Landgericht München I:
Urteil vom 30. Dezember 2010
Aktenzeichen: 1 HK O 7394/10, 1 HK O 7394/10

(LG München I: Urteil v. 30.12.2010, Az.: 1 HK O 7394/10, 1 HK O 7394/10)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,--, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an einem ihrer jeweiligen Geschäftsführer,

zu unterlassen,

im Wettbewerb handelnd

a) Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern zu betreiben, die eine ausdrückliche vorherige Einwilligung für diese Form der werblichen Ansprache nicht erteilt haben,

und/oder

b) Telefonwerbung für Leistungen im Zusammenhang mit Krankenversicherungen gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen ausdrückliche vorherige Einwilligung mit der bloßen Rechtfertigung zu betreiben, dass dieser in Branchenverzeichnissen eingetragen sei und ein unabhängiger Krankenkassenvergleich zu geringeren Lohnnebenkosten seiner Mitarbeiter führen könne.

II. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin EUR 208,65 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechthängigkeit zu bezahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags.

Tatbestand

Die Klägerin macht wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen unerwünschter Telefonanrufe geltend.

Die Klägerin ist ein eingetragener Verein zur Förderung gewerblicher Interessen, Insbesondere zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Zu ihren Mitgliedern zählen u. a. die Industrie- und Handelskammern. Pflichtmitglieder bei den Industrie- und Handelskammern sind sämtliche Versicherungsvermittler und -berater sowie grundsätzlich auch die privaten Krankenversicherungen.

Die Beklagte ist eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der ... Krankenversicherungs AG. Sie bietet Beratungsleistungen in den Bereichen private Krankenversicherung und Altersvorsorge an, u. a. einen kostenlosen Versicherungsvergleich.

Ein Mitarbeiter der Beklagten rief am 7.12.2009 Herrn ... unter seiner Telefonnummer an, um ihm einen Krankenversicherungsvergleich anzudienen. ... arbeitet seit Mai 2009 als Angestellter. Zuvor war er selbständig als Software-Entwickler tätig und auch so in verschiedenen Branchenbüchern eingetragen. Die von der Beklagten gewählte Telefonnummer entspricht der Telefonnummer, mit der ... in dem Online-Branchenverzeichnis bsuch.de eingetragen ist. Ob diese Telefonnummer ausschließlich als gewerblich genutzter Anschluss in Telefonbüchern und Branchenverzeichnissen geführt wird, ist streitig.

... hatte bis zu dem Anruf keinen Kontakt zur Beklagten. In eine entsprechende Telefonwerbung hat er nicht eingewilligt. Während seiner selbständigen Tätigkeit hatte er keine Angestellten.

Am 20.5.2010 rief ein Mitarbeiter der Beklagten Herrn ... unter dessen privaten Telefonnummer an und bot ihm eine ... Krankenversicherung an. ... hatte zuvor weder zur Beklagten noch zu dem anrufenden Mitarbeiter jemals Kontakt. Obwohl er der Anrufer auf die Unrechtmäßigkeit seines Anrufs hingewiesen hatte, wurde er am 5.8.2010 erneut unter seinem privaten Telefonanschluss von einer Mitarbeiterin der Beklagten kontaktiert und ihm eine private Krankenversicherung angeboten.

Die Klägerin ist der Ansicht, beide Personen seien als private Verbraucher angesprochen worden. Da bei beiden unstreitig keine ausdrückliche Einwilligung zu solchen Telefonanrufen vorgelegen habe, handele es sich um belästigende Werbung i. S. des § 7 UWG. Selbst wenn ... als Inhaber des Software-Unternehmens kontaktiert worden sei, fehle es an einer mutmaßlichen Einwilligung. Der bloße Eintrag in einem Branchenverzeichnis rechtfertige keine mutmaßliche Einwilligung. Ein allgemeiner Sachbezug zum Geschäftsbetrieb des Anzurufenden vermöge kein ausreichend großes Interesse und damit keine mutmaßliche Einwilligung für einen solchen Anruf begründen. Es fehle im vorliegenden Fall an einem konkreten Grund, der die betreffende Werbung rechtfertigen könne. Auch sei nicht davon auszugehen, dass die Beklagte als 100 %ige Tochtergesellschaft der ... Krankenversicherungs AG einen unabhängigen Krankenkassenvergleich liefern würde. Auch sei nicht ersichtlich, warum jemand gerade an einer Werbung per Telefon interessiert sein sollte, die auch schriftlich eingereicht werden könnte.

