Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 4. April 2000
Aktenzeichen: 5 U 224/98

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 04.04.2000, Az.: 5 U 224/98)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 16. November 1908 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 11.000,- abwenden, wenn nicht die Beklagte in gleicher Höhe vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Die Sicherheiten können jeweils durch eine unbedingte, unwiderrufliche und unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.

Der Wert der Beschwer übersteigt DM 60.000,-.

Tatbestand

Der Kläger ist Aktionär der Beklagten. Er ficht Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juni 1998 an, mit denen den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten für das Rumpfgeschäftsjahr vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1997 Entlastung erteilt wurde. Das Vorstandsmitglied ... des Klägers stimmte in der Hauptversammlung gegen die Beschlüsse und erklärte Widerspruch zur Niederschrift des Notars. Der Kläger hält die Beschlüsse für anfechtbar, weil Vorstand und Aufsichtsrat ihrer gesetzlichen Berichtspflicht nicht nachgekommen seien, da sie es unterlassen hätten, einen Abhängigkeitsbericht gemäß § 312 Abs. 1 AktG zu erstellen. Die Aktien der Beklagten wurden und werden zu mehr als 99% von der ... gehalten. Diese und die Beklagte schlossen am 6. April 1993 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Beklagten als beherrschtem Unternehmen. Die Hauptversammlung der Beklagten stimmte dem Vertrag, der in das Handelsregister eingetragen wurde, am 28. Mai 1993 zu. Ende September 1997 erwarb die ..., die Ende 1997 in ... umfirmierte, die Gesellschaftsanteile an der die sich zuvor in Händen von Mitgliedern der Familie ... befunden hatten. Die ... war ein 100%-iges Tochterunternehmen der ... und wurde von dieser beherrscht. Während des Rumpfgeschäftsjahrs 1997 bestand eine durchgehende Kette von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen von der ... bis zur Beklagten. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe nach der Eingliederung in den ... einen Abhängigkeitsbericht erstellen müssen, weil die Abhängigkeit von der ... in dem bestehenden Unternehmensvertrag mit der ... keine Entsprechung finde. Die Hauptversammlung der Beklagten habe der Konzernherrschaft der ... seinerzeit nicht zugestimmt. Es sei ein neues herrschendes Unternehmen an die Stelle des bisherigen getreten. Dadurch habe sich der Status der beherrschten Gesellschaft geändert, wozu es eines Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten und des Abschlusses eines neuen Unternehmensvertrages mit der ... bedurft habe. Die Beklagte hat die Rechtsansicht des Klägers für unzutreffend gehalten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im ersten Rechtszug und wegen der Begründung der Entscheidung wird auf das Urteil Bezug genommen (Bl. 48 - 53 d. A.). Gegen dieses Urteil, das ihm am 17. November 1998 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 16. Dezember 1998 Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel nach bis zum 17. Februar 1999 verlängerter Frist an diesem Tag begründet. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Er beantragt,

das Urteil des Landgerichts vom 16. November 1998 - Az. 3/1 0 114/98 - abzuändern und die nachfolgenden Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juni 1998 zu den Punkten 2. und 3. der Tagesordnung für nichtig zu erklären, und zwar der Beschluss zu Punkt 2 der Tagesordnung, der wie folgt zur Beschlussfassung angekündigt war:

"Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstands Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, den Mitgliedern des Vorstands für das am 31. Dezember 1997 endende Rumpfgeschäftsjahr vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1997 Entlastung zu erteilen."

sowie der Beschluss zu Punkt 3 der Tagesordnung, der wie folgt zur Beschlussfassung angekündigt war:

"Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrats Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, den Mitgliedern des Aufsichtsrats für das am 31. Dezember endende Geschäftsjahr vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1997 Entlastung zu erteilen."

