Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Februar 2011
Aktenzeichen: 19 W (pat) 32/07

(BPatG: Beschluss v. 03.02.2011, Az.: 19 W (pat) 32/07)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G05B des Deutschen Patentund Markenamts vom 27. April 2007 aufgehoben und die Sache an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Deutsche Patentund Markenamt -Prüfungsstelle für Klasse G05B -hat die am 1. August 2003 eingereichte Anmeldung durch Beschluss vom 27. April 2007 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG keine patentfähige Erfindung sei, weil alle Merkmale des beanspruchten Verfahrens in Summe sowie in Kombination den Ausschlusskriterien des § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG unterfielen. Ebenfalls seien die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 vom Patentierungsausschluss der genannten Vorschrift erfasst und könnten die Patentfähigkeit nicht begründen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie beantragte auf der Grundlage der mit Schriftsatz vom 14. August 2007 eingereichten Patentansprüche nach Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 und 2, die den dem angefochtenen Beschluss zugrundeliegenden Anträgen entsprechen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und ein Patent auf der Basis der mit "Hauptantrag" gekennzeichneten Ansprüche zu erteilen.

Als einen ersten Hilfsantrag, den Zurückweisungsbeschluss aufzuheben und ein Patent auf der Basis der mit "Hilfsantrag 1" gekennzeichneten Ansprüche zu erteilen. Als zweiten und dritten Hilfsantrag sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Anmeldung an die Prüfungsstelle zurückzuverweisen.

Die Anmelderin vertritt die Ansicht, die Gegenstände der Ansprüche nach Hauptantrag und Hilfsanträgen seien neu, beruhten auf einer erfinderischen Tätigkeit und würden auch von den Auschlusskriterien des § 1 Abs. 3 und 4 PatG nicht berührt.

Der Anspruch 1 lautet nach Hauptantrag:

"Verfahren zum Bewirken einer Änderung im Prozessablauf einer Automatisierungseinrichtung während ein objektorientiertes Steuerprogramm zur Steuerung der Automatisierungseinrichtung ausgeführt wird, wobei das Steuerprogramm in Form eines Zwischencodes, der in Laufzeit in einen ausführbaren Maschinencode umgewandelt werden kann, in einem Speicher vorgehalten wird, umfassend -Bereitstellen eines geänderten Programms oder eines geänderten Programm-Moduls ebenfalls in Form eines Zwischencodes,

-Vergleichen des Zwischencodes des geänderten Programms beziehungsweise des geänderten Programm-Moduls und des Zwischencodes des in Ausführung befindlichen Steuerprogramms zur Bestimmung der Änderungen,

-Bewirken einer Änderung im Prozessablauf der Automatisierungseinrichtung durch Ändern des in Ausführung befindlichen Steuerprogramms, wobei das Durchführen der Änderungen innerhalb einer vorgegebenen Zeitdauer erfolgt."

Nach Hilfsantrag 1:

"Verfahren zum Bewirken einer Änderung im Prozessablauf einer Automatisierungseinrichtung während ein objektorientiertes Steuerprogramm zur Steuerung der Automatisierungseinrichtung ausgeführt wird, wobei das Steuerprogramm in Form eines Zwischencodes, der in Laufzeit in einen ausführbaren Maschinencode umgewandelt werden kann, in einem Speicher vorgehalten wird, umfassend -Bereitstellen eines geänderten Programms oder eines geänderten Programm-Moduls ebenfalls in Form eines Zwischencodes,

-Vergleichen des Zwischencodes des geänderten Programms beziehungsweise des geänderten Programm-Moduls und des Zwischencodes des in Ausführung befindlichen Steuerprogramms zur Bestimmung der Änderungen,

-Bewirken einer Änderung im Prozessablauf der Automatisierungseinrichtung durch Ändern des in Ausführung befindlichen Steuerprogramms, wobei das Durchführen der Änderungen innerhalb einer vorgegebenen Zeitdauer erfolgt, wobei die Zeitdauer in Abhängigkeit zumindest einer Reaktionszeit der durch das Steuerprogramm gesteuerten Automatisierungseinrichtung festgelegt wird."

Und nach Hilfsantrag 2:

"Automatisierungssystem, umfassend ein Laufzeitsystem zur Ausführung von Steuerprogrammen in einer Steuereinheit einer Automatisierungseinrichtung, umfassend Mittel zum Lesen und Schreiben von Speicherinhalten, wobei die Steuereinheit einen adressierbaren Speicher aufweist, und ein Steuerprogramm in Form eines ersten Zwischencodes in einem ersten Speicherbereich abrufbar abgelegt ist, und zumindest Teile des ersten Zwischencodes während des in der Automatisierungseinrichtung ablaufenden Prozesses in ausführbare Steuerbefehle umgewandelt werden, die in einem zweiten Speicherbereich abgelegt werden, und das Laufzeitsystem auf das Bereitstellen eines zweiten Zwischencodes in einem dritten Speicherbereich anspricht und eine Änderung im Prozessablauf in der Automatisierungseinrichtung bewirkt, geeignet zur Ausführung eines Verfahrens zum Bewirken einer Änderung im Prozessablauf der Automatisierungseinrichtung während ein objektorientiertes Steuerprogramm zur Steuerung der Automatisierungseinrichtung ausgeführt wird, wobei das Steuerprogramm in Form eines Zwischencodes, der in Laufzeit in einen ausführbaren Maschinencode umgewandelt werden kann, in einem Speicher vorgehalten wird, umfassend die Schritte -Bereitstellen eines geänderten Programms oder eines geänderten Programm-Moduls ebenfalls in Form eines Zwischencodes,