Mit dem Zahlungsanspruch macht die Klägerin die mit der Abmahnung vom 16.12.2009 verbundenen Personal- und Sachkosten als Pauschale geltend.

Die Klägerin beantragt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an einem ihre jeweiligen Geschäftsführer,

zu unterlassen,

im Wettbewerb handelnd

a) Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern zu betreiben, die eine ausdrückliche vorherige Einwilligung für diese Form der werblichen Ansprache nicht erteilt haben,

und/oder

b) Telefonwerbung für Leistungen im Zusammenhang mit Krankenversicherungen gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen ausdrückliche vorherige Einwilligung mit der bloßen Rechtfertigung zu betreiben, dass dieser in Branchenverzeichnissen eingetragen sei und ein unabhängiger Krankenkassenvergleich zu geringeren Lohnnebenkosten seiner Mitarbeiter führen könne.

II. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin EUR 208,65 nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechthängigkeit zu bezahlen.

Hilfsweise stellt die Klägerin zu Ziffer l. b folgenden Hilfsantrag:

b) Telefonwerbung für Leistungen im Zusammenhang mit Krankenversicherungen gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen ausdrückliche vorherige Einwilligung mit der bloßen Rechtfertigung zu betreiben, dass dieser in Branchenverzeichnissen eingetragen sei und ein unabhängiger Krankenkassenvergleich zu geringeren Lohnnebenkosten seiner Mitarbeiter führen könne, wenn der sonstige Marktteilnehmer keine Angestellten hat, für die Lohnnebenkosten zu zahlen sind.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Die Beklagte bestreitet zunächst die Aktivlegitimation der Klägerin: Die Beklagte biete nur einen Krankenversicherungs-Vergleich an, keine eigenen Krankenversicherungen. Außerdem würden private Krankenversicherungen nicht zu den Mitgliedern der Klägerin gehören.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Klageerhebung rechtsmißbräuchlich sei, da die Klägerin ein Einigungsangebot ausgeschlagen habe. Der Kunde ... verfolge mit seiner Beschwerde mithilfe der Klägerin nur ein Kostenbelastungsinteresse. Hierfür bestünde kein Rechtsschutzbedürfnis.

Die Beklagte behauptet, beim Kunden F... habe ein mutmaßliches Interesse an einem Versicherungsvergleich bestanden, da er als Unternehmer Lohnnebenkosten seiner Mitarbeiter senken könne. Durch den Eintrag seiner Telefonnummer in einem Branchenverzeichnis sei er nicht mehr als Verbraucher im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG einzustufen. Die Beklagte habe daher davon ausgehen dürfen, dass der Anschluss nicht privat genutzt würde.

Zu dem weiteren Kunden ... müsse davon ausgegangen werden, dass die angerufene Telefonnummer für seine Firma ... in einem Branchenbuch eingetragen worden sei, da nach Aussage des Herrn ... seine Telefonnummer weder im Telefonbuch noch im Internet verzeichnet sei. Mit einer solchen Eintragung in einem Branchenverzeichnis habe er sich mit der werblichen Nutzung der eingetragenen Kontaktdaten einverstanden erklärt.

Im übrigen wird auf die vorgelegten Schriftsätze und Unterlagen hinsichtlich des Tatbestands Bezug genommen.

Gründe

Die Klage war hinsichtlich beider Hauptanträge in vollem Umfang begründet, die Klägerin hat einen Unterlassungsanspruch gemäß § 3, 7 Abs. 2 Nr. 2, 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG.

