Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 1. Oktober 2007
Aktenzeichen: 8 W 380/07

(OLG Stuttgart: Beschluss v. 01.10.2007, Az.: 8 W 380/07)

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart vom 2.8.2007 wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: 676,52 EUR

Gründe

I.

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, sich im Rahmen der Kostenfestsetzung auf die für ihren Bevollmächtigten entstandene und grundsätzlich erstattungsfähige gerichtliche Verfahrensgebühr die Hälfte einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr anrechnen zu lassen.

Mit Versäumnisurteil des Landgerichts vom 22.5.2007 wurden die Beklagten antragsgemäß verurteilt und es wurden ihnen die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Beklagten wurde mit zweitem Versäumnisurteil vom 12.7.2007 verworfen. Die Beklagten haben danach auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2.8.2007 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die von den Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 3.073,84 EUR festgesetzt. In diesem Betrag ist unter anderem auch die von der Klägerin für ihren Bevollmächtigten geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG in voller Höhe berücksichtigt.

Mit ihrer fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde machen die Beklagten geltend, dass im Kostenfestsetzungsverfahren aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu berücksichtigen sei, dass der Bevollmächtigte der Klägerin für diese schon vorgerichtlich tätig gewesen sei. Damit könne für die Tätigkeit im Rechtsstreit lediglich eine 0,55 Verfahrensgebühr verlangt werden. Der festgesetzte Erstattungsbetrag sei somit um 676,52 EUR (Differenz zwischen der geltend gemachten 1,3 Verfahrensgebühr aus 26.098,28 EUR i. H. v. 985,40 EUR und einer 0,55 Verfahrensgebühr i. H. v. 416,90 EUR zzgl. MwSt.) zu kürzen. Zur Begründung seiner Ansicht beruft sich der Beklagtenvertreter auf die Entscheidungen des BGH vom 7.3.2007 (VIII ZR 86/06), vom 14.3.2007 (VIII ZR 184/06) und vom 10.5.2007 (VII ZB 110/06).

Der Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten. Er ist der Auffassung, es sei für die Kostenfestsetzung im Verhältnis der Parteien irrelevant, ob und inwieweit im Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten vorgerichtlich eine Geschäftsgebühr angefallen sei. Diese sei von der Klägerin weder im vorliegenden Rechtsstreit noch anderweitig eingeklagt worden. Die zitierten Entscheidungen seien damit nicht einschlägig.

Die Rechtspflegerin hat das Rechtsmittel der Beklagten ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das Rechtsmittel der Beklagten ist als sofortige Beschwerde gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO statthaft und auch sonst zulässig. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

Die Festsetzung der Rechtspflegerin ist nicht zu beanstanden. Sie hat zurecht und mit zutreffender Begründung (ergänzt durch den Vorlagebeschluss vom 18.9.2007) die für den Bevollmächtigten der Klägerin entstandene 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 als prozessualen Kostenerstattungsanspruch zutreffend in vollem Umfang gegen die Beklagten in Ansatz gebracht.

Eine Pflicht zur Anrechnung der bei der Klägerin aufgrund vorgerichtlicher Tätigkeit ihrer Bevollmächtigten entstandenen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG auf die im gerichtlichen Verfahren angefallene 1,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7.3.2007 (AGS 07, 283) und der daran anknüpfenden Entscheidung vom 14.3.2007 (AGS 07,289) . Beide Urteile betrafen Fälle, in denen der Kläger als Nebenforderung die Geschäftsgebühr aufgrund eines materiellen Schadensersatzanspruchs mit eingeklagt hatte. Dieses Vorgehen hat der Bundesgerichtshof aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG als berechtigt beurteilt und im Zusammenhang damit darauf hingewiesen, dass die Anrechnung nach dem Wortlaut der Vorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG erst im Kostenfestsetzungsverfahren des Rechtsstreits erfolge. Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin eine möglicherweise vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr ihres Bevollmächtigten weder im Hauptsacheverfahren noch in einem anderen Verfahren - als materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch - geltend gemacht.

Für diese Fallgestaltung entspricht es soweit ersichtlich ganz h. M. im Zivilrecht, dass im Kostenfestsetzungsverfahren auf der Grundlage der gerichtlichen Kostengrundentscheidung nur die prozessual entstandenen Gebühren und damit grundsätzlich die volle Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG zu berücksichtigen ist, soweit diese im Verfahren in voller Höhe entstanden ist. Die Anrechnungsvorschrift gemäß Nr. 3 Abs. 4 VV RVG gilt grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten. Der Prozessgegner haftet auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten nur nach materiellem Recht. Nur wenn er bereits rechtskräftig zur Zahlung eines solchen materiellrechtlichen Schadens verurteilt ist oder eine anderweitige bestandskräftige gerichtliche oder außergerichtliche Regelung über einen solchen Anspruch im Verhältnis auch zu ihm vorliegt, kann diese Regelung auch im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden, da vermieden werden soll, dass doppelt tituliert wird und der Kostenschuldner mehr erstatten muss, als der Kostengläubiger seinem Anwalt schuldet.

Auch eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG ist als materiellrechtlicher Anspruch einer Partei nur dann im Kostenfestsetzungsverfahren mit zu berücksichtigen, wenn entweder deren Anfall und die Pflicht des Gegners, sie zu tragen, oder wenn jedenfalls die für die Berücksichtigung maßgebenden Tatsachen unstreitig sind (KG AGS 07, 439; OLG Koblenz Rpfleger 07, 433; Norbert Schneider NJW 07, 2001). Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Für die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung spricht auch die soweit ersichtlich früher einhellige Handhabung der rechtstechnisch gleichen Anrechnungsvorschrift in § 118 Abs. 2 BRAGO, nach der ebenfalls die vorgerichtlich entstandene Verfahrensgebühr auf die später in einem gerichtlichen Verfahren entstehende (Prozess-)gebühr anzurechnen war. Insoweit bestand Einigkeit, dass die Prozessgebühr des gerichtlichen Verfahrens im zugehörigen Kostenfestsetzungsverfahren in voller Höhe festzusetzen war und nicht lediglich in der sich nach Anrechnung einer vorgerichtlichen Verfahrensgebühr verbleibenden Höhe. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung der rechtstechnisch gleichen Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG insoweit eine Änderung der Rechtslage im Kostenfestsetzungsverfahren herbeiführen wollte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung war die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 in Übereinstimmung mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht Koblenz und das Kammergericht (a.a.O.) zuzulassen.






OLG Stuttgart:
Beschluss v. 01.10.2007
Az: 8 W 380/07


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