen Bescheids, dass dieser am 31.3.2006 eingegangen ist.

Der Antrag ist auch in der Sache begründet, soweit er sich gegen die Berücksichtigung des Beteiligten zu 3. richtet. Allerdings hat der Antragsteller nicht mit allen Beanstandungen, die er gegen die Auswahlentscheidung des Antragsgegners erhebt, Erfolg. Zudem hat er lediglich Anspruch auf Neubescheidung, nicht aber auf Verpflichtung des Antragsgegners, ihn zum Notar zu bestellen.

1. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die inhaltlichen Vorgaben des im Jahr 2004 geänderten Runderlasses über die Ausführung der Bundesnotarordnung den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.4.2004 (BVerfGE 110, 304) gerecht werden. Das gilt insbesondere auch für die von dem Antragsteller gerügte Gewichtung von länger zurückliegenden Fortbildungsveranstaltungen und der Urkundstätigkeit (vgl. nur 2 Not 9/05 v. 6.4.2006¸ 2 Not 15/05 vom 20.4.2006). Gerade die damals fehlende Differenzierung zwischen länger zurückliegenden und jüngeren Lehrgängen ist vom Bundesverfassungsgericht ebenso gerügt worden wie die unterschiedslose Berücksichtigung von Urkundstätigkeit ohne Rücksicht auf Arbeitsumfang für Vorbereitung, Ausarbeitung und Abwicklung von Urkunden. Der Antragsgegner war deshalb gehalten, im Rahmen des € zulässigen - Punktesystems entsprechende Differenzierungen vorzunehmen. Dies hat er in nicht zu beanstandender Weise getan, wie bereits auch der Bundesgerichtshof festgestellt hat (BGH, Beschlüsse vom 24.7.2006, NotZ 7/06, 11/06 und 14/06, veröffentlicht in juris).

2. Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, er sei in seinem Vertrauen auf die vor Änderung des Runderlasses geltenden Auswahlkriterien geschützt bzw. der Antragsgegner habe eine Übergangsfrist gewähren müssen. Eine besondere, anerkennenswerte Vertrauenslage, dass es bei den damals gültigen Auswahlkriterien in Zukunft verbleiben werde, gab es, wie der Bundesgerichtshof (NotZ 7/06 und 14/06) festgestellt hat, bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.4.2006 nicht. Zudem war der Antragsgegner gehalten, den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine verfassungsgemäße Vergabe neu zu besetzender Notarstellen umgehend durch Anpassung der bisherigen Verwaltungspraxis gerecht zu werden. Im Übrigen hatten alle Bewerber nach der Änderung des Runderlasses am 10.8.2004 gleich viel Zeit, sich auf die geänderten Kriterien einzustellen.

3. Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners erweist sich allerdings insoweit als nicht rechtsfehlerfrei, als es im Verhältnis des Antragstellers zum Beteiligten zu 3. an einer Prüfung dahingehend fehlt, ob die in das Punktesystem eingeflossenen Kriterien im konkreten Fall ein angemessenes Gewicht erhalten haben.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 24.7.2006, NotZ 3/06 (ZNotP 2006, 392; veröffentlicht auch in Juris) ausgeführt, dass die Auswahlentscheidung unter mehreren Bewerbern grundsätzlich auf der Grundlage eines Punktesystems erfolgen kann. Er hat aber zugleich darauf hingewiesen, dass dieses System allein den Anforderungen, die an einen individuellen Leistungsvergleich zu stellen sind, nicht genüge und insbesondere eine abschließende, alle Gesichtspunkte umfassende Beurteilung der fachlichen Eignung der Bewerber nicht ersetzen könne. Die Justizverwaltung habe deshalb zu prüfen, ob die in das Punktesystem aufgenommenen Kriterien und sonst eingeflossenen Gesichtspunkte im jeweiligen Einzelfall angemessen gewichtet seien. Insbesondere sei darauf zu achten, dass die einzelnen Voraussetzungen, die von den Bewerbern für ihre fachliche Eignung zu erfüllen seien, stets in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stünden. Der Bundesgerichtshof hat deshalb in dem von ihm entschiedenen Fall die Auswahl eines Bewerbers beanstandet, der € im Gegensatz zum damaligen Antragsteller € über nahezu keine Erfahrungen in der Beurkundungstätigkeit verfügte.

Unter Anwendung dieser Grundsätze bedeutet dies hier: Zwar liegt der Antragsteller mit 178,40 Punkten relativ weit hinter den Beteiligten. Während sich aber bei ihm die Punkte gleichmäßig über das Punktesystem verteilen und sich insbesondere die Bereiche Fortbildung und Urkundsgeschäft mit 45 Punkten bzw. 44 Punkten die Waage halten, erklärt sich der Punktvorsprung des Beteiligten zu 3. im Wesentlichen dadurch, dass er im Bereich der theoretischen Vorbereitung 100 Punkte vorweist; demgegenüber hat er bislang keinerlei Urkundsgeschäft getätigt, so dass er in diesem Bereich auch keine Punkte erhalten hat. In dieser Konstellation ist ein ausgewogenes Verhältnis der fachspezifischen Leistungen nicht erkennbar; vielmehr tritt die Einseitigkeit der vom Beteiligten zu 3. erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse offen zu Tage. Dass der Antragsgegner diesen Gesichtspunkt im Rahmen der Auswahlentscheidung gegenüber dem Antragsteller berücksichtigt hätte, ist nicht ersichtlich, so dass die gebotene Abwägung nachzuholen ist.

Dagegen erscheint die Auswahl der Beteiligten zu 1., 2. und 4. nicht ermessensfehlerhaft. Zwar liegt auch bei ihnen - insbesondere bei den Beteiligten zu 1. und 2. - der Punkteschwerpunkt im Vergleich zum Antragsteller bei der theoretischen Berufsvorbereitung. Dennoch haben alle berufspraktische Erfahrungen gesammelt. So haben der Beteiligte zu 4. zahlenmäßig 164 und der Beteiligte zu 2. 76 Urkunden erstellt, und bei dem Beteiligten zu 1. waren es immerhin noch 65. Von daher kann bei ihnen weder von einem völligen Ausfall berufspraktischer Erfahrung noch von einem sonst erkennbar gestörten Verhältnis in den fachspezifischen Leistungen zueinander (vgl. BGH, NotZ 14/06) die Rede sein, so dass angesichts der von den Bewerbern jeweils erzielten Gesamtpunktzahl der Antragsgegner seine Besetzungsentscheidung zugunsten der Beteiligten zu 1., 2. und 4. treffen durfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO i. V. m. § 201 Abs. 2, 39 BRAO.Der Geschäftswert wurde nach § 111 Abs. 4 BNotO, 202 Abs. 2 BRAO, 30 Abs. 2 KostO festgesetzt.






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