Der Zahlungsanspruch für die Abmahnkosten beruht auf § 12 Abs. 1 UWG.

Klageantrag I a (Anruf gegenüber einem Verbraucher)

Der Unterlassungsanspruch ist aufgrund des Telefonanrufs bei dem Kunden ... vom 20.5.2010 begründet. Unstreitig hat ein Mitarbeiter der Beklagten dem Kunden ... eine ... Krankenversicherung angeboten. Dass die angerufene Telefonnummer für die Firma des Kunden ... in einem Branchenverzeichnis eingetragen wäre, behauptet die Beklagte nicht, sie mutmaßt dies nur. Mutmaßungen stellen jedoch keinen dem Beweis zugänglichen Sachvortrag dar, sodass die Tatsache des Anrufs unter einer privaten Telefonnummer als unstreitig angesehen werden muss. Gleiches gilt für den unstreitig zweiten Anruf vom 5.8.2009 gegenüber dem Kunden ... zu dem die Beklagte nichts mehr weiter vorträgt.

Hinsichtlich der weiteren Einwendungen der Beklagten (Rechtsmissbrauch, unbestimmter Klageantrag) wird auf die Ausführungen unter Ziffer I b verwiesen.

Klageantrag I b (Anruf bei einem sonstigen Marktteilnehmer)

Der Anruf bei dem Kunden ... vom 7.12.2009 ist als Anruf bei einem sonstigen Marktteilnehmer i. S. des § 7 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative UWG anzusehen, da ... unstreitig unter der kontaktierten Telefonnummer in verschiedenen Branchenbüchern als Software-Entwickler und Unternehmer zum Zeitpunkt des Anrufs aufgeführt war. Ob er diese Telefonnummer seit seiner Beschäftigung als Angestellter nur noch privat nutzt, ist unerheblich, da er sie selbst (auch) als gewerbliche Telefonnummer ins Netz gestellt hat. Dass er überhaupt keine Tätigkeit als selbständiger Software-Entwickler mehr ausübt, hat er nicht vorgetragen. Es handelt sich daher um einen gemischten privat/gewerblich genutzten Telefonanschluss. Da der Anruf der Beklagten unstreitig zu üblichen Geschäftszeiten erfolgte, muss sich der Kunde ... diesen Anruf als gewerblichen Anruf zurechnen lassen.

33Eine ausdrückliche Zustimmung zu einem solchen Anruf für einen Krankenkassenvergleich lag unstreitig nicht vor. Die Beklagte, die hierfür darlegungs- und beweisverpflichtet wäre, kann sich auch nicht auf eine mutmaßliche Einwilligung i. S. des § 7 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative UWG berufen: Der bloße Eintrag des Kunden ... in mehreren Branchenverzeichnissen als Unternehmer lässt noch keinen Schluss auf eine solche mutmaßliche Einwilligung zu: Hierfür bedarf es konkreter Umstände, die ein sachliches Interesse des Anzurufenden vermuten lassen. Solche konkreten Umstände sind im vorliegenden Fall von der hierfür darlegungs- und beweisverpflichteten Beklagten nicht dargelegt: Allein die pauschale Behauptung, dass ein Unternehmer ein allgemeines Interesse an der Senkung von Lohnnebenkosten durch den Abschluss günstigerer Krankenversicherungen für seine Angestellten habe, stellt keine solchen konkreten Umstände dar, sondern nur eine allgemeine Sachbezogenheit. Es ist ein konkreter, aus dem Interessenbereich des Anzurufenden herzuleitender Grund erforderlich, der dann eine solche Telefonwerbung rechtfertigen könnte (Köhler/Bornkamm, UWG 28. Auflage, § 7 RN 164 und 172). Dies gilt gerade im Hinblick auf kaufmännische Hilfsgeschäfte wie die Versicherung der Angestellten, die nichts mit dem eigentlichen Geschäftsfeld eines Betriebs zu tun haben. Im vorliegenden Fall bot die Beklagte unstreitig nur einen Krankenversicherungsvergleich an, nicht jedoch in Bezug auf die mögliche Senkung von Lohnnebenkosten. Ein solches Angebot ist sogar dem privaten Lebensbereich zuzuordnen, wenn es sich auf den Inhaber der Einzelfirma bezogen haben sollte. Auch hat die Beklagte nicht dargelegt, dass der Kunde ... konkret an der Senkung von Lohnnebenkosten seiner Angestellten interessiert gewesen wäre. Dies konnte der Kunde auch gar nicht sein, da er unstreitig keine Angestellten hatte, sondern lediglich in eigener Person selbständig tätig war. Ein allgemeines Interesse von Gewerbetreibenden, die Angestellte haben, Lohnnebenkosten zu senken, reicht auf keinen Fall aus, im konkreten Einzelfall ein mutmaßliches Interesse zu begründen. Es war also bereits der Inhalt des Telefonanrufs nicht geeignet, konkrete Umstände für ein mutmaßliches Interesse darzulegen.

