Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 16. April 2013
Aktenzeichen: 7 K 5237/11

(VG Köln: Urteil v. 16.04.2013, Az.: 7 K 5237/11)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Die als Verpflichtungsklage statthafte, zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der beantragten Berufsunfähigkeitsrente. Der ablehnende Bescheid vom 18.08.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Nach § 18 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen (SVR) in der in dem für die Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Fassung der 24. Satzungsänderung gemäß Bekanntmachung vom 7. August 2012, JMBl. NRW 2012 Nr. 16 vom 15. August 2012, S. 197, i.V.m. § 6a Abs. 5 und 6 Heilberufsgesetz Nordrhein-Westfalen erhält ein Mitglied, das mindestens für drei Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit Beiträge geleistet hat, und das (1.) wegen Krankheit oder eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte oder Sucht voraussichtlich auf Dauer nur noch in der Lage ist, im Durchschnitt weniger als drei Stunden täglich anwaltlich tätig zu sein, und (2.) seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt einstellt oder eingestellt hat, Berufsunfähigkeitsrente auf Dauer. Gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 SVR ist die Berufsunfähigkeit in medizinischer Hinsicht vom Mitglied durch fachärztliches Gutachten zu belegen.

Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Klägerin Mitglied beim beklagten Versorgungswerk ist und mindestens drei Monate vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit Beiträge geleistet hat. Ebenso steht außer Streit, dass die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit als Rechtsanwältin eingestellt hat. Streitig ist allein, ob in der Person der Klägerin Berufsunfähigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 SVR gegeben ist.

Die Satzung des beklagten Versorgungswerkes definiert den Begriff der anwaltlichen Tätigkeit nicht. In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), der sich die Kammer anschließt, ist indes geklärt, dass darunter solche Tätigkeiten zu verstehen sind, welche die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bzw. den Fortbestand der Zulassung rechtfertigen. Erforderlich ist, dass die dem Mitglied verbleibenden Betätigungsmöglichkeiten noch dem anwaltlichen Berufsbild entsprechen, nicht aber, dass es in der Lage ist, das gesamte Spektrum anwaltlicher Tätigkeitsbereiche abzudecken. Zu diesem Spektrum zählen sowohl die prozessuale und außergerichtliche Vertretung der Mandanten als auch deren Beratung in Rechtsangelegenheiten in schriftlicher und mündlicher Form. Die Betätigungsmöglichkeiten müssen - gemessen an §§ 1 bis 3 BRAO - noch als eigenverantwortliche Rechtsvertretungs- bzw. -beratungstätigkeit qualifiziert werden können. Nach dieser Maßgabe kann es für eine "anwaltliche Tätigkeit" im Sinne von § 18 SVR genügen, wenn im Rahmen der verbleibenden Leistungsmöglichkeiten allein schriftliche Tätigkeiten ausgeführt werden können, solange diese Arbeit jedenfalls noch in einer eigenverantwortlichen anwaltlichen Rechtsberatungstätigkeit besteht, grundsätzlich frei von fachlichen Weisungen erfolgt und es sich nicht lediglich um wissenschaftliche Hilfsdienste handelt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2011 - 17 A 395/10 -, juris Rn. 28 ff m.w.N.

Darauf, ob das Mitglied sich auf dem Arbeitsmarkt gegenüber anderen Bewerbern auf entsprechende Arbeitsstellen durchsetzen kann, kommt es für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nicht an. Denn die Satzung des beklagten Versorgungswerks deckt nur das Risiko ab, aus gesundheitlichen Gründen aus anwaltlicher Tätigkeit kein hinreichendes Einkommen zu haben. Nicht erfasst ist das Risiko, auf dem vorhandenen Arbeitsmarkt nicht zum Zuge zu kommen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2011 - 17 A 395/10 -, juris Rn. 45 f. m.w.N.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht setzt die Feststellung der Berufsunfähigkeit voraus, dass durch fachärztliche Gutachten der Nachweis nachgewiesen ist, dass beim Mitglied eine Krankheit oder ein körperliches Gebrechens oder einer Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte oder Sucht vorliegt. Darüber hinaus müssen solche fachärztlichen Stellungnahmen eine substantiierte Aussage darüber enthalten, welche der einzelnen Tätigkeiten des anwaltlichen Berufes dem Mitglied infolge des festgestellten Defizits nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zugemutet werden können. Nur eine in diesem Sinne qualifizierte ärztliche Stellungnahme ist im Allgemeinen geeignet, die erforderliche volle richterliche Überzeugung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO von der Berufsunfähigkeit des Mitglieds zu vermitteln. Hingegen genügt diesem Erfordernis insbesondere nicht eine ärztliche Stellungnahme, die lediglich eine Aussage zu den körperlichen Gebrechen des Mitglieds oder der Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte trifft und daraus gegebenenfalls die nicht näher begründete Schlussfolgerung der Berufsunfähigkeit zieht. Eine derartige Schlussfolgerung geht über die dem Gutachter allein obliegende Würdigung in tatsächlicher Hinsicht hinaus und beinhaltet eine anhand des jeweils einschlägigen Satzungsrechts über das maßgebende Berufsbild vorzunehmende rechtliche Bewertung, die allein dem Beklagten bzw. im Klageverfahren dem Gericht vorbehalten ist.

