Finanzgericht Hamburg:
Gerichtsbeschei vom 2. März 2011
Aktenzeichen: 2 K 59/10

(FG Hamburg: Gerichtsbeschei v. 02.03.2011, Az.: 2 K 59/10)

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Akteneinsicht in Umsatzsteuerakten des Beklagten zur Vorbereitung von Regressansprüchen gegen den vormaligen Steuerberater der Klägerin.

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft in Liquidation, 2007 ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden. Sie hatte der Steuerberatungsgesellschaft A bzw. deren Geschäftsführer, B, am 31.01.2005 eine Handlungs- und Zustellungsvollmacht erteilt. Der Steuerberater sollte für 2004 und 2005 Umsatzsteuererklärungen erstellen und Vorsteueransprüche geltend machen. Am 06.06.2006 legte der Steuerberater das Mandat nieder. Das Besteuerungsverfahren der Klägerin für die Jahre 2004 bis 2006 ist bestandskräftig abgeschlossen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine nicht zeitnahe Verrechnung von Umsatzsteuerforderungen mit ihr zustehenden Vorsteueransprüchen zur Insolvenz geführt habe.

Am 22.07.2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten, ihr Akteneinsicht in die Umsatzsteuerakten zu gewähren, weil sie einen Schadensersatzprozess gegen ihren Bevollmächtigten vor dem Landgericht C führe und ihr nicht alle Schreiben des Finanzamtes an die Steuerberatungskanzlei betr. Vorsteuer und Umsatzsteuer vorlägen. Es müsse geprüft werden, welche Umsatzsteuererklärungen die Steuerberatungskanzlei eingereicht habe. Diesen Antrag lehnte der Beklagte am 14.08.2009 -ohne Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung-- ab, u. a. weil wirtschaftliche Interessen keinen Anspruch auf Akteneinsicht begründen könnten. Die Schadensersatzklage gegen die A auf Zahlung von 49.596,19 € nahm die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht C am 10.09.2009 zurück.

Nachdem die Klägerin sich mit weiterem Schreiben vom 21.10.2009 für ihr Akteneinsichtsgesuch auch auf das Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz (HmbIFG) berufen hatte, dessen Anwendung nach Abschluss des Besteuerungsverfahrens nicht durch § 3 Abs. 2 Nr. 5 HmbIFG ausgeschlossen sei, lehnte der Beklagte das Akteiensichtsgesuch am 03.11.2009 -nunmehr mit Rechtsbehelfsbelehrung- erneut ab. Insbesondere greife das HmbIFG nicht ein, weil es in der Sache um die Festsetzung und Erhebung von Umsatzsteuern und damit um eine Abgabenangelegenheit gehe. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 04.12.2009, der unter Bezugnahme auf einen an das Verwaltungsgericht Hamburg adressierten Sprungklageentwurf begründet wurde. Mit Einspruchsentscheidung vom 18.03.2010 bestätigte der Beklagte die Versagung der Akteneinsicht. Die Abgabenordnung (AO) sehe grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht nicht vor und gewähre nur ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung. Die Klägerin müsse sich das Verhalten ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen, dem sie Vollmacht erteilt habe und dessen Überwachung ihr oblegen habe. Das wirtschaftliche Interesse an einem Zivilprozess rechtfertige nicht die Gewährung von Akteneinsicht und trete hinter die berechtigten Interessen des Finanzamtes zurück. Die Anwendung des HmbIFG sei durch dessen § 3 Abs. 2 Nr. 5 für Informationen über Vorgänge der Steuererhebung und Steuerfestsetzung ausgeschlossen, unabhängig davon, ob ein Steuerfall abgeschlossen sei oder nicht. Hiergegen richtet sich die Klage vom 15.04.2010.

Zwar kenne die AO kein Recht auf Akteneinsicht, gleichwohl bestehe ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung. Ausnahmsweise sei ein derartiger Anspruch von der Rechtsprechung auch bei einem abgeschlossenen Besteuerungsverfahren bejaht worden.

Im Übrigen sei die Einsichtnahme in Steuerakten, die bestandskräftige Veranlagungszeiträume beträfen, keine Abgabenangelegenheit i.S. von § 33 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Insoweit sei Rechtsgrundlage für die begehrte Akteneinsicht das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) und des Landes Hamburg. Ferner sei § 19 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) heranzuziehen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagte zu verpflichten, ihr Akteneinsicht in die Umsatzsteuerakten einschließlich Umsatzsteuernachschau- und Sonderprüfungsakten nebst aller in seinem Besitz befindlichen Umsatzsteuerdokumenten für den Zeitraum 2004 bis 2006 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin weder ein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht nach § 19 Abs. 1 BDSG noch nach den Vorschriften des Bundes oder der Länder über den Informationszugang zu. Der Gesetzgeber habe von seiner ihm nach Art. 108 Abs. 5 Satz 1 Grundgesetz (GG) eingeräumten Regelungskompetenz dahingehend Gebrauch gemacht, dass ein Recht auf Einsichtnahme in die AO nicht geregelt worden sei. Dieser explizite Regelungsverzicht gelte abschließend für Akteneinsichtsrechte im Bereich der AO.