Darüber hinaus hat die Beklagte auch nicht dargelegt, dass die Art der Werbung, nämlich die telefonische Kontaktierung, im mutmaßlichen Interesse des Kunden ... gewesen wäre. Es ging unstreitig um die erstmalige Kontaktaufnahme, die genauso gut hätte schriftlich erfolgen können.

Die Klägerin ist auch aktivlegitimiert. Sie hat unstreitig dargelegt, dass ihr alle Industrie- und Handelskammern angehören sowie selbständige Versicherungsberater und -vermittler. Über die Pflichtmitgliedschaften in den Industrie- und Handelskammern sind diese auf jeden Fall Mitbewerber im Verhältnis zur Beklagten.

Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin gemäß § 8 Abs. 4 UWG liegt nicht vor: Die Klägerin vertritt die Interessen aller Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer und nicht nur das Interesse des einzelnen Kunden ... Selbst wenn ... aus Ärger über die belästigenden Telefonanrufe die Wettbewerbszentrale einschaltete, um die Beklagte mit Kosten zu belasten, so ist dies nicht rechtsmissbräuchlich, sondern entspricht genau dem Gesetzeszweck: Die Einschaltung eines Wettbewerbsverbandes zum Zweck der Abwehr zukünftiger Telefonanrufe ist legitim und vom Gesetz so vorgesehen. Dass dies mit Kosten verbunden ist, die dem Beschwerdeführer ... selbst nicht zu gute kommen, ist verfahrensimmanent.

Der Klageanträge sind auch ausreichend bestimmt. Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern ist ohne ausdrückliche vorherige Einwilligung auf jeden Fall unabhängig vom Inhalt der Werbung unzulässig. Eine konkretere Fassung des Klageantrags ist hier nicht erforderlich. Telefonwerbung gegenüber sonstigen Marktteilnehmern hängt im Hinblick auf das mutmaßliche Interesse davon ab, in welchen konkreten Zusammenhang die Werbung gestellt wird. Hier hat die Klägerin ausdrücklich die Werbung im Zusammenhang mit einer Krankenversicherungen genannt, die zum einen grundsätzlich zum privaten Bereich auch eines Unternehmers gehört, zum anderen als allgemeines Interesse im Hinblick auf Lohnnebenkosten keinen konkrete Umstand darstellt, die eine mutmaßliche Einwilligung erkennen lassen.

Klageanspruch II (Zahlung der Abmahnkosten)

Dieser Anspruch ist gern. § 12 Abs. 1 UWG begründet. Die Höhe der Abmahnkosten von 208,65 EUR entspricht den üblicherweise geltend gemachten Kosten der Klägerin und wurde auch von der Beklagten nicht beanstandet.

Kosten: § 91 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 2 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 30.12.2010
Az: 1 HK O 7394/10, 1 HK O 7394/10


Link zum Urteil:
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