-Vergleichen des Zwischencodes des geänderten Programms beziehungsweise des geänderten Programm-Moduls und des Zwischencodes des in Ausführung befindlichen Steuerprogramms zur Bestimmung der Änderungen,

-Bewirken einer Änderung im Prozessablauf der Automatisierungseinrichtung durch Ändern des in Ausführung befindlichen Steuerprogramms, wobei das Durchführen der Änderungen innerhalb einer vorgegebenen Zeitdauer erfolgt, wobei die Zeitdauer in Abhängigkeit zumindest einer Reaktionszeit der durch das Steuerprogramm gesteuerten Automatisierungseinrichtung festgelegt wird."

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patentund Markenamt gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG, da die von der Prüfungsstelle angenommenen Auschlusskriterien des § 1 Abs. 3 und 4 PatG nicht vorliegen und die Prüfung des Patentbegehrens jedenfalls auf erfinderische Tätigkeit nach § 1 Abs. 1 i. V. m. § 4 PatG durch die Prüfungsstelle noch nicht erfolgt ist.

1. Die Anmeldung bezieht sich auf Automatisierungssysteme in der Industrie, sowie auf Verfahren zum Bewirken einer Änderung im Prozessablauf einer Automatisierungseinrichtung.

Um Produktivitätsausfälle zu vermeiden, muss der Beschreibung zufolge das Steuerungsprogramm einer Automatisierungseinrichtung änderbar sein, ohne die Automatisierungseinrichtung anhalten oder in einen bestimmten Zustand bringen zu müssen.

Damit ein geändertes Programm in jedem Zustand der Automatisierungseinrichtung übernommen werden kann, seien bestimmte Anforderungen zu erfüllen. Zum Einen müsse der Programmwechsel in Echtzeit erfolgen. Dies bedeute, dass die festgelegten Reaktionszeiten beziehungsweise Ausführungsintervalle des Steuerungsprogramms nicht überschritten werden dürfen. Außerdem müsse der aktuelle Zustand des Programms, insbesondere Daten, die beispielsweise Informationen über den aktuellen Prozesszustand der Automatisierungseinrichtung beinhalten, erhalten bleiben und von dem modifizierten Programm weiter verwendet werden.

Bei SPS-Steuerungen, wie sie in der Industrie-Automatisierung eingesetzt werden, seien heute schon verschiedene Programmiersysteme in der Lage, Programmänderungen durchzuführen, ohne dass die Programmausführung unterbrochen werden muss. Diese Funktionalität werde häufig als "Online-Programmierung" bezeichnet. Die Anforderungen solche Programmiersysteme führe aber dazu, dass nur Programmierwerkzeuge verwendet werden können, die speziell für den Einsatz im Bereich industrieller Steuerungstechnik entwickelt wurden.

Der Erfindung liege daher die Aufgabe zugrunde, einen konstruktiven Lösungsansatz anzugeben, wie bei einer weitgehenden oder sogar im Wesentlichen vollständigen Reduzierung der bisherigen Einschränkungen der Funktionalität eines verwendeten Programmiersystems Änderungen an einem Steuerungsprogramm einer Automatisierungseinrichtung bei laufendem Prozess durchgeführt werden können. Insbesondere soll zur Änderung des Programms ein Programmierwerkzeug eingesetzt werden können, das nicht speziell für diesen Zweck angepasst sei.

Weitere Aufgabe der Erfindung sei es, einen Weg anzugeben, wie bei der Änderung eines in Ausführung befindlichen Steuerungsprogramms die Echtzeitanforderungen einer Automatisierungseinrichtung eingehalten werden können.

Diese Aufgaben sollen durch die Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 bzw. durch ein Automatisierungssystem nach Hilfsantrag 2 gelöst werden.

2. Das Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 sowie das Automatisierungssystem nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 liegt auf technischem Gebiet (§ 1 Abs. 1 PatG), und fällt auch nicht unter einen Patentierungsausschlusstatbestand nach § 1 Abs. 3 und 4 PatG.

