Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 7. Oktober 2003
Aktenzeichen: AnwZ (B) 38/02

(BGH: Beschluss v. 07.10.2003, Az.: AnwZ (B) 38/02)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In dieser Gerichtsentscheidung ging es um den Antragsteller, der gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin vorgegangen ist. Die Antragsgegnerin hatte die Aufnahme des Antragstellers in die Rechtsanwaltskammer widerrufen, da er gegen die Kanzleipflicht verstoßen hatte. Der Antragsteller hat zunächst beantragt, das Verfahren an das Verwaltungsgericht zu verweisen, da er den Rechtsweg zu den Anwaltsgerichten als unzulässig ansieht.

Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag des Antragstellers abgelehnt und die sofortige Beschwerde zugelassen. Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Anwaltsgerichtsbarkeit für die Entscheidung über den Antrag zuständig ist. Der Verwaltungsrechtsweg steht für öffentlichrechtliche Streitigkeiten zur Verfügung, sofern diese nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen sind. Die Bundesrechtsanwaltsordnung weist Rechtsstreitigkeiten über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und den Widerruf der Zulassung dem Anwaltsgerichtshof zu. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass der Anwaltsgerichtshof ein staatliches Gericht ist und dass die Zuweisung der Zulassungsangelegenheiten an den Anwaltsgerichtshof verfassungsgemäß ist.

Der Antragsteller argumentiert, dass diese Regelung im Widerspruch zum europäischen Gemeinschaftsrecht steht, da er als in London niedergelassener Rechtsanwalt auch in Deutschland tätig sein möchte. Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass das europäische Gemeinschaftsrecht im vorliegenden Fall anwendbar ist, da es sich um eine Tätigkeit handelt, die die Binnengrenzen der Europäischen Gemeinschaft überschreitet. Jedoch ist die Einrichtung und Ausgestaltung des Rechtsweges zu den Anwaltsgerichten mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar.

Der Zugang zu den Anwaltsgerichten steht Bürgern anderer Mitgliedstaaten oder in Deutschland ansässigen Gemeinschaftsbürgern zu denselben Bedingungen offen wie deutschen Staatsangehörigen. Es ist nicht erforderlich, dass wettbewerbsrelevante Maßnahmen der Antragsgegnerin durch ein ordentliches staatliches Gericht überprüft werden können, da der Anwaltsgerichtshof ein ordentliches staatliches Gericht ist. Der Umstand, dass Anwälte als Richter am Anwaltsgerichtshof tätig sind, beeinträchtigt nicht deren Unabhängigkeit, sondern trägt eher zu sachgerechten Entscheidungen bei.

Aus diesen Gründen wurde die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Anwaltsgerichtshofs zurückgewiesen. Der Antragsteller wurde zur Zahlung der Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet und muss der Antragsgegnerin die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen erstatten.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Beschluss v. 07.10.2003, Az: AnwZ (B) 38/02


Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des I. Senats des Anwaltsgerichtshofes Berlin vom 8. April 2002 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller hat sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin gewandt, mit dem diese die Aufnahme des Antragstellers als Mitglied der Rechtsanwaltskammer (§ 206 Abs. 1 BRAO in der Neufassung durch das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9. März 2000 (BGBl. I S. 182) wegen Verstoßes gegen die Kanzleipflicht widerrufen hat. Vorab hat er beantragt, das Verfahren wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zu den Anwaltsgerichten an das Verwaltungsgericht B. zu verweisen.

Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag abgelehnt und die sofortige Beschwerde zugelassen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 223 Abs. 3 Satz 1 BRAO); sie hat jedoch keinen Erfolg. Entgegen den Bedenken des Antragstellers ist die Anwaltsgerichtsbarkeit zur Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zuständig.

1. Gemäß § 40 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Von dieser Zuweisungskompetenz hat der Bundesgesetzgeber Gebrauch gemacht, indem er in der Bundesrechtsanwaltsordnung Rechtsstreitigkeiten über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, über den Widerruf der Zulassung und sämtliche hiermit verbundenen Verfahren dem Anwaltsgerichtshof zur Entscheidung zugewiesen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes handelt es sich bei dem Anwaltsgerichtshof um ein staatliches Gericht, dem die vorgenannten Zulassungsangelegenheiten der Rechtsanwälte wirksam zugewiesen sind (vgl. BVerfGE NJW 1969, 2192; 1978, 1795).

2. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist diese Gesetzeslage mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar.

a) Allerdings ist im vorliegenden Fall das europäische Gemeinschaftsrecht anwendbar, falls der Antragsteller, wie er behauptet, in London niedergelassen ist und dort umfassend Beratungsleistungen erbringen darf. Dies unterstellt der Senat zugunsten des Antragstellers. Da er mit den gleichen Befugnissen eine Niederlassung im Inland anstrebt, geht es -obwohl der Antragsteller deutscher Staatsangehöriger ist -um einen die Binnengrenzen der Europäischen Gemeinschaft überschreitenden Verkehr.

b) Das Verfahrensrecht unterliegt zwar der Regelungshoheit der jeweiligen Mitgliedstaaten. Die Verwirklichung des materiellen Gemeinschaftsrechts darf indes durch das nationale Verfahrensrecht nicht übermäßig erschwert werden (EuGH, Urt. v. 20. März 1997 -Rs. C-323/95 -Hayes, EuZw 1997, 280, 281 Rz. 13; vgl. auch BVerwG NJW 1998, 3728, 3729). Deshalb ist die Einrichtung und Ausgestaltung des Rechtsweges zu den Anwaltsgerichten darauf zu überprüfen, ob sie die von dem Antragsteller beanspruchten gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten beeinträchtigen. Dies ist nicht der Fall.

aa) Indem Rechtsstreitigkeiten über die Zulassung als Rechtsanwalt in Deutschland den Anwaltsgerichten zugewiesen sind, werden die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) und der freie Dienstleistungsverkehr (Art. 49 EGV)

nicht beeinträchtigt.

Allerdings ist die Tätigkeit eines Rechtsanwalts (auch) wirtschaftlicher Art (EuGH, Urt. v. 19. Februar 2002 -Rs. C-309/99 -Wouters, NJW 2002, 877, 878 Rz. 49) und kann eine Rechtsanwaltskammer unter Umständen als Unternehmensvereinigung im Sinne von Art. 85 Abs. 1 EGV anzusehen sein (EuGH, aaO Rz. 64). Nationale Verfahrensvorschriften, welche Wirtschaftsteilnehmern aus einem anderen Mitgliedstaat im Falle von Rechtsstreitigkeiten, die sich aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ergeben, den Zugang zu den nationalen Gerichten erschweren, würden die wirtschaftliche Betätigung innerhalb der Gemeinschaft unzulässig beeinträchtigen (EuGH, Urt. v. 20. März 1997 -Rs. C323/95 -Hayes, aaO Rz. 14). Die genannten Vorschriften schützen -über ihren Wortlaut hinaus -auch die freie Niederlassung und die Dienstleistungsfreiheit im Hoheitsgebiet des eigenen Staates, sofern der Betreffende aus dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates zuwandern und im eigenen Staat eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen will (EuGH, Urt. v. 31. März 1993 -Rs. C 19/92 -Kraus, Slg. 1993, I-1663 Rz. 15 f). Der Zugang zu den Anwaltsgerichten ist jedoch den Bürgern anderer Mitgliedstaaten oder Inländern, die aus anderen Mitgliedstaaten zuwandern wollen, zu denselben Bedingungen eröffnet wie den deutschen Staatsangehörigen oder im Inland ansässigen Gemeinschaftsbürgern.

bb) Ob sich -wie der Antragsteller meint -aus den Gemeinschaftsregeln über den Wettbewerb (Art. 10, 81 EG) ergibt, daß eine Möglichkeit bestehen muß, die wettbewerbsrelevanten Maßnahmen der Antragsgegnerin durch ein ordentliches staatliches Gericht überprüfen zu lassen, kann dahinstehen. Sowohl der bei einem Oberlandesgericht eingerichtete Anwaltsgerichtshof als auch der Anwaltssenat beim Bundesgerichtshof sind ordentliche staatliche Gerichte. Daß bei ihnen auch Richter mitwirken, die aus der Rechtsanwaltschaft kommen und neben der Ausübung ihres Richteramtes weiter als Rechtsanwälte tätig sind, ändert nichts an ihrer richterlichen Unabhängigkeit. Solange diese gewährleistet ist, darf ein staatliches Gericht auch mit Richtern besetzt sein, die demselben Verkehrskreis angehören wie die Rechtsuchenden. Da sie aufgrund dessen für den Verfahrensgegenstand besondere Sachkunde mitbringen, ist dieser Umstand dem Verfahrensziel sachgerechter und lebensnaher Entscheidungen sogar förderlich.

3. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, daß weder die anwaltlichen Mitglieder des Anwaltsgerichtshofes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen waren, noch daß die anwaltlichen Mitglieder des erkennenden Senats ausgeschlossen sind.

Deppert Ganter Otten Frellesen Wüllrich Frey Hauger






BGH:
Beschluss v. 07.10.2003
Az: AnwZ (B) 38/02


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