Vgl. VG Köln, Urteil vom 29.11.2011 - 7 K 5419/10 -, juris Rn. 51 f. m.w.N., zum Zahnarztversorgungswerk.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Kriterien lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin auf Dauer nur noch in der Lage ist, im Durchschnitt weniger als drei Stunden täglich anwaltlich tätig zu sein.

Das seitens der Klägerin zur Feststellung ihrer Berufsunfähigkeit im Verwaltungsverfahren vorgelegte Gutachten der Ärztin für Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Dr. C. vom 06.04.2011 ist bereits in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht geeignet, eine Berufsunfähigkeit bei der Klägerin nachzuweisen. So ist festzuhalten, dass sich das Gutachten und die Einschätzung der Gutachterin Dr. C. nur auf die Dienstfähigkeit der Klägerin zur Ausübung ihrer Tätigkeit als Finanzbeamtin im höheren Dienst beziehen. Aussagen über die Befähigung zur anwaltlichen Tätigkeit können damit naturgemäß nicht getroffen werden. Soweit die Klägerin meint, die Verwertbarkeit des Gutachtens ergebe sich daraus, dass die Tätigkeit der Finanzbeamtin als eine reine Verwaltungstätigkeit vergleichbar mit einer reinen Aktenbearbeitung als Anwältin sei, ist dem entgegenzuhalten, dass eine anwaltliche Tätigkeit sich nicht auf eine reine Aktenbearbeitung ohne Mandanten-, Gegner- oder Gerichtskontakt reduzieren muss, sondern das anwaltliche Betätigungsspektrum nach dem oben Gesagten alle Erscheinungsformen der eigenverantwortlichen Rechtsvertretungs- bzw. -beratungstätigkeit umfasst. Das anwaltliche Betätigungsfeld ist derart vielgestaltig, dass etwaige Defizite im Bereich der ausschließlichen Aktenbearbeitung nicht ohne Weiteres die Fähigkeit zur Ausübung des Anwaltsberufs als solche in Frage stellen. Überdies enthält das Gutachten keine substantiierten und nachvollziehbaren Aussagen dahingehend, welche Tätigkeiten der Klägerin konkret aufgrund ihrer gesundheitlichen Defizite nicht zugemutet werden können. Bereits aus diesem Grund scheidet eine Übertragung der auf den Beruf der Finanzbeamtin im höheren Dienst bezogenen Stellungnahme auf die anwaltliche Tätigkeit aus. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Gutachterin eine über die berufliche Tätigkeit der Klägerin als Finanzbeamtin hinausgehende Aussage treffen wollte. Vielmehr finden sich - entsprechend dem Gutachtenauftrag - mehrfach Bezugnahmen zur Situation der Klägerin in ihrem beruflichen Umfeld. Auch die bei der Klägerin festgestellte fehlende Motivation bezieht sich (nur) auf die Wiederaufnahme der Diensttätigkeit als Finanzbeamtin.

Auch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme der Heilpraktikerin X. vom 03.03.2012 und die Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. K. vom 15.05.2012 genügen nicht den Anforderungen für den Nachweis einer Berufsunfähigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 SVR. So handelt es sich bei der als Behandlungsbericht bezeichneten Stellungnahme der Heilpraktikerin X. bereits nicht um ein fachärztliches Gutachten i.S.d. § 18 Abs. 4 Satz 1 SVR. Im Übrigen fehlt es auch in dieser Stellungnahme an einer näheren Darstellung, in welchen Bereichen der anwaltlichen Tätigkeit die Klägerin nicht wenigstens drei Stunden täglich arbeiten kann. Die pauschale Aussage, dass die Klägerin "für den Anwaltsberuf (...) aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung und ihrer erheblich eingeschränkten psychischen Belastbarkeit nicht geeignet" sei, genügt dem erkennbar nicht. Vielmehr erschöpft sich die von der Heilpraktikerin X. gestellte Prognose im Wesentlichen in der Wiedergabe des Ergebnisses der Gutachterin Dr. C. . Entsprechend defizitär sind die auf den Anwaltsberuf bezogenen Ausführungen.Gleiches gilt im Ergebnis für die Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. K. . Darin stellt Dr. K. lediglich die "Arbeitsfähigkeit" der Klägerin in Abrede, ohne auch nur ansatzweise zu spezifizieren, auf welche Tätigkeit sich diese Einschätzung überhaupt bezieht. Aussagen über die angewandten Methoden zur Diagnose der gesundheitlichen Defizite der Klägerin werden überhaupt nicht getroffen, so dass unklar bleibt, auf welcher Grundlage die Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. K. beruht. Hinzu kommt, dass die Stellungnahme schon nicht nachvollzogen werden kann, wenn einerseits bei der Klägerin festgestellt wird, dass sie "selbst geringste alltägliche Aufgaben" überfordern, ihr aber andererseits eine Bewältigung des Alltags attestiert wird.