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verfahren, das das unmittelbare Zusammenwirken der Elemente eines Datenverarbeitungssystems betrifft, stets technischer Natur, ohne dass es darauf ankäme, ob es in der Ausgestaltung, in der es zum Patent angemeldet wird, durch technische Anweisungen geprägt ist. Ein solches Verfahren ist auch nicht als Programm für Datenverarbeitungsanlagen als solches vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn es ein konkretes technisches Problem mit technischen Mitteln löst. Eine Lösung mit technischen Mitteln liegt nicht nur dann vor, wenn Systemkomponenten modifiziert oder in neuartiger Weise adressiert werden. Es reicht vielmehr aus, wenn der Ablauf eines Datenverarbeitungsprogramms, das zur Lösung des Problems eingesetzt wird, durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird oder wenn die Lösung gerade darin besteht, ein Datenverarbeitungsprogramm so auszugestalten, dass es auf die technischen Gegebenheiten der Datenverarbeitungsanlage Rücksicht nimmt (BGH GRUR 2010, 613 = BlPMZ 2010, 326 - Dynamische Dokumentengenerierung).

Jedenfalls dann, wenn das sich einer Datenverarbeitungsanlage bedienende Verfahren in den Ablauf einer technischen Einrichtung eingebettet ist, entscheidet über die Patentierbarkeit nicht das Ergebnis einer Gewichtung technischer und nichttechnischer Elemente. Maßgebend ist vielmehr, ob die Lehre bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Lösung eines über die Datenverarbeitung hinausgehenden konkreten technischen Problems dient (BGH GRUR 2009, 479 = BlPMZ 2009, 183 - Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten).

Das trifft auch für den vorliegenden Fall zu. Hier geht es darum bei der Steuerung eines Prozessablaufs innerhalb einer vorgegebenen Zeit eine Änderung durchzuführen. Dies erfordert eine genaue zeitliche Abstimmung unter einer sehr rigiden Zeitvorgabe durch die Erfordernisse der Prozesssteuerung (vgl. die Absätze 0073 bis 0085 der Offenlegungsschrift). Diese Problemstellung ist nach Überzeugung des Senats technischer Natur und hat ihre Ursache in dem technischen Prozess, dessen Steuerung nicht unterbrochen werden darf.

Die Frage, ob das Verfahren urheberrechtsschutzfähig ist, spielt nach Überzeugung des Senats für die Beurteilung der Patentfähigkeit keine Rolle (vgl. Beschluss 19 W (pat) 13/08).

3.

Der Senat sieht derzeit auch die Neuheit der gültigen Ansprüche gegeben. Der Aufsatz von Brugali und Fayad "Distributed Computing in Robotics and Automation" in IEEE Trans. On Robotics and Automation, N. 4, Aug. 2002, S. 409 bis 420 (D3), scheint dem Senat zur Zeit der nächstkommende Stand der Technik zu sein. Er zeigt Echtzeit-Steuerprogramme für Automatisierungseinrichtungen, in denen ebenfalls objektorientierte Programme und das Programmpaket.Net (für sich in dem Aufsatz von C. Neable, D2, beschrieben) mit einem Zwischencode eingesetzt werden (S. 409, l. Sp. Z. 32 bis 36; r. Sp., Z. 15 bis 23; S. 415, Kapitel Microsoft.NET). Eine Änderung des laufenden Steuerprogramms ist dort nicht beschrieben. Der Aufsatz von M. Franz in "Computer" 1997, S. 74 bis 81 (D1) und der Vortrag von G. Biermann u. a. auf der ICPF'03, 25. bis 29. August 2003 in Uppsala (D4) beschreiben die Einbindung von Programmen aus Programmbibliotheken. Der Vortrag von Biermann geht auch auf die Problematik der zeitlichen Abläufe bei der Einbindung und der Parameterübergabe ein. Es handelt sich aber in beiden Fällen nicht um Steuerprogramme für Automatisierungseinrichtungen und nicht um die Änderung von bereits laufenden Programmen, sondern um die Einbindung neuer Programme aus Bibliotheken.

4.

Im bisherigen Prüfungsverfahren wurde das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit noch nicht geprüft. Nach Überzeugung des Senats ist dafür eine weitergehende Recherche hinsichtlich Verfahren zur Änderung von laufenden Steuerprogrammen erforderlich, die zumindest klärt, ob die von der Anmelderin im Absatz 0007 der Offenlegungsschrift als bekannt bezeichnete "Online-Programmierung" für SPS-Steuerungen Stand der Technik ist. Auch wurde noch nicht geprüft, ob die Anmeldung in den ursprünglichen Unterlagen so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Dafür ist nach Überzeugung des Senats ebenfalls eine vollständige Recherche nötig, auf deren Basis beurteilt werden kann, über welche Kenntnisse der Fachmann bei der Änderung laufender Echtzeit -Steuerprogramme verfügt. Der Senat möchte diesem Prüfungsergebnis nicht vorgreifen. Deshalb wurde die Anmeldung zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen (vgl. § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG, vgl. hierzu Schulte Patentgesetz, 8. Aufl., § 79 Rdn. 16 und 18).

Bertl Kirschneck Dr. Scholz J. Müller Pü






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Az: 19 W (pat) 32/07


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