Im Übrigen sei seine, des Beklagten, Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Zu beachten sei in diesem Zusammenhang auch, dass im Falle der Geltendmachung von Regressansprüchen gegen ehemalige Bevollmächtigte, diese zu Dritten i. S. von § 30 AO würden und damit die Gewährung von Akteneinsicht zugunsten des Vertretenen ausgeschlossen sei.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 11.01.2011 vorab über die Zulässigkeit des Finanzrechtswegs entschieden.

Ein Ordner "Ablehnung Akteneinsicht" zur Steuernummer .../.../... hat vorgelegen.

Gründe

Das Gericht entscheidet gem. § 90a FGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beklagte hat zu Recht die begehrte Gewährung von Akteneinsicht in die Umsatzsteuerakten abgelehnt. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht noch auf eine diesbezügliche fehlerfreie Ermessensentscheidung zu.

a.Die AO enthält --anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und § 147 der Strafprozessordnung-- keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein solches Einsichtsrecht weder aus § 91 Abs. 1 AO und dem hierzu ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten (z.B. BFH Urteil vom 23.02.2010 - VII R 19/09, BStBl II 2010, 729 m. w. N.). Hiervon geht auch die Klägerin aus.

Allerdings anerkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung --ebenso wie die Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO--, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zusteht (vgl. z.B. BFH Entscheidungen vom 23.02.2010 - VII R 19/09, BStBl II 2010,729 m. w. N; vom 04.06.2003 - VII B 138/01, BStBl II 2003, 790, m. w. N.). In diesem Rahmen hat das Gericht die behördliche Entscheidung nur daraufhin zu überprüfen, ob die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat, die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat (§ 102 FGO). Der BFH sieht den Anspruch des Einsichtsuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung als gewahrt an, wenn das FA im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat (vgl. BFH Entscheidungen vom 04.06.2003 - VII B 138/01, BStBl II 2003, 790; vom 08.06.1995 - IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64; 07.05.1985 - VII R 25/82, BStBl II 1985, 571).

Im Streitfall scheitert ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht bereits daran, dass das Verwaltungsverfahren mit der bestandskräftigen Festsetzung der Umsatzsteuer abgeschlossen ist. Ebenso wie beim Anspruch nach § 364 AO geht es auch bei dem Akteneinsichtsrecht um die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten. Nach Abschluss des Verfahrens fehlt es dem für dieses Verfahren erforderlichen Interesse an der Kenntnis der Unterlagen (vgl. BFH Urteil vom 23.02.2010 - VII R 19/09, BStBl II 2010,729).

b.Die Klägerin kann sich auch nicht auf einen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleiteten Anspruch auf Akteneinsicht berufen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erstreckt sich die Pflicht, Treu und Glauben zu genügen (§ 242 BGB), weil auf einem allgemeinen Rechtsgedanken beruhend, auch auf das öffentliche Recht (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.01.1993 8 C 46/91, BVerwGE 92, 8, m. w. N.). Sie ist dementsprechend auch im Steuerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz uneingeschränkt anerkannt (vgl. BFH-Urteile vom 08.02.1996 - V R 54/94, BFH/NV 1996, 733; vom 09.08.1989 - I R 181/85, BStBl II 1989, 990, vom 08.02.1995 - I R 127/93, BStBl II 1995, 764) und verlangt die Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen Beteiligten im Steuerrechts-(Steuerpflicht-, Steuerschuld-)Verhältnis. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist unmittelbar aus der Gerechtigkeitsidee ableitbar und aus sich heraus Rechtsquelle (BFH-Urteil vom 09.08.1989 - I R 181/85, BStBl II 1989, 990). Ein Steuerrechtsverhältnis zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigem besteht aber nach Abschluss des Besteuerungsverfahrens nicht mehr.

Doch selbst wenn man in Nachwirkung eines abgeschlossenen Verfahrens gewisse Verpflichtungen des Finanzamtes aus Treu und Glauben gegenüber dem ehemals Verfahrensbeteiligten anerkennen könnte, ergäbe sich hieraus im Streitfall kein Anspruch auf Gewährung der begehrten Akteneinsicht. Denn diese in gewissem Umfang möglicherweise bestehenden nachsorgenden Verpflichtungen hat der Beklagte erfüllt, in dem er unter Abwägung der unterschiedlichen Interessen, der der Klägerin, der des seinerzeitigen Bevollmächtigten und seiner eigenen behördlichen Interessen das Gesuch geprüft und mit ausführlicher, für das Gericht nachvollziehbarer Begründung abgelehnt hat. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte seinen Interessen an einer grundsätzlich bestehenden Geheimhaltung der Akten während des Verwaltungsverfahrens den Vorrang eingeräumt hat gegenüber dem Interesse des Klägers an der Beschaffung von Erkenntnissen für einen Regressprozess. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass selbst aus einer bestehenden abgabenrechtlichen "Sonderverbindung" keine Treuepflicht zur Unterstützung verfahrensfremder Zwecke abzuleiten ist.

c.Schließlich kann die Klägerin ihr Begehren auch nicht mit Erfolg auf andere, außersteuerliche Anspruchsgrundlagen, wie etwa das Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz oder das Hamburgische Datenschutzgesetz, stützen, auch nicht nach Abschluss des Besteuerungsverfahrens, wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 11.01.2011 im Einzelnen ausgeführt hat.

d.Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.






FG Hamburg:
Gerichtsbeschei v. 02.03.2011
Az: 2 K 59/10


Link zum Urteil:
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