und welche die Hauptversammlung ankündigungsgemäß mit Mehrheit beschloss.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend. Wegen des weiteren Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 15. Februar 1999 (Bl. 69 - 76 d. A.) und der Beklagten vom 12. Oktober 1999 (Bl. 81 - 86 d. A.) Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sein Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger ist allerdings zur Anfechtung befugt, da er handelnd durch sein Vorstandsmitglied - als Aktionär in der Hauptversammlung der Beklagten vom 22. Juni 1998 erschienen ist und gegen die Beschlüsse Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat (§ 245 Nr. 1 AktG). Die Anfechtungsklage des Klägers ist auch rechtzeitig binnen eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben worden (§ 246 Abs. 1 AktG). Die Einreichung der Klage am 20. Juli 1998 wahrte die Frist. Es fehlt jedoch an einem Anfechtungsgrund, weil die angefochtenen Beschlüsse weder das Gesetz noch die Satzung der Beklagten verletzt haben 243 AktG). Mit Recht geht der Kläger zwar davon aus, dass ein Verstoß gegen die Berichtspflicht nach den §§ 312 ff. AktG geeignet ist, einen darauf ergangenen Entlastungsbeschluss gemäß § 120 AktG selbst als gesetzwidrig erscheinen zu lassen und eine Anfechtungsklage nach § 243 Abs. 1 AktG zu begründen. Nach § 120 Abs. 3 Satz 2 AktG hat der Vorstand in der Verhandlung über die Entlastung den Jahresabschluss, den Geschäftsbericht und den Bericht des Aufsichtsrats vorzulegen. Befindet sich die Aktiengesellschaft in einem Abhängigkeitsverhältnis, so muss der Geschäftsbericht zwar nicht den in § 312 AktG vorgeschriebenen Abhängigkeitsbericht selbst, wohl aber die Schlusserklärung des Vorstands nach § 312 Abs. 3 AktG enthalten. Außerdem sind nach § 314 Abs. 2 in Verbindung mit § 171 Abs. 2 AktG in den Bericht des Aufsichtsrats dessen Stellungnahme zu dem Abhängigkeitsbericht des Vorstands und zu dem Ergebnis der Prüfung dieses Berichts durch die Abschlussprüfer (§§ 313, 314 AktG) sowie der Bestätigungsvermerk der Prüfer oder dessen Versagung aufzunehmen. Fehlen diese zwingend vorgeschriebenen Berichtsbestandteile, dann liegt es nicht anders, als ob die Berichte überhaupt fehlten, und die Hauptversammlung handelt gesetzwidrig, wenn sie Vorstand und Aufsichtsrat gleichwohl entlastet (BGHZ 62, 193, 194 f.). Jedoch greifen diese Grundsätze hier nicht ein, weil die Beklagte zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichts nicht verpflichtet war. Aus dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Beklagten und der ... lässt sich eine Berichtspflicht nicht herleiten. Das Gesetz bestimmt in § 312 Abs. 1 Satz 1 AktG ausdrücklich, dass der Vorstand einer abhängigen Gesellschaft einen Bericht über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen aufzustellen hat, wenn ein Beherrschungsvertrag nicht besteht. Da indessen die ... und die Beklagte durch einen Beherrschungsvertrag verbunden waren, fehlt es insoweit an einer (negativen) Voraussetzung für das Entstehen der Berichtspflicht. Dasselbe Ergebnis folgt im Hinblick auf das Bestehen eines Gewinnabführungsvertrages aus § 316 AktG. Aus dem Umstand, dass die ... als letztes Glied der mehrstufigen Unternehmensverbindung wegen ihres beherrschenden Einflusses auf die ... ihrerseits auf die ... und diese als herrschende Unternehmen im Verhältnis zur Beklagten anzusehen sind (Münchner Handbuch Gesellschaftsrecht IV-Krieger, 2. Aufl. 1999, Rn. 48), folgt nicht, dass mangels Beherrschungsverträgen dieser Gesellschaften im Verhältnis zur Beklagten ein Abhängigkeitsbericht zu erstellen ist. Der Senat schließt sich der im Schrifttum nahezu durchgängig vertretenen Auffassung an, dass jedenfalls bei einer ununterbrochenen Kette von Beherrschungsverträgen die §§ 311 ff. AktG insgesamt, also auch im vertragslosen Verhältnis zwischen der Mutter und der Enkel-AG, unanwendbar sind (Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht, 1998, § 311 AktG Rn. 8; Koppensteiner in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. 1987, Vorb. § 311 AktG Rn. 34; Kropf in Geßler/Hefermehl, 1976, § 311 AktG Rn. 191; Hüffer, 4. Aufl. 1999, § 311 AktG Rn. 15; a.A. insoweit noch Kronstein BB 1967, 637, 641 ff.). Der Schutz der außenstehenden Aktionäre wird ungeachtet des Fehlens eines Beherrschungsvertrags zwischen Mutter- und Enkelgesellschaft dabei in ausreichender Weise dadurch als gewährleistet angesehen, dass sie mittelbar durch die Ansprüche abgesichert sind, die der Tochter- gegen die Muttergesellschaft zustehen (Emmerich/Habersack, § 311 AktG Rn. 8; Koppensteiner in Kölner Kommentar, Vorb. § 311 AktG Rn. 34). Ein anderes Ergebnis stellt sich nicht deshalb ein, weil ein Wechsel der Konzernzugehörigkeit eingetreten ist, denn dieses Ereignis ist für die Notwendigkeit, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen - allein darum geht es im vorliegenden Verfahren - ohne Bedeutung. Die bestehenden Unternehmensverträge werden dadurch, dass die Anteile an der ... an eine Gesellschaft veräußert worden sind, die ihrerseits beherrscht wird, in ihrem rechtlichen Bestand auch nicht berührt. Inwieweit der Aufbau eines mehrstufigen Vertragskonzerns "von unten nach oben", d.h. wenn ein Unternehmensvertrag zwischen Mutter und Tochter dem eines solchen zwischen Enkel und Tochter nachfolgt, die Vermögensinteressen der außenstehenden Aktionäre berührt, die nachträglich mit dem Auftreten eines weiteren herrschenden Unternehmens konfrontiert werden und keine Möglichkeit hatten, auf die Ausgestaltung des Unternehmensvertrages mit der unmittelbar herrschenden Gesellschaft entsprechend Einfluss zu nehmen, und in welcher Weise diesen Nachteilen Rechnung zu tragen wäre (vgl. dazu Rehbinder, Gesellschaftsrechtliche Probleme mehrstufiger Unternehmensverbindungen, ZGR 1977, 582 ff., 605 ff.), ist hier nicht zu entscheiden.

Die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen gemäß 97 Abs. 1 ZPO dem Kläger zur Last.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit gründet sich auf die §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 108 Abs. 1 ZPO.

Der Wert der Beschwer ist gemäß 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 04.04.2000
Az: 5 U 224/98


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