Demgegenüber lassen das seitens des beklagten Versorgungswerkes im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten der Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie, für Psychosomatische Medizin, Verkehrs- und Suchtmedizin Dr. M. -T.- vom 02.07.2011 und das im gerichtlichen Verfahren vom Amts wegen eingeholte Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. X1. vom 17.12.2012 Rückschlüsse auf die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin zu. Auf Grundlage der nachvollziehbaren Ausführungen der medizinischen Sachverständigen, denen sich das Gericht nach eigener Überzeugungsbildung anschließt, ist davon auszugehen, dass die Klägerin in der Lage ist, im Durchschnitt wenigstens drei Stunden täglich anwaltlich tätig zu sein.In dem nach persönlicher Untersuchung der Klägerin und unter Berücksichtigung der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Gutachten erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachten von Dr. M. -T.- vom 02.07.2011 gelangt diese zu der Einschätzung, dass die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Klägerin als gering zu bewerten ist. Die Gutachterin sieht bei der Klägerin weder Einschränkungen im Kommunikations- und Wahrnehmungsbereich noch bei der Mobilität und Fähigkeit zur kontinuierlichen Arbeit. Die Klägerin sei danach u.a. zu freier Rede und der Kommunikation mit Dritten in der Lage. Auch könne sie sich aus Unterlagen ein eigenes Urteil bilden. Dies alles gelte trotz der Persönlichkeitsstörung der Klägerin, die sich in Gereiztheit, Verweigerung und Resignation zeige. Beeinträchtigungen aufgrund depressiver Symptomatik seien abgeklungen. Die Sachverständige legt insoweit nachvollziehbar dar, dass die behauptete Schwere der Beeinträchtigungen nicht durch klinische Befunde und Behandlungstatsachen belegt würden. Zudem hätten sich in den neuropsychologischen Testungen Hinweise auf Aggravation und Simulation von körperlichen und psychopathologischen Beschwerden ergeben. Die Selbstbeschreibungen entsprächen nicht sicher dem Erleben und Verhalten der Klägerin. Dieses Ergebnis korreliere auch mit dem Beeinträchtigungs-Beschwerde-Score nach Schepank. Dieser belege zwar mit einem Summenwert von 4 eine Störung von Krankheitswert, beschreibe die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit aber noch als gering. Aus der Sicht der Gutachterin seien der Klägerin mindestens Rechtsberatung, Rechtsgestaltung oder Rechtsvermittlung möglich.Die seitens des Gerichts beauftrage Gutachterin Dr. X1. konnte bei der Klägerin keine Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit feststellen. Der Einschätzung der Sachverständigen liegen die Kenntnis der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge, persönliche Untersuchungen der Klägerin am 16.10. und 30.10.2012 sowie ein testpsychologisches Zusatzgutachten des Diplom-Psychologen Prof. Dr. M1. zugrunde. In nachvollziehbarer Weise führt die Gutachterin aus, dass die Klägerin in den Leistungstests eine gut durchschnittliche Leistungsfähigkeit ohne Hinweise auf eine psychogene Leistungsbeeinträchtigung geboten habe. Die von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen von Auffassung und Konzentration konnten nicht bestätigt werden. Einer Berufsausübung als Rechtsanwältin stehe die bei der Klägerin festgestellte intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht entgegen. Weder klinisch psychiatrisch noch testpsychologisch hätte sich aktuell eine depressive Symptomatik objektivieren lassen. Ausweislich objektiver Kontrollskalen habe die Klägerin ihre psychischen Probleme zum Teil dramatisiert, zum Teil vorgetäuscht. Als Beleg für die bestehende Leistungsfähigkeit der Klägerin betrachtet die Sachverständige den Umstand, dass die Klägerin Schule und Studium erfolgreich abschließen konnte und die Übernahme ins Beamtenverhältnis erlangt hat, obwohl die festgestellte Persönlichkeitsstruktur sich bereits in der Kindheit entwickelt und über die Adoleszenz ins Erwachsenenalter gereicht habe.

Die Kammer sieht keinen Anlass, den vorgenannten Gutachten von Dr. M. -T.- und Dr. X1. nicht zu folgen. Beide Gutachten sind klar strukturiert, vollständig und weisen keine inneren Widersprüche auf. Sie sind von Sachkunde geprägt und überzeugen nach Inhalt, Methodik und Durchführung der Erhebungen. Die angewandten Testmethoden und die erzielten Ergebnisse lassen sich den Gutachten konkret entnehmen. Die darauf aufbauenden Schlussfolgerungen der Sachverständigen sind nachvollziehbar und geben im Hinblick auf die ausführlich dargestellte Befunderhebung keinen Anlass zu Zweifeln. Dem entspricht es, dass die Klägerin den Einschätzungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen Dr. X1. nicht mehr entgegengetreten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.






VG Köln:
Urteil v. 16.04.2013
Az: 7 K 